Book review: Smart City – kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten
Bauriedl, S. und Strüver, A. (Hrsg.): Smart City – kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten, transcript, Bielefeld, 364 pp., ISBN 978-3-8376-4336-7, EUR 29,99, 2018.
Dass die Zeit reif sei für die Digitalisierung von Städten ist schon
lange nicht mehr nur die Überzeugung großer IT-Konzerne, sondern
auch in Stadtverwaltungen, Universitäten und Bürger*inneninitiativen
Thema. Viele Hoffnungen knüpfen sich an die Vorstellung einer Stadt, die
mithilfe von Echtzeitdaten gesteuert wird: Effizienz, Wirtschaftswachstum,
Nachhaltigkeit – mehr Lebensqualität für alle. Smart Cities
scheinen – ungeachtet der Unklarheit darüber, was genau darunter zu
verstehen ist – eine Möglichkeit zu bieten, bei relativ geringem
finanziellen Aufwand auf zahlreiche Herausforderungen zu reagieren, was in
Zeiten der Austerität ein fast unschlagbares Argument ist. Doch das
Konzept steht auch in der Kritik: vorangetrieben von den Interessen
großer Konzerne ist diese technikgeleitete Vision von Stadt vorrangig
wirtschaftlichen Vorteilen verschrieben, birgt die Gefahr der
Überwachung und Segregation und macht Städte abhängig und
angreifbar. Gleichzeitig bietet die Digitalisierung von Städten
vielleicht aber auch die Chance auf emanzipatorische Veränderungen.
Diesen Fragen will auch der hier rezensierte Sammelband nachgehen. Dazu beschäftigen sich die Autor*innen in einem breiten Themenfeld sowohl mit Kritiken an der Smart City als auch mit Möglichkeiten einer alternativen Gestaltung von Digitalisierung. Im Zentrum steht dabei die Frage nach dem „Wie“ der smarten Stadt. Wie wirkt sich die Digitalisierung auf urbane Raumproduktionen und Raumnutzungen aus; wie sind also einerseits die Städte, andererseits deren Bewohner*innen von den räumlichen Auswirkungen der Digitalisierung betroffen? Welche Rolle spielen dabei Unternehmen und welche politischen Folgen sind zu erwarten? Ohne Technologien per se als feindlich zu betrachten, wird an verschiedenen Stellen analysiert, wie diese die Vorstellungen von Stadt normieren und universalisieren. Im Folgenden werden verschiedene zentrale Aspekte des Sammelbandes ausführlicher thematisiert, die an diese Fragen anknüpfen. Dazu werden exemplarisch passende Beiträge vorgestellt.
Zunächst jedoch zur Form: Die Einleitung gibt einen Überblick über Aspekte und Stoßrichtungen kritischer Auseinandersetzungen mit Smart City, so dass die verschiedenen Beiträge in einen gemeinsamen Kontext gestellt und Verbindungslinien aufgezeigt werden. Zwar werden dabei die Kapitelinhalte nicht im Einzelnen vorgestellt und auch die Einteilung der Sektionen ist nicht immer trennscharf, die Orientierung im Buch fällt aber durch eine übersichtliche Gestaltung dennoch leicht. Zudem sind die Beiträge sprachlich sehr zugänglich und stellen kompakt ihre zentralen Punkte dar, wenn auch mancherorts etwas knapp. Auflockernd für die Lesenden ist die Einstreuung von Beiträgen, die stärker kreativ gestaltet sind, so z.B. der Spaziergang mit Fitnessarmband von Strüver (S. 139ff.), in dem persönliche Erfahrungen und Ergebnisse qualitativer Untersuchungen elegant mit theoretischen Ansätzen verbunden werden. So entsteht ein vielschichtiges Bild des self-trackings, das unsere Selbstwahrnehmung statt über Gefühle mithilfe von Daten steuert, aber auch der damit zusammenhängenden Form des Regierens, die über die Steuerung der Umgebung Verhalten kontrollieren will.
Inhaltlich ist u.a. der Beitrag zum informationellen Recht auf Stadt von Shaw und Graham (S. 177ff.) zentral, in dem sie Lefebvres Argumentationen für die digitalisierte Stadt weiterdenken. Dabei integrieren sie in das Recht auf Stadt das Recht auf Information, da dieses „heute einen komplexeren Aspekt des politischen Kampfes darstellt, als Lefebvre das seinerzeit begreifen konnte“ (S. 178). Urbane Kämpfe um Gerechtigkeit müssen die Digitalisierung und ihre Auswirkungen mit einbeziehen, statt sich ihr entgegen zu stellen. Das machen Shaw und Graham anschaulich deutlich, indem sie die Macht, die Google in und über Städte/n ausübt, sezieren und Möglichkeiten des Widerstands aufzeigen. Dass es sich bei dem Beitrag um die Übersetzung eines bereits 2017 erschienenen Artikels handelt (Shaw and Graham, 2017), wird leider nur im Kapitel von Bäckermann (S. 275ff.) deutlich, die die von Shaw und Graham aufgestellten Forderungen nach einer Google-freien Stadt greifbar zu machen versucht und dabei darüber nachdenkt, wie die Auswirkungen digitaler Handlungen in der physisch-materiellen Wirklichkeit wahrnehmbar gemacht werden können. Konkrete alternative Gestaltungsmöglichkeiten werden darüber hinaus vor allem aufgezeigt von Semsrott (S. 205ff.), der mit Verve Stadtverwaltungen dazu aufruft, offene Codes zu verwenden, und von der Gruppe city/data/explosion (S. 261ff.), die verschiedene Projekte vorstellt, die Digitalisierung partizipativ und Commons-basiert denken. Damit bietet der Sammelband skizzenhaft Anhaltspunkte für eine alternative Smart City Gestaltung, die weiterentwickelt werden können.
Auch Becker (S. 249ff.) wendet sich Alternativen zu, wenn er eine Open-Data-Initiative empirisch untersucht. Eine solche Herangehensweise bleibt im Buch in der Minderheit. Viele Beiträge nähern sich der Smart City auf theoretischer Ebene oder untersuchen die Logiken und Wirkungen bestimmter Technologien oder Fallbeispiele. So analysiert z.B. Runkel (S. 127ff.) in seinem Beitrag technische Möglichkeiten, die zum Bevölkerungsschutz eingesetzt werden. Die geringe Anzahl qualitativer Forschungen kann sicher auch als paradigmatisch für die Unterfinanzierung von kritischer Forschung zu Smart City betrachtet werden, die Bauriedl (S. 75ff.) in ihrem Beitrag zu Reallaboren beschreibt. Für weitere Untersuchungen wäre es erstrebenswert, stärker empirische qualitative Forschungen durchzuführen, um insbesondere die Auswirkungen auf verschiedene (marginalisierte) Positionen in der Gesellschaft miteinzubeziehen.
Besonders stark ist das Buch in seiner Kritik an den der Smart City zugrundeliegenden Vorstellungen von Stadt als ein durch Daten einerseits darstellbares, andererseits aber auch steuerbares und optimierbares System. Kropp (S. 33ff.) stellt in ihrem Beitrag eindrücklich heraus, dass weder Daten noch Algorithmen so „neutral“ sind, wie in affirmativen Smart City Verständnissen gemeinhin angenommen. Überzeugend weist sie zudem auf die Kontinuität zur „überstanden geglaubte[n] Vorstellung eines durch ingenieurswissenschaftliche Rationalität ermöglichten ‚Masterplans‘ für die urbane Steuerung“ (S. 33) hin, die u.a. auch Frank und Krajewski (S. 63ff.) analysieren. Letztere zeigen dabei auf, dass moderne Stadtplanung schon immer auf einer Pathologisierung der Großstadt aufbaut, was auch für den smarten Urbanismus und seiner Vorstellung der rationalen Steuerung konstatiert werden könne. Am Beispiel des Gesundheitsmonitorings in den USA, das Epidemien vorhersagen soll, erklärt Füller (S. 211ff.), wie eine datenbasierte Steuerung einen Normalzustand kreiert und diesen in die Zukunft weiterschreibt, da digitale Analysen erst im Kontrast zu dem, was als „normal“ gilt, Auffälligkeiten erkennen können. Im untersuchten Falle sei das u.a. problematisch, weil so z.B. chronische Krankheiten als Teil des Normalen definiert werden würden. Insgesamt ergibt sich so im Buch ein facettenreiches Bild der (kritikwürdigen) Vorstellungen, die der Smart City zugrunde liegen.
Ebenfalls sehr überzeugend wird im Kanon der Beiträge deutlich, welche Auswirkungen Smart City auf Demokratie und Partizipation auch jenseits des Einflusses von Konzernen auf Stadtgestaltung hat. Die Implementation smarter Technologien ist meist kaum nachvollziehbar und wenig partizipativ. Lindner (S. 161ff.), der Schnittstellen zwischen Körpern und Smart City betrachtet, spricht von einer drohenden Entpolitisierung, da Smart City auf einer Responsibilisierung der Subjekte aufbaue, die auch strukturelle Probleme zu scheinbar individuellen Herausforderungen mache. Unter dem Versprechen von mehr individueller Autonomie verstecke sich eine „biopolitische governance unter den Rahmenbedingungen eines libertären Paternalismus“ (S. 164). Darüber hinaus werden Stadtentwicklungen häufig nicht vom Notwendigen, sondern vom technisch Möglichen geleitet. So stellen Späth und Knieling (S. 345ff.) beim mySMARTLife Projekt in Hamburg neben negativen Effekten auf die Demokratie eine „Verengung auf technologische Lösungen“ (S. 351) fest.
Weitergeführt werden könnte diese Kritik mit einem stärkeren Blick auf andere Machtverhältnisse und Diskriminierungsachsen, die Ausschlüsse und Ungleichheiten produzieren, und die die Smart City zumindest aufrechterhält oder sogar verstärkt. Im Sammelband finden sich dazu insbesondere Ansätze bei Carstensen (S. 309ff.), die sich mit Geschlechterungleichheiten beschäftigt. Rose (S. 43ff.) wirft bei ihrer Untersuchung von Werbevideos die Frage auf, ob Smart City Visionen maskulinistisch seien. Hier wären weitere Forschungen zweifelsohne wünschenswert. Hervorzuheben ist der unbedingt lesenswerte Beitrag von Rosol, Blue und Fast (S. 87ff.). Aufbauend auf Nancy Frasers Verständnis von Gerechtigkeit, in dem Umverteilung, Anerkennung und Repräsentation als deren drei wesentliche Aspekte gefasst werden, untersucht dieser bestehende Kritiken an Smart City. Dabei wird deutlich, dass diesen meist ein materielles Verständnis von Gerechtigkeit zugrunde liegt und Repräsentation zumindest in Form von Partizipation mitgedacht wird; jedoch werde die Auswirkung „von Herkunft, Geschlecht und anderen Achsen sozialer Differenzierung in der kritischen Smart-City-Literatur noch stark vernachlässigt“ (S. 90). Ein ähnliches Verhältnis findet sich auch im Sammelband wieder. Für die weitere Diskussion in der kritischen Stadtforschung wäre eine noch stärker intersektionale Perspektive geraten, die die Auswirkung der Entwicklung zur Smart City auf verschiedene hierarchische Verhältnisse und deren Verschränkungen analysiert. So könnten entstehende „digital divides“ umfassender begriffen werden und gleichzeitig der Fokus auf eine gerechte Stadt für Alle gerichtet werden, in der Digitalisierung nur ein Prozess unter vielen ist. Dabei könnte auch die in der Einleitung aufgestellte Forderung, Digitalisierung verschränkt mit anderen Prozessen wie Gentrifizierung oder demographischem Wandel zu betrachten, deutlicher verfolgt werden. Ebenfalls sollte Forschung zu und insbesondere aus dem Globalen Süden eingeschlossen und sichtbar gemacht werden, was im Sammelband nur der Beitrag von Eichenmüller und Michel (S. 99ff.) explizit tut, der sich mit der indischen Smart City Mission im Kontext kolonialistischer Stadtplanung beschäftigt. Die Notwendigkeit einer breiteren Analyse, die über europäische und nordamerikanische Städte hinausblickt und einzelne Fallbeispiele detailliert betrachtet, macht auch der Beitrag von Straube und Belina (S. 223ff.) zu Predictive Policing deutlich, die herausstellen, wie unterschiedlich polizeiliche Prognoseprogramme je nach Kontext gestaltet und angewendet werden.
Insgesamt ist der Sammelband äußerst lesenswert. Er versammelt verschiedene Perspektiven der kritischen Stadtforschung, die einen guten Überblick über den aktuellen (vor allem deutschsprachigen) Stand der kritischen Debatte um Smart City geben. Die anderswo weitgehend euphorische und affirmative Debatte wird auf Höhe der aktuellen Forschung fundiert kritisiert, wobei gleichzeitig Ansätze für alternative Gestaltungen von Digitalisierung aufgezeigt werden. Das war fraglos nötig und muss weitergeführt werden, denn, so formulieren es die Herausgeberinnen,
die Zukunft wird nicht ausschließlich durch technologische Machbarkeiten bestimmt; sie wird das Ergebnis von politischen Entscheidungen sowie gesellschaftlichen wie individuellen Aushandlungsprozessen und vielleicht auch Kämpfen sein. Eine gesellschaftliche Debatte zu den aktuellen Dynamiken der Digitalisierung in Städten ist daher dringend notwendig. (S. 12)