In public discourse, issues of migration and immigration were for a long time perceived “only” as an integration problem. Nevertheless, a potential-oriented view of migration has been postulated recently and also implemented in practice. Thus, especially in large cities, various political programmes have been adopted that aim at commodifying the potential of migrant economies for urban development. This potential-oriented perspective is, however, decidedly “pre-post-migrant”, since it requires some kind of distinctive concept of the “migrant” in general and migrant economies in particular. Based on a project examining the importance of migrant economies for urban development in smaller cities, this article discusses the topic as an issue of research and local politics in a post-migrant perspective. Finally, uncertainties on how to deal with migrant economies also arise from the field itself and various challenges remain for a post-migrant “production of urban space”.
Migrantische Ökonomien sind inzwischen ein etabliertes Forschungsthema in der Geographie. Sie werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht, nicht zuletzt im Hinblick auf das ihnen innewohnende Potential für die städtische und regionale Entwicklung (z.B. Aver, 2013; Fischer-Krapohl und Waltz, 2005; Fürst und Balke, 2013; Kayser et al., 2008; Nuissl und Schmiz, 2015; Schaland, 2012; Schuleri-Hartje et al., 2005). Insbesondere in Großstädten wird vielfach versucht, dieses Potential im Rahmen von Stadtentwicklungsstrategien, Branchenkonzepten, Quartiersmanagements oder Place-Branding-Aktivitäten auch praktisch in Wert zu setzen und zu fördern (z.B. Aytar und Rath, 2012; Pütz und Rodatz, 2013; Schmiz, 2017). Im Kontext eines „postmigrantischen Paradigmas“, das im Kern zur Auflösung einer differenzmarkierenden und homogenisierenden Betrachtung von Migrationsphänomenen auffordert und Migrations- als Gesellschaftsforschung konzipiert, erscheint dieser potentialorientierte Zugriff auf migrantische Ökonomien dabei zunächst dezidiert „prä-postmigrantisch“: Denn er benötigt einen wie auch immer gearteten distinktiven Begriff des „Migrantischen“ im Allgemeinen und der migrantischen Ökonomien im Besonderen. Dieser impliziert wiederum zwangsläufig sowohl eine Differenz zum „Nicht-Migrantischen“ als auch eine Homogenisierung des „Migrantischen“ selbst.
Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, inwieweit eine postmigrantische Perspektive auf migrantische Ökonomien überhaupt möglich ist und welche Anforderungen sich aus einer solchen Perspektive für die politische und planerische Handhabung urbaner Räume ergeben können. Hierzu werden der Ansatz und die Ergebnisse eines DFG-Projekts, das die Potentiale migrantischer Ökonomien für die Stadt- und Regionalentwicklung kleinerer Großstadtregionen untersucht, reflektiert und zu zentralen Argumenten des „Postmigrantischen“ in Beziehung gesetzt. Im Folgenden wird zunächst das Forschungsfeld der migrantischen Ökonomien eingeführt (2), um es anschließend aus einer postmigrantischen Perspektive zu beleuchten (3). Sodann wird am Beispiel der eigenen Forschungsergebnisse reflektiert, ob bzw. wie die Umsetzung des „postmigrantischen Paradigmas“ forschungspraktisch gelingen kann (4). Hierauf folgt eine Diskussion der „theoretischen“ Sinnhaftigkeit des Forschungsfelds der migrantischen Ökonomien sowie eine erste Auslotung der „praktischen“ Möglichkeit der Etablierung einer postmigrantischen Stadtentwicklungspolitik (5). Ein kurzes Resümee (6) beschließt den Beitrag.
Der Beitrag migrantischer Ökonomien zur gesellschaftlichen Wohlfahrt ist in der Literatur vielfach belegt. Das gilt insbesondere für die angelsächsische Forschung, die sich dem Thema bereits seit den 1970er Jahren widmete (z.B. Light, 1972; Portes et al., 2002; Waldinger et al., 1990). Mit ähnlichen Ergebnissen werden migrantische Ökonomien seit den 1990er Jahren verstärkt auch im deutschsprachigen Kontext erforscht (z.B. Kayser et al., 2008; Schmiz, 2011; Stock, 2013; Yildiz und Mattausch, 2009).
In Bezug auf die Gesamtwirtschaft stellen Leicht und Langhauser (2014: 6f.) fest, dass sich die Zahl selbstständiger Migrant*innen in Deutschland seit den 1990er Jahren annähernd verdreifacht hat und mittlerweile eine dreiviertel Million beträgt. Mit 2,2 Millionen Beschäftigten stellen migrantische Ökonomien – verstanden als Gesamtheit aller Unternehmen, die von Personen mit Migrationshintergrund geführt werden – 18 % aller Arbeitsplätze in inhabergeführten mittelständischen Unternehmen. Vor diesem Hintergrund wird insbesondere in praxisorientierten Studien regelmäßig darauf hingewiesen, dass diese Unternehmen in erheblichem Maße zur volkswirtschaftlichen Gesamtleistung sowie generell zum Wirtschaftsleben in Deutschland beitragen (z.B. Bertelsmann Stiftung, 2016).
Auf der lokalen Ebene verbinden sich mit migrantischen Ökonomien ebenfalls Potentiale, die allerdings in der deutschsprachigen Debatte im Vergleich zur angelsächsischen noch wenig thematisiert werden. Gleichwohl werden seit einigen Jahren verstärkt die konkreten Beiträge migrantischer Ökonomien zur Profilierung und zum wirtschaftlichen Erfolg von Städten und Regionen herausgestellt (z.B. Floeting, 2009; Schuleri-Hartje et al., 2005; Yildiz, 2011). Dabei lassen sich fünf Funktionen voneinander unterscheiden, die migrantische Ökonomien für die Regional-, Stadt- und Quartiersentwicklung prinzipiell übernehmen können (Nuissl und Schmiz, 2015), wobei die beiden letztgenannten explizit die lokale Ebene betreffen:
die beschäftigungspolitische Funktion, die auch auf der stetig
wachsenden Ausbildungsbereitschaft der Betriebe der migrantischen
Ökonomien beruht (Leicht und Langhauser, 2014: 62ff.) und die vielen
Personen einen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt eröffnet (Mestres, 2010:
38f.; Rath und Eurofound, 2011: 1f.); die gesellschaftspolitische Funktion, die den Beitrag migrantischer
Ökonomien zur Sicherstellung einer umfassenden gesellschaftlichen
Teilhabe von Immigrant*innen betrifft und nicht zuletzt von erfolgreichen
Unternehmer*innen mit Migrationshintergrund symbolisiert wird
(Unabhängige Kommission „Zuwanderung“, 2001: 225f.); die ökonomische Funktion, die sich aus der Bedeutung migrantischer
Ökonomien für die Herausbildung von Wertschöpfungsketten
ergibt und unter anderem auf deren Innovationspotential zurückgeht
(Hillmann, 2011); die quartiersbelebende Funktion, die sich in vielen urbanen Teilräumen
beobachten lässt, in denen es häufig kleine
Dienstleistungsunternehmen der migrantischen Ökonomien sind, die sowohl
die Nahversorgung sichern als auch eine gewisse nachbarschaftliche
Kohäsion aufrechterhalten (Idik und Schnetger, 2004; Rath und Eurofound,
2011); die imagebildende Funktion, die auf der ethno-kulturellen Vermarktbarkeit
von migrantischen Ökonomien als Bestandteil von Imagebildungs- und
Marketingstrategien von Städten beruht (Aytar und Rath, 2012; Shaw,
2011).
Vor allem im angelsächsischen Raum werden migrantische Ökonomien
nicht nur als stadtentwicklungspolitisches Potential wahrgenommen, sondern
als solches auch proaktiv gefördert. Im kanadischen Toronto
beispielsweise ist es mit Hilfe des Stadtentwicklungsinstruments der
Es dürfte bereits deutlich geworden sein, dass das „Migrantische“ in einer potentialorientierten Sicht auf migrantische Ökonomien typischerweise im Gegensatz zu einem wie auch immer definierten „Nicht-Migrantischen“ gedacht wird. Darüber hinaus wird vielfach zumindest implizit davon ausgegangen, dass sich gleichsam alle migrantischen Ökonomien (im Vergleich zu nicht-migrantischen) durch charakteristische Stärken auszeichnen. Das Konzept des Postmigrantischen fordert demgegenüber dazu auf, die Engführungen einer sowohl separierenden als auch homogenisierenden Perspektive auf Migrationsphänomene allgemein aufzubrechen.
Auch wenn verschiedene Spielarten des Postmigrantischen existieren, lassen sich vier zentrale Kritikpunkte an der „traditionellen“ Art und Weise der Thematisierung von Migrationsphänomenen herausarbeiten, die allen in der Literatur vorfindlichen postmigrantischen Ansätzen gemein sind (Mecheril, 2014: 108ff.): Kritisiert werden
das „nationalstaatliche Integrationsdispositiv“, die „Defizitperspektive auf Migration“, die „Reduktion migrationsgesellschaftlicher Wirklichkeit auf
(klassische) Einwanderung“ sowie die „Repräsentationsverhältnisse (Wer spricht über
wen?)“.
Im Zentrum postmigrantischer Ansätze steht das Petitum, „den engen
Kreis der Migrationsmarkierten […] zugunsten der Konzeption einer
postmigrantischen Gesellschaft, die alle zu ‚Betroffenen‘ der
Migration und zu GestalterInnen der dadurch konstituierten Verhältnisse
erklärt“, zu überschreiten (Bojadzijev und Römhild, 2014:
18f.). Damit zielen diese Ansätze auf die Überwindung etablierter
sozialer und sprachlicher Praxen der Differenzierung und Grenzziehung entlang
des Phänomens der (internationalen) Migration (Foroutan, 2016: 248) sowie
die Aufdeckung der von diesen Praxen hervorgebrachten Verhältnisse
sozialer Ungleichheit und Hierarchie. Konsequent weitergedacht, impliziert
diese Positionierung, dass zwischen Migrations- und Gesellschaftsforschung
gar nicht sinnvoll unterschieden werden kann, da Migration stets ein
gesamtgesellschaftlich relevantes – und auch konstruiertes – Phänomen
ist. Demnach bedarf es keiner eigenständigen Migrationsforschung, sondern
es gilt, Gesellschaftsforschung zu „migrantisieren“ (Bojadzijev
und Römhild, 2014: 20): „Wir konzipieren die postmigrantische
Gesellschaft als gesellschaftstheoretische Perspektivierung, mit der die
empirische Tatsache ins Zentrum gerückt wird, dass Migration nicht als
Ausnahme von nationalen Vergesellschaftungsprozessen begriffen werden kann,
sondern zentrale Normalität von Gesellschaft ist – gleichwohl einer
Gesellschaft in der die institutionelle und alltägliche Reproduktion von
Rassismus nicht einfach verschwindet, sondern neue Formen und Wege
nimmt“ (Espahangizi et al., 2016: 15).
Trotz ihrer Nähe zu traditionellen Ansätzen der Migrationsforschung
lassen sich in den gegenwärtigen wissenschaftlichen Debatten zu
migrantischen Ökonomien auch postmigrantische
Argumente und Ansatzpunkte finden. Insbesondere drei Aspekte können
dabei hervorgehoben werden: die Hinterfragung des Migrations- und Ethnizitätsbegriffs, die
Berücksichtigung von Transnationalität sowie eine kritische Distanz
zur „neoliberalen Inwertsetzung“ von Migration und
Migrantischem:
Studien zu migrantischen Ökonomien beginnen häufig mit einer
Diskussion der verwendeten Begrifflichkeiten. Dabei werden nicht nur
gleichsam statistische Begriffe der „Besonderung“ des
„Migrantischen“ wie „Ausländer*in“, „Migrant*in“
oder „Migrationshintergrund“ kritisch reflektiert, sondern es
wird zunehmend auch infrage gestellt, ob Ethnizität „als
Kerncharakteristikum der Selbstständigkeit von
Migranten/Migrantinnen“ ausgewiesen werden sollte (Schmitt, 2015: 21;
Glick Schiller und Çağlar, 2011; Pécoud, 2010). Denn die
Ethnisierung unternehmerischen Handelns läuft Gefahr, dieses Handeln
ausschließlich als Ausdruck einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit zu
interpretieren und dessen Einbettung in heterogene Netzwerke und strukturelle
Rahmenbedingungen zu negieren (Schmitt, 2015: 21). Des Weiteren werden meist
nur bestimmte Unternehmer*innen „ethnisch“ markiert:
Beispielsweise Koreaner*innen in Los Angeles, Chines*innen in New York,
Nordafrikaner*innen in Lyon oder Türk*innen in Berlin, die kleine
Geschäfte betreiben (Timm, 2000: 364). Insbesondere soweit konkrete Akteure bzw.
Unternehmer*innenpersönlichkeiten in den Blick genommen werden, löst
sich die Forschung zu migrantischen Ökonomien typischerweise von
nationalstaatlich grundierten Identitätskategorien, betont stattdessen
die Bedeutung hybrider Identitätskonstruktionen und beruft sich auf das
Konzept des Transnationalismus (z.B. Schmiz, 2011; Yildiz, 2016). Einem
genuin postmigrantischen Forschungsparadigma folgt sie in dieser Hinsicht
aber nur teilweise. Denn dieses fordert nicht allein eine akteurszentrierte,
sondern auch eine strukturelle Thematisierung und Sichtbarmachung von
transnationalen Vernetzungen und Lebenswelten (Foroutan, 2016). Zunächst ist zu konstatieren, dass eine potentialorientierte
Perspektive auf Migration, mit der die Forschung zu migrantischen
Ökonomien eng verbunden ist, (auch) aus postmigrantischer Perspektive
einen anderen Blick auf Migrationsphänome wirft als eine vormals vorherrschende problemorientierte Thematisierung
(vgl. Häußermann und Kapphan, 2008).
Vor allem aber erfolgt im Kontext der Auseinandersetzung mit migrantischen
Ökonomien mittlerweile auch eine dezidiert kritische Reflexion der
Interessen, Konflikte und Allianzen, die im Zuge der Inwertsetzung
migrantischer Ökonomien für die Stadt- und Regionalentwicklung
entstehen (z.B. Schmiz, 2017). In diesem Zusammenhang wurden nicht nur das
Leitbild des „aktivierenden Staats“ und die Prämisse des
„Förderns und Forderns“ dekonstruiert (Ülker, 2016).
Zugleich wurden die Potential-, Querschnitts-, Netzwerk- und
Sozialraumorientierung kommunaler Integrationsstrategien (Pütz und
Rodatz, 2013: 167) als Ausdruck einer Stadtpolitik entlarvt, die auch die
migrantischen Ökonomien am Ort der kapitalistischen Verwertungslogik der
„unternehmerischen Stadt“ unterwirft (vgl. Harvey, 1989; Rodatz,
2014). Die neoliberale Grundierung der Potentialorientierung in der
Thematisierung von Migration im Allgemeinen und der Erforschung von
migrantischen Ökonomien im Besonderen wird in der neueren Literatur zu
migrantischen Ökonomien demnach umfassend rezipiert und reflektiert (z.B.
Husseini de Araújo und Weber, 2014).
Die mit dem Konzept des Postmigrantischen vorgezeichnete kritische
Perspektive auf jede Art von Migrationsforschung, die ihren
Forschungsgegenstand über das „Migrantische“ definiert (statt
ihn zu dekonstruieren), ist also – zumindest in Teilen – auch in der
wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit migrantischen Ökonomien bereits
explizit aufgegriffen worden. Es fehlt jedoch an konkreten Versuchen
auszuloten, inwiefern sich diese Perspektive mit der anwendungsorientierten
Untersuchung migrantischer Ökonomien und ihres Beitrags zur Stadt- und
Regionalentwicklung versöhnen lässt bzw. bis zu welchem Punkt ein
solches Erkenntnisinteresse auch aus postmigrantischer Perspektive legitim
und zielführend sein könnte.
Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden der Versuch unternommen, Ansätze und Ergebnisse eines eigenen Forschungsprojekts aus postmigrantischer Perspektive zu re-interpretieren. Das Konzept des Postmigrantischen dient hier also nicht als (heuristischer) Analysebegriff, sondern als Interpretationsfolie zur Einordung einer bereits vorliegenden Untersuchung. Anhand zweier Fallstudien untersuchte das Projekt migrantische Ökonomien als lokalpolitisches Handlungsfeld. Die forschungsleitende Frage war, ob und, wenn ja, wie migrantische Ökonomien als Potential für die Stadt- und Regionalentwicklung wahrgenommen werden und welche Rahmenbedingungen für ihre Entwicklung und Entfaltung in den beiden untersuchten Fällen existieren. Als Fallstudienregionen wurden zwei außerhalb der großen Agglomerationen gelegene Stadt-Umland-Räume gewählt und damit ein – zuweilen als Regiopole (Aring und Reuther, 2008) ausgewiesener – Raumtyp, der in der Debatte um migrantische Ökonomien bislang weitgehend vernachlässigt wurde: die IHK-Regionen Braunschweig und Rostock. Der hauptsächliche Forschungsfokus lag dabei auf den beiden gleichnamigen kleineren Großstädten. Das Projekt kombinierte quantitative und qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung: statistische Sekundär- und Dokumentenanalysen, besonders aber Expert*innen- und problemzentrierte Interviews, Gruppendiskussionen, teilnehmende Beobachtungen und Feldbegehungen. Interviewtranskripte und Beobachtungsprotokolle wurden mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse und einer Deutungsmusteranalyse interpretiert. Die empirischen Erhebungen fanden zwischen April 2014 und November 2015 statt. Den jeweiligen methodischen Ansätzen lagen dabei unterschiedliche Erkenntnisinteressen und definitorische Zugriffe auf migrantische Ökonomien zugrunde, wie Tabelle 1 verdeutlicht.
Untersuchte Faktoren, angewendete Methoden und Definitionen.
In der empirischen Vorgehensweise wurde insofern der Versuch unternommen, (auch) die postmigrantische Perspektive aufzugreifen, als der zentrale Forschungsgegenstand, die migrantischen Ökonomien in den beiden Fallstudienregionen, vorab nur im Sinne einer Arbeitsdefinition abgegrenzt wurde, die dann im Zuge der Feldforschung um die Sichtweise(n) der befragten Akteure angereichert wurde. In den folgenden Unterabschnitten werden zunächst die im Forschungsprojekt erzielten Teilergebnisse dargestellt sowie die Auswahl der definitorischen Zugriffe gerechtfertigt, um diese Ergebnisse sowie das ihnen zugrunde liegende Verständnis migrantischer Ökonomien anschließend aus postmigrantischer Perspektive zu reflektieren.
Die Erhebung des Bestands migrantischer Ökonomien in den beiden Fallstudienregionen diente der Einschätzung ihrer Größe, ihrer sektoralen und räumlichen Struktur sowie der Identifikation der ökonomisch besonders bedeutsamen Zuwanderungsmilieus. Von den im Rahmen des Projekts interviewten Vertreter*innen der kommunalpolitischen Praxis wurde immer wieder betont, dass „exakte Daten“ die Voraussetzung dafür seien, Förderprogramme für migrantische Unternehmer*innen zu entwickeln und Gelder zu beantragen. Die Ermittlung quantitativer Daten und Fakten zu migrantischen Ökonomien „vor Ort“ spielte daher mit Blick auf den Anwendungsbezug und die Einbindung von Praxispartner*innen ins Projekt eine wichtige Rolle.
Allerdings unterliegt gerade die statische Erhebung migrantischer Ökonomien einer Reihe methodischer Einschränkungen (Hillmann und Sommer, 2011). So besteht in einer sekundärstatistischen Auswertung keine Möglichkeit, hinter die den verwendeten Datensätzen zugrundeliegenden Kategorien zurückzugehen. Im Fall einer Studie zu migrantischen Ökonomien auf lokaler Ebene bedeutet dies, dass die Definition von migrantischen Ökonomien als die Summe der selbstständigen Erwerbstätigkeiten von Personen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit gleichsam alternativlos ist. Denn für die lokale Gewerbestatistik wird regelmäßig nur die Staatsangehörigkeit von Unternehmer*innen erhoben. Ohnehin ist allerdings auch der „Alternativbegriff“ des Migrationshintergrunds aufgrund seines latent von der Mehrheitsgesellschaft ausgrenzenden Charakters und seiner gleichzeitigen inhaltlichen Unbestimmtheit nicht unproblematisch (Nieswand und Drotbohm, 2014).
Die Ergebnisse der sekundärstatistischen Analyse illustrieren gleichsam idealtypisch, auf welche Art von Befunden eine quantitative Untersuchung migrantischen Unternehmertums abzielt. So ließ sich feststellen, dass in Braunschweig von 17 309 registrierten Betrieben 1945 bzw. 11,2 % von Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit geführt wurden (Stichtag: 30 Juni 2014). Die größte Gruppe unter ihnen stellten dabei Unternehmer*innen mit polnischer (691 bzw. 4 %), gefolgt von solchen mit türkischer (328 bzw. 1,9%) und italienischer (118 bzw. 0,7 %) Staatsangehörigkeit (Stadt Braunschweig, Abteilung Ordnungs- und Gewerbeangelegenheiten; eigene Berechnungen). Im Vergleich dazu wurden in Rostock von 14 400 registrierten Betrieben nur 808 bzw. 6 % von Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit geführt (Stichtag: 30 Juni 2014). 128 (0,9 %) dieser Unternehmen gehörten vietnamesischen, 71 (0,5 %) litauischen und 51 (0,4 %) ukrainischen Staatsangehörigen (Hansestadt Rostock, Abteilung Gewerbeangelegenheiten; eigene Berechnungen). In beiden Städten waren die meisten der den migrantischen Ökonomien zugeordneten Unternehmen im Wirtschaftszweig „Sonstige“ angesiedelt, gefolgt von „Handwerk“ und „Handel“.
Im Hinblick auf die räumliche Struktur ließ sich weder in Braunschweig noch in Rostock eine räumliche Konzentration migrantischer Ökonomien feststellen. Zwar gab es in Braunschweig kleinere Ansammlungen von migrantisch geführten Betrieben; diese waren jedoch – auch nach Ansicht der vor Ort interviewten Personen – nicht prägend für ihre unmittelbare Nachbarschaft, geschweige denn, dass sie über diese Nachbarschaft hinaus ausgestrahlt hätten.
Die Erhebung des quantitativen Umfangs sowie die Lokalisierung migrantischer Ökonomien liegen im Interesse von (kommunaler) Politik und Verwaltung und sind zum Beispiel für Quartiersentwicklungs- und Branding-Strategien relevant. Die scheinbare Eindeutigkeit quantitativer Fakten und die Bezugnahme auf klar abgegrenzte (administrative) Raumeinheiten lassen sich in stadtentwicklungspolitische Strategien und Handlungsanweisungen übersetzen. Aus postmigrantischer Perspektive birgt diese Herangehensweise jedoch mindestens zwei konzeptionelle Fallen:
Die statistische Reduktion des Begriffs der
migrantischen Ökonomien auf die selbstständige Erwerbstätigkeit
von Personen nicht-deutscher Staatsangehörigkeit zeigt beispielhaft, wie
wenig gegenstandsangemessen eine schematische Differenzierung sozialer
Phänomene entlang der dichotomen Differenzkategorien migrantisch und
nicht-migrantisch häufig ist: Eine Teilgruppe von Unternehmer*innen wird
allein aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit „besondert“, ohne
dass erkennbar wäre, welche Relevanz dieses demographische Merkmal
für ihr ökonomisches Handeln und ihr Unternehmertum hat. Zählung und „Mapping“ migrant*innengeführter
Unternehmen „verräumlichen“ das Phänomen der
migrantischen Ökonomien, indem dessen Vorkommen in einem vorab
definierten Raumausschnitt erhoben wird (Glasze und Pott, 2014). Dies steht
nicht nur im Widerspruch zu neueren Ansätzen in der Sozial-, Kultur- und
Wirtschaftsgeographie, die – unabhängig von ihrer jeweiligen
theoretischen Spielart – die soziale Konstruktion von räumlichen
Phänomenen hervorheben, der eine gleichsam „vor“ der
geographischen Forschung vorgenommene Definition von (leeren) Räumen
(bzw. Containern) nicht gerecht werden kann. Auch aus postmigrantischer Sicht
ist dieses Vorgehen unbefriedigend, da die vorgängigen Grenzziehungen im
Raum „das theoretisch Interessante“ an den migrantischen
Ökonomien – z.B. ihre Prägung durch Migrationserfahrungen, ihre
transnationalen Bezüge und die mutmaßlich hybriden Identitäten
ihrer Protagonist*innen – gleichsam abschneiden.
Die beiden skizzierten Kritikpunkte wurden auf der einen Seite zwar nicht erst aus einer postmigrantischen Perspektive heraus, sondern bereits seit Längerem vorgebracht. Nichtsdestotrotz werden sie vor dem Hintergrund neuerer postmigrantischer Debatten um das Verhältnis von Stadt und Migration aber verstärkt relevant, zieht und reproduziert doch die statistische Analyse von migrantischen Ökonomien eine Grenze sowohl zwischen dem „Wir“ und den „Anderen“ als auch zwischen geographischen (Teil-) Räumen, die der Lebensrealität einer zunehmenden Zahl von Stadtbürger*innen – und zwar nicht nur solcher mit Migrationserfahrung – kaum noch entspricht. Auf der anderen Seite ließe sich allerdings zugunsten einer moderat postmigrantisch informierten Erforschung migrantischer Ökonomien, die an einem (wie auch immer) definierten Begriff des „Migrantischen“ festhält und auch Sekundäranalysen amtlicher Statistiken einbezieht, einwenden, dass der gänzliche Verzicht auf Differenzmarkierungen mit einem Verlust an Orientierungs- und Thematisierungsmöglichkeiten einhergeht – denn es ist eine linguistische, psychologische und auch soziologische Binsenweisheit, dass eine Identität (nicht zuletzt von Forschungsgegenständen) nur über Differenzmarkierungen herstellbar ist.
Die im vorangegangenen Abschnitt behandelte raumbezogene Bestandsaufnahme migrantischer Ökonomien flankierte im Rahmen der Projektarbeit eine Governance- und Politikfeldanalyse. Letztere zielte darauf ab, den institutionellen Kontext zu erfassen, in dem sich in Braunschweig und Rostock migrantische Ökonomien entfalten, sowie die einzelnen Akteure und deren Aktivitäten (Programme und Maßnahmen) zu identifizieren, die diesen Kontext und damit die Handlungsspielräume migrantischer Unternehmer*innen definieren und die nicht zuletzt dafür maßgeblich sind, inwieweit deren Interessen in lokalen Politiken aufgegriffen werden (Kloosterman and Rath, 2011; Ram et al., 2012; Rath und Swagerman, 2016). Da einerseits der Zugriff auf Migrant*innen über den statistisch definierten Migrationshintergrund vielen lokalpolitischen Programmen zugrunde liegt sowie andererseits die Logik des Governance-Ansatzes, basierend auf der Bildung spezifischer Akteursgruppen politische Strukturen zu analysieren, die Zusammenfassung migrantischer Ökonomien zu einer Gruppe erforderlich macht, wurde hier auf die Definition von Schuleri-Hartje et al. (2005) zurückgegriffen. Im Ergebnis konnte erstens eine Einschätzung der Relevanz migrantischer Ökonomien als lokalpolitisches Handlungsfeld gewonnen werden. Zweitens wurde herausgearbeitet, welche Faktoren die Entwicklung migrantischer Ökonomien „vor Ort“ befördern oder behindern können.
Akteure: Sowohl in Braunschweig als auch in Rostock konnte eine Vielzahl von Akteuren identifiziert werden, die für die kommunalpolitische Wahrnehmung und Adressierung von migrantischen Ökonomien relevant sind: einzelne migrantische Unternehmer*innen, Migrant*innenselbstorganisationen, Handels- und Handwerkskammern, lokale Wirtschafts- und Start-up-Netzwerke, Wirtschaftsförderungsreferate sowie Abteilungen für Integration und Soziales in den Stadtverwaltungen, Arbeitsämter und private Bildungseinrichtungen – um nur die Wichtigsten zu nennen (Räuchle, 2016). Als besonders einflussreich haben sich Akteure aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft erwiesen. Der öffentliche Sektor spielt meist nur insoweit eine Rolle, als Fragen der Sozial- und Integrationspolitik auch migrant*innengeführte Unternehmen betreffen. Eine organisierte Interessenvertretung migrantischer Unternehmer*innen, etwa durch „ethnisch“ definierte Unternehmer*innenverbände, gibt es nur einmal in Braunschweig.
Beziehungen und Netzwerke: Migrantische Unternehmer*innen sind in Braunschweig und Rostock kaum in bestehende Governance-Strukturen integriert. Nur eine Minderheit von ihnen verfügt über Kontakte zu lokalen Initiativen und Netzwerken, in denen kommunalpolitisch (und auch betriebswirtschaftlich) relevante Informationen ausgetauscht und Entscheidungen vorbereitet werden. Ob diese wenigen Unternehmer*innen in der Lage sind, die Interessen der höchst diversen migrantischen Ökonomien insgesamt zu vertreten, ist fraglich. Diese Ergebnisse entsprechen denen anderer Studien, die auf lokaler Ebene ebenfalls nur spärliche Kontakte zwischen politischen Akteuren und migrantischen Unternehmer*innen vorgefunden haben (Schmiz, 2011). Zudem verweist die Frage der Repräsentanz unternehmerischer Interessen in der Lokalpolitik auf die generelle Frage, wie diese überhaupt sichergestellt werden könnte – z.B. über „ethnische“ oder migrantische Unternehmensverbände oder über eine Erhöhung der Sichtbarkeit von migrantischen Ökonomien in den entsprechenden Branchenverbänden.
Stadtentwicklungspolitik: Weder in Braunschweig noch in Rostock existiert eine erkennbare kommunalpolitische (Gesamt-) Strategie zur Förderung migrantischer Unternehmer*innen. Zwar gibt es in beiden Städten einzelne Aktivitäten, die genau diese Zielsetzung verfolgen (Räuchle, 2016). So dient in Rostock ein monatlich stattfindender „Existenzgründer- und Unternehmerstammtisch“ migrantischen Unternehmer*innen als Informationsplattform und bietet Zugang zu lokalen Entscheidungsträger*innen. Insgesamt werden migrantische Ökonomien jedoch selten direkt adressiert – und wenn, dann fast ausschließlich in Form von Beratungs- und Qualifizierungsangeboten (z.B. Coachings), die individuelle Unternehmer*innen (mit Migrationshintergrund), nicht jedoch die Gesamtheit der lokalen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns betreffen (Kloosterman und Rath, 2011).
Als lokalpolitisches Thema bzw. Handlungsfeld sind migrantische Ökonomien in den beiden Fallstudienstädten insgesamt kaum etabliert. Überdies sind die wenigen Aktivitäten und Maßnahmen, die sich gezielt an migrantische Unternehmer*innen wenden, eher der Integrations- und Sozial- als der Wirtschafts- und Stadtentwicklungspolitik zuzuordnen. Diese Ergebnisse zum institutionellen Kontext und zur Akteurskonstellation, innerhalb derer sich migrantische Ökonomien entfalten, sind mit Blick auf die kommunalpolitische Handhabung von Migrationsfragen im Allgemeinen und migrantischen Ökonomien im Besonderen durchaus aufschlussreich. Insofern können sie auch einen Beitrag zur (Selbst-) Reflexion kommunalpolitischer Praxen leisten. Zugleich leiden sie – aus einer postmigrantischen Perspektive betrachtet – jedoch unter derselben Unzulänglichkeit der zugrundeliegenden Begriffe wie die im vorangegangenen Abschnitt thematisierte statistische Analyse. So lässt es sich zwar nicht zuletzt mit Referenz auf das – ebenfalls nicht unumstrittene – Governance-Konzept rechtfertigen, einzelne Individuen zu Akteursgruppen zusammenzufassen und auf dieser Grundlage dann politische Prozesse und Fragen der politischen Repräsentation zu analysieren (Nuissl und Heinrichs, 2011). Das ändert aber nichts an den bereits benannten konzeptionellen Unzulänglichkeiten einer Aggregation ausgewählter Unternehmer*innen qua Nationalität (oder Migrationshintergrund) zum Konstrukt der migrantischen Ökonomien – ganz abgesehen von den differenzmarkierenden oder sogar ausgrenzenden Effekten einer solchen Begriffsbildung. Neuere Formen sozialer Grenzziehung sowie latente oder manifeste Rassismen, deren Thematisierung aus postmigrantischer Perspektive unerlässlich ist, bleiben auf diese Weise ausgeblendet.
Hinzu kommt das aus postmigrantischer Perspektive formulierte Petitum, den
Zusammenhang von Migration und neoliberaler Stadtentwicklung kritisch im Auge
zu behalten, das für die hier dargestellte Forschung von besonderer
Relevanz ist. Es verlangt gleich in zwei Hinsichten nach einer Einordung und
Reinterpretation der skizzierten Fallstudienergebnisse zur Governance
migrantischer Ökonomien. Denn zum einen entstammen diese einer
Forschungsaktivität, die – in ihrem Bestreben, Perspektiven und
Problemstellungen der kommunalen Praxis aufzugreifen – selbst eine
„neoliberale“ Potentialorientierung reproduziert und dabei – so
ließe sich aus der Perspektive einer kritischen Erkenntnistheorie noch
ergänzen – sogar in den beiden migrantisches Unternehmertum nur in
begrenztem Umfang begünstigenden Governance-Kontexten noch Spuren dessen
findet, was sie sucht: nämlich ein stadtentwicklungspolitisches Potential
migrantischer Ökonomien. Zum anderen ist aber auch festzustellen, dass im
„empirischen Feld“ von Rostock und Braunschweig eine Orientierung
der maßgeblichen stadtentwicklungspolitischen Akteure auf dieses
Potential kaum festzustellen ist. Von einer neoliberal motivierten,
potentialorientierten Inwertsetzung migrantischer Ökonomien kann daher
keine Rede sein. Weder in Braunschweig noch in Rostock hat sich bislang eine
intermediäre, an den Schnittstellen von Kommunalverwaltung, Wirtschaft
und Zivilgesellschaft angesiedelte Infrastruktur zur Förderung
migrantischer Unternehmer*innen herausgebildet (wie es im Sinne eines
„typisch neoliberalen“ Governancearrangements eigentlich zu
erwarten wäre) – weder top-down, noch bottom-up. Nichtsdestotrotz werden
selbstredend auch migrantische Unternehmer*innen in neoliberale politische
Praxen wie etwa die des „Förderns und Forderns“ eingebunden;
sie werden dabei aber nicht aufgrund ihres ethno-kulturellen Hintergrunds
oder ihrer Staatsbürgerschaft adressiert, sondern allein aufgrund
bestimmter zugeschriebener Kompetenzen bzw. Defizite: „Während
Stadtpolitiken im Wohlfahrtsstaat die nationale Verteidigung der Gesellschaft
betrieben (…), steht heute mit dem neoliberalen Funktionswandel von
sozialem Ausgleich im Allgemeinen und mit der Aufwertung der Stadt als
unternehmerische Einheit im internationalen Wettbewerb die nationale Form
dieser Politiken zur Disposition – und damit eröffnet der neoliberal
turn selbst politische Spielräume für eine
‚kosmopolitische‘ Entfaltung von citizenship“ (Rodatz, 2014:
46). Die Grenzen zwischen migrantisch und nicht-migrantisch werden damit
aufgehoben. In diesem Sinne lässt sich das empirisch festgestellte
Widerstreben vieler kommunaler Akteure gegen eine explizite Adressierung
Insbesondere mit Hilfe des Ansatzes der interpretativen Policy-Analyse wurde in den vergangenen Jahren überzeugend nachgewiesen, welchen großen Einfluss die Wahrnehmungs- und Einstellungsmuster lokaler Akteure darauf haben, wie kommunale Politik konkret gestaltet wird (Münch, 2016). Dies gilt auch für die lokalpolitische Handhabung migrantischer Ökonomien (Glick Schiller und Çağlar, 2013; Högberg et al., 2016). Vor diesem Hintergrund interessierte sich das hier diskutierte Forschungsprojekt auch dafür, wie migrantische Ökonomien von verschiedenen Akteuren – bzw. seitens der Akteursgruppen „Wirtschaft und Stadtentwicklung“, „Integration und Soziales“ sowie „migrantische Unternehmer*innen“ selbst – wahrgenommen werden. Dies wurde mittels einer Deutungsmusteranalyse untersucht, die Wahrnehmungen als soziales Phänomen versteht und „quer“ zu einzelnen Interviewten herausarbeitet (Ullrich, 1999). Im Ergebnis konnten vier Deutungsmuster zur Rolle von migrantischen Ökonomien für die Stadtentwicklung identifiziert werden, die für Akteure in Braunschweig und Rostock handlungsleitend sind.
Erstens werden migrantischen Ökonomien durchaus stadtentwicklungspolitische Potentiale attestiert. Hervorgehoben wird insbesondere, dass sie „unternehmerische Vielfalt“ – so der Ausdruck eines befragten IHK-Mitarbeiters – in eine Stadt bringen würden. Dies wirke sich positiv auf die Entwicklung der lokalen Wirtschaft aus. Vertreter*innen aller Akteursgruppen erkennen in migrant*innengeführten Geschäften und Dienstleistungen außerdem einen weichen Standortfaktor, da sie – wirtschaftlich – zur (besseren) Versorgung von Quartieren sowie – kulturell – zur (Belebung der) städtischen Atmosphäre beitrügen. Des Weiteren bescheinigen vor allem Befragte aus dem Bereich „Wirtschaft und Stadtentwicklung“ migrantischen Ökonomien einen ausgeprägten Unternehmergeist sowie umfangreiche Unterstützungsnetzwerke aus Familienmitgliedern und Freund*innen. Die Wahrnehmung dieser Potentiale wird dabei häufig mit ethno-kulturellen Zuschreibungen verknüpft. Ähnliches wurde im Übrigen auch in anderen Studien beobachtet (z.B. Pütz, 2004). Vor allem migrantische Unternehmer*innen selbst heben darüber hinaus ihre besondere Kompetenz hervor, mit unterschiedlichen wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Kontexten vertraut zu sein.
Zweitens werden die den migrantischen Ökonomien zugesprochenen Potentiale häufig wieder relativiert und infrage gestellt. Wiederum sind es insbesondere Akteure aus dem Bereich „Wirtschaft und Stadtentwicklung“, die unzureichende Bildung(sabschlüsse) und geringe Innovationsfähigkeit als unter einigen migrantischen Unternehmer*innen verbreitete Defizite kennzeichnen. Diese Wahrnehmung verbindet sich häufig mit einer spezifischen „Lesart“ migrantischer Ökonomien: Die unternehmerische Selbständigkeit von Migrant*innen wird als „Notlösung“ interpretiert, die auf fehlende Chancen auf dem Arbeitsmarkt zurückzuführen sei und in der Regel lediglich Kleinstbetriebe hervorbringe. Eine zweite, ebenfalls verbreitete Variante des „Notlösungsnarrativs“ interpretiert die unternehmerische Selbständigkeit von Migrant*innen nicht als Ausdruck individueller Defizite, sondern als Ergebnis einer Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt: Dann wird kritisiert, dass vielen Migrant*innen trotz eines hohen Bildungs- und Qualifikationsniveaus der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt verwehrt werde.
Drittens prägt die Frage, ob migrantische Unternehmer*innen besonderer Unterstützung bedürfen, die Wahrnehmung migrantischer Ökonomien. Die beiden Fallstudien spiegeln damit eine der zentralen Schwerpunktsetzungen akademischer und politischer Debatten rund um migrantische Ökonomien wider (Rath und Swagerman, 2016). Dabei stehen die befragten Expert*innen einer „Sonderförderung“ migrantischer Unternehmer*innen überwiegend kritisch gegenüber. Diese wird als (positiv) diskriminierend wahrgenommen, da Unternehmer*innen mit und ohne Migrationshintergrund in vielerlei Hinsicht ähnliche Schwierigkeiten bei der Gründung und Führung ihres Unternehmens zu gewärtigen hätten. Gleichwohl stimmen die meisten Expert*innen überein, dass migrantische Unternehmer*innen durchaus auch mit spezifischen Hindernissen konfrontiert seien, die beseitigt werden sollten. Nicht zuletzt sei es erforderlich, die hohen Hemmschwellen abzubauen, die migrantische Unternehmer*innen offenbar davon abhalten würden, sich an Behörden oder andere (halb-) öffentliche Institutionen wie Handels- und Handwerkskammern zu wenden, um sich beraten zu lassen.
Viertens hinterfragen die interviewten Akteure die Unterscheidung zwischen migrantischem und nicht-migrantischem Unternehmertum oder lehnen den Begriff der migrantischen Ökonomien sogar ausdrücklich ab. Dies wird mit zwei Argumenten begründet: Einige Interviewpartner*innen weisen auf die Heterogenität der unternehmerischen Aktivitäten von Migrant*innen sowie auf deren Nichtunterscheidbarkeit von nicht-migrantischen Wirtschaftsaktivitäten hin. Andere lehnen den Begriff der migrantischen Ökonomien aus normativen Gründen ab – sei es aufgrund der Überzeugung, dass für die Beurteilung von (erfolgreichem) Unternehmertum ausschließlich Kriterien wie Leistungsfähigkeit, Kreativität und Innovationskraft relevant seien, oder sei es aufgrund der grundsätzlich als diskriminierend wahrgenommenen Kennzeichnung von Menschen als Migrant*innen. Beide Argumente konvergieren in einem Deutungsmuster, das dem Konzept der migrantischen Ökonomien die Relevanz für die lokale Politikpraxis abspricht.
Im Rahmen der Analyse von Wahrnehmungs- und Einstellungsmustern lokaler Akteure wurde deutlich, dass Elemente eines „postmigrantischen Paradigmas“ durchaus auch die kommunale Praxis prägen. Ein auf Fragen der Stadtentwicklung oder der kommunalen Wirtschaftsförderung bezogenes Deutungsmuster, in dem der Begriff der migrantischen Ökonomien eine wesentliche Rolle spielt, lässt sich dort nicht vorfinden. Stattdessen wird dieser Begriff von einer Reihe von Akteuren – teils aus normativen, teils aus inhaltlichen Gründen – zurückgewiesen. Allerdings dient das „Migrantische“ immer wieder auch als Referenzpunkt, um Differenzierungen vorzunehmen und lokalökonomische Sachverhalte zu beschreiben. So wird angesprochen, dass Migrant*innen häufig mit Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert seien, und auch – nicht selten stereotype – Zuschreibungen zu migrantischen Unternehmer*innen sind in großer Zahl nachweisbar. Insofern wird exemplarisch deutlich, wie schwierig nicht zuletzt ein sprachlicher Umgang mit Migrationsphänomenen ist, der sowohl reflektiert und inklusiv als auch gegenstands- und praxisbezogen ist.
Als Ergebnis der Reflexion der Ansätze und Befunde des vorgestellten empirischen Forschungsprojekts lässt sich festhalten, dass diese einer postmigrantischen Kritik zumindest teilweise Stand halten. So konnte – im Sinne einer moderat postmigrantischen Perspektive, die von einer vorgängigen Definition dessen, was als migrantisch zu „labeln“ ist, absieht – herausgearbeitet werden, dass in der kommunalen Praxis etablierte Demarkationslinien zwischen migrantisch und nicht-migrantisch zwar teilweise reproduziert, vielfach aber auch infrage gestellt werden. Es bleibt aber grundsätzlich offen, inwiefern migrantische Ökonomien aus postmigrantischer Perspektive überhaupt ein sinnvolles Forschungsfeld konstituieren können.
Für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit migrantischen
Ökonomien spricht, dass sich in postmigrantischer Perspektive neue Fragen
stellen, die zur kritischen Weiterentwicklung dieses Forschungsfelds
beitragen. Erstens wird mit neuer Intensität zur Debatte über
Begriffe und Definitionen aufgefordert, die sich eben jenseits von dichotomen
Zuschreibungen bewegen. Zwar sind die Schwierigkeiten einer angemessenen
begrifflichen Fassung der verschiedenen Aspekte zu migrantischen Ökonomien in der
Forschung nicht neu
und unter anderem als
Gegen die Erforschung migrantischer Ökonomien spricht erstens, dass es nicht möglich ist, der ihr inhärenten Markierung von sozialen Phänomenen oder Personen als „anders“ zu entkommen. „Migrantisches“ in der Ökonomie wird damit eben nicht zur unhinterfragten gesellschaftlichen Normalität. Zudem ist es problematisch, wenn migrantische Ökonomien gleichsam essentialistisch als Kategorie, die einen „realen“ Gegenstand bezeichnet, verstanden und der Analyse zugrunde gelegt werden. Zweitens und eng damit verknüpft ist zu hinterfragen, ob die Erforschung migrantischer Ökonomien nicht eine negative Konnotation von Migrationsphänomenen beibehält. So konstatiert Mecheril (2014: 109), dass eine instrumentelle Perspektive auf die Potentiale von Migration immer auch eine Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Migrant*innen impliziere. Denn als Kehrseite der Betonung von Potentialen wird immer auch das Gegenteil – die Annahme scheinbarer Defizite – fortgeschrieben. Gerade in einem so kontroversen Feld wie dem der Migration kann Forschung politisch nicht neutral sein, sondern ist aufgefordert, stets zu reflektieren, inwiefern sie zur Verfestigung (oder zum Aufbrechen) bestimmter Perspektiven beiträgt (Fiedler et al., 2017; Nieswand und Drotbohm, 2014).
Das Konzept der Postmigration erhebt den Anspruch, nicht nur analytisch, sondern als ein politisch-normatives auch praktisch relevant zu sein. Insofern stellt sich die Frage, inwiefern migrantische Ökonomien im Kontext einer postmigrantischen Stadtentwicklungspolitik adressiert werden können. In der Gegenrichtung ist es durchaus legitim, auch aus der Perspektive der angewandten Geographie zu fragen, welchen Mehrwert die kritisch-postmigrantische Reflexion von Forschungsansätzen und -ergebnissen zu migrantischen Ökonomien im Hinblick auf die kommunalpolitische und planerische Raumproduktion haben kann. Foroutan (2015) vertritt die Auffassung, dass eine Gesellschaft dann als postmigrantisch bezeichnet werden kann, wenn „Strukturen, Institutionen und politische Kulturen nachholend (also postmigrantisch) an die erkannte Migrationsrealität angepasst werden, was mehr Durchlässigkeit und soziale Aufstiege, aber auch Abwehrreaktionen und Verteilungskämpfe zur Folge hat“. Übertragen auf das Feld der migrantischen Ökonomien würde dies bedeuten, dass kommunalpolitische Institutionen sich stärker als bisher auf Migrant*innen ausrichten, sich ihnen öffnen und mit ihnen vernetzen. Dies bedeutet nicht, die Repräsentanz von migrantischen Unternehmer*innen in einem multikulturalistischen Sinn zu stärken, sondern vielmehr die Diversität der Gesellschaft politisch und institutionell sichtbar zu machen (was nicht zuletzt die Kammern betrifft). Dabei geht es allerdings auch darum, jeglichen integrationspolitisch gerahmten Paternalismus hinter sich zu lassen und Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen, die keiner Zielgruppen bedarf. Eine postmigrantische Stadtentwicklungspolitik muss aber auch stärker als bisher konfliktträchtige Auseinandersetzungen um städtische Ressourcen aushalten und sich dabei an einer „Utopie der Gleichheit, die außerhalb der Herkunft verhandelt wird“, orientieren (Foroutan, 2016: 247).
Im vorliegenden Aufsatz wurden Ansatz und Ergebnisse eines Forschungsprojekts zu migrantischen Ökonomien in einer postmigrantischen Perspektive zur Diskussion gestellt. Es wurde argumentiert, dass eine postmigrantisch informierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit migrantischen Ökonomien zwar ansatzweise, aber – aufgrund der dezidiert „prä-postmigrantischen“ Definition des Forschungsgegenstands – nicht vollumfänglich möglich ist. Zudem wurde die Frage angerissen, inwiefern eine postmigrantische Perspektive auf migrantische Ökonomien auch für die stadtentwicklungspolitische Praxis hilfreich sein kann.
Insgesamt wurde erkennbar, dass die kritische Reflexion eines Forschungsprojekts zu den Potentialen migrantischer Ökonomien aus postmigrantischer Perspektive hilfreich ist, um dessen Befunde in die gegenwärtig in der Migrationsforschung geführten Debatten einzuordnen und dabei zugleich hinsichtlich seines affirmativen Gehalts zu hinterfragen. Darüber hinaus zeigte sich, dass nicht nur die wissenschaftliche Analyse migrantischer Ökonomien, sondern auch deren stadtentwicklungspolitische Handhabung von einer explizit postmigrantischen Herangehensweise noch ein gutes Stück entfernt ist. Hervorzuheben ist aber auch, dass in der empirischen Analyse des hier behandelten Forschungsprojekts für die kommunalpolitische Praxis (ebenso wie für die Forschung zu migrantischen Ökonomien selbst) durchaus auch postmigrantische Argumentationsfiguren festgestellt werden konnten.
Der dieser Studie zugrundeliegende Datensatz kann bei den Autor*innen erfragt werden. Da er sensible personenbezogene Daten enthält und zudem als Grundlage weiterer Projekte dient, wird er nicht öffentlich zugänglich gemacht.
Die Autor*innen erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Wir bedanken uns bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Förderung des Projekts „Migrantische Ökonomie als Potential der Stadt- und Regionalentwicklung“, auf dem dieser Beitrag beruht. Des Weiteren bedanken wir uns bei den Organisatorinnen der Fachsitzung „Postmigrantische Stadt? Stadtgeographie und reflexiver Turn der Migrationsforschung“ auf dem DKG 2017 in Tübingen für die Möglichkeit der Präsentation unserer Ergebnisse sowie die Einladung zur Mitwirkung an dem vorliegenden Special Issue der GH. Schließlich geht unser Dank an zwei anonyme Reviewer*innen für ihre konstruktive Kritik und ihre hilfreichen Kommentare zu einer früheren Fassung des vorliegenden Beitrags. Edited by: Karin Wiest Reviewed by: two anonymous referees