For the first time since 1945, with the
Extrem rechte und autoritäre Politiken erstarken weltweit. In
Deutschland steht hierfür nicht zuletzt der Aufstieg der
Jüngst sind diverse Beiträge zum Thema erschienen (vgl. Belina,
2020; Hövel, 2018; Klüter, 2020; Mullis, 2021; Oßenbrügge,
2018), die sub
Im Folgenden gehen wir der Frage nach, was die Ursachen des Erfolgs der AfD in Städten sind bzw. in welchen städtischen sozialen Gefügen sie diesen feiert. Ausgangspunkt unserer Fokussierung auf Stadt sind zwei Befunde: Erstens, die AfD feiert in (Groß-)Städten in Ost- und Westdeutschland Erfolge. So kamen etwa in Hessen immerhin rund ein Drittel der knapp 400 000 Zweitstimmen für die AfD bei der Bundestagswahl 2017 aus urbanen Ballungszentren (Belina, 2019); und mit Dresden und Leipzig finden sich zwei Metropolen, in denen die AfD besser als auf Bundesebene abschnitt (Bernet et al., 2019: 13). Zweitens, der Zuspruch zur AfD innerhalb der Städte ist stark polarisiert. Beide Aspekte wurden bisher kaum diskutiert. Indem wir die Diskussion aufgreifen, zeigen wir, dass die Fokussierung auf die städtischen Gesamtergebnisse zu kurz greift und Städte vorschnell als kosmopolite Orte abseits von rechten Raumnahmen verklärt werden. Wir ergänzen hiermit die bisherigen Analysen, die vor allem die Stadt-Land- sowie West-Ost-Polarisierung herausgestellt haben (Kapitel 3). Leitend für die Untersuchung sind die Debatten und Befunde zum Erstarken der AfD (Kapitel 2). Von diesen ausgehend untersuchen wir mittels einer bivariaten linearen Regression (Kapitel 4), inwiefern der Zweitstimmenanteil der AfD mit Indikatoren für sozio-ökonomische Lage, Migration, Zuspruch zur Demokratie und Altersstruktur in Städten korreliert (Kapitel 5). Leitend ist die These, dass in sozio-ökonomisch marginalisierten Stadtteilen die AfD eher gewählt wird als in anderen. Betrachtet haben wir die jeweils größte Stadt je Bundesland. Die Auswahl ist nicht repräsentativ, gibt aber einen guten Eindruck über die Situation im gesamten Bundesgebiet und eröffnet Anschlussmöglichkeiten für weitere Untersuchungen.
Um möglichst einheitliche Daten über alle Städte hinweg zu
haben, wurden die Wahlergebnisse der Bundestagswahl herangeozogen.
Referenzjahr für die Sozialdaten ist 2017. Da es keinen bundesweiten
stadtteilbezogenen Datensatz gibt, barg dessen Zusammenstellung einige
Herausforderungen. Dies vor allem, weil in den Kommunen Indikatoren nicht
einheitlich erfasst sind. Ein statistischer Vergleich zwischen den
Städten ist deshalb nicht möglich. Aussagen lassen sich nur für
die Zusammenhänge innerhalb der Städte treffen. Insgesamt hat sich
– in Anbetracht des Forschungsstandes nicht ganz unerwartet – ein
heterogenes Bild ergeben. Weder die sozio-ökonomische Lage noch die
Anwesenheit von Migrant
In der Einstellungsforschung wird für Deutschland auf zwei
gegenläufige Tendenzen verwiesen: Einerseits wird die Gesellschaft
liberaler und extrem rechte Einstellungen nehmen ab; andererseits nimmt die
Polarisierung zu und die extreme Rechte vollzieht einen
Radikalisierungsprozess. Auch sind autoritäre Aggression und
Unterwürfigkeit sowie mitunter klar antisemitische
Verschwörungsmentalitäten verbreitet. Dabei untergraben diese
autoritären Dynamiken demokratische Normen auch jenseits klassischer
rechtsextremer Einstellungen (Decker et al., 2020). Für Matthias Quent
(2019: 55) handelt es sich bei den Bestrebungen von Rechtsaußen um
„einen erbitterten Versuch“, die liberalen Terraingewinne
zurückzudrängen. So seien in den letzten Jahren die Menschen nicht
„massenhaft
Mit der AfD ist eine politische Kraft entstanden, die zum einen Menschen,
die sich von der Demokratie enttäuscht und den Eliten ungehört
fühlen, politisch reintegriert (Heitmeyer, 2018: 212) sowie zum anderen
das in der Gesellschaft vorhandene autoritäre und extrem rechte
Potential an sich bindet (Decker et al., 2020: 74). Die Aktivierung von
Nichtwähler
In der Politikwissenschaft und der Soziologie wird intensiv über die
Ursachen des Erstarkens der extremen Rechten diskutiert (vgl. Mullis und
Zschocke, 2019). Dabei liegt der Fokus auf Globalisierung und Krisen der
Neoliberalisierung (vgl. Geiselberger, 2017). Grundsätzlich bestehen
hier Anknüpfungspunkte zu den in der Humangeographie seit den 1980ern
geführten Debatten zu Dynamiken der Neoliberalisierung (des Städtischen).
Nicht zuletzt wurden hierbei die zunehmende soziale Spaltung sowie Exklusion
aus demokratischer Teilhabe betont (vgl. Brenner und Theodore, 2002).
Umstritten ist indes, ob eher ökonomische Faktoren wie sozialer Abstieg
und Prekarisierung
Diese Ansätze kritisieren Gurminder Bhambra (2017) wie auch Emma Dowling
et al. (2017: 411) dafür, dass (zumindest tendenziell)
sozio-ökonomische Erklärungen „zu Lasten anderer“, die
auf Ungleichwertigkeitsideologien abzielen, priorisiert werden. Konflikte um
Identität und Kultur, um Geschlechterrollen sowie die
Wirkmächtigkeit von Rassismus – die zwar mit sozio-ökonomische
Fragen zusammenhingen, aber nicht auf diese zu reduzieren seien –
würden in ihrer Bedeutung unterschätzt. Diverse Studien
zusammenfassend, argumentiert Holger Lengfeld (2018), dass es das
„Gefühl der kulturellen Bedrohung durch die Zuwanderung von
ethnisch-kulturell fremden Menschen nach Deutschland“ ist, welches für das Erstarken extrem rechter Politiken verantwortlich zeichnet. Diesen Befund stützen Ronald Inglehart und Pippa Norris (2016) in einer
europaweit vergleichenden Studie. Sie arbeiten heraus, dass die einenden
Merkmale von Wähler
Auf der Ebene von Stadtteilen wird über die „Konsequenzen
wachsender ethnisch-kultureller Vielfalt für den sozialen Zusammenhalt“
(Gundelach, 2017: 216) seit Jahrzehnten gestritten. Im Kern stehen sich die
Konflikt- und Kontakttheorie gegenüber (Gundelach, 2017: 210 ff.): Im
ersten Fall wird davon ausgegangen, dass mit zunehmender (ethnischer)
Diversität in Stadtteilen Vertrauen in Gesellschaft ab- und Konflikte
zunehmen und der soziale Zusammenhalt im Zuge von Zuwanderung schwindet. Im
zweiten werden Konflikte nicht negiert, es wird aber betont, dass zunehmender Austausch über die Zeit Misstrauen abbaut und Kontakt einen Beitrag zur Minderung von Ressentiments leistet. Die Debatte hält an,
zumal beide Thesen empirisch bestätigt wurden (Blokland, 2011;
Gundelach, 2017). Beide Positionen sind jedoch nicht unproblematisch, zumal
sie die Kategorie Ethnizität essentialisieren. Darüber hinaus finden
sie die Ursache für die Konflikte beim Auftreten von als Immigrant
Empirische Befunde unterlaufen diese polarisierte Debatte, indem sie die Vielschichtigkeit der sozialen Prozesse offenlegen. Aufgezeigt wurde etwa, dass in Westdeutschland eher sozio-ökonomische Marginalisierung als Prädiktor für die Wahl der AfD ausschlägt, während im Osten Ressentiments stärker ins Gewicht fallen (Deppisch et al., 2019: 78 ff.). Daniel Mullis und Paul Zschocke (2019: 27–29) argumentieren in ihrer empirisch geleiteten Literaturschau dafür, den Erfolg der extremen Rechten multidimensional zu betrachten. Vier Faktoren stellen sie hierfür zentral: Abstieg, Entdemokratisierung, soziale Lage und Rassismus. Abstiegserfahrungen sowie Gefühle der Zurücksetzung seien erstens von Bedeutung, sollten aber nicht alleine sozio-ökonomisch verstanden werden. Es gehe auch um verletzte Männlichkeit oder die Erfahrung von Bedeutungsverlusten der „eigenen“ nationalen Wirtschaftsmacht. Zweitens würden gerade Erfahrungen des Verlustes von demokratischer Einbindung schwer wiegen und viele betreffen. Drittens sei die soziale Lage von Relevanz, zumal „die Bürden wie auch die Ressourcen, um mit der Globalisierung von Kapital und Migration, neoliberaler Individualisierung und Marktansprüchen umzugehen, in der Gesellschaft sehr ungleich verteilt“ (Mullis und Zschocke, 2019: 28) seien. Und viertens müsse der Faktor Rassismus betrachtet werden, zumal dieser das Fundament dafür bilde, dass Verteilungskonflikte überhaupt rassifiziert in weißen Identitätspolitiken artikuliert würden. Die Dimensionen seien nicht aufeinander reduzierbar und keinem der Faktoren könne ein Primat zur Erklärung der gegenwärtigen Tendenzen zugedacht werden.
In den bisher eingeführten Debatten wurden zwei räumliche Polarisierungen hervorgehoben: Zum einen eine Ost-West und zum anderen eine Land-Stadt, wobei die AfD jeweils in Ersterem stärker abschnitt. So erzielte die Partei 2017 in den neuen Bundesländern Spitzenresultate um jeweils ca. 20 % – in Sachsen wurde sie mit 27 % stärkste Kraft –, während sie in den westdeutschen Bundesländern im Schnitt um die 10 % erreichte. Bei den Europawahlen 2019 war das Bild auf Grund von Verlusten der AfD in Westdeutschland noch akzentuierter. Bei den drei Landtagswahlen im Herbst 2019 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen konsolidierte die Partei ihre Ergebnisse bei jeweils rund 25 % (Mullis und Zschocke, 2019: 6–12). Im zweiten Fall wird der Erfolg der AfD im ländlichen Raum hervorgehoben. Die AfD feiert ihre Erfolge insbesondere in „dünn besiedelten Räumen mit Überalterungsproblemen“ (Franz et al., 2018). Es ist die Rede von der „Rache der Dörfer“ (Kaschuba, 2016) gegen die liberalen und offenen Stadtgesellschaften. Larissa Deppisch et al. (2019: 81–84) zeigen hingegen, dass das Bild nicht einheitlich ist: Der Faktor ländliche Region fällt im Osten weit stärker ins Gewicht als im Westen und es sind nicht die „sehr“, sondern die „eher“ ländlichen Regionen, in denen die AfD stark abschneidet.
Zwei Aspekte sind an dieser räumlichen Fokussierung problematisch:
Erstens sind beide Interpretationen geprägt von Ressentiments, wonach
der Erfolg der AfD auf Rückständigkeit, mangelnder Aufklärung
und tradiertem Autoritarismus beruhe (vgl. Förtner et al., 2019; Quent,
2016), womit umgekehrt Städte als kosmopolite Orte mit
gesellschaftsliberalem Fundament verklärt werden. Für die besonders
wirkmächtige Ost-West-Polarisierung argumentiert Quent (2016: 103–107),
dass der Osten des Landes noch immer als „Sonderfall“, als
Abweichung vom „Normalfall“ Westdeutschland gilt. Werden
jedoch soziale und demografische Faktoren als Indikatoren für das
Abschneiden der AfD angelegt, wird offenkundig, dass diese Zuschreibungen
nicht tragen (Franz et al., 2018). „Ein genuiner, womöglich
sogar kulturell bedingter Ost-Faktor“ kann, so betonen Richard Hilmer et al. (2017:27), „nur in begrenztem Maße“ festgestellt
werden. Für Maximilian Förtner et al. (2019: 40) indes ist klar,
„dass ein herkömmliches Verständnis von Stadt und Land
im Sinne homogener und stabiler Räume für das Verständnis der
Geographie rechtspopulistischer Mobilisierungen zu kurz greift.“ Sie
plädieren stattdessen dafür, auf die ungleichen Dynamiken von
Urbanisierung sowie die Herausbildung von Zentralität und Peripherie zu
fokussieren. Zweitens ist die Territorialisierung von gesellschaftlichen
Konflikten problematisch. Stefan Kipfer und Mustafa Dikeç (2019: 45)
betonen, dass die Analyse von ganzen Kommunen letztlich kaschiert, dass
verhältnismäßig tiefe Prozentzahlen bei Wahlen in Städten
eine weit größere Zahl an Menschen im Umfeld der extremen Rechten
bedeuten kann, als hohe in ländlichen Regionen. Gerade für die
Bedrohungslage von marginalisierten Gruppen ist dies bedeutsam. Bernd Belina
(2017: 201) schließt, dass es keinen Sozialraum gibt, der per se vor rechten
Erfolgen schützen würde, noch gebe es
Leitend für die Befragung der Gründe für die Wahl der AfD im städtischen Kontext ist das Plädoyer für eine multidimensionale Analyse. Für Städte gibt es keine einheitlichen Erhebungen zu Einstellungsmustern oder Erfahrungen von Deprivation. Da uns keine Ressourcen für eine eigene Erhebung zur Verfügung standen, müssen wir uns an der bestehenden Datenlage orientieren. Eine Befragung rassistischer Einstellungen oder Abstiegserfahrungen ist uns daher nicht möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass die statistischen Indikatoren in allen Städten erfasst sein müssen. Dies berücksichtigend und im Anschluss an die oben eingeführten Debatten fokussieren wir auf vier Dimensionen:
Die Diskussionen, ob eher sozio-ökonomische oder
identitätspolitische Faktoren ausschlaggebend sind, bilden einen
zentralen Bezugspunkt. Wir fokussieren daher
Zwecks Analyse müssen diese Dimensionen in konkrete statistische
Indikatoren überführt werden. Wir betonen mit Manow (2018: 73), dass
es sich bei Sozialdaten niemals um rein individuelle Verhältnisse,
sondern um soziale handelt. Beispielsweise stehen hohe Arbeitslosenzahlen in
einem Sozialraum nicht nur für viele individuell Betroffene, sondern sie
prägen die soziale Umgebung mit und geben Aufschluss über das Milieu
insgesamt. Dies gilt insbesondere, wenn es sich um so kleinräumige
Einheiten wie Stadtteile handelt. So ist etwa auf Grund von Mietpreisen und
Praxen der Exklusion unwahrscheinlich, dass in einem sehr reichen Viertel
viele Menschen leben, die Arbeitslosengeld II beziehen. Für die
Dimension sozio-ökomische Lage ziehen wir sodann zum einen den Anteil
jener, die Arbeitslosengeld gemäß SGB II beziehen, und zum anderen
den der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten als Indikatoren
heran. Dabei handelt es sich jeweils um den Anteil an der erwerbsfähigen
Bevölkerung im Stadtteil (bzw. in Städten, in denen die
Erwerbsfähigkeit nicht dokumentiert ist, der Bevölkerungsanteil von
15 bis 64 Jahren). Ersteres verstehen wir als Indiz für weniger
wohlhabende Viertel, letzteres als Hinweis für eine verbreitete
Wahrnehmung von Absicherung und Situiertheit. Für die zweite Dimension
Migration greifen wir auf die beiden Indikatoren Anteil an Menschen mit
Migrationshintergrund sowie an Ausländer Manchmal aber auch bis 15, 16 bzw. 20 Jahre.
Orte der Untersuchung sind die Stadtteile der jeweils größten Stadt
je Bundesland im Jahr 2017 (vgl. Tabelle 1 im nächsten Kapitel). Für
die Zusammenstellung des Datensatzes haben wir die statistischen
Jahrbücher der Kommunen sowie deren Wahlanalysen herangezogen. In Kiel
sind die räumlichen Einheiten der Erfassung der Sozialdaten nicht
deckungsgleich mit den Wahlbezirken, weshalb eine Untersuchung nicht
möglich war. Unser Datensatz birgt einige Schwächen: Erstens
bestehen enorme Größenunterschiede zwischen den räumlichen
Einheiten. Wir referenzieren deshalb auf die prozentualen Anteile je
Stadtteil. Jedoch sind gerade in Berlin die Einheiten so viel größer
als in den anderen Städten, dass ein Vergleich kaum sinnvoll und eine
vertiefte qualitative Analyse schwierig ist. Zweitens werden dieselben
Indikatoren nicht in allen Kommunen gleich erfasst und so weisen die Daten
über die Städte hinweg, mit Ausnahme der Wahlbeteiligung, eine
geringe Validität auf. Aus diesem Grund verzichten wir auf einen
statistischen Vergleich zwischen den Städten sowie auf die Analyse
multipler Regressionen. Wir analysieren die Zusammenhänge zwischen den
ausgewählten Indikatoren (unabhängige Variablen) und ihrer Wirkung
auf den Zweitstimmenanteil der AfD (abhängige Variable) je Stadtteil in
den Städten jeweils
AfD-Wahl je Stadt, inklusive Extremwerte und Standardabweichung sowie Anzahl der Stadtteile.
War ein Indikator für einen Stadtteil nicht verfügbar, so wurde der Stadtteil, um einen einheitlichen Grundwert zu garantieren, aus dem Datensatz entfernt:
An dieser Stelle widmen wir uns den empirischen Ergebnissen und setzen diese in Bezug zu den oben eingeführten Debatten. Wir werden nun zuerst die stadtteilbezogenen Wahlergebnisse der AfD in den unterschiedlichen Städten vorstellen, dann die Ergebnisse der linearen Regressionsanalyse beschreiben und diese anschließend diskutieren. Zumal die statistische Auswertung jeweils auf der Ebene der einzelnen Städte verbleibt, gilt: Wenn im Folgenden von „hohen“ oder „geringen“ Anteilen des Stimmenanteils oder eines Indikators die Rede ist, dann bezieht sich dies immer auf die diskutierte Stadt und ist als relative und nicht absolute Beschreibung zu bewerten.
Innerhalb der einzelnen Städte sind die Wahlergebnisse zwischen den Stadtteilen, wie in Tabelle 1 deutlich zu sehen ist, stark polarisiert. In Hamburg und Leipzig beträgt die Differenz zwischen dem höchsten und dem tiefsten Wahlergebnis über 20 %; lediglich in Kiel, Mainz und München liegen sie in unserem Sample unter 10 %, überall sonst ist die Differenz zumindest zweistellig. Die oben bereits angesprochene Polarisierung zwischen Ost- und Westdeutschland wird deutlich sichtbar. Zum einen sind in den Städten Ostdeutschlands die Wahlergebnisse der AfD durchweg höher als in Westdeutschland: Erfurt (18,5 %), Leipzig (18,3 %), Magdeburg (17,6 %) und Rostock (14,7 %) sind die vier Städte mit dem höchsten Zuspruch in unserem Sample. Umgekehrt erzielte die Partei in keiner westdeutschen Stadt ein zweistelliges Resultat – am schlechtesten schnitt sie in Kiel (6,9 %) ab. Zum anderen fällt auf, dass in den Städten Ostdeutschlands in der Tendenz die Polarisierung der Wahlergebnisse (Standardabweichung) stärker ausfällt als im Westen. Besonders auffällig ist Leipzig mit einer Standardabweichung von 6,3. Der niedrigste Zuspruch zur AfD beträgt hier 7,7 % in der Südvorstadt, der höchste 29,5 % in Lausen-Grünau.
Tabelle der Regressionskoeffizienten zwischen den unabhängigen Variablen zu dem AfD-Wahlergebnis in den Stadtteilen je Stadt.
x
In Tabelle 2 sind die Ergebnisse der bivariaten linearen Regressionsanalyse
zusammengefasst. Wichtig ist: Mittels der Regressionsanalyse können wir
nur Aussagen darüber treffen, ob der Anteil an Menschen einer bestimmten
Personengruppe innerhalb eines Stadtteils mit der Wahl der AfD korreliert;
es ist keine Aussage darüber, dass die entsprechende Gruppe auch die
Rechtsaußen-Partei wählt. Aus den aufgezeigten Korrelationen ist
zudem nicht auf Kausalitäten zu schließen – sie geben Hinweise,
sind aber kein Erklärendes. Die Werte des Regressionskoeffizienten sind
getrennt voneinander und wie folgt zu interpretieren: Steigt die
unabhängige Variable auf der Städteebene um einen Prozentpunkt, dann
nimmt bei einem positiven Regressionskoeffizienten der Anteil der Stimmen
für die AfD um den dargestellten Wert des Regressionskoeffizienten zu.
Ein negativer Wert zeigt, dass die Regressionsgerade fällt und der
Zuspruch beim Steigen der unabhängigen Variabel abnimmt. Die
Erklärungsgüte des Modells wurde als signifikant interpretiert, wenn
der
Die Ergebnisse sind heterogen, dennoch lassen sich relevante
Zusammenhänge beschreiben. Am deutlichsten tritt der Indikator
Wahlbeteiligung hervor. Mit Ausnahme von Erfurt, wo kein Zusammenhang
sichtbar wurde, gilt: Je tiefer die Wahlbeteiligung, desto höher der
Zweitstimmenanteil der AfD. In 8 Städten ist der Zusammenhang sehr
signifikant ausgeprägt. In den Städten Berlin (
Für die weitere Diskussion der Ergebnisse folgen wir den vier Dimensionen sozio-ökonomische Lage, Migration, Zuspruch zur Demokratie und Altersstruktur. Dabei binden wir diese an die oben eingeführten Debatten zurück und versuchen uns an einer multidimensionalen Betrachtung. Hier fokussieren wir auch auf die Diskontinuitäten innerhalb der Korrelationen, zumal wir uns aus der Betrachtung der Spannungsverhältnisse Rückschlüsse auf gesellschaftliche Tendenzen erwarten.
Wir beginnen mit der Diskussion der Dimension sozio-ökonomische Lage. Am
deutlichsten ist der SGB-II-bezogene Zusammenhang in München, mit einem
Regressionskoeffizienten von 3,493
In Bezug auf den zweiten Indikator für die sozio-ökonomische Lage,
den Anteil an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, gilt für
unser Sample, dass lediglich in Leipzig und in Frankfurt am Main ein
Zusammenhang mit dem Zweitstimmenanteil der AfD zu beobachten ist. Mit
zunehmendem Anteil steigt in Leipzig die Zustimmung zur AfD, in Frankfurt am
Main hingegen sinkt diese. In beiden Städten ist das Ergebnis zwar sehr
signifikant, der Einfluss auf den Stimmenanteil ist jedoch in beiden
Städten mit
Die auf Migration bezogenen Indikatoren weisen in unserem Sample in vielen
Fällen signifikante Korrelationen auf, fallen aber weniger eindeutig aus
als die oben beschriebenen Indikatoren. Für einen Ost-West-Vergleich
taugt insbesondere der Indikator Menschen mit Migrationshintergrund auf
Grund der Lücken in der Erfassung nicht. Hier ist der Anteil
Ausländer
In Rostock scheint das Bild auf den ersten Blick eindeutig. In keiner
anderen Stadt ist der Zusammenhang zwischen starkem Abschneiden der AfD und
einem hohen Anteil an Ausländer
In Leipzig, dem zweiten Beispiel, ist die starke Polarisierung der Stadt
augenscheinlich. Auf der einen Seite Stadtteile wie Lindenau,
Neustadt-Neuschönefeld, Plagwitz, Volkmarsdorf oder die
Zentrums-Bezirke, wo die AfD im städtischen Vergleich schlecht
abschneidet. Hier ist der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund hoch
bis sehr hoch, jener sozialversicherungspflichtig Beschäftigter eher
tief und die Anteile an SGB-II-Bezieher
Auch im dritten Fall Frankfurt am Main sind Fragen von Gentrifizierung und
Exklusion zentral, wenn auch auf andere Weise. Eine Erklärung, warum der
Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund einen höchst signifikanten
Zusammenhang aufweist, der Anteil Ausländer
Resümierend halten wir für die Dimension Migration fest, dass,
selbst wenn eine Regression auftritt, diese mit Vorsicht zu bewerten ist.
Unser Beitrag zur Kontroverse über die Konflikt- bzw. Kontakthypothese
liegt darin, dass wir dafür plädieren, dass der Anteil an Menschen
mit Migrationshintergrund oder Ausländer
Hinweise auf die Funktionsweise der lokalen Mechanismen gibt es. Johannes
Hillje (2018: 9) etwa beschreibt für AfD-Hochburgen in Städten, dass
Migration dort sehr wohl als das „größte Problem“
benannt wird. Dabei störe vor allem, dass die (angeblich) hohe Zahl an
Migrant
Streudiagramm der AfD-Wahl in West- und Ostdeutschland (ohne Berlin) in Relation zur Wahlbeteiligung jeweils in Prozent je Stadtteil.
Abschließend wollen wir nochmals auf die beiden Dimensionen Zuspruch zur Demokratie sowie Altersstruktur zu sprechen kommen. Bei der Wahlbeteiligung, die wir als Indikator für den Zuspruch zur Demokratie verwendet haben, handelt es sich um das einzige Set an Daten in unserem Sample, das über alle Städte hinweg eine hohe Validität aufweist. Für die Wahlbeteiligung können wir demnach auch einen expliziten Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland vornehmen. Wenn auch unsere Daten noch rudimentär sind, legen die Ergebnisse dennoch nahe, dass das Gefühl, aus demokratischen Prozessen exkludiert zu sein (Heitmeyer, 2018: 177–196; Mullis, 2021: 140–144), in der Ursachensuche für das Erstarken der extremen Rechten im städtischen Kontext stärker gewichtet werden muss. Kein anderer Indikator hat so durchgehend eine Korrelation zu Tage geführt, wie der Zusammenhang zwischen einer niedrigen Wahlbeteiligung und dem starken Abschneiden der AfD. Im Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland (Abb. 1) fällt neben den insgesamt höheren Zweitstimmenanteilen für die AfD im Osten des Landes auch die deutlich größere Spreizung der Wahlergebnisse in Relation zur Wahlbeteiligung auf. Während im Westen eine hohe Wahlbeteiligung ausnahmslos mit einem niedrigen Zweitstimmenanteil der AfD einhergeht, gilt dies für Ostdeutschland nicht. Wir beobachten also im städtischen Kontext ein Phänomen, das auch für die Landtagswahl in Thüringen 2019 beschrieben wurde (Richter et al., 2019: 12): Ein starkes Abschneiden der AfD mit gleichzeitig (sehr) hoher Wahlbeteiligung – wenn auch es im Osten Stadtteile gibt, wo die Wahlbeteiligung sehr hoch ist und die AfD kaum Zuspruch erhält. Zwei Faktoren dürften für das erstgenannte Phänomen verantwortlich zeichnen: Zum einen, dass die AfD mancherorts ihr Potential insbesondere aus Angehörigen der vermeintlichen bürgerlichen Mitte zieht, die in Stadtteilen leben, wo die Wahlbeteiligung immer schon höher war; zum anderen, dass die autoritäre Reintegration durch die AfD mancherorts vormalige Rückstände in der Wahlbeteiligung wettmacht.
Hinsichtlich der Altersstruktur erweist sich gerade der Jugendquotient als
relevante Größe, dies zeigt sich vor allem in Rostock (0,553
In der getrennten Betrachtung der Indikatoren geht ein Ergebnis der
Untersuchung unter: Insbesondere für Erfurt aber auch für Berlin,
Magdeburg, Mainz, Saarbrücken und Stuttgart haben die gewählten
Indikatoren kaum signifikante Korrelationen zu Tage geführt. In diesen
Städten ist das Bild fragmentierter und schwieriger zu interpretieren.
In Erfurt, wo der Stimmenanteil für die AfD insgesamt sehr hoch ist,
liefert mit Ausnahme des Altenquotienten (0,137
Wir haben in diesem Beitrag nach der Wirkmächtigkeit der vier Dimensionen sozio-ökonomische Lage, Migration, Zuspruch zur Demokratie und Altersstruktur auf den Anteil der Zweitstimmen der AfD bei der Bundestagswahl 2017 in Städten gefragt. Mit unserer Analyse der Wahlergebnisse sowie von Sozialdaten auf der Ebene von Stadtteilen in der jeweils größten Stadt je Bundesland können wir vier Aspekte darlegen. Erstens, Städte sind hinsichtlich des Zuspruchs zur AfD erheblich und kleinteilig polarisiert; sie sind somit, zweitens, bei weitem nicht homogene, progressive Orte; drittens divergieren die Gründe der Polarisierung innerhalb der einzelnen Städte; und viertens ist in den Zusammenhängen keine klare Ost-West-Polarisierung auszumachen.
Grob können aus den untersuchten Städten zwei prototypische
Stadtteile benannt werden, in denen die AfD stark abschneidet: Erstens, und
dies ist das prägendste Muster in unserem Sample, Stadtteile, die
sozio-ökonomisch marginalisiert, von einem hohen Anteil an Migrant
Deutlich wird, dass die gesellschaftlichen Bruchlinien des Erstarkens der extremen Rechten nicht nur zwischen Ost- und West sowie Stadt und Land, sondern eben auch mitten durch die Städte in Ost wie West verlaufen. Das für die Städte gezeichnete Bild ist ein weiterer Beleg dafür, dass es den Osten und den Westen so nicht gibt. Unterschiede sind nicht zu negieren, sie lassen sich aber keinesfalls auf binäre Territorialisierungen reduzieren. Mit Blick auf die Ursachensuche für das Erstarken der extremen Rechten in Deutschland ist uns Folgendes wichtig: Die polarisierte Debatte, ob nun eher sozio-ökonomische oder identitätspolitische Faktoren ausschlaggebend sind, ist nicht zielführend. Die Ergebnisse deuten darauf, dass keinem der Indikatoren ein Primat zugesprochen werden kann und sie in ihrer Multidimensionalität und Wechselwirkung zu betrachten sind. Gezeigt haben wir insgesamt, wie wichtig es ist, politische Prozesse auch in eher kleinen räumlichen Skalen zu betrachten. Dennoch, letztlich stoßen auch wir mit den statistischen Methoden an Grenzen. Die wichtige Frage nach Prozessen der Willensbildung, wie genau die verschiedenen Indikatoren wirkmächtig werden und ob – und wenn ja, wie – sie für die Menschen von Relevanz sind, lässt sich nur mittels qualitativer Forschung vor Ort herausarbeiten. Das bisweilen heterogene Bild unserer Erhebung zeigt: Es bedarf des lokal spezifischen Wissens, wenn die Muster entschlüsselt werden sollen – nur so kann das Bild schlüssiger und zugleich komplexer werden.
Der Datensatz ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Beitrags im Prozess der Veröffentlichung. Voraussichtlich im Juni 2021. Für Rückfragen kontaktieren Sie bitte Jan Lucas Geilen (geilen@students.uni-marburg.de).
Das Vorhaben wurde von den Autoren gemeinsam entwickelt und umgesetzt. Entstanden ist es im Rahmen eines Praktikums an der HSFK im Projekt „Alltägliche politische Subjektivierung und das Erstarken regressiver Politiken“. Die statistischen Auswertungen sowie die Zusammenstellung des Datensatzes wurden von JLG vorgenommen.
The authors declare that they have no conflict of interest.
Wir bedanken uns bei den anonymen Gutachter
This paper was edited by Nadine Marquardt and reviewed by three anonymous referees.