Poststructuralist theory focuses largely on describing how and why subjects
reproduce the social conditions they have internalised. This is a
deconstruction of the central idea of the Enlightenment, the human capacity
for autonomous action. At the same time, however, it also denies all
individuals any responsibility and ultimately leads criticism into a crisis.
Pragmatist philosophy offers the possibility of determining the role of the
mind in processes of becoming a subject without abandoning the achievements
of the poststructuralist concept of subjectification. The concept of
transaction describes how actors constitute each other as subjects within
social situations. The relationships that arise through such processes
depend, among other things, on the personalities of those people involved.
Accordingly, it is possible to identify the responsibility of individuals to
govern their social relations and personality development. Since these
aspects can only be determined in localised individual cases, this offers a
particularly suitable starting point for geographical critic.
Einleitung
Wer sich heute empirisch mit konkreten Handlungsvollzügen
auseinandersetzt, sieht sich mit einer etwas unbefriedigenden Situation
konfrontiert. Der Practice Turn hat deutlich gemacht, dass die
klassischen Handlungsrationalitäten der Handlungstheorie (zweck-, sinn-
und wertrational) allenfalls retrospektive Rationalisierungen erlauben,
Handlungen aber niemals in genau diesem Sinne freie, also willentlich
intendierte Entscheidungen des Individuums sind. Empirisch kann also
allenfalls ein methodologischer Individualismus angesetzt werden
(Werlen, 2013). Bei derartiger Forschung ist man sich schon vorab bewusst,
dass der eingesetzte handlungstheoretische Blick eine Verkürzung
darstellt. In den jüngeren kultur- und sozialwissenschaftlichen Debatten
wurde nun vor allem der Begriff der Praktik als konzeptionelle
Kern-Kategorie herausgearbeitet (Schmidt, 2012; Hillebrandt, 2014; Reckwitz,
2016). Diese Ansätze fanden auch in der Geographie entsprechende
Rezeption (u.a. Everts et al., 2011).
Praktiken sind demnach als konventionalisierte Aktivitätsformen einer
Gesellschaft zu denken, welche von den Individuen wiederholt aufgegriffen
werden, wodurch sich diese Gesellschaft in ihrer historisch spezifischen
Weise reproduziert. Diese Praktiken werden in erster Linie körperlich
ausgeführt, entspringen also weitgehend einem praktischen Bewusstsein und
sind erst in zweiter Linie mit Verstehensleistungen der Individuen und
explizitem Wissen verknüpft. Die meisten praxeologischen Ansätze
haben demnach ihre Stärke darin, zu erklären warum Individuen
Gesellschaft weitgehend auf bereits etablierte Weise reproduzieren, obwohl
vielleicht gesellschaftliche Problematiken ein verändertes Handeln
erfordern würden. Nun ist aber auch deutlich, dass es durchaus einen
gesellschaftlichen Wandel gibt, doch welche Rolle Individuen bei der
Hervorbringung dieses Wandels spielen ist erstaunlich wenig reflektiert. In
der Regel werden an dieser Stelle heute poststrukturalistische Theorien
eingesetzt und der Wandel bspw. durch Iteration, also durch die
unwillentlichen Veränderungen der Praktiken, die in den jeweiligen
Einzelausführungen geschehen, erklärt (z.B. Schäfer, 2013). Dies
widerspricht aber der Selbstwahrnehmung der Menschen, die uns als
Interviewpartner bspw. in der geographischen Stadtforschung begegnen, denn
diese verstehen sich durchaus als bewusste, handlungsfähige Subjekte.
Eine Reflexion über den Subjektbegriff wird derzeit aber
hauptsächlich aus poststrukturalistischer Perspektive geleistet.
Besonders fruchtbar sind poststrukturalistische Ansätze dahingehend, dass
sie Subjektivierungsweisen beschreiben, die aus sozialen Ordnungsstrukturen
hervorgehen. Demnach bringt Subjektivierung die Individuen in eine bestimmte
gesellschaftliche Position und die Individuen reproduzieren in der Folge dann
die Bedingungen ihrer Subjektivierungen. Was diese „Ansätze eint,
ist, dass sie alle die Widerständigkeit des Subjekts gegen bestehende
hegemoniale gesellschaftliche Verhältnisse betonen“ (Dzudzek and
Strüver, 2013:147). Dabei bleibt aber unklar, woher genau sich diese
Widerständigkeit speist. Dass die gesellschaftliche Praxis trotz aller
Kontinuitäten einem Wandel unterliegt wird häufig auf das Konzept der
Iterabilität zurückgeführt (Dzudzek, 2013). Widerständigkeit
und sozialer Wandel erklären sich entweder aus den Wiederholungen
innerhalb der Praxis und den dabei auftretenden Abweichungen, oder auch
daraus, dass Subjekte mehrfach konstituiert sind. Die Tatsache, dass sich
heute die „Lebensbezüge vervielfacht“ haben, führt dazu,
dass das Subjekt die eigene Positionalität „immer wieder aufs Neue
zu entwerfen hat“ (Dzudzek and Strüver, 2013:147). Menschen
handeln dann auf unerwartete Weise, wenn in konkreten Situationen
verschiedene ihrer Prägungen in Konflikt geraten, sie sozusagen
überdeterminiert sind wie bspw. bei einer Lehrerin, die ihr eigenes Kind
unterrichten muss. Die Dynamik der Praxis entsteht demnach aus einer
Kombinatorik verschiedener strukturell induzierter Prägungen, welche in
konkreten Situationen unvereinbar sind wodurch eine Offenheit entsteht, in
der sich Performativität entwickeln kann (Dzudzek, 2013; Strüver,
2013). Darüber hinaus betont die poststrukturalistische Position die
negativen Auswirkungen einer zunehmenden Selbstverantwortung der Subjekte, in
Gegnerschaft zu neoliberalen Tendenzen der Responsibilisierung
Responsibilisierung bezeichnet den gesellschaftlichen Vorgang einer sich
verstärkt durchsetzenden Überbetonung persönlicher Verantwortung,
die die moralische Vorstellungskraft derart tief erfasst, dass es in vielen
gesellschaftlichen Bereichen möglich wird, Verantwortung auf das
Individuum abzuwälzen, ohne dass soziale Gegenwehr erfolgt.
(Schwiter,
2013).
Wir möchten in diesem Beitrag aufzeigen, dass ein pragmatistischer
Subjektbegriff der poststrukturalistischen Vorstellung von Subjektvierung auf
der einen Seite sehr ähnlich ist, durch den veränderten Blickwinkel
aber eine Perspektivenerweiterung zulässt, die u.E. insbesondere für
geographisches Arbeiten interessant ist. In dieser Perspektive lässt sich
Widerständigkeit in einer Dialektik des Selbst verorten,
innerhalb derer auch die Rolle des bewussten Denkens, also des Geistes,
bestimmt ist. Hierdurch wird persönliche Verantwortung abseits von
Responsibilisierung fassbar. Im Folgenden problematisieren wir, dass es
Akteure gibt, die ihr Handeln mit Verweis auf die Alternativlosigkeit oder
die Unausweichlichkeit bestimmter Entwicklungen mit dem Argument
rechtfertigen, dass es immer jemanden geben wird, der diesen Entwicklungen
trotz moralischer Bedenken Vorschub leistet, selbst wenn Einzelne sich ihrer
erwehren. Derartigen Positionen hat die poststrukturalistische Theorie nichts
entgegenzusetzen. Ein Begriff von individueller Verantwortung aber ist u.E.
notwendig, um die Angemessenheit menschlichen Handelns beurteilen und
entsprechend auch Kritik üben zu können.
Subjektivierung im Poststrukturalismus
Der Begriff des Subjektes unterlag in den sozial- und
kulturwissenschaftlichen Debatten einem enormen Wandel. Klassischerweise
wurde das Subjekt mit dem Mentalen in Verbindung gebracht. Bewusstsein wurde
als seine Basis und Notwendigkeit angesehen (Frank, 1988; Reckwitz, 2008).
Demnach braucht der Mensch den Geist, um ein Subjekt sein zu können und
nur mittels des Geistes ist er fähig nicht nur die Welt, sondern auch
sich selbst zu erkennen. Im kartesianischen Sinne wird das Subjekt bspw.
verstanden als etwas, das aller Erfahrung zugrunde liegt, eine Instanz, die
dem Denken vorausgeht, die einen festen Bezugspunkt darstellt (Volbers,
2017). Prototypisch steht dafür auch die Descartsche Philosophie, die den
Geist zur eigenständigen Instanz, der res cogitans, erhob, indem
sie ihn vom Materiellen unterschied. In der Selbstvergewisserung des
„ich denke also bin ich“ erkennt sich demnach das Subjekt selbst
als Gegenstück zur Objekthaftigkeit der ihm äußeren Welt.
Diese neuzeitliche Erfindung des Subjekts wurde nun aber vom
Poststrukturalismus vehement in Frage gestellt. Geist ist demnach keineswegs
die zentrale Instanz des Subjekts. Da das Subjekt ebenso von
Effekten der Körperlichkeit abhängig ist, wird das
poststrukturalistische Subjekt häufig als dezentriert angesehen.
Subjektivität wird als das Ergebnis psycho-physischer Prozesse
verstanden. Michel Foucault, Jaques Lacan, Judith Butler und Ernesto Laclau
haben distinkte, subjektorientierte Forschungsheuristiken entwickelt, denen,
so betont Reckwitz (2008), gemeinsam sei, dass sie die Frage darauf
richteten, wie sich Individuen unbewusst den kulturellen Ordnungen ihrer
Gemeinschaften unterwerfen. Subjektivität entsteht innerhalb der
gesellschaftlichen Ordnung, wobei Identität eine zentrale
Komponente des Subjekts ist. Identität wird dabei verstanden als
„die Identifizierung der einzelnen Person als Wesen mit bestimmten
Eigenschaften in Differenz zu anderen im Rahmen der kulturellen
Subjektordnung“ (Reckwitz, 2008:79). Im poststrukturalistischen Denken
werden Subjektpositionen demnach als Identitäten repräsentiert. Dies
geschieht, weil Individuen sich zum Zwecke der Selbstvergewisserung und
Selbstbeschreibung an in diskursiven Kontexten fixierten Vorstellungen
orientieren und diese sich ihnen, auch vermittelt durch die gesellschaftliche
Praxis, körperlich einschreiben. Aber auch Identitäten sind
dezentriert. Da sie zu ihrer Bestimmung ein Außen benötigen, von dem
sie sich differenztheoretisch unterscheiden, sind sie auch auf diese Weise in
Diskurse eingeschrieben. Identitäten repräsentieren soziale
Positionen, die vermittelt durch Diskurse als Macht wirken (auch:
Macht-Wissen), durch die die entsprechenden Subjekte erst hervorgebracht
werden. So beschreibt Michel Foucaults Konzept der Subjektivierung, wie
Individuen mittels sogenannter Technologien des Selbst versuchen,
den an ihre Identitätskategorie gestellten Anforderungen gerecht zu
werden (Foucault, 2009[1982/83]). Der Poststrukturalismus etabliert damit
eine Gegenposition zu Vorstellungen, die den Menschen als souveränes,
eigenständig denkendes und handelndes Wesen ansehen. Die Vorstellung
einer Human Agency und das Empfinden von Selbstwirksamkeit sind demnach
Illusionen. Der Mensch wird primär als ein durch Prägung und
Anpassung geformtes Wesen angesehen. Dies bedeutet nicht weniger als die
Dekonstruktion der Vorstellung des Menschen als autonomen Schöpfer seiner
Selbst.
Möchte man aber nicht nur die beständige Reproduktion bestehender
gesellschaftlicher Institutionen erklären, sondern auch den empirisch
sehr wohl beobachtbaren Wandel etablierter Rollenbilder oder auch das
Zustandekommen gesellschaftlichen Widerstands, dann bedarf es
weiterführender Überlegungen. So erhält das Subjekt einen Funken
von Autonomie, „wenn es denn wahr ist, daß es keinen anderen,
ersten und letzten Punkt des Widerstands gegen die politische Macht gibt als
die Beziehung seiner selbst zu sich.“ (Foucault, 2016[1981/82]:313).
Die Technologien des Selbst seien Foucault zufolge derjenige „Typus von
Praktiken […], denen er zuspricht, sich – zumindest potenziell und
auch nur partiell und momenthaft – aus der Umklammerung des Macht-Wissens zu
lösen“ (Münte-Goussar, 2015:120). Gouvernemental
präfigurierte Subjektivierungen könnten hierbei durch Wahl von
geeigneten Techniken sozusagen subvertiert werden. Es bleibt jedoch fraglich,
inwieweit diese marginale Fähigkeit zu steuerndem Handeln wirklich von
Foucault angedacht wurde oder, ob sie erst in der Rezeption hineingelesen
wurde, weil sich hier eine offene Flanke in der Theoriebildung auftut, die
nach Klärung verlangt. In dem für Foucault charakteristischen
historischen Stil konzentriert er sich weitergehend darauf, zu beschreiben,
wie zu verschiedenen Zeiten verschiedene Umgangsweisen mit dem eigenen Selbst
dem Menschen als heilbringend galten, sodass „er einen gewissen Zustand
des Glücks, der Reinheit, der Weisheit, der Vollkommenheit oder der
Unsterblichkeit erlangt“ (Foucault, 1993[1982]:26).
In der Regel entstehen nonkonforme Effekte bei der Subjektpositionierung im
poststrukturalistischen Denken nicht als autonome Leistung des Individuums,
sondern auf Grundlage einer Kombinatorik. Wenn in einer Situation mehrere
widerstreitende Subjektivierungen eines Individuums gleichzeitig zum Tragen
kommen, dann entsteht eine Überdeterminierung und damit die
Möglichkeit neuer Modi des Handelns. Weil keine der etablierten
Verhaltensweisen angewendet werden kann, ohne mit anderen etablierten
Verhaltensweisen in Konflikt zu geraten, ist Handeln in diesem Moment
prinzipiell offen. Aufgrund dieser Möglichkeit, eine mehrfache
Ausprägung des Ichs zu denken, könne Foucault auch als ein
„späterer Bruder im Geiste“ John Deweys angesehen werden
(Keller, 2014:73). „Ein Individuum als ein Mitglied verschiedener
Gruppen kann in sich selbst geteilt sein und im wahren Sinne widerstreitende
Ichs besitzen oder ein vergleichsweise desintegriertes Individuum sein“
(Dewey, 1996[1927]:160). Dieser Aspekt tritt auch beim
Subjektivierungskonzept Judith Butlers hervor. So schreibt sie in Hinblick
auf geschlechterspezifische Identitäten, „that multiple and
coexisting identifications produce conflicts, convergences, and innovative
dissonances within gender configurations which contest the fixity of
masculine and feminine placements with respect to the paternal law“
(Butler, 1999:85 f.). Laut Butler (1997) zeigt sich auch der
iterativ-performative Charakter von Praktiken als Faktor des
Wandels. Da in der Praxis keine Situation der anderen identisch ist, muss
sich der Vollzug relevanter Praktiken immer an einem spezifischen Setting
ausrichten. Subjektivierung zeigt sich demnach auch in der Kompetenz,
Praktiken entsprechend zu justieren. Dadurch ist jeder Ausführung auch
die Möglichkeit der Abweichung inhärent. Butler beschreibt damit eine
„iterability of the subject that shows how agency may well consist in
opposing and transforming the social terms by which it is spawned“
(Butler, 1997:29). Derartige Konzeptionen werden mitunter kritisch
kommentiert: „Die poststrukturalistische [sic] Perspektive Judith
Butlers arbeitet sich an dem philosophischen Problem ab, die Freiheit eines
Handlungsvermögens zu begründen, das – so die Annahme – durch
Determination und Unterwerfung hergestellt wird. Das mag für Ansätze
einer kritischen Soziologie interessant sein, die sich von den
Theorietraditionen Frankfurter Provenienz absetzen will. Sie tut dies jedoch
um den Preis des erneuten Versuches, die ‚Eigentlichkeit des
Subjekts‘ zu begründen, also Subjektphilosophie nach der
Subjektphilosophie zu betreiben“ (Keller, 2014:81).
Die Stärke der poststrukturalistischen Subjektkonzeption liegt in der
kritischen Analyse etablierter gesellschaftlicher Subjektivierungsweisen.
Diese Analysen können sozialen Bewegungen, wie etwa der Genderbewegung,
als Basis der Argumentation dienen. Die Erklärung aber, wie und warum es
zu sozialen Bewegungen kommt, warum Menschen trotz ihrer Prägungen gegen
etablierte Verfahrensweise aufbegehren, ist und bleibt eine Herausforderung
für die poststrukturalistische Theoriebildung. Aber der
Poststrukturalismus ist nicht die einzige Theorietradition, die eine rein
intentionalistisch gedachte Vorstellung eines autonomen, rationalen Subjekts
in Frage stellt. Eine Verortung des Subjektes in verkörperten
Verhaltensweisen, sedimentierten Überzeugungen, Gewohnheiten und/oder
Routinen wird ebenfalls in vielen praxisorientierten Ansätzen
vorgenommen. Die Frage aber, welche Rolle der Geist, also bewusstes,
reflektierendes Denken, bei der Formierung körper-geistiger
Subjektwerdungen spielt, wird u. E. lediglich vom klassischen Pragmatismus
explizit behandelt.
Die pragmatistische Perspektive auf Subjektwerdungen als situative
Ereignisse
Das Denken des klassischen Pragmatismus lässt sich ebenfalls in die
subjektkritische Tradition einordnen (Volbers, 2017). Um aber die etwas
andere Stoßrichtung verstehen zu können, ist es notwendig einen
Schritt zurücktreten und die Begriffe Individuum, Subjekt, Identität
und Selbst zu differenzieren. Dabei werden wir auch auf die Begriffe der
Person und der Persönlichkeit treffen und sehen, wie all diese Begriffe
eine Sozialität voraussetzen, die oftmals vernachlässigt wird.
„Eine Person, ein Selbst, ein Subjekt zu sein sind Funktionen, die sich
aus komplex organisierten organischen und sozialen Interaktionen
ergeben“ (Dewey, 1995[1929]:205). Ähnlich der
poststrukturalistischen Kritik weist John Dewey darauf hin, dass der
Individualismus des modernen Lebens dazu neigt, den Menschen aus dem
gemeinschaftlichen Leben herauszuabstrahieren, wodurch das Subjekt als
moderne Erfindung etabliert wurde. „In jedem Falle ist ein Individuum
nicht länger einfach etwas Partikulares, ein Teil, der seine Bedeutung
ausschließlich in einem Ganzen hat, sondern ein Subjekt, ein Selbst, ein
charakteristisches Zentrum von Begehren, Denken und Hoffen“ (Dewey,
1995[1929]:212–213).
Dewey macht deutlich, wie der Geist mittels der Anschauung eine Vorstellung
von der Welt, bestehend aus ihm äußerlichen Objekten, erschafft. Weil
diese Konstruktionsleistung individuell vorgenommen wird, geschähe dies
„in einem Medium, das ganz eigentlich subjektiv genannt werden
kann“ (Dewey, 1995[1929]:216). Vernachlässigt werde dabei jedoch
häufig, dass derartige Erschaffungen auf Kommunikation, auf
gemeinschaftliche Sinnproduktion angewiesen und ausgerichtet sind. Nach Georg
Herbert Mead (1998[1934]) kann ein Individuum nur Bewusstsein von etwas
erlangen, indem es sich fragt, was wohl die anderen Mitglieder seiner
Gemeinschaft über diese Sache sagen würden. Mead beschreibt das als
eine Hereinnahme des Gesellschaftlichen in das Individuum. Ebenso verhält
es sich mit der Vorstellung vom eigenen Selbst, also der eigenen
Identität. Diese kann nur mittels einer Antizipation der Meinungen
anderer exploriert werden. Die Aufklärung und die Moderne seit der
Renaissance hätten hingegen, so Dewey, das Erkennen des eigenen Selbst in
einer Weise befördert, die zur Selbst-Isolierung des Ichs geführt
hätten und blind machten für diese Eingebundenheit dieses Ichs in den
gesellschaftlichen Austausch. Seine beispiellose Attraktivität beziehe
dieser Subjektivismus dabei aus der vom Individuum empfundenen
konstruktiven Macht des eigenen individuellen Denkens. In solitärer
Kontemplation, also dann, wenn man alleine im Studierzimmer denkt, ist der
Geist fähig die größtmögliche Illusion von Klarheit zu
erzeugen. Die Bedingungen des Lebens erscheinen nun durchschaubar und damit
zumindest potentiell auch gestaltbar zu sein. Dem Individuum verschlossen
bleibt dabei, dass dies nur möglich ist, weil relativierende, auf
Komplexität hinweisende Irritationen ausgeblendet werden. Ein derartiger
Subjektivismus ist damit der ständige Begleiter eines
Objektivismus, der durchaus begründet bestimmte Kategorien
entwirft und diese fortan für existent oder zumindest für geklärt
ansieht. Damit erhebt sich das denkende Individuum mittels seiner rational
kontemplativen Fähigkeiten über das eigene situative Dasein hinaus.
Hat das Individuum aber auf diese Weise eine vermeintlich weitreichende
Klarheit erzeugt, so kommt es früher oder später nicht umhin, das
eigene, denkende, fühlende und handelnde Selbst in den von ihm selbst
geschaffenen Kategorien zu erklären und damit sein eigenes singuläres
Erleben seiner eigenen Konstruktion Untertan zu machen. An dieser Stelle
zeigen sich in der Regel dann auch die Grenzen der entworfenen
Erklärungsleistungen.
Das Individuum besitzt demnach eine „zweideutige Natur des
Selbst“, es nimmt eine „doppelte Stellung“ ein, zwischen
den Erklärungsleistungen seines Egos und dem Erleben einer
äußeren, als gegeben erscheinenden Welt der Dinge und Personen
(Dewey, 1995[1929]:237). Das Individuum erlebt sich selbst in einer
beständigen Spannung zwischen dem, was es als objektiv vorhanden annimmt
und der Abschätzung dessen, was es an diesen Bedingungen zu erklären
oder sogar zu verändern vermag. In seinem Erleben ist es gespalten
zwischen der Notwendigkeit Bedingungen akzeptieren zu müssen, die
unhintergehbar zu sein scheinen und der vagen Idee, es gäbe vielleicht
doch eine Möglichkeit die äußeren Bedingungen zu verändern.
Diese doppelte Bewegung etabliert die Bewusstheit eines Menschen in einem
beständigen Alternieren zwischen einem Konstruieren und einem Erleben von
Welt, also zwischen der geistigen Erschaffung von Objekten und dem
praktischen Erleben der Relevanz dieser geschaffenen Kategorien (vgl. zu
diesen Ausführungen auch Volbers, 2017). Demzufolge ist es dem Einzelnen
„gleichermaßen natürlich wie unvermeidlich, [auch] sein eigenes
Selbst innerhalb geschlossener Grenzen zu definieren und dann zu versuchen,
das Selbst in expansiven Akten zu erproben, die unvermeidlich zuletzt in
einem Zusammenbruch des eingemauerten Selbst enden. Hier liegt die letzte
‚Dialektik‘ des Allgemeinen und des Individuellen“ (Dewey,
1995[1929]:236–237), die sich in einer beständig neu justierten
Spannung zwischen gesellschaftlicher Anpassung und Selbstbehauptung
äußert. Dies stellt sich als ein psycho-physischer Prozess der
gelebten Erfahrung dar. Der Mensch als
Körper-Geist-Wesen (Body-Mind) befindet sich in einem
fortlaufenden Lernprozess der beständigen Auseinandersetzung mit den
Bedingungen der Welt. Dabei stehen geistige Aktivitäten in einer
beständigen Rückbindung an praktische Tätigkeiten und es finden
emotionale Bewertungen statt, die die jeweils weitere Geneigtheit des
Individuums beeinflussen. Die Fähigkeit des Menschen Erfahrungen zu machen charakterisiert, so Dewey, den Menschen als
Körper-Geist-Wesen.
Erfahrung ist damit aber nichts Individuelles. Zwar sind es einzelne
Menschen, die Erfahrungen machen, doch erfahren sie die Bedingungen
ihrer Welt und ihre Gemeinschaft. Mead (1998[1934])
beschreibt wie Individuen zwischen zwei Modi des Erlebens des eigenen Selbst
alternieren. Auf der einen Seite konstruieren sie ein
„me“ indem sie ihre eigene Identität auf
gesellschaftlichen Rollenerwartungen und Identitätskategorien aufbauen.
Auf der anderen Seite erleben sie eine letztlich wenig kontrollierbare
Instanz ihres eigenen Selbst, das „I“, welches immer ein
Stück weit mit den Rollenerwartungen der Identitätskonstruktionen in
Konflikt gerät. Auf der einen Seite erfahren Individuen Gemeinschaft,
ganz konkret in Traditionen, Bräuchen,
Praktiken und Institutionen, wodurch dafür
nützliche Kompetenzen und ein Verständnis gesellschaftlicher
Rollen erschaffen werden. Individuen werden in einer
bestimmten Gesellschaft erfahren, wenn sie lernen, geschickt und
sozial kompetent zu handeln. Sie entwickeln ein Gespür dafür, was sie
von anderen erwarten können, wenn sie selbst sich auf die in dieser
Gemeinschaft üblichen Arten und Weisen verhalten. Aber die Menschen
machen ihre Erfahrungen auf einzigartige Weise. Sie erleben
sich selbst einerseits als charakteristischen Teil ihrer Gemeinschaft,
gleichzeitig aber auch als Ausnahme. Sie erleben sich als typisches Mitglied
und gleichzeitig auch als Singularität. Sie übernehmen entsprechend
ihrer sozialen Identität konventionalisierte Positionen, wie z.B. als
Kinder, Erwachsene, Schüler, Lehrer, Väter, Mütter,
Berufstätige oder religiöse Personen, doch gleichzeitig stehen sie
mit diesen gesellschaftlichen Positionen in Konflikt.
Der Mensch wird erfahren, indem er lernt in einer Gesellschaft
kompetent zu handeln. Das ist dem ähnlich, was der Poststrukturalismus
als Subjektivierung beschreibt. Erfahrung ist also weitgehend ein Erlernen
und Begreifen gesellschaftlicher Bedingungen, aber darüber hinaus sind
nach pragmatistischer Vorstellung die Individuen aktiv und kreativ an diesen
Prozessen beteiligt. Dem Individuum begegnen innerhalb der konkreten Situationen des Erfahrungen-Machens bestimmte emotionale Qualitäten,
anhand derer es sich seiner selbst gewahr wird. „Unterhalb und
innerhalb dieser Geschehnisse, nicht außerhalb von ihnen oder ihnen
zugrundeliegend, finden sich jene Ereignisse, die Selbste genannt
werden“ (Dewey, 1995[1929]:226–227). Bruchstückhaft nur erscheint
dem Individuum die Wahrnehmung einer Situation und seines Eingebundensein in
diese Situation, innerhalb der es sich auch seines eigenen Verhaltens bewusst
wird. Man erlebt sich selbst nur selten als souverän, häufig eher als
re-agierend denn als agierend, man könnte auch sagen getrieben.
Im Eifer des Gefechtes ist eine rationale Steuerung des eigenen Verhaltens
kaum durchgängig möglich, vielmehr reagiert man meist auf Basis
individueller, erworbener und angeborener Dispositionen. Diese Dispositionen
geben den einzelnen Individuen ihr jeweils charakteristisches Verhalten,
welches auch als deren Persönlichkeit bezeichnet wird (vgl. auch
Volbers, 2017). Im pragmatistischen Denken bildet also nicht Identität
die wesentliche subjektrelevante Kategorie. Inwieweit jemand in
identitätsrelevanten Kategorien, bspw. Geschlecht, Beruf, soziale
Funktion etc., angesprochen wird, ist situationsabhängig. Was aber
über alle Situationen hinweg als weitgehend konstant beschrieben werden
kann, ist die Art und Weise, wie ein bestimmter Mensch auf Bedingungen, die
ihm begegnen, reagiert. Die Persönlichkeitspsychologie befasst sich eben
mit dieser Tatsache, dass Individuen nicht immer gleich oder vorhersehbar
reagieren, aber aufgrund eines charakteristischen Verhaltens trotzdem als
eine bestimmte Person identifiziert werden können (Asendorpf und Neyer,
2012). Die Persönlichkeit macht einen Menschen irgendwie berechenbar,
aber keineswegs kann aus der Persönlichkeit eines Menschen all ihr
Handeln abgeleitet werden. Persönlichkeit ist demnach ein sozial
sehr wirkungsvoller Einfluss, trotzdem erweist sich der Begriff als
gesellschaftstheoretisch weitgehend vernachlässigt.
Persönlichkeit als vernachlässigte gesellschaftstheoretische
Kategorie
Betrachtet man Kategorien der Persönlichkeitspsychologie, dann wird
deutlich, dass es dabei immer um Charakteristika geht, die das soziale
Verhalten von Personen betreffen (Asendorpf und Neyer, 2012). Die fünf
Dimensionen der Persönlichkeit, die im psychologischen Jargon auch
häufig als „big five“ bezeichnet werden, sagen primär
etwas über den Umgang eines Menschen mit sich selbst und Anderen aus.
Menschen sind in unterschiedlichem Maße offen für neue Erfahrungen.
Sie unterscheiden sich in ihrer Gewissenhaftigkeit, also darin wie genau oder
perfekt sie ihre Aufgaben erfüllen wollen. Sie treten unterschiedlich
zurückhaltend oder offensiv auf, unterscheiden sich also in ihrer
Extraversion. Ihre soziale Kompetenz lässt sie unterschiedlich
emphatisch, kooperativ und rücksichtsvoll sein und schließlich sind
Individuen in unterschiedlichem Maße emotional verletzlich. Menschen
denen Persönlichkeitsstörungen der sogenannten „dunklen
Triade“, Narzissmus, Machiavellismus oder Psychopathologie, attestiert
werden, zeichnen sich vor allem durch unsoziale, manipulative oder
herrschsüchtige Verhaltensweisen aus oder gar dem Fehlen jeglicher
Empathie.
Im Angesicht der Tatsache wie elementar Persönlichkeiten das soziale
Miteinander beeinflussen, erscheint die mangelnde gesellschaftstheoretische
Auseinandersetzung mit dem Thema geradezu fahrlässig. Man mache es sich
vielfach zu einfach, so Manfred Lutz (2009), wenn man, wie es häufig
geschehe, bspw. Adolf Hitler als psychisch krank bezeichnet, denn dieser
hätte in unserer Gesellschaft niemals die für eine Diagnose
notwendigen Bedingungen erfüllt. Er hätte sich selbst niemals als
leidend präsentiert und nach Maßgabe seiner ganz eigenen Vorstellung,
war er wohl durchaus erfolgreich. So behandele unsere Gesellschaft die
Falschen, nämlich die, die am Wohle der Gemeinschaft interessiert
wären, und die, die an den Schwierigkeiten des sozialen Miteinanders
verzweifelten. Jene aber, die sich wenig um das Wohl anderer kümmern,
haben hingegen oftmals einen Vorteil. So kann sich eine narzisstische
Persönlichkeitsstörung, die sich ja vor allem durch manipulatives
Verhalten auszeichnet, in vielen Fällen sogar karrierebegünstigend
auswirken (vgl. auch Schneck, 2018). Die mangelnde Auseinandersetzung der
Gesellschaftstheorie mit dem Begriff der Persönlichkeit ist auch nicht
nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass es in der Praxis vielfach üblich
ist, z.B. in Vorstellungsgesprächen, gezielt Persönlichkeitsmarker,
wie Teamfähigkeit, Offenheit etc. abzufragen. Distinktion anhand von
Persönlichkeitsmerkmalen wird also durchaus praktiziert, theoretisch aber
kaum reflektiert.
Diese Zurückhaltung der Gesellschaftstheorie bezüglich einer
Betrachtung von Persönlichkeit ist wahrscheinlich auf die Nähe des
Begriffes zu dem der Person zurückzuführen. Der Begriff
Person markiert den Unterschied zwischen dem Status ein
Jemand und nicht nur ein Etwas zu sein (Spaemann, 1996).
Eine Person zu sein setzt die Anerkennung in einer Gemeinschaft voraus. Diese
humanistische Idee war Grundlage der Etablierung von
Persönlichkeitsrechten und damit auch der Formulierung der Menschenrechte
(Joas, 2015). Persönlichkeitsrechte erheben denjenigen, dem der Status als
Person zugestanden wird, gegenüber demjenigen, der diesen Status nicht
bekommt, wie das bspw. historisch beim Umgang mit Sklaven der Fall war
(Lotter, 2012). Ebenso zeigt der Begriff der persona non grata, dass
es geschehen kann, dass eine Person in einer Gemeinschaft nicht mehr
erwünscht ist. Es kann also auch Gründe geben, einem Menschen den
Status einer Person zu entziehen. Interessanterweise unterliegt das, was als
eine Person angesehen wird, in hohem Maße der kulturellen Prägung
(Geertz, 1987:294). Gesellschaften entwickeln demnach spezifische
Vorstellungen, unter welchen Bedingungen die vollständig entfaltete
Würde einer Person auch vollständige Persönlichkeitsrechte
beinhalten sollte. Auseinandersetzungen mit dem Begriff der Person laufen
demnach Gefahr in Verdacht zu geraten, ob sie denn auch wirklich alle
Menschen gleichbedeutend als Personen ansähen oder, ob sie nicht
insgeheim Kriterien für bessere und schlechtere Menschen formulieren
(Spaemann, 1996; Lotter, 2012). Diese Diskussionen können hier nicht
ausgeführt werden, doch in Anbetracht der Erkenntnis, dass die
Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen nicht nur genetisch, sondern
immer auch sozial bedingt ist (Asendorpf und Neyer, 2012:261ff.), wird die
Dringlichkeit deutlich, Fragen nach den Bedingungen gelingender
Persönlichkeitsentwicklung und den Möglichkeiten der
selbstgesteuerten Entwicklung der eigenen Persönlichkeit zu stellen.
Transaktion, Persönlichkeiten und Beziehungen
Persönlichkeit sagt also nichts darüber aus, was jemand tut,
sondern vielmehr, wie jemand in sozialen Situationen für
gewöhnlich reagiert. Das Wissen um die Persönlichkeit eines Menschen
hilft, dessen Verhalten zu antizipieren. Es lässt uns abschätzen, ob
sich die Person in einer bevorstehenden Situation tendenziell aufbrausend,
leicht reizbar, leicht verletzlich, aggressiv oder eher zuvorkommend und
hilfsbereit verhalten wird. Persönlichkeit beeinflusst nicht nur das
Verhalten der Person selbst, sondern auch das Verhalten anderer gegenüber
dieser Person. Persönlichkeit zeigt sich nur, wenn eine sozialeSituation eintritt, also wenn ein Individuum in Kontakt mit Dingen
oder anderen Menschen affiziert wird. Das Verhalten eines Individuums ist
durch seine Persönlichkeit aber keinesfalls determiniert, vielmehr stellt
die Persönlichkeit eine Disposition dar, mittels derer Individuen den
gesellschaftlichen Positionen, die sie einnehmen, ein individuelles Gesicht
geben. Die Kenntnis der charakteristischen Verhaltenstendenzen einer Person
kann nun von anderen Akteuren genutzt werden, um in der Beziehung zu
dieser Person erwünschte Ergebnisse zu erzielen. Dabei werden Normen und
Grenzen zwischenmenschlichen Verhaltens beständig situativ gezogen und
erlebt.
Menschen erfüllen ihre Rollen, Aufgaben und Pflichten in einer für
sie charakteristischen Weise. Sie geben ihren gesellschaftlichen Positionen
ein einzigartiges Gesicht, sie werden also nur vermittelt durch ihre
Persönlichkeiten zu Subjekten und das tun sie auch niemals alleine,
sondern immer nur in der Begegnung mit einem sozialen Gegenüber in
konkreten Situationen. Im Moment des Aufeinandertreffens machen sich
Menschen gegenseitig zu Subjekten, es findet Transaktion statt. Im
Gegensatz zum Konzept der Interaktion, das von bereits existierenden festen
Entitäten ausgeht, bezeichnet Transaktion die Tatsache, dass
sich die Beteiligten in einer Situation gegenseitig hervorbringen (Dewey und
Bentley, 1991[1949]; Steiner 2014). Menschen und andere Objekte werden nur im
Kontakt zueinander zu dem, als was sie wahrgenommen werden. Sie fixieren sich
gegenseitig auf eine Möglichkeit ihrer Selbst, die erst in dieser
Situation räumlich und zeitlich konkret werden kann. Somit können
Aspekte wie bspw. das räumliche Setting einer konkreten
Situation oder die Konstellation der beteiligten Akteure in den
Fokus der Betrachtung rücken. In der gegenseitigen Hervorbringung als
Subjekte bildet sich eine Beziehung zwischen den beteiligten
Personen heraus, die so nur durch und zwischen exakt diesen Individuen
existieren kann (Saunders, 2005). Persönlichkeiten haben maßgeblich
Einfluss darauf, wie Individuen in Situationen zu Subjekten werden und damit
auch darauf, welchen Charakter die Beziehungen zwischen ihnen annehmen. Das
Vorhandensein eines Chefs und eines ihm unterstellten Teams garantiert noch
lange kein produktives Arbeiten. Es ist von enormer Bedeutung wie sich die
Beziehungen zwischen den Beteiligten ausprägen. Die Beziehungen wiederum
entwickeln Pfadabhängigkeiten, die ein gemeinsames Handeln auch
langfristig entweder erleichtern oder, im Falle „belasteter
Beziehungen“, verkomplizieren.
Subjekt und Geist
Ein Subjekt kann man also nur sein, wenn man sozial auf jemand anderen oder
etwas anderes bezogen ist. Ein Subjekt zu sein bedeutet affiziert zu sein,
was wiederum heißt, dass man nur in sozialen Konstellationen und nur in
Situationen, oder allgemeiner in auf Situationen bezogenem Denken, zum
Subjekt wird. Ein Subjekt zu werden bedeutet eine Beziehung mit
anderen zu leben, sozial angesprochen zu werden, aktiviert zu werden und
durch die eigenen Reaktionen wiederum andere zu aktivieren. Es bedeutet nicht
nur eine gesellschaftliche Position einzunehmen, sondern auch betroffen zu
sein und Haltungen zu entwickeln. Im Gegensatz zur Selbstidentität, die
sich weitgehend aus intellektueller Reflexion über das eigene Selbst
speist, muss Subjektivität praktisch vollzogen werden. Subjektwerdung
beinhaltet reaktives Verhalten. Jeder kennt die Erfahrung, dass man sich im
Nachhinein über das eigene Verhalten ärgert. Nicht immer erscheint
die eigene Art und Weise zu reagieren im Nachhinein effektiv oder angemessen.
Aber genau dieses Erleben von Getriebenheit, dieses Ausgeliefertsein
eröffnet im pragmatistischen Denken ein Fenster für
Selbstwirksamkeit: eine Möglichkeit der Einflussnahme des Geistes.
Individuen handeln in der Regel auf der Grundlage eines „System[s] von
Überzeugungen, Kenntnissen und Unkenntnissen, von Zustimmung und
Ablehnung, von Erwartung und Würdigung von Bedeutungen, die unter dem
Einfluß von Brauch und Tradition eingeführt worden
sind“ (Dewey, 1995[1929]:215). Individuen, die mit Verstand
ausgestattet sind, meistern demnach ihren Alltag weitgehend, indem sie ihrem
Sinn für das Gemeinsame (Common Sense) folgen. Hier zeigt sich,
dass Geist kein rein individuelles Phänomen ist, sondern, dass dieser nur
auf der Ebene „der Vergemeinschaftung, der Kommunikation und
Teilhabe“ hervorgebracht wird (Dewey, 1995[1925]:261; vgl. auch
Volbers, 2017). Zwar ist es das einzelne Individuum das denkt, doch
reproduziert es in weiten Teilen seines Denkens lediglich intellektuelle
Konventionen seiner Gemeinschaft. Das Selbst wird sich dieses Kontextes
seines Handelns normalerweise nicht bewusst, zumindest solange dieser nicht
brüchig wird, bspw. wenn Vorhaben nicht wie üblich ablaufen oder die
erworbenen Fähigkeiten nicht weiterhelfen. In solchen Situationen,
zwischen den Gewohnheiten und Routinen, beginnen Individuen nachzudenken. Mit
dem Impuls zum Nachdenken über bisherige Selbstverständlichkeiten
erhalten die Individuen die Chance, wie Dewey sagt, ihren Geist zu
individualisieren, also die Chance über die in ihrer Gemeinschaft
konventionalisierten Grenzen hinauszudenken. Und es sind derart
individuelle Geister, die die Voraussetzung für eine kritische
Position bilden. Deweys (1995[1925]:214) Unterscheidung zwischen mit Geistausgestatteten Individuen und individuellen Geistern
bestimmt demnach die menschliche Wirkmächtigkeit als eine Fähigkeit
zur Reflexion über die eigenen Ansichten, Verhaltensweisen und
gesellschaftlichen Prägungen.
Subjektwerdung als situatives Ereignis.
Der Pragmatismus bestimmt demzufolge weder ein autonomes Subjekt im Sinne der
Aufklärung, noch ein völlig dezentriertes, jeglicher
Handlungsfähigkeit beraubtes Subjekt (Abb. 1). Er skizziert ein situativ
reaktives Emergieren von Subjekten, das in gewisser Weise
„riskant“ genannt werden kann, weil es immer auf impliziten,
verkörperlichten sozialen Dispositionen aufbaut, die nicht immer auch
erwünschte soziale Resonanzen bewirken (Volbers, 2017). Darüber
hinaus bestimmt der Pragmatismus eine Fähigkeit des Individuums zur
Reflexion über die eigenen Dispositionen derartiger Subjektwerdungen. Das
Individuum kann seine eigenen Subjektwerdungen zwar nicht direkt und
unmittelbar beherrschen, doch kann es danach streben seine Dispositionen zur
Subjektwerdung zumindest langfristig in einem gewünschten Sinne zu
verändern. Der Pragmatismus bestimmt also die Human Agency als
Fähigkeit, die eigene Prägung zu hinterfragen und die Voraussetzungen
des eigenen Verhaltens zu korrigieren. Dies kann auch als Aufforderung zur
Persönlichkeitsentwicklung gelesen werden.
Auf der Suche nach der Verantwortung
Das poststrukturalistische Subjekt wird von den gesellschaftlichen
Verhältnissen hervorgebracht, denn sowohl seine Überzeugungen wie
auch seine Wünsche sind von diesen bestimmt. Letztlich ist das
poststrukturalistische Individuum damit auch jeglicher Verantwortung
enthoben. Es subjektiviert sich entsprechend der produktiven Macht, ohne
einen eigenen selbstbestimmten Anteil daran zu haben. Aber nach derartigem
Subjektverständnis können allenfalls abstrakte Instanzen wie
Kapitalismus, Rassismus oder Sexismus als Ursachen von Ungleichheiten und
Ungerechtigkeiten benannt werden. Sicherlich ist es wichtig der Kritik
derartige abstrakte Kategorien zur Verfügung zu stellen, doch kann derart
abstrakte Kritik nur dann transformative Kraft entwickeln, wenn im
tatsächlichen gesellschaftlichen Leben jemand die Transferleistung
vollbringt und diese abstrakten Kategorien in konkreten Ereignissen auf
bestimmte konkrete Akteure bezieht und diesen Verantwortung zuschreibt.
Unterlässt man eine Reflexion der Bedingungen unter denen derartige
Zuschreibungen geschehen sollten, dann riskiert man zweierlei.
Erstens kommt es nicht selten vor, dass dabei Grenzen der Angemessenheit
überschritten werden (Edlinger, 2015; Weiss, 2017). Um nur wenige
Beispiele zu nennen stellte sich die Frage der Angemessenheit bspw. als beim
Kölner NoBorderCamp im Juli 2012 Aktivisten der Critical Whiteness
Bewegung das Recht einforderten, Redebeiträge zu stoppen, wenn sie
persönlich diese als rassistisch empfinden (ak, 2013), oder als in den
USA eine jüdische Lesbe von einer Homosexuellenveranstaltung verwiesen
wurde, weil sie ein T-Shirt mit der Aufschrift ‚Proud Jewish Dyke‘
trug. In der Vorstellungswelt einiger von der Intersektionalitätsdebatte
inspirierten TeilnehmerInnen passte das nicht zu der Auffassung des Zionismus
als Täterkategorie (Weiss, 2017).
Zweitens birgt das Versäumnis zu klären, unter welchen Bedingungen
Kritik geübt werden sollte, die Gefahr, dass Muster der Kritik
missbraucht werden. So werden bspw. heute nicht selten feministische
Ansprüche auf Selbstbestimmung und Fragen der Sicherheit von Frauen vor
Übergriffen zur Rechtfertigung einer anti-islamischen, fremdenfeindlichen
Gesinnung herangezogen (Delfin, 2016). Entsprechend attestiert Bruno
Latour (2007[2004]:16), dass die Waffen der Kritik „über unklar
gezogene Grenzen geschmuggelt wurden und der falschen Partei in die Hände
gerieten“. Nun will sich Latour nicht „einfach damit beruhigen,
daß bad guys nun einmal jede Waffe benutzen, derer sie habhaft
werden können“ (2007[2004]:11), sondern fragt danach, ob nicht bei
der Formulierung der Waffen der Kritik etwas vergessen wurde. In diesem
Geiste wollen wir im Folgenden einer Haltung nachspüren, die u.E. gezielt
Verantwortung leugnet und damit letztlich auch Ausdruck einer
hauptsächlich am eigenen Vorteil interessierten Persönlichkeit ist.
Wenn zur Begründung dieser Haltung aber poststrukturalistische Theorie
herangezogen wird, was leicht möglich ist, weil diese in diesem Bereich
eine Leerstelle aufweist, dann wird der Poststrukturalismus zum
unfreiwilligen Erfüllungsgehilfen.
Die weit verbreitete Haltung des „wenn ich es nicht mache, dann macht`s
ein anderer“ drückt die Rechtfertigung aus, etwas trotz besseren
Wissens zu tun. Bei dieser Haltung geht es nicht darum ein einmaliges
Ausnahmeverhalten zu rechtfertigen. Einmaliges unnachhaltiges,
umweltschädigendes, konsumistisches oder anderweitig abträgliches
Verhalten kann auf vielfältige Weise entschuldigt werden, bspw. mit den
gegenwärtigen Umständen, dem Fehlen von Alternativen oder auch dem
aktuellen Wunsch nach Bequemlichkeit oder Genuss. Derartiges Verhalten
würde im Falle einer Unterlassung auch nicht von einer anderen Person
ausgeführt werden. Mit Verweis auf eine gesamtgesellschaftliche Dimension
würden diesbezüglich eher Entschuldigungen wie „ich wäre ja
blöd, wenn ich es nicht mache, denn alle anderen tun es ja
auch“ angewendet. Hingegen weist aber die Äußerung „wenn
ich es nicht mache, dann macht's ein anderer“ unmissverständlich
darauf hin, dass die sich derart äußernde Person vor hat eine
gesellschaftlich relevante Handlung auszuführen oder eine Position
einzunehmen, die anderenfalls von einer anderen Person übernommen werden
würde. Zudem ist es eine Formel, die die mit dieser Position verbundenen
gesellschaftlichen Verantwortung bewusst nicht thematisiert.
Es geht hier aber keineswegs darum, Verantwortung ausschließlich an den
Folgen individuellen Handelns festzumachen. Auf der einen Seite ist es
wünschenswert, wenn jeder Einzelne sich im Sinne einer
Verantwortungsethik (z.B. Jonas, 1979) unsozialer oder umweltschädlicher
Verhaltensweisen bewusst wird und diese zu vermeiden sucht, aber eine direkte
Verantwortung für die ökologischen und sozialen Probleme unserer Zeit
kann der Einzelne nicht übernehmen. Diese zu lösen muss vielmehr als
eine politische Aufgabe angesehen werden. Leider habe sich, so Yascha
Mounk (2017), eine Rhetorik der persönlichen Verantwortung nicht nur in
Ratgeberliteratur, Kolumnen und der politischen Sprache durchgesetzt, sondern
auch unsere moralische Vorstellungskraft tief erfasst und sogar die Natur der
Wohlfahrtsstaaten verändert. Das Individuum wird in einem Maße
verantwortlich gemacht, die es Kraft seiner individuellen Wirksamkeit und der
Zukunftsoffenheit des eigenen Lebens und der gesellschaftlichen Entwicklungen
gar nicht übernehmen kann. Es hat eine Naturalisierung von Verantwortung
und deren Verkörperungen in den Subjektvierungsweisen der Individuen
stattgefunden. Diese Tendenz wird von poststrukturalistischen Autoren zu
Recht kritisiert, streben sie doch eine Entunterwerfung der Subjekte von
derartigen moralischen Imperativen an.
Die von den Beförderern derartiger Responsibilisierung erhobenen
Argumente entsprechen aber ironischerweise durchaus der
poststrukturalistischen Logik. Bestimmte Verhaltensdispositionen einer
Bevölkerungsmehrheit, so wird argumentiert, müssen ökonomisch
oder politisch als Voraussetzung betrachtet werden (subjektivierende Macht).
Solange sich dieser Diskurs nicht von der Basis her verschiebe, könne man
auch nichts ändern, ohne existenzgefährdende Verluste an
Wählerstimmen oder Kunden in Kauf nehmen zu müssen. Die Formel
„wenn ich es nicht tue, dann macht's ein anderer“ ist nun genau
der Ausdruck dieser Haltung, die mit Hinweis auf die strukturellen
Gegebenheiten verschleiert, dass der Sprecher sich genau diese Gegebenheiten
zum Vorteil macht. Die Formel behauptet, dass es im Prinzip egal sei, ob nun
der Sprecher oder eine andere Person von der Übernahme der von ihm
eingenommenen Position profitiere, weil das für diejenigen, die von den
von dieser Stelle ausgehenden Wirkungen betroffen sind oder eventuell sogar
geschädigten werden, letztlich keinen Unterschied mache.
Verschwiegen wird in der Regel, dass mit Übernahme der zur Debatte
stehenden gesellschaftlichen Position Verantwortung verbunden ist, derer sich
die sprechende Person bewusst stellen sollte, wenn sie diese Position
übernimmt. Die Formel verschweigt, dass man mit Macht ausgestattete
Positionen besser oder schlechter, autoritärer oder sozialer sowie
demokratischer oder autokratischer ausfüllen kann. Sie formuliert bewusst
nicht, wie sie gedenkt diese Position auszufüllen oder warum sie glaubt
für diese Position besonders geeignet zu sein. Sie verschweigt, dass mit
Übernahme einer gesellschaftlich einflussreichen Position, auch ein
Anspruch an die Persönlichkeit des diese Position übernehmenden
Menschen gestellt wird. Es ist diese Zurückweisung von Verantwortung mit
Verweis auf die übermächtige gesellschaftliche Struktur, die ganz auf
Linie mit den poststrukturalistischen Vorstellungen von Subjektivierung
liegt.
Die Verantwortung zur Persönlichkeitsentwicklung
Aus pragmatistischem Verständnis aber kann eine andere Art von
Verantwortung benannt werden. Diese stellt keine überhistorische oder
über alle gesellschaftlichen Bedingungen hinweg gegebene Konstante dar.
In demokratischen Gesellschaften aber ist eine gesellschaftliche Position mit
der Verantwortung verbunden, alle Menschen im Einflussbereich dieser Position
gleichermaßen als Personen anzusehen. Die Frage nach der
„Person“ ist letztlich die Frage nach der Anerkennung eines
lebendigen Wesens als ein Individuum mit Rechten in einer Gemeinschaft
gleichartiger Wesen. Die Stärke des Begriffes „Person“ liegt
aber nicht in seiner definitorischen Kraft zur Normsetzung, sondern vielmehr
im Potenzial, eine Basis für Kommunikation in gegenseitiger Anerkennung
darzustellen.
Die Frage nach der Person ist letztlich auch die Frage danach, was man glaubt
von anderen Menschen erwarten zu können (Lotter, 2012:13). Im
alltäglichen empathischen Miteinander unter Menschen entfalten sich
Erwartungen wie auch Verantwortungsbewusstsein immer situativ. Entscheidungen
darüber, was richtiges oder falsches Handeln ist, ergeben sich nach
Maßgabe einer empfundenen Angemessenheit, die sich an den Erfordernissen
der gelebten sozialen Beziehungen, der gesellschaftlichen Aufgaben und Rollen
orientiert. In diesem Sinne sind soziale Kompetenzen, also die intuitiven und
emotionalen Fähigkeiten wichtiger, als die kognitiven Fähigkeiten zum
rationalen Denken, für das in gegebenen Situationen naturgemäß
die Zeit und der Überblick fehlt. „Daher ist die Ausbildung der
Fähigkeit, Konkretes differenziert zu erfassen, von unverzichtbarer und
in vielen Hinsichten primärer moralischer Bedeutung. Eine Person kann die
Überzeugung hegen, anderen Menschen in Schwierigkeiten nach
Möglichkeit helfen zu sollen (und dies auch auf postkonventionelle Weise
formulieren), ohne je in eine solche Gelegenheit zu kommen, weil sie die
psychische und soziale Lage ihrer Mitmenschen schlichtweg nicht wahrnimmt.
Auch bei voller Entwicklung der logischen Fähigkeiten kann es ihr an der
dafür erforderlichen Sensibilität, Lebenserfahrung und Empathie
fehlen“ (Lotter, 2012:347).
Verantwortliches Handeln erfüllt sich demnach nicht in theoretischen
Grundsätzen oder Handlungsanweisungen, sondern in der empathischen
Fähigkeit abstrakte Grundsätze situationsbezogen angemessen
anzuwenden, also in einer sozial integrativen Persönlichkeit, die ihre
Handlungsspielräume intuitiv gemeinwohlorientiert anwenden kann. Dazu
muss ein Individuum zur sozialen Inter- bzw. Transaktion fähig sein, also
die Fähigkeit besitzen in sozialen Begegnungen verantwortungsbewusst zum
Subjekt zu werden. Verantwortlichkeit erwächst demnach aus der
menschlichen Fähigkeit zur Reflexion über das eigene Handeln und der
damit verbundenen Möglichkeit die eigene Persönlichkeit zu bilden.
Persönlichkeitsentwicklung wird damit zur Aufgabe, sich
verantwortungsvoll in die Gesellschaft einzupassen.
Dies entspricht auch einem weitverbreiteten Gerechtigkeitsempfinden, das
letztlich auch in unserem Justizsystem abgebildet ist. Demnach ist es nicht
gerecht, würde sich Schuld und das Strafmaß nur am Tatbestand des
Vergehens bemessen. Vielmehr erscheint es angemessen vor Festsetzung des
Strafmaßes zu klären, ob eine Person überhaupt schuldfähig
ist, also mental ausreichend zur Selbstreflexion fähig ist und, ob ein
Bewusstsein für die Schuld und entsprechend Reue vorhanden sind. Wir
gehen davon aus, dass Menschen prinzipiell dazu in der Lage sind, sich ihren
Prägungen zu entziehen. So kann bspw. eine schlechte Kindheit
strafmildernd wirken, wird aber nicht bedingungslos als Entschuldigung
für jedes Fehlverhalten akzeptiert. Um sich seinen Prägungen zu
entziehen, muss man sein Denken individualisieren, man muss sich darauf
einlassen, Erfahrungen zu machen. Man muss es zulassen, sich zu
verändern und sich der eigenen Zukunftsoffenheit stellen. „Das alte
Selbst wird abgelegt, das neue Selbst bildet sich erst noch“ (Dewey,
1980[1934]:238, vgl. auch 35ff.).
Fazit: Konsequenzen für die Kritik
Die pragmatistische Kritik verschiebt den Fokus von Identität
auf Beziehung. Nicht immer begegnen Menschen einander im Modus
etablierter Differenzkategorien. So ist nicht jeder männliche Chef seiner
weiblichen Angestellten gegenüber ein Patriarch. Vielmehr bauen beide
Beteiligten ihre Praxis auf den derzeitigen Bedingungen auf, in denen
Genderungerechtigkeiten leider immer noch vorhanden sind. Nun kann ein
Unternehmer aber entweder diese Ungerechtigkeiten für seine Vorteile
ausnutzen oder er kann versuchen diese zumindest für seinen Betrieb zu
minimieren. Dabei sind nicht nur Identitätskategorien relevant, denn es
spielen vielfältige Fragen eine Rolle (betriebliche Altersvorsorge,
Arbeitsbedingungen, Lohngleichheit, etc.). Ebenso sind auch Fälle
individueller Fürsorge interessant, bspw. wenn ein Unternehmer einen
bestimmten Angestellten bereitwillig weiterträgt, auch in einer
längeren Phase verminderter Leistungsfähigkeit, z.B. ausgelöst
durch eine persönliche Krise oder Krankheit. Dem Unternehmer muss
zweifellos zugestanden werden, bei derartigen Maßnahmen nur so weit zu
gehen, wie er glaubt im Wettbewerb mit anderen Unternehmen, die für ihre
Mitarbeiter nicht im selben Maße soziale Bedingungen schaffen, noch
konkurrenzfähig bleiben zu können. Verantwortung liegt demnach in der
angemessenen Berücksichtigung seiner eigenen und der Bedürfnisse
anderer.
Durchaus komplizierter gestalten sich derartige Überlegungen, wenn man an
Führungspositionen innerhalb größerer Firmenzusammenhänge
denkt, deren Befugnisse deutlich eingeschränkter sein dürften, als
die eines selbstständigen Unternehmers. Führungskräften, die bei
der Umsetzung von auf höherer Ebene beschlossenen Firmenstrategien
moralische Bedenken haben, bleibt gefühlt oftmals nur die Anpassung,
sofern unklar ist, ob es der Kariere schaden würde, die Beschlüsse in
Frage zu stellen. Eine Rechtfertigung im Sinne des „wenn ich es nicht
tue, dann tut es ein anderer“ liegt dann berechtigter Weise sehr nahe.
An dieser Stelle öffnet sich eine bisher weitgehend unerkundete Dimension
der Gesellschaftskritik. Dazu zählen Fragen, wie: Zu welchen
Persönlichkeiten müssen Menschen in den verschiedenen
gesellschaftlichen Bereichen werden, um dort bestehen zu können? Welche
Status können nur unter Aufgabe bestimmter gemeinschaftorientierter
Haltungen erreicht werden? Für welche gesellschaftliche Positionen
sollten bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wünschenswerterweise
ausgeprägt sein? Oder mittels welcher Strategien verhindern es
Unternehmen, dass Verantwortung eindeutig festgemacht werden kann?
Die Stärke pragmatistischen Denkens ist es aber, dass es in Anerkennung
der Dialektik des Selbst nicht nur in die Richtung des Allgemeinen
führt, sondern ebenfalls in Richtung des singulären Einzelfalles. Die
pragmatistische Kritik ist auch eine Kritik der Mediation, die die
Zwänge der Verhältnisse anerkennt und neben einer oppositionellen
Kritik der strukturellen Verhältnisse auch nach den im Einzelfall jeweils
zugrunde liegenden Voraussetzungen fragt. Sie denkt den Begriff Macht
lokalisiert und konkretisiert, um zu sehen, wie sich Macht in der
Komplexität der Praxis gebrochen zeigt. Einerseits zu zeigen, wie
Macht-Wissen die Menschen durchdringt und sie letztlich der Fähigkeit,
Verantwortung zu übernehmen, beraubt, andererseits aber auch aufzuzeigen,
wie im lokalisierten Geschehen bestimmte Einzelpersonen oder
Interessenverbände über ein notwendiges Maß hinaus diese Macht zu
ihrem persönlichen Gewinn ausnutzen. Diese Kritik stellt die Fragen der
Verhältnismäßigkeit und ist damit zwangsläufig geographisch,
denn nur in der Konkretheit des lokalen Kontextes lassen sich derartige
Verantwortlichkeiten identifizieren und entsprechende Vorwürfe
konkretisieren.
Es ist eine Frage der Persönlichkeit, ob jemand bestehende Ungleichheiten
für seine Zwecke ausnutzt oder nicht. So weiß jeder männliche
Chef um die gendertheoretische Kritik, doch weiß er ebenso um geeignete
Strategien der Rechtfertigung (Boltanski und Thévenot, 2007). Letztlich
ist es von seiner persönlichen Haltung abhängig, ob er seinen
Entscheidungsspielraum nutzt diese Ungerechtigkeiten zu minimieren oder
nicht. Es ist eine Frage der Persönlichkeit, inwieweit eine Person die
Augen vor gesellschaftlichen Spannungen verschließt oder ob sie sich
Missstände bewusst macht, ob sie Ambiguitäten der Praxis aushalten
kann und welche persönlichen Konsequenzen sie daraus zieht.
Die Persönlichkeitspsychologie beschäftigt sich damit, zu
ergründen, warum Menschen trotz aller Konformität in ihrem Verhalten
doch als einzigartig erkennbar sind. Menschen haben keine Subjektivität
in gleicher Weise wie sie eine Persönlichkeit besitzen. Subjektivität
bildet sich in jeder einzelnen Situation erneut aus, doch unsere
Persönlichkeit beeinflusst, wie wir in Situationen reagieren, ob wir
bspw. tendenziell eher konfrontativ oder vermittelnd eingreifen. Unsere
Persönlichkeit ist es, über die wir Kontrolle erlangen müssen,
wenn wir nicht wieder und wieder auf die gleiche Art und Weise reagieren
wollen. Der Pragmatismus formuliert ein reflexives Individuum, das
transaktionalen, situativen Subjektwerdungen unterliegt, auf Basis derer es
die individualisierende Funktion seines Geistes aktivieren kann. In
kontinuierlichen Erfahrungsprozessen kann es gelingen über die eigenen
gesellschaftlichen Prägungen und Selbstverständlichkeiten
hinauszuwachsen. Dies stellt sich langfristig als ein Prozess der
Persönlichkeitsentwicklung dar, im Sinne eines bewussten Umgangs mit den
eigenen als negativ empfundenen Persönlichkeitsmerkmalen. Aber
Persönlichkeitsentwicklung wäre unvollständig ohne eine Reflexion
über den Sinn des gesellschaftlichen Daseins, also ohne ein Nachdenken
über die Frage, was Gemeinschaft bedeutet, in welchem Maße der Mensch
und damit man selbst auf Gemeinschaft angewiesen ist, wo die Grenzen von
Vergemeinschaftungsprozessen naturgemäß verlaufen, also auch die
Grenzen sozial akzeptablen Verhaltens.
Diese Ansprüche müssen letztlich aber auch an die Arbeit des
Wissenschaftlers angelegt werden. Laut Luc Boltanski und Eve Chaipello (2003:524) erwächst Kritik aus Empörung. Empörung erwächst aber
nicht aus unserer gesellschaftlichen Position als Wissenschaftler. Unsere
Persönlichkeit ist es, die die Schwelle bestimmt, ab der wir uns
empören, die uns gleichzeitig aber auch auf einen Weg bringt, mit dieser
Empörung umzugehen. Das bedeutet: nur, wenn wir uns selbst als
Persönlichkeit ernst nehmen, dann können wir auch als Wissenschaftler
Kritik üben und unterliegen nicht den Launen unseres Selbst. Wir
müssen Verantwortung dafür übernehmen, dass wir, wie alle anderen
Menschen auch, manchmal geneigt sind, willentlich wegzusehen, aber ebenso
dafür, dass wir oftmals die Tendenz haben, uns blindlings zu empören.
Wir können Verantwortung erst dann konkret zuschreiben, wenn wir den
Ursprung unserer Empörung, der naturgemäß ein spezifisches
Ereignis war, genau betrachtet haben.
Es scheint als habe der Hang der Soziologie, ihre Begriffe immer
gesamtgesellschaftlich zu denken, dazu geführt, dass die
„pragmatische Wende“ der Kritik (Celikates, 2009:27) sich
letztlich doch wieder in abstrakten Kategorien einer Soziologie der Kritik (Bogusz, 2010; Peter, 2011) oder denen einer Theorie der Praxis verlor (siehe hierzu Boltanskis Kritik der Bourdieuschen Kritik,
2010:40ff.). Die geographische Kritik kann aber ihren Blick auf konkrete
Beziehungen richten, um bei den konkreten Vorgängen der Praxis zu
bleiben. Damit wird Kritik zwangsweise lokal, sie muss lokale
Entwicklungspfade nachzeichnen, um dann konkrete Geschehnisse, Entscheidungen
oder auch Einzelpersonen für entstandenes Unrecht verantwortlich machen
zu können. Es wird immer Menschen oder Gruppen von Menschen geben, die
Kraft ihrer gesellschaftlichen Stellung zu ihrem persönlichen Nutzen und
zum Nachteil anderer handeln. Auch die entpersonalisierte
poststrukturalistische Macht wird im lokalen Kontext letztlich von konkreten
Personen oder Personengruppen ausgeübt. Dabei ist es von entscheidender
Bedeutung, inwieweit Fragen des Gemeinwohls Berücksichtigung finden. Wenn
sich die Kritik zutraut in derartigen Fällen Verantwortung zuzuschreiben,
kann sie u.E. transformative Kraft entfalten.
Datenverfügbarkeit
Für diesen Artikel wurden keine Datensätze
genutzt.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt
besteht.
Begutachtung
This paper was edited by Benedikt Korf and reviewed by two
anonymous referees.
Literaturak: Dimensionen der Differenz, in: ak, Analyse & Kritik, Zeitung für
linke Debatte und Praxis, 584, 21 June 2013, online aufrufbar:
http://www.akweb.de/ak_s/ak584/51_web.htm (letzter Zugriff:
22 March 2019), 2013.
Asendorpf, J. B. und Neyer, F. J.: Psychologie der Persönlichkeit,
Springer, Berlin, 2012.
Bogusz, T.: Zur Aktualität von Luc Boltanski, VS Verlag, Wiesbaden, 2010.
Boltanski, L.: Soziologie und Sozialkritik: Frankfurter Adorno-Vorlesungen
2008, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 2010.
Boltanski, L. und Chiapello, É.: Der neue Geist des Kapitalismus, UVK
Verlagsgesellschaft, Konstanz, 2003.
Boltanski, L. und Thévenot, L.: Über die Rechtfertigung. Eine
Soziologie der kritischen Urteilskraft, HIS, Hamburg, 2007.
Butler, J.: The Psyche of Power: Theories in Subjection, Stanford University
Press, Stanford, 1997.
Butler, J.: Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity,
Routledge, New York und London, 1999.
Celikates, R.: Kritik als soziale Praxis: Gesellschaftliche
Selbstverständigung und kritische Theorie, Campus, Frankfurt a.M., 2009.Delfin, R.: Former Miss Belgium Anke Van dermeersch: Islam Threatens Women's
Rights And Muslim Immigration Must Be Stopped, in: Critical Beauty, online
aufrufbar:
http://www.criticalbeauty.com/2016/05/former-miss-belgium-anke-van-dermeersch.html
(letzter Zugriff: 22 March 2019), 2016.
Dewey, J.: Kunst als Erfahrung, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1980[1934].
Dewey, J.: Erfahrung und Natur, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1995[1929].
Dewey, J.: Die Öffentlichkeit und ihre Probleme, Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, Darmstadt, 1996[1927].
Dewey, J. und Bentley, A.: Knowing and the known, in: Later works 1925–1953,
vol. 16, Herausgeber: Boydson, J. A., Southern Illinois University,
Carbondale, 97–209, 1991[1949].Dzudzek, I.: Unternehmen oder Unvernehmen? – Über die Krise des
Kreativsubjekts und darüber hinaus, Geogr. Helv., 68, 181–189,
10.5194/gh-68-181-2013, 2013.Dzudzek, I. and Strüver, A.: Editorial Subjectivities in crisis,
Geogr. Helv., 68, 145–152, 10.5194/gh-68-145-2013, 2013.
Edlinger, T.: Der wunde Punkt. Vom Unbehagen an der Kritik, Suhrkamp, Berlin,
2015.
Everts, J., Lahr-Kurten, M., und Watson, M.: Practice matters! Geographical
inquiry and theories of practice, Erdkunde, 65, 323–334, 2011.
Frank, M.: Subjekt, Person, Individuum, in: Die Frage nach dem Subjekt,
Herausgeber: Frank, M., Raufet, G., und van Reijen, W., Suhrkamp, Frankfurt a.M.,
1988.
Foucault, M.: Technologien des Selbst, in: Technologien des Selbst, Herausgeber: Martin,
L. H., Gutman, H., und Patrick H. H., S. Fischer Verlag, Frankfurt
a.M., 24–62, 1993[1982].
Foucault, M.: Die Regierung des Selbst und der anderen: Vorlesung am
Collège de France 1982/83, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 2009[1982/83].
Foucault, M.: Hermeneutik des Subjekts: Vorlesung am Collège de France
1981/82, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 2016[1981/82].
Geertz, C.: Dichte Beschreibung: Beiträge zum Verstehen kultureller
Systeme, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 1987.
Hillebrandt, F.: Soziologische Praxistheorien, eine Einführung, Springer
VS, Wiesbaden, 2014.
Joas, H.: Sind die Menschenrechte westlich?, Kösel, München, 2015.
Jonas, H.: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die
technologische Zivilisation, Insel Verlag, Frankfurt a.M., 1979.
Keller, R.: Assoziationen: Über Subjektprobleme des Poststrukturalismus
und die Perspektive der Wissenssoziologischen Diskursanalyse, in: Wer oder
was handelt? Zum Subjektverständnis der hermeneutischen
Wissenssoziologie, Herausgeber: Poferl, A. und Schröer, N., Springer VS,
Wiesbaden, 67–94, 2014.
Latour, B.: Elend der Kritik: Vom Krieg um Fakten zu Dingen von Belang,
Diaphanes, Zürich, 2007[2004].
Lotter, M.-S.: Scham, Schuld, Verantwortung: Über die kulturellen
Grundlagen der Moral, Suhrkamp, Frankfurt a.M., 2012.
Lutz, M.: Irre – Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen
– Eine heitere Seelenkunde, Gütersloh, Penguin, 2009.
Mead, G. H.: Geist, Identität und Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt a.M.,
1998[1934].
Mounk, Y.: The age of responsibility. Luck, Choice, and the Welfare State,
Harvard University Press, London, 2017.
Münte-Goussar, S.: Dispositiv – Technologien des Selbst – Portfolio,
in: Medien – Bildung – Dispositive: Beiträge zu einer
interdisziplinären Medienbildungsforschung, Herausgeber: Othmer, J. und Weich, A., Springer VS, Paderborn, 109–127, 2015.Peter, L.: Soziologie der Kritik oder Sozialkritik? Zum Werk Luc Boltanskis
und dessen deutscher Rezeption, in: lendemains 36, 73–89, online aufrufbar:
http://www.periodicals.narr.de/index.php/Lendemains/article/download/203/187
(letzter Zugriff: 22 March 2019), 2011.
Reckwitz, A.: Subjekt/Identität: Die Produktion und Subversion des
Individuums, in: Poststrukturalistische Sozialwissenschaften, Herausgeber: Moebius, S. und
Reckwitz, A., Suhrkamp, Frankfurt a.M., 75–92, 2008.
Reckwitz, A.: Kreativität und soziale Praxis, Studien zur Sozial- und
Gesellschaftstheorie, transcript, Bielefeld, 2016.
Saunders, H. H.: Politics is about relationship, Palgrave, New York, 2005.
Schäfer, H.: Die Instabilität der Praxis, Reproduktion und
Transformation des Sozialen in der Praxistheorie, Velbrück Wissenschaft,
Weilerswist, 2013.
Schmidt, R.: Soziologie der Praktiken, konzeptionelle Studien und empirische
Analysen, Suhrkamp, Berlin, 2012.
Schneck, C.: Coaching und Narzissmus, Wiesbaden, Springer, 2018.Schwiter, K.: Neoliberal subjectivity – difference, free choice and
individualised responsibility in the life plans of young adults in
Switzerland, Geogr. Helv., 68, 153–159,
10.5194/gh-68-153-2013, 2013.
Spaemann, R.: Personen. Versuche über den Unterschied zwischen
„etwas“ und „jemand“, Klett-Cotta, Stuttgart, 1996.Steiner, C.: Von Interaktion zu Transaktion – Konsequenzen eines
pragmatischen Mensch-Umwelt-Verständnisses für eine Geographie der Mitwelt,
Geogr. Helv., 69, 171–181, 10.5194/gh-69-171-2014, 2014.Strüver, A.: „Ich war lange illegal hier, aber jetzt hat mich die
Grenze übertreten„ – Subjektivierungsprozesse transnational mobiler
Haushaltshilfen, Geogr. Helv., 68, 191–200, 10.5194/gh-68-191-2013,
2013.
Volbers, J.: Subjektivierung der Erfahrung. Zu Deweys Rekonstruktion der
Subjektivität, in: John Dewey: Erfahrung und Natur, Herausgeber: Hampe, M., de
Gruyter, Berlin, 97–112, 2017.
Weiss, V.: Die autoritäre Revolte. Die Neue Rechte und der Untergang des
Abendlandes, Klett-Cotta, Stuttgart, 2017.
Werlen, B.: Gesellschaft und Raum: Gesellschaftliche Raumverhältnisse
Grundlagen und Perspektiven einer sozialwissenschaftlichen Geographie, EWE, 24, 3–16, 2013.