Articles | Volume 80, issue 4
https://doi.org/10.5194/gh-80-441-2025
https://doi.org/10.5194/gh-80-441-2025
Standard article
 | 
18 Nov 2025
Standard article |  | 18 Nov 2025

Zwischen Flexibilisierung und Stillstand. Raumzeitliche Arrangements und soziale Ungleichheiten in der Auslagerung von Hausarbeit über städtische Lieferdienste

Yannick Ecker, Hannah Emmy Schnelle, and Josephine Mosch
Kurzfassung

In the course of the Covid-19 pandemic, class diagnostic narratives surrounding an emerging servant economy gained traction also in Europe. Especially grocery and food-delivery services in larger cities became emblematic for an urban middle class compensating spatio-temporally unbounded working days and unmet reproductive needs with an externalization of housework and risk. However, a conceptual gap can be observed between the macro-structural analysis of the crises of social reproduction as a result of activating labor market policies and insufficient public service provision and the empirically-observed forms of household-related logistics services. To address this gap, the contribution proposes to focus on the spatio-temporal arrangements of domestic reproductive models and applies this perspective using a case-reconstructive hermeneutic analysis of qualitative interviews. We conclude with a theoretical and research programmatic reflection on how such a geographic perspective on housework can contribute to a transversal labour geography in the field of delivery work.

Share
1 Einleitung

Im Zuge der Covid-19-Pandemie spitzten sich Diskussionen um eine neue „Dienstbotenökonomie“ (Tlusty, 2021) und Fragen der Klasse auch in Europa zu. Besonders Lebensmittellieferdienste in Großstädten wurden zum Sinnbild einer urbanen Mittelklasse, die auf die Belastungen eines raumzeitlich entgrenzten Erwerbsarbeitstages und unerfüllter Reproduktionsbedarfe mit der Auslagerung von Hausarbeit und Risiko reagiert. Die pandemischen Umstände stellten somit den vorläufigen Höhepunkt einer in den 2010er Jahren boomenden Plattformökonomie dar. Diese bot sich an als „Fix“ (Van Doorn, 2022) für eine in Bedrängnis geratene Sphäre der Wiederherstellung menschlicher „Arbeits- und Lebenskraft“ (Jürgens, 2006). Inzwischen konsolidiert sich die Branche um wenige Unternehmen, die Haushalten auf der urbanen letzten Meile des Einzelhandels mit Click and Collect-Optionen in Supermärkten, vorgepackten Kochboxen und Lieferangeboten Entlastungen versprechen.

In der wissenschaftlichen Betrachtung gibt es dabei eine zunehmende Vielzahl von oft arbeitsgeographischen und -soziologischen Auseinandersetzungen mit den verschiedenen bezahlten Formen der so entstehenden Lieferarbeit (u. a. Heiland, 2022; Fuchs et al., 2022; Orth, 2022; Ecker und Strüver, 2022; Fuchs et al., 2024). In der Betrachtung der nutzenden Haushalte liegt jedoch noch immer eine relative Leerstelle vor (zu den wenigen Ausnahmen, z. B. Bissell, 2020). Hierbei ist auch eine konzeptionelle Lücke zu beobachten: Auf der einen Seite steht die oft makrostrukturelle Analyse einer Krise der sozialen Reproduktion als Produkt aktivierender Arbeitsmarktpolitik und unzureichender öffentlicher Daseinsvorsorge (Jürgens, 2010; Winker, 2015; Bhattacharya, 2017; Huws, 2019; Altenried et al., 2021a); auf der anderen Seite liegt der meist weniger konzeptionalisierte und empirisch betrachtete häusliche Alltag der Nutzung haushaltsnaher Logistikdienstleistungen. Dabei müsste eine Behauptung zur Relevanz dieser Lieferdienste oder gar eine klassendiagnostische These (kritisch hierzu Huws et al., 2019:12) auch das subjektive Erfahren von Krisenmomenten und deren Übersetzung in Reproduktionshandeln analysieren. Sie müsste überprüfen, inwieweit und auf welche Weise „ökonomisierte Reproduktionsmodelle“ (Winker, 2015:57) entstehen, die sich systematisch auf eine Auslagerung von Hausarbeit über Lieferdienste stützen.

Im Folgenden legen wir zur Bearbeitung dieser Forschungslücke eine empirische Studie vor, die sich anhand von qualitativen problemzentrierten Interviews in der deutschen Großstadt Elbstadt1 diesen Fragen innerhalb eines wohlfahrtsstaatlichen Kontexts im globalen Norden nähert. Konzeptionell greifen wir hierbei zum einen auf feministisch-geographische Forschungen an der Schnittstelle von Hausarbeit, Technik und doing home zurück (u. a. McDowell, 2004, 2008; Strauss und Meehan, 2015; Schwiter und Steiner, 2020; Marquardt, 2020; Isselstein, 2021; Dowling, 2021; Keller, 2022; Strüver, 2022; Hobbs und Pasch, 2024). Zudem verbinden wir diese mit arbeits- und geschlechtersoziologischen Ansätzen, die für die vergeschlechtlichten und klassenspezifischen Deutungen und Arrangements von Hausarbeit sensibilisieren (u. a. Koppetsch und Burkart, 1999; Solga und Wimbauer, 2005; Wimbauer, 2012; Wischermann und Kirschenbauer, 2015; Motakef und Wimbauer, 2019; Becker et al., 2020). Um die Auswirkungen von Lieferdiensten als Teil eines „Plattformurbanismus“ (Barns, 2019, 2020; Bauriedl und Strüver, 2020; Altenried et al., 2021b) zu beforschen, entwickeln wir in Anschluss an Winker (2015) eine Übertragung des Konzepts des „Reproduktionsmodells“. Winker (2015:56–71) unterscheidet mit diesem Konzept vier Strategien, die quantitativ mit unterschiedlichen Nettoäquivalenzeinkommen und Familienkonstellationen in Verbindung gebracht werden. Von diesen werden in unserem Beitrag drei relevant, die sich in unterschiedlichem Maße auf eine Auslagerung und vergeschlechtlichte Arbeitsteilung von Hausarbeit stützen: das prekäre, das paarzentrierte und das ökonomisierte Reproduktionsmodell.2 Ausgehend von feministisch-geographischen Überlegungen sowie den Arbeiten von Haubner (2024) und Jürgens (2006) fassen wir diese Modelle qualitativ und raumsensibel. Wir begreifen Reproduktionsmodelle als routinisierte Sets von Praktiken, in denen sich Handlungen über das Zurückgreifen auf „Reproduktionsressourcen“ (Jürgens, 2006:207; Herv.i.O.) – z. B. ökonomisches, kulturelles oder soziales Kapital – in einer wiederkehrenden, raumproduzierenden Weise verdichten. Die Nutzung von Fahrrad- und Auto-gestützten städtischen Lieferdiensten für Lebensmitteleinkäufe betrachten wir somit als zusammenhängende Frage nach der räumlichen und vergeschlechtlichten Arbeitsteilung sowie der Restrukturierung reproduktiven Handlungsvermögens. Mittels dieses Analyseansatzes präzisieren wir unser Interesse als Frage danach, welche Faktoren die Integration städtischer Lieferlogistiken in häusliche Reproduktionsmodelle beeinflussen und wie sich diese Integration in raumzeitlicher und sozialer Hinsicht auf die Modelle auswirkt.

Der Beitrag beginnt mit einer Auseinandersetzung mit feministisch-geographischen Arbeiten zur räumlichen Dimension der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung und der Schnittstelle von Hausarbeit und Technik im Zuhause (Kapitel 2.1). Darauf aufbauend zeigen wir, wie diese Perspektiven gemeinsam mit arbeits- und geschlechtersoziologischen Überlegungen dazu beitragen können, das Konzept des Reproduktionsmodells raumsensibel zu wenden und formulieren unsere Forschungsfrage (Kapitel 2.2). Im Anschluss stellen wir das Forschungsdesign sowie über Vignetten drei idealtypische Fallstrukturen der Integration städtischer Lieferdienste in häusliche Reproduktionsmodelle vor (Kapitel 3). Nachfolgend diskutieren wir zur Beantwortung unserer Forschungsfrage quer zu diesen Fallstrukturen die Wechselwirkungen zwischen der Lieferdienstnutzung sowie (a) raumzeitlichen Arrangements und (b) sozialen Ungleichheiten in häuslichen Reproduktionsmodellen (Kapitel 4). Wir schließen mit einer theoretischen und forschungsprogrammatischen Reflexion unseres Beitrags im Bereich der Forschung zu städtischen Lieferdiensten (Kapitel 5).

2 Krise der sozialen Reproduktion und Auslagerung von Hausarbeit

Den Ausgangspunkt unseres Beitrags stellen feministisch-geographische Ansätze zur Betrachtung von Arbeit, Geschlecht und Effekten der Digitalisierung von Hausarbeit dar. In der Folge verbinden wir diese Überlegungen mit dem Begriff des Reproduktionsmodells sowie arbeits- und geschlechtersoziologischen Perspektiven und formulieren unsere Forschungsfrage.

2.1 Geographische Perspektiven auf die Auslagerung von Hausarbeit

Die feministisch-geographische Forschung hat schon früh die inhärente räumliche Struktur der vergeschlechtlichten gesellschaftlichen Arbeitsteilung im Kapitalismus herausgearbeitet (u. a. Hanson und Pratt, 1988, 1995; Massey, 1994; Fraeser et al., 2021). Räumlich prägt sich die Unterscheidung zwischen bezahlter Produktionsarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit sowie die dadurch vermittelte Abwertung und Feminisierung von Hausarbeit in der Dichotomisierung von Öffentlichem und Privatem aus.3 Um die Unsichtbarkeit unbezahlter Reproduktionsarbeit zu überwinden, braucht es demnach eine „transversale“ (Haubner und Pongratz, 2021) Perspektive, d. h. eine umfassende Perspektive, welche unbezahlte Reproduktionsarbeiten nicht aus dem Verständnis von Arbeit ausschließt. Arbeitsbegriffe wie „life-work“ aus der feministisch-geographischen Forschung fassen daher die Gesamtheit der „work involved in producing people, communities and economies“ (Mullings, 2021:152; zum Begriff, Mitchell et al., 2004; Strauss und Meehan, 2015). Aus dieser Perspektive wird die räumlich untermauerte Dichotomisierung von unbezahlter und privatisierter Reproduktionsarbeit und bezahlter öffentlicher Produktionsarbeit selbst als spezifische historische Ausprägung und Konstruktion von „life-work“ lesbar. Die Organisation der Hausarbeit und das Zuhause als Arbeitsort können demnach nicht unabhängig von oder gar ableitend aus der Sphäre der Erwerbsarbeit betrachtet werden. Vielmehr sind die Erwerbsarbeit und andere Praktiken im Öffentlichen von der Organisation und Verhandlung von Beziehungen und Arbeit im Zuhause abhängig (Hanson und Pratt, 1988:309). Die vergeschlechtlichte Organisation häuslicher Reproduktionsarbeit hat dabei immer auch eine räumliche Dimension, in der ein ungleiches Verfügen über Raum-Zeit aufgrund unterschiedlicher Ressourcen und Mobilitäten zum Ausdruck kommt. Insbesondere im Zuge des Übergangs zum Postfordismus wurde bspw. die klassenmäßige Polarisierung zwischen einer wachsenden Mobilität höherbezahlter Angestellter gegenüber ortsgebundenen Beschäftigten im Bereich routinisierter Dienstleistungsarbeit in der geographischen Forschung diskutiert (z. B. McDowell, 2008; Vogelpohl, 2012).

Die eingangs erwähnten strukturellen Bedingungen der jüngeren Krise der sozialen Reproduktion bilden dabei den Rahmen für eine Reihe geographischer Phänomene rund um die Restrukturierung, Auslagerung und Kommodifizierung reproduktiver Tätigkeiten. Zu diesen zählen unter anderem die wachsende Bedeutung der häuslichen Sphäre als Ort bezahlter Sorgearbeit und die Herausbildung transnationaler Care-Chains (Schwiter und Steiner, 2020; Keller, 2022; Strüver, 2022). Die geographische Forschung zu Smart Homes, digitalen Assistenzsystemen und Plattformdiensten verdeutlicht zudem, dass Haushalte zunehmend durch Entlastungsversprechen rund um digitale Technologien adressiert werden (z. B. Marquardt, 2020; Isselstein, 2021; Hobbs und Pasch, 2024). Auch die Lieferdienstnutzung stellt ein solches digitales Versprechen dar. Lieferdienste versprechen, einen Teil der Hausarbeit jenseits der Grenzen zwischen Innen und Außen des Zuhauses zu verschieben und die raumzeitliche Organisation eines Haushalts umzugestalten, etwa in Bezug auf berufsmäßige Pendelstrecken oder Wegeketten. Die Auslagerung von Teilen der Hausarbeit als Ausdruck eines flexibilisierten „doing home“ (Strüver, 2020) spiegelt sich dabei in der Einlagerung von Technik in das Zuhause und deren „Einfluss auf die hier angesiedelten sozialen Praktiken, Beziehungen und Selbstverhältnisse“ (Marquardt, 2020). Geographische Perspektiven sensibilisieren für die Wechselwirkungen zwischen der Aushandlung im Haushalt und der entstehenden Logistikarbeit (u. a. Ecker und Strüver, 2023). Insbesondere für digitale Technologien wurde bspw. diskutiert, wie individualisierte Lösungen das Nachdenken, Handeln und die Wertschätzung in Bezug auf Hausarbeit verändern (Schwiter und Steiner, 2020:9). Als Kehrseite der Auslagerung blicken solche Perspektiven daher auch auf die Einlagerung von Logiken der Logistik in die häusliche Sphäre und die Effekte der Bearbeitung von Fragen der Sorge als Fragen des Transports und der Ver-Sorgung.

Indem wir uns mit der Auslagerung von Hausarbeit rund um das Einkaufen und Kochen über städtische Lieferdienste beschäftigen, fokussieren wir somit einen Teilbereich des breiteren Phänomens der Auslagerung und Kommodifizierung von Hausarbeit. Diese Versprechen einer raumzeitlichen Neuordnung werden in Bezug auf Lieferdienste gegenwärtig insbesondere in der interdisziplinären Debatte um einen entstehenden „Plattformurbanismus“ mitdiskutiert (Barns, 2019, 2020; Hill, 2020; Bauriedl und Strüver, 2020; Altenried et al., 2021b; Ecker und Strüver, 2022). Der Begriff des Plattformurbanismus zielt dabei – an Lefebvre angelehnt – auf die Rekalibrierung sozialräumlicher Begegnung und der alltäglichen Erfahrung in Städten ab (Barns, 2019:9–10). Die entsprechende Forschungsliteratur ordnet den Boom von Plattformdiensten in diesem Bereich explizit als Resultat der Krise der sozialen Reproduktion ein, analytisch stehen jedoch meist die bezahlten Formen der entstehenden Lieferarbeit im Fokus (exemplarisch, Altenried et al., 2021a; Ecker und Strüver, 2023). Und obwohl es sich bei dieser Lieferdienstnutzung um eine explizite Restrukturierung der raumzeitlichen Beziehungen häuslicher Arbeit handelt, gibt es bisher kaum Studien, die die Veränderungen in den nutzenden Haushalten selbst und Effekte auf soziale Ungleichheit in diesem Feld raumsensibel analysieren (zu den Ausnahmen, z. B. Bissell, 2020). Im Folgenden wenden wir uns zur Bearbeitung dieser Lücke an den Begriff des häuslichen Reproduktionsmodells und Befunde der Arbeits- und Geschlechtersoziologie. Über eine raumsensible Lesart fokussieren wir so das im Plattformurbanismus formulierte Interesse am Alltag auf eine spezifische Mesoebene.

2.2 Reproduktionsmodelle als raumzeitliche Arrangements

Für unsere Analyse schlagen wir vor, den soziologisch angelegten Begriff des „Reproduktionsmodells“ (Winker, 2015) zu übertragen und im Sinne einer interdisziplinär interessierten, geographischen Reproduktionsforschung zu erweitern. Winker (2015:56–71) unterscheidet mit diesem Begriff vier idealtypische Strategien zur häuslichen Organisation von Reproduktionsarbeit. Von diesen werden in der vorliegenden Arbeit drei relevant: das prekäre, das paarzentrierte und das ökonomisierte Reproduktionsmodell. Während bspw. im prekären Reproduktionsmodell finanzielle und zeitliche Ressourcen nicht ausreichen, um die Sorge um das Selbst und etwaige andere Familienangehörige gleichzeitig sicherzustellen, kann die Reproduktionsarbeit in überdurchschnittlich einkommensstarken ökonomisierten Reproduktionsmodellen ausgelagert werden, um eine erwerbszentrierte Lebensführung zu ermöglichen. In paarzentrierten Reproduktionsmodellen bildet sich in Fortführung des sogenannten männlichen Ernährermodells hingegen eine meist geschlechterdifferente und Frauen benachteiligende Arbeitsteilung heraus. In dieser wird der „große Teil der Reproduktionsarbeit […] von den Familienmitgliedern selbst in Doppelbelastung getätigt“ (ebd.:61). Der Begriff des „Reproduktionsmodells“ vermittelt dabei zwischen einerseits dem individuellen „Reproduktionshandeln“ (Jürgens, 2006:203) und andererseits der gesellschaftlichen Einbettung von sozialer Reproduktion. Denn in Reproduktionsmodellen verdichtet sich das auf unterschiedliche Ressourcen wie ökonomisches, kulturelles oder soziales Kapital sowie wohlfahrtsstaatliche Ansprüche gestützte Reproduktionshandeln in routinisierten Sets von Praktiken (ebd.:206–207). Besonders in soziologischen Perspektiven wird jedoch, wie Haubner (2024:43) betont, „[d]ie räumliche Dimension der sozialen Reproduktion […] in den Theorien Sozialer Reproduktion bislang nur unzureichend berücksichtigt“. Aus geographischer Perspektive kann daher hinzugefügt werden, dass Reproduktionsmodelle spezifische raumzeitliche Arrangements ermöglichen (Pendeln, Zuhause bleiben, Wegeketten verkürzen usw.) und die sozialen und räumlichen Grenzen reproduktiver Arbeit restrukturieren (unbezahlt/bezahlt, privat/öffentlich usw.).

Arbeits- und geschlechtersoziologische Forschungen machen zudem darauf aufmerksam, dass Reproduktionsmodelle mehr umfassen als die Bereitstellung von Dienstleistungen wie dem Einkaufen oder Kochen (u. a. Koppetsch und Burkart, 1999; Solga und Wimbauer, 2005; Wimbauer, 2012; Wischermann und Kirschenbauer, 2015; Becker et al., 2020). Die Organisation der häuslichen Arbeitsteilung wird in diesen Ansätzen nicht etwa als rationales, mikroökonomisches Kalkül auf Seiten von Haushalten gesehen. Vielmehr werden in Weiterentwicklung geschlechterrollentheoretischer Ansätze heute Geschlechterarrangements und die Betrachtung des weiteren „Lebenszusammenhangs“ (Klenner et al., 2011; Motakef und Wimbauer, 2019) als soziologische Ausgangspunkte genommen. Einem konstruktivistischen Blick auf die Herstellung von Geschlecht folgend laufen in der Organisation eines Haushalts demnach zwei (Re)Produktionsprozesse ab: die miteinander verschlungene Verhandlung und Hervorbringung von Hausarbeit und Geschlecht (Berk, 1985:201). Die Frage nach dem Umgang mit der wachsenden Zeit- und Geldknappheit des „domestic time squeeze“ (Huws, 2019:16) stellt sich somit eingebettet in die u. a. vergeschlechtlichten, rassifizierten und klassenspezifischen Deutungen, Abwertungslogiken und Arrangements von Hausarbeit. Dass Hausarbeit gesellschaftlich feminisiert und rassifiziert verhandelt wird (Gutiérrez Rodríguez, 2014), ist in Aktualisierung einer solchen Perspektive also vielmehr der Ausgangspunkt einer Betrachtung. Diese Überlegungen sensibilisieren dafür, den gesamten Lebenszusammenhang mitzudenken und zu fragen, wie soziale Ungleichheiten im Spannungsfeld gesellschaftlicher Rahmenbedingungen im subjektiven Reproduktionshandeln vermittelt, verstetigt oder aufgebrochen werden.

Unser Vorschlag besteht somit darin, den arbeits- und geschlechtersoziologisch verankerten Begriff des „Reproduktionsmodells“ (Winker, 2015:57) mit der raumzeitlichen Sensibilität für den Haushalt als Scharnier zwischen struktureller Krise und alltäglichen Praktiken zusammenzubringen. Das Konzept des Reproduktionsmodells nutzen wir hierbei für eine raumzeitlich sensible Betrachtung auf Mesoebene. Wir interessieren uns dabei in einem transversalen Sinne für die durch die Lieferdienstnutzung ermöglichten Neujustierungen zwischen Innen und Außen des Zuhauses, Grenzziehungen und Flexibilisierungen von Arbeit. Wir fragen: Welche Faktoren beeinflussen die Integration städtischer Lieferlogistiken in häusliche Reproduktionsmodelle und wie wirkt sich diese Integration auf sie aus? Dabei leiten wir aus den obenstehenden Überlegungen eine Analyseheuristik ab, die auf die Wechselwirkungen zwischen der Nutzung städtischer Lieferdienste und den (a) raumzeitlichen Arrangements sowie (b) Dimensionen sozialer Ungleichheiten in Reproduktionsmodellen blickt.

3 Externalisierung im Lebenszusammenhang betrachtet. Exemplarische Falldarstellungen

Empirisch verfolgt unsere Studie einen relationalen Blick auf die Verschiebung von Arbeit, der verschiedene Räume der Auslagerung von Hausarbeit miteinander in Beziehung setzt (zum Ansatz, Ecker und Strüver, 2023:25–27). Wir führten hierzu in den Jahren 2022/2023 insgesamt 36 problemzentrierte qualitative Interviews durch.4 Bei neun davon handelte es sich um Gespräche mit Gewerkschafter:innen, Supermarktleitungen sowie Unternehmensleitungen von Lieferdiensten für Lebensmittel, die uns Einblicke in die Räume und Implikationen der bei der Auslagerung entstehenden logistischen Dienstleistungsarbeit ermöglichten. Zudem führten wir 27 Gespräche mit über 30 in diversen Haushaltskonstellationen lebenden Personen unterschiedlichen Alters.5 Wir konzentrierten uns bei der Rekrutierung auf Haushalte mit überdurchschnittlichen Nettoäquivalenzeinkommen, bei denen wir zunächst von einem „ökonomisierten Reproduktionsmodell“ (Winker, 2015:58) ausgingen und die systematischste Eingliederung von Lebensmittellieferdiensten in die Organisation der Hausarbeit vermuteten. Diese Zielgruppe ist in unserem Sample v. a. in der Form von heterosexuellen Paarbeziehungen mit Kindern vertreten. Allerdings begegneten wir bei der Rekrutierung auch Personen aus heterogeneren Haushaltskonstellationen, die von dieser aus der Literatur heraus plausibilisierten Zielgruppe abwichen und in denen das Volumen und die Struktur der für den Haushalt anfallenden Hausarbeit unterschiedlich ausgeprägt war (z. B. die Auszubildende in einer Wohngemeinschaft oder der verwitwete Rentner). Aus dem Gesamtsample wählten wir daher für eine Betrachtung im Kontext der Großstadt Elbstadt 18 Interviews für eine Analyse aus, die die vorgefundene Diversität abbilden.

Im Fokus der Analyse stehen weder das Individuum noch der Haushalt oder gar das „Paar“ (Wimbauer und Motakef, 2017). Vielmehr beschäftigen wir uns mit dem „Reden über Praktiken“ (Kruse, 2015:291), um subjektiven Sinn rekonstruierbar zu machen. Wir wenden hierbei das rekonstruktiv-hermeneutische integrative Basisverfahren nach Kruse (2015) an und kombinieren eine Strategie der Inventarisierung mit Kernstellenanalysen (ebd.:570ff.). Aus dieser Auswertung arbeiten wir drei idealtypische und in unserem Sample wiederkehrende Fallstrukturen der Integration von Lieferdiensten in Reproduktionsmodelle heraus, die wir im Folgenden in Vignetten vorstellen. In einem zweiten Schritt – da z. B. nicht Paare, sondern Reproduktionspraktiken und -modelle als Analyseeinheit im Fokus stehen – diskutieren wir die Veränderung raumzeitlicher Arrangements sowie die Auswirkungen auf Dimensionen sozialer Ungleichheiten anhand unserer oben vorgestellten Analyseheuristik quer zu den Fallstrukturen.

Mit dem Forschungsdesign wählen wir einen Zugang, der eine Tiefe, die für die Auseinandersetzung mit doing housework und doing gender hilfreich wäre, gegen eine Breite eintauscht, die uns aufgrund der Zielstellung der Pluralisierung des Denkens über die Krise der sozialen Reproduktion und ihrer Bearbeitung über Lieferdienste nötig erschien. Dabei ist die Arbeit jedoch gleichzeitig nicht breit genug und weist eigene blinde Punkte auf, etwa in Bezug auf eine mögliche längerfristig begleitende Perspektive auf die alltägliche Aushandlung von Praktiken in den Haushalten, regionale Vergleiche zu kleinstädtischen Kontexten oder Haushalte „jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit“ (Peukert et al., 2020). Wie im Fazit diskutiert, sehen wir die Arbeit somit in erster Linie als Beitrag zur geographischen Reproduktionsforschung, der für Herausforderungen sensibilisiert, anstatt deren Lösung zu behaupten.

3.1 Eliza Figura: Stabilisierung von Erwerbs- und Geschlechterarrangements

Eliza Figura (IP16) ist 49 Jahre alt und lebt mit ihrem Ehemann und drei Kindern im Elbstädter Stadtgebiet. Sie hat ein sprachwissenschaftliches Studium abgelegt, war zuletzt jedoch in ihren eigenen Worten mehrheitlich als „Hausfrau“ tätig, während ihr Mann Vollzeit als Angestellter im Dienstleistungsbereich arbeitete. Das Ehepaar lebt bereits seit über 20 Jahren zusammen und die routinierte Organisation des Haushalts kann grundsätzlich als paarzentriertes Reproduktionsmodell beschrieben werden. Die etablierte Arbeitsteilung zwischen den beiden Ehepartner:innen hat dabei eine raumzeitliche Grundierung, da Figuras Mann als Wochenendpendler v. a. vor der Pandemie unter der Woche nicht zu Hause war:

Ja und mein Mann war nicht in Elbstadt sozusagen und das war auch bis 2020 auf jeden Fall so. Er war dort, er kam nur am Wochenende und am Wochenende, wie alle Männer: sie wollen sich was erholen. Ja, und nichts da, keine Einkäufe. Da war ich die ganze Woche alleine und logischerweise war ich zuständig sozusagen am Wochenende, um das zu holen und so Kleinigkeiten.

Figura übernahm in dieser Konstellation bis auf Ausnahmesituationen sämtliche Formen der Hausarbeit. In ihrer Erklärung arbeitet sie hierbei mit vergeschlechtlichten Zuschreibungen von Kompetenzen („wie alle Männer“, „wie alle Frauen“, „bei Männern geht es besser“).

Die Pandemie und begleitende Maßnahmen haben auf zwei Wegen zu einer Refiguration dieses Modells beigetragen. Zum einen ist Figuras Ehemann plötzlich unter der Woche im Homeoffice seiner Erwerbsarbeit nachgegangen. Dabei hat er einhergehend mit der erhöhten Zeit im eigenen Zuhause zunächst angefangen, ab und zu den Wocheneinkauf zu übernehmen. Zum anderen hat Figura seit der Pandemie jedoch auch verschiedene, z.T. spontan anfallende Nebentätigkeiten als Dolmetscherin und Servicekraft im Veranstaltungsbereich aufgenommen, was ihre Zeit für den Haushalt einschränkte. Vor dem Hintergrund dieser veränderten Zeitbudgets und der als „komisch“ wahrgenommenen Pandemieregeln rund um „Masken“ und „Abstände“ entschieden sich die Eheleute dann einen Lieferdienst auszuprobieren. Seitdem machen sie zweimal im Monat einen Großeinkauf über einen Lieferdienst und ökonomisieren diesen Bereich ihres Reproduktionsmodells. Der Lieferdienstnutzung kommt hierbei eine stabilisierende Funktion für die tradierte, vergeschlechtlichte Arbeitsteilung im Haushalt zu. Figura selbst ermöglicht der Dienst einerseits eine bessere Vereinbarkeit ihrer Berufstätigkeit in Teilzeit mit der „Zuständigkeit“ für den Haushalt. Anderseits erlaubt die Nutzung eine stärkere Aktivierung von Figuras Mann für die Hausarbeit zu vermeiden. Die Planung rund um die Wünsche der Haushaltsmitglieder und die zu kochenden Gerichte fällt nach wie vor in Figuras Zuständigkeit: Es ist lediglich die Ausführung des Einkaufszettels, die mit der Pandemie zunächst anteilig an den Ehemann umverteilt und nun ausgelagert wird. Dieses Arrangement wurde durch die Nutzung des Online-Dienstes nicht verändert, was die Ehefrau auch über die Zuschreibung der Computernutzung als männliche Tätigkeit erklärt. Figura nimmt die Nutzung des Lieferdienst hierbei zwar als Entlastung für sich selbst wahr:

Zum Beispiel kann ich länger im Bett bleiben oder ich kann etwas Leckeres kochen. Ja, wo ich dabei sein muss und etwas schon vorbereiten, ja oder einfach eine Tasse Tee oder Kaffee trinken, ja, oder ein Buch lesen. Das, das ist auch für mich und meine seelische Gesundheit sozusagen ja. Wie alle Frauen. Sie brauchen auch ein bisschen Zeit für sich selbst. Und weil sie ständig etwas machen müssen, ja, Wäsche waschen, bügeln oder noch etwas, ja oder putzen, wie immer. Das ist-, es bleibt keine Zeit für sich selbst, ja. Und deshalb ist es für mich wichtig, wenn ich irgendwo die Zeit sparen kann, dass ich das mache.

Gleichzeitig ist die Entlastung de facto jedoch vor allem eine für den Ehemann, der statt der gelegentlichen Übernahme des Wocheneinkaufs den Einkaufszettel nun am Computer zur Lieferung abtippt. Die Lieferdienstnutzung stellt dabei den Zustand vor der zeitweisen stärkeren Einbindung von Figuras Mann in die Hausarbeit wieder her. Zudem ist eine Parallele zu den Auswirkungen der Logistifizierung der Arbeit im Einzelhandel zu beobachten (Ecker und Strüver, 2023:36–37): Die Digitalisierung ermöglicht eine Abspaltung der affektiv-sozialen Komponenten der Arbeit (Planung, Beratung, sozialer Kontakt usw.) von der körperlichen, formalen Einfacharbeit der Ausführung (Packen, Transportieren). Die affektiv anspruchsvollere Arbeit verbleibt – im Spiegelbild zu den Prozessen im stationären Einzelhandel – jedoch vergeschlechtlicht im privaten Haushalt, während die im Öffentlichen stattfindenden Bestandteile abgesondert werden. Die von Figura als „modern“ bezeichnete Technik der „Erleichterung“ geht hier eine Synthese mit tradierten Vorstellungen von Häuslichkeit ein, um eine vergeschlechtlichte Arbeitsteilung zu stabilisieren und zu reproduzieren.

3.2 Philipp Pächter: Mehr Raum für das Selbst

Philipp Pächter (IP19) ist 41 Jahre alt und lebt in einer heterosexuellen Paarbeziehung mit einem gemeinsamen Kind. Er hat kürzlich erfolgreich mit weiteren Partnern ein IT-Start-Up gegründet und damit einen für ihn persönlich großen beruflichen Erfolg erzielt. In seiner diskursiv-reflexiven und sprachlich elaborierten Verhandlung von Biographie und Lebenszusammenhang zeigt sich der Habitus eines modernen dynamischen Kleinunternehmers. Pächters Partnerin arbeitet Vollzeit im höherbezahlten Dienstleistungssektor. Die Konstellation als Karrierepaar bringt einen hohen Zeitdruck für die häusliche und familiale Arbeit mit sich. Sie stellt allerdings auch die Ressourcen für eine Ökonomisierung des Reproduktionsmodells bereit, indem die Familie Teile der häuslichen Reinigungsarbeiten und inzwischen auch Lebensmitteleinkäufe auslagert. Dabei ist Pächter die Abgabe von Mental Load zugunsten des für ihn identitätsstiftenden und lebenserfüllenden Berufs besonders wichtig. Er und seine Partnerin versuchen, die häusliche Arbeit gemeinsam, „sehr, sehr spontan“ und in so kurzen Zeiträumen wie möglich abzuwickeln. Die Aufgaben sind nach eigenen Angaben gleichberechtigt aufgeteilt, wobei sich jedoch eine höhere Einspannung der Partnerin in die Kinderbetreuung zeigt. Beide Partner:innen haben in Pächters Selbstbild ein spontanes, schnelles Agieren verinnerlicht und setzen diese Praxis konfliktfrei auf Augenhöhe um, wie es Pächter in einer typischen häuslichen Bestellsituation beschreibt:

‚Ach, shit, da fehlt was im Kühlschrank. Lass uns doch mal schnell was bei [Name eines Schnelllieferdiensts] bestellen.‘ So ist eine klassische, wirklich eine klassische Bestellung. Dann macht das entweder die [Tabea, Name der Partnerin] oder ich an meinem Smartphone und dann wird die Bestellung eingeklimpert und dann fragt man nochmal zusammen, ähm: ‚Fehlt noch irgendwas?‘ That's it.

Beide Partner:innen besitzen eigene Accounts für die Bestellungen und wechseln sich in der Nutzung der App ab. Dabei zeigen sich Ansprüche der Gleichheit und gegenseitigen Unabhängigkeit innerhalb der Partnerschaft, welche aufbauend auf beidseitiger digitaler Expertise und gegenseitigem Vertrauen ein hohes Maß an Spontaneität und individueller Bedürfniserfüllung ermöglichen. Zentral ist das Motiv der Selbstentfaltung, allerdings in Abgrenzung zu einer Vorstellung von Luxus oder eines Sich-Gönnens. Für Pächter stehen die Selbstverwirklichung durch den Beruf, die höherwertige Freizeitgestaltung und die Vorstellung eines ökologisch nachhaltigeren Einkaufens im Fokus. Um dem gewünschten Selbstbild treu zu bleiben, wird Materielles und Prestige nicht in den Fokus der Erzählungen genommen. Beispielhaft dafür ist das Hadern mit dem Auslagern der häuslichen Reinigungsarbeiten an eine Putzkraft als Distinktionsmerkmal einer besser bemittelten und über die Arbeit anderer Personen verfügenden sozialen Klasse. Diese Auslagerung innerhalb von Pächters Haushalt wird erst nach explizitem Nachfragen erwähnt, und der eigene Anteil an den Putztätigkeiten – alle zwei Wochen – direkt von Pächter ergänzt, um das gewünschte Selbst- und Fremdbild zu bewahren. Die durch das Auslagern der Einkaufs- und Putzarbeiten gewonnene Zeit wird für die eigene Erholung (z. B. Meditieren) und höherwertige Freizeit mit der Familie genutzt. Prägend sind dabei eigene Ansprüche an das Selbst und die Selbstverwirklichung, die gleichwertig bzw. ergänzend zum durch den Beruf dominierten Alltagsleben gesehen werden. Pächter zeigt eine z. B. auch für Selbstständige oder Kreativarbeiter:innen typische Subjektivierung der Erwerbsarbeit und Entgrenzung: Im beruflichen Kontext stört ihn ein Mehraufwand an Zeit weniger als bei häuslicher Arbeit, die er gerne bis hin zur vollständigen Automatisierung aus dem Privaten verdrängen würde.

Die Lieferdienstnutzung gestaltet sich für Pächter so als eine durch die erwerbsbiographische Erfahrung eingebrachte und mittlerweile verstetigte Routine, die für ihn nur sehr schwer wegzudenken ist. Sie ermöglicht Pächter den Raum für die Selbstentfaltung in einem Sinne zu erweitern, der über die funktionale Reproduktion von Arbeitskraft hinausgeht und eigensinnig priorisierte Reproduktionsbedarfe erfüllt (zur Diskussion siehe Kapitel 4.2).

3.3 Katharina Kallert: Körperlichkeit & Krisenbewältigung

Seit dem Tod ihres Mannes wohnt die 70-jährige Katherina Kallert (IP23) allein in Elbstadt. Als ehemalige Drogistin sieht sich die inzwischen berentete Frau in ihrer gegenwärtigen Lebensphase notwendigerweise mit einer Neustrukturierung verschiedener Alltagsbereiche konfrontiert. Ausgelöst durch die schwere Erkrankung ihres Mannes beschreibt Kallert eine Veränderung ihres vormals paarzentrierten Reproduktionsmodells, in dem die Eheleute in ihrem gemeinsamen, traditionell strukturierten Angestelltenhaushalt als komplementäre Gemeinschaft mit vergeschlechtlichten Funktionen agierten. Im Jahr 2018 war zunächst die körperliche Entfähigung ihres Mannes, den Kallert bis zu seinem Tod pflegte, Auslöser für die Nutzung eines Getränkelieferdienstes, denn sie positioniert ihren weiblichen Körper in den langjährig gelebten Einkaufsroutinen als eingeschränkt handlungsfähig. So erwuchs für das Ehepaar der Druck zur Auslagerung der körperlichen Dimension einkaufsbezogener Arbeit: „[I]ch kann jetzt auch keine Getränkekisten schleppen. So als Frau ist das auch ein bisschen unpraktisch“. Eine mobilitätseinschränkende Operation ihrer Hüfte sowie das Lebensende des Mannes führten im Leben von Kallert schließlich erstmals zur Nutzung eines Lieferservices für Lebensmittel, was sie „vor Corona nie gemacht [hat]“. Seitdem hat sich die Rentnerin in die Lieferdienstnutzung eingearbeitet und greift mindestens einmal im Monat auf einen Lieferservice zurück.

Im Leben von Katherina Kallert wird die Lieferdienstnutzung zu einem „Fix“ ihres sich in der Krise befindlichen Reproduktionsmodells, das von äußeren Belastungen – durch die COVID-19 Pandemie und den Tod ihres Mannes –, Einschränkungen des eigenen Handlungsvermögens ihres gebrechlich werdenden Körpers sowie dem daraus resultierenden Anpassungsdruck geprägt ist. Dabei konstruiert sich die ältere Frau an diesem „sehr schwierigen“ Punkt ihres Lebens als entfähigt, tritt allerdings zugleich – in dem ihr eigenen direkten und kurzangebundenen Sprachgebrauch – als stark resilientes Subjekt auf: „Also ich bin niemand, der irgendwie aufgibt oder so. […] Ich habe immer gekämpft in meinem Leben. (lacht) Da werde ich mich auch nicht ändern. (lacht)“. Den sozial-räumlichen Herausforderungen, die sich durch die belastenden Lebensumstände ergeben, begegnet Kallert im Lebensbereich des Einkaufens durch die ökonomisierte Auslagerung der Arbeit des Kaufes von „Waren des täglichen Bedarfs“. Diese Aneignung einer auf Lieferdienste gestützten Einkaufspraxis schafft daher Resilienz im Sinne einer Aufrechterhaltung der Autonomie der älteren Frau. Andere Hausarbeiten erledigt Kallert weiterhin eigenständig und ohne plattformbasierte oder anderweitige Unterstützung.

Die Lieferarbeit wird von Kallert als körperlich anstrengend und männlich vergeschlechtlicht imaginiert. Daher ergibt sich durch den lieferdienstgestützten „Fix“ ihrer reproduktiven Bedürfnisse eine Stabilisierung und Fortsetzung der häuslichen Arbeitsteilung, die in der Partnerschaft mit ihrem Mann vergeschlechtlicht strukturiert war. „Es sind ja meistens junge Männer“, die die Lieferungen ausführen, beschreibt Kallert im Gespräch. So ist es im aktuellen Reproduktionsmodell statt ihrem Mann „der junge Mann vom Lieferdienst, [der] mir die Tüten hinstellt“.

Der Verlust der körperlichen Mobilität – zunächst ihres Mannes und letztlich auch ihrer Selbst – resultiert in einer Krise der routinierten Reproduktionspraxis der Rentnerin, die einen mehrjährigen Prozess raumzeitlicher Veränderungen auslöst, in dem sich die Beziehung von Kallert zu ihrem Zuhause verändert. Die anfängliche Nutzung von Lieferdiensten als temporäre Nischenpraxis für Getränke entwickelt sich im Leben der Rentnerin über die Pandemie hinweg unweigerlich zu einer dauerhaften Lösung, die sie räumlich auf ihren Wohnraum zurückwirft:

Weil das für mich ist ja keine… ich mache das [Lieferdienstnutzung] ja nicht, weil ich, weil ich das bequem haben möchte, sondern weil es einfach ne Notwendigkeit ist. […] Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich auch lieber gerne selber einkaufen gehen.

Kallert verortet sich in ihrer Erzählung im Zuhause als Ort, auf den sie ohnehin durch Krankheit sowie den Alleinstand räumlich einschränkend zurückgeworfen ist. Diesem unfreiwilligen räumlichen Kontrollverlust begegnet sie durch die Auslagerung von Teilen der Einkaufsarbeit, die für sie einerseits eine erhöhte Handlungsfähigkeit bedeuten, gleichzeitig aber den (räumlichen) Kontrollverlust verstärken.6 Während der öffentliche Raum in ihrem Leben zwangsläufig einen immer geringeren Stellenwert einnimmt, gewinnt das Zuhause als Ort an Bedeutung. Dieser fängt als Ort der Sicherheit die mit der körperlichen Entfähigung verbundene Vulnerabilität auf, zugleich steht er für eine bereits vorhandene soziale Isolation und die Gefahr der Vereinsamung. So beschreibt sie: „[…] was einfach so verloren geht, sind diese zwischenmenschlichen Beziehungen, […], dieses Kommunizieren miteinander“. Dieser Verlust äußert sich beispielsweise durch das Wegfallen von kurzen Interaktionen mit Verkäufer:innen im Supermarkt, die für Kallert wichtiger Bestandteil vormaliger Einkaufspraktiken waren. Durch die lieferdienstgestützte räumliche Verlagerung ihrer Einkaufsroutinen verbringt sie mehr Zeit im eigenen Wohnraum und erfährt somit einen Verlust sozialer Interaktion und eine Entfremdung vom öffentlichen Raum. Dennoch erfüllt die Nutzung von Lieferdiensten zugleich zu einer Entlastung und Befreiung von gesundheitlichen Sorgen und löst damit für Kallert ein Gefühl von Selbstbestimmung und Resilienz im Umgang mit dem Altern ihres Körpers aus.

4 Diskussion

Die vorangehenden Falldarstellungen verdeutlichen die Vielschichtigkeit der Strukturmomente, die in der Auslagerung von Einkaufsarbeit über Lieferdienste eine Rolle spielen. Im Folgenden diskutieren wir diese Momente unter Einbezug der weiteren Interviews, um quer zu den Fallstrukturen raumzeitliche Implikationen der Auslagerung und Auswirkungen auf soziale Ungleichheiten zu diskutieren.

4.1 Auslagerung als Flexibilisierung der raumzeitlichen Arrangements von Reproduktionsmodellen

Die Externalisierung von Hausarbeit über Lieferdienste als digitale „Infrastrukturen der Sorge“ (Power and Mee, 2019) ermöglicht eine spezifische raumzeitliche Flexibilisierung des Lebenszusammenhangs, die Implikationen für die Organisation von Zuhause sowie die resultierenden Formen urbaner Alltagsführung hat.

Als Kernmoment und -faktor lässt sich die gesteigerte Verfügbarkeit über Raum-Zeit ausmachen, d. h. Handlungsvermögen in Bezug auf zeitliche und räumliche Muster der Alltagsführung. Auf der einen Seite können wir beobachten, dass die aus der Lieferdienstnutzung resultierende Flexibilisierung eine gesteigerte Verfügbarkeit für die Sphäre der Erwerbsarbeit mit sich bringt. Am eindrücklichsten zeigt sich dies in den durch berufliches Pendeln geprägten Konstellationen, in denen die gewonnene Flexibilität als Ausgleich oder Stabilisator für hoch mobile Lebenszusammenhänge beschrieben wurde (IP11; IP5; IP20). Aber auch abseits von Fragen des beruflichen Pendelns wird die Lieferdienstnutzung wiederholt in Zusammenhang mit Belastungen durch die Erwerbssphäre gebracht. So werden etwa Wege gespart, um in den Abend hinein länger zu arbeiten oder Pausen zu überspringen. Gerade die Erwerbsarbeit im Home-Office bietet sich für eine Kombination mit der Nutzung verschiedener Lieferdienste an (IP12; IP14). Die Nutzung ermöglicht und stabilisiert eine raumzeitliche Entgrenzung der Erwerbsarbeit, wie es die mit Burn-out-Symptomen kämpfende und alleine lebende 27-jährige Carmen Cordes zusammenfasst: „Also es hat mir auch einfach diese Sorge Essen abgenommen“ (IP20). Auf der anderen Seite steht nicht die gesteigerte Flexibilität bzw. Mobilität, sondern das raumzeitliche Vermögen, sich im Zuhause reproduzieren zu können, ohne das Zuhause verlassen zu müssen. Der Fall Kallert – oder verallgemeinert das Zurückgeworfen-Sein auf das Zuhause – veranschaulicht die spezifische Bedeutung, die der Nutzung etwa auch beim alleinlebenden Rentner Werner Wegner angesichts von körperlicher Gebrechlichkeit zukommt: „Ich komme die Treppen kaum hoch. Also zwei Etagen, okay. Nun, mit Einkauf, gar nicht drin. Gar nicht drin.“ (IP22). Das Wegfallen der nachbarschaftlichen Begegnung im Einzelhandelsgeschäft stärkt dabei zwar die gesellschaftlich ohnehin ausgeprägte Unsichtbarkeit alternder Körper durch deren weitere Verdrängung in private (Wohn-)Räume sowie das Potenzial der Vereinsamung (zur Bedeutung nachbarschaftlicher Begegnungen, siehe Enßle et al., 2022:347ff.). Dieses raumzeitliche Arrangement ist jedoch auch ein Gewinn an reproduktivem Handlungsvermögen und sollte nicht als Frage des Alterns verkannt werden. Es begegnete uns bspw. ebenso im Fall der mit Depression kämpfenden und in einer WG lebenden 27-jährigen Auszubildenden Karla Küppers (IP4), die so „besonders schlimme Tage“ abfedert. Aber auch der besonders interaktive Berufsalltag als Krankenpfleger*in oder eine körperlich belastende Schwangerschaft können als Konstellationen gesehen werden, in denen diese raumzeitliche Kippbewegung nötig wird (für ähnliche Befunde für Essenslieferdienste, siehe Bissell, 2020).

In diesen veränderten raumzeitlichen Arrangements steckt dabei eine spezifische Form urbanen Alltags. Besonders in den untersuchten Akademiker:innen-Haushalten unterstützt die Lieferdienstnutzung die teilweise Verwirklichung des Anspruchs an eine egalitärere Haushaltsführung: Sie hilft, das Wohnen in funktionsgemischten, innerstädtischen Quartieren mit Familienfreundlichkeit und Anforderungen der Erwerbsarbeit zu verknüpfen, ohne dabei die Vergeschlechtlichung der betroffenen Hausarbeit grundsätzlich neu zu verhandeln (zu Gentrifizierung und Geschlecht, bspw. Strüver, 2020). Die Nutzung wird so auch als Teil einer ökologisch nachhaltigeren Mobilitätsordnung in Zusammenhang mit dem Verzicht auf den eigenen PKW gebracht (IP14; IP15; IP18; IP21). Wir finden hier eine technikoptimistische Modernisierungserzählung, in der die Etablierung von Lieferdiensten als zeitlich überfällige Ergänzung oder auch effizientere Form des Lebensmitteleinzelhandels gedeutet wird. Etwaige Sorgen über das „Sterben“ des stationären Einzelhandels werden mit Verweis auf alternative Nutzungen als innerstädtische Begegnungsräume in eine positive Erzählung umgewandelt (u. a. IP11; P13; IP15; IP18). Dabei ist es nicht nur der Einzelhandel, der über die Durchsetzung der Lieferdienste fortschrittlicher wird, vielmehr wird das eigene Reproduktionshandeln Ausdruck einer Modernisierung und eines bewussteren Umgangs mit Zeit. So erklärt der 48-jährige und in einem heterosexuellen Paarhaushalt mit Kindern lebende Martin Maurer:

Wenn ich jetzt sage, früher war der Einkauf ein notwendiges Übel, das musste gemacht werden, alles schön, tralala und rumdibumdi. Aber heute ist es halt so, die Prioritäten haben sich im Endeffekt verschoben, dass man heutzutage sagt, hier einkaufen, wenn ich das, wenn ich die Tätigkeit quasi outsourcen kann, in dem ich jemanden dafür bezahle, sag ich, gut, okay, damit ich mehr Zeit hab, ist das doch mehr wert als alles andere. (IP5)

Der so entstehenden urbanen Alltagsführung liegt dabei selbst ein differenziertes Verfügen über Raum-Zeit zu Grunde: Dem normativ aufgewerteten Erweitern des Raums für das eigene Selbst auf der Seite der Nutzenden steht die prekäre, zur Flexibilität gezwungene Mobilität der abhängig beschäftigten Lieferarbeiter:innen gegenüber. Diese räumliche Neuordnung städtischen Alltags bewerten manche Gesprächspartner:innen zwar ambivalent, wenn sie z. B. zu geringe Löhne für Lieferarbeiter:innen oder eingeschränkte Lieferzeiten kritisieren. In der Begegnung mit den – wie es die 80-jährige Heike Hermann formuliert – „sechsmal unterbezahlte[n] arme[n] Kerle[n]“ (IP25), denen fast alle Befragten laut Selbstaussage dankbar Trinkgeld in die Hand drücken, schildern die Befragten oft Anzeichen für Zweifel an den Lieferkonzepten. Gleichzeitig kann dieses reflektierte Unbehagen als z. T. mittelklassespezifisches habituelles Phänomen in unserem Sample gelesen werden und muss insofern eingeschränkt werden, als dass es sich moralisierend nur auf die unmittelbare nahräumliche Begegnung mit den Lieferarbeiter:innen bezieht – und nicht etwa für eine tiefere Kritik an den Arbeitsbedingungen entlang der Lieferketten oder der entstehenden räumlichen Arbeitsteilung steht. Wir sehen somit zwar in keinem Fall, dass die Auslagerung der Arbeit mit einer völligen Ent-Sorgung von Verantwortung einhergeht, sondern vielmehr das besonders die Arbeitsbedingungen ein latentes, leicht problematisier- bzw. politisierbares Thema darstellen. Die Idee, die Reproduktionsarbeit rund um das Einkaufen individuell zu ökonomisieren und auszulagern, wird jedoch überwiegend unkritisch – bzw. meist affirmativ – gesehen.

4.2 Auslagerung als Stillstand? Auswirkungen auf Dimensionen sozialer Ungleichheit

Die Auslagerung von Hausarbeit ist auf unterschiedliche Weise mit sozialen Ungleichheiten in den Reproduktionsmodellen verknüpft, wobei wir im Folgenden Geschlecht und Klasse in den Fokus rücken. Wir gehen dabei auf Motive der feminisierten Abwertung der Arbeit rund um die Organisation und Durchführung des Einkaufs, ungleiche Entlastungseffekte und differenzierte Reproduktionsmodelle ein.

Die ausgelagerte Hausarbeit wird zum einen vielfach als belastend und „lästig“ (IP15) dargestellt; zum anderen wird sie aufgrund ihres wiederkehrenden Charakters als einfach, mundan und „schnöde“ (IP11) markiert. Es ist diese Kombination aus Wiederholung, Anstrengung und Einfachheit, die in den Erzählungen den Einkauf z.T. als ein gesellschaftlich einfach ineffizient organisiertes Problem erscheinen lässt (IP18; IP19; IP21). Die Tätigkeiten rund um den Einkauf werden dabei als unqualifizierte und zu rationalisierende Arbeit dargestellt – ein Motiv der Abwertung, das fallübergreifend reproduziert wird (zu den Logiken dieser Abwertung, siehe auch Gutiérrez Rodríguez, 2014; Schaupp, 2021; Lentz et al., 2025). Diese Verhandlungsweise wird dadurch verstärkt, dass der Lieferdienst als soziotechnische Antwort auf ein gesellschaftliches Problem (Winner, 1980) die Frage der Organisation von Ernährung und Einkauf auf eine logistische Frage der Distribution reduziert. Dies wird besonders in jenen in den Interviews wiederkehrend geäußerten Wunschvorstellungen deutlich, in denen die Befragten von der vollständigen Automatisierung über einen sich selbst befüllenden Kühlschrank sinnieren:

In meiner idealen Einkaufserfahrung lass ich einfach meine Bestellung bei Alexa abnehmen, mach ich nicht, ne? […] muss mich dann aber um Nichts kümmern, und dann ist, am liebsten wäre es mir, wenn es dann direkt im Kühlschrank liegen würde, also das ist so mein Idealbild, so würde ich es mir künftig gerne wünschen, […] Ja, ich würde nichts mehr, also ich will mich darum einfach nicht kümmern, ich will mir Gedanken machen, was ich gerne möchte, aber Befüllung dieses Kühlschranks, also-, um die möchte ich mich eigentlich nicht kümmern, wenn es irgendwie geht. (lacht) (IP19)

Sowohl die Praktiken des doing housework als auch das Sprechen über diese Arbeit sind durch eine Abwertung strukturiert, die ihre Absonderung und Auslagerung normalisiert. Die Zuschreibungen der Einfachheit verkürzen dabei die Deutung der Einkaufsarbeit um die daran geknüpfte Planung, Kocharbeit und die Aushandlung von Bedürfnissen und Vorlieben etwaiger anderer Haushaltsmitglieder. Die Lieferdienste fügen sich in diese diskursive Abspaltung des Transports von den stärker feminisierten affektiv-emotionalen Komponenten und schreiben sie fort. Die Integration von Lieferdiensten zeigt dabei ein hohes Maß an Pfadabhängigkeit: In unserem Sample ist es in Mehrpersonenhaushalten stets die zuvor bereits mit dem Einkauf beschäftigte Person, die sich in die Nutzung des Lieferdienstes einarbeitet. Teilweise wird die digitale Schnittstelle den bestehenden analogen Praktiken lediglich aufgepfropft, wenn etwa der Einkaufszettel – wie in den Paarhaushalten der interviewten Familien Maurer und Figura – weiterhin analog von der Ehepartnerin geschrieben wird und sich bloß dessen Umsetzung vom Wochenendeinkauf im Auto nun hin zum Eintippen wandelt (IP5; IP16). Die Dialektik aus einer sich vom Öffentlichen abkoppelnden Privatisierung des doing home bei gleichzeitiger technischer Öffnung zeigt sich dabei interviewübergreifend nicht als technikreflexiver Prozess. So konnten wir in keinem der Mehrpersonenhaushalte bspw. eine ganzheitliche Neuaushandlung der Arbeitsteilung beobachten. Die fragmentierte Lösung erwirkt vielmehr eine Stabilisierung bestehender Geschlechter- und Erwerbsverhältnisse und ihre asymmetrische Erleichterung befördert unter Gesichtspunkten der Ungleichheit einen Stillstand. Denn beim im öffentlichen Raum erbrachten Einkauf erreichen laut aktueller, geschlechterbinär-codierter Studienlage Männer durchschnittlich immerhin 80 Prozent der von Frauen für diese Tätigkeit aufgewendeten Zeit (Statistisches Bundesamt, 2024). Die Entlastung erfolgt demnach in einem Bereich einer in heterosexuellen Paarkontexten tendenziell noch am ehesten von Männern – wenngleich oft unter Anleitung ihrer Partnerinnen – übernommenen Form der Hausarbeit, die in ihren Tätigkeitsanteilen andere Bereiche wie Putzen, Wäsche, Pflege und Küche weit überragt. Auf den Transport reduziert, kann die Einkaufsarbeit männlich gedeutet werden, was sich auch an den übergreifend einhelligen und normalisierten Beschreibungen der bei den Lieferdiensten arbeitenden „jungen Männer“ (IP23) zeigt.7 Dabei ist ebenso wenig eine wirkliche Auseinandersetzung mit der praktischen Funktionsweise der Lieferlogistik zu beobachten (Lagerstandort, Liefertouren, Beschäftigungsmodelle usw.). Die Auseinandersetzung beginnt und endet in fast allen Fällen mit der Begegnung mit den männlich beschriebenen Lieferarbeitern. Die Lücken über das Wissen der sonstigen Rahmenbedingungen werden gefüllt durch Vergleiche zu den medial breiter diskutierten Fällen wie Amazon oder Lieferando. In diesem Sinne ist es eine technikvermittelte blinde bzw. blendende Privatisierung des doing home (für ähnliche Überlegungen zu den „kognitiven“ bzw. „versteckten Verletzungen“ von Plattformlieferdiensten siehe Hill, 2020).

Das subjektive Erleben einer Krise der sozialen Reproduktion und die These der klassenmäßigen Polarisierung in einer neuen „Dienstbotenökonomie“ (Tlusty, 2021) sind jedoch differenzierter zu betrachten. Wir sehen im Material keineswegs eine homogene innenstadtnah wohnende neue Mittelklasse, die selbstverständlich Arbeit an das Dienstleistungsproletariat durchreicht. So zeigen sich mindestens drei unterschiedliche Reproduktionsmodelle, bei denen die Integration städtischer Lieferlogistiken klassenspezifisch variiert. Gerade in den gegenwärtig und z. T. ehemals paarzentrierten Reproduktionsmodellen, die eine traditionelle, vergeschlechtlichte Arbeitsteilung in Form des männlichen Ernährermodells aufweisen und die in Angestelltenberufen arbeit(et)en, wird die Einkaufsarbeit vergeschlechtlicht verhandelt, ohne aber per se als abstoßungswürdig markiert zu werden (IP5; IP16; IP21; IP24; IP23). Sie ist vielmehr normalisierter Bestandteil einer (oft innerehelichen) Arbeitsteilung. Es handelt sich um paarzentrierte Reproduktionsmodelle, die Arbeit auslagern, weil sie unter Druck geraten sind. Anders ist dies bei den oft überdurchschnittlich einkommensstarken Akademiker*innenhaushalten (IP14; IP11; IP19; IP13). Die Hausarbeit wird weniger als Bestandteil eines Familienlebens gerahmt; vielmehr als ein „zeitaufwendiges Übel“ (Wimbauer, 2012:273), das Motiven der Selbstentfaltung oder einer breiter gefassten „Reproduktion der Lebenskraft“ (Jürgens 2006) im Wege steht. Ihre Absonderung wird rationalisiert und durch die höheren Einkommen erleichtert, gleichzeitig jedoch in einer für diese Klassenlage typischen Weise reflexiv verhandelt. Wiederkehrend begegnen wir hierbei Diskursen über Nachhaltigkeit, Automatisierung oder die Stadt und das Einkaufen der Zukunft. Jedoch sehen wir hier nicht, dass der Lieferdienst als alternativlose Notlösung die Ökonomisierung des Reproduktionsmodells vorherbestimmt. Vielmehr geht die Auslagerung von der Erwerbssphäre und Vorstellungen eines modernisierten Lebensentwurfes aus. Die dritte klassenspezifische Ausprägung ist in unserem Sample nur schwach vertreten (IP4; IP12; IP22; IP27). Hierbei handelt es sich um prekäre Reproduktionsmodelle von Haushalten, die sich aus körperlichen Gründen, Erschöpfung oder Erwerbsarbeitsbelastung auf die Lieferdienstnutzung stützen, obwohl die Interviewten teilweise sogar explizit angeben, sich diese nicht wirklich leisten zu können. Für die 29-jährige geringfügig Beschäftigte Mika Mayer liegt die Kernmotivation der Lieferdienstnutzung etwa im kleinen Ausbruch aus belastenden Alltagsroutinen. Wir können weder eine rigide vergeschlechtlichte Logik noch einen reflexiven Diskurs beobachten, der eine Absonderung legitimiert; stattdessen werden Sachzwänge und die Selbstbehauptung eines in seiner Reproduktion in Bedrängnis geratenen Subjekts ausgebreitet. In diesem Sinne verdichtet die körperliche Entfähigung im Fall Kallert eine Logik, die dazu führen kann, dass auch Personen aus den anderen, vorher beschriebenen Reproduktionsmodellen aus Gründen eingeschränkter räumlicher Mobilität in diese Gruppe rutschen und die Lieferdienstnutzung als alternativlos erzählen.

5 Schluss

Ausgangspunkt unseres Beitrags war die Beobachtung, dass innerhalb der geographischen Digitalisierungsforschung zum „Plattformurbanismus“ (Barns, 2019, 2020; Hill, 2020; Bauriedl und Strüver, 2020; Altenried et al., 2021b) eine konzeptionelle Lücke in der Betrachtung von städtischen Lieferdiensten vorliegt. Wenige Studien haben sich in diesem Bereich bisher der Spannung zwischen der makrostrukturellen Analyse einer Krise der sozialen Reproduktion sowie den empirisch beobachteten Formen haushaltsnaher Logistikdienstleistungen gewidmet. Der zunehmenden Fülle von Auseinandersetzungen mit den verschiedenen bezahlten Formen entstehender Lieferarbeit steht noch immer eine relative Leerstelle in der Betrachtung der nutzenden Haushalte gegenüber. Ausgehend von diesen Befunden markieren wir daher einen Bedarf danach, das subjektive Erfahren von Krisenmomenten sozialer Reproduktion in Haushalten zu analysieren und Auswirkungen auf die raumzeitliche Organisation von Arbeit und soziale Ungleichheiten zu betrachten. Hierzu schlagen wir eine Auseinandersetzung mit häuslichen Reproduktionsmodellen vor und erproben diesen Ansatz über ein qualitatives rekonstruktiv-hermeneutisches Forschungsdesign. Dabei arbeiten wir Fallstrukturen und Faktoren der Integration städtischer Lieferlogistiken in häusliche Reproduktionsmodelle sowie Wechselwirkungen mit den (a) raumzeitlichen Arrangements und (b) Dimensionen sozialer Ungleichheiten in Reproduktionsmodellen heraus.

So finden wir mit der Fallstruktur Kallert bspw. eine Krisenlage der sozialen Reproduktion vor, die sich aus einer Kombination von körperlicher Gebrechlichkeit und sozialer Isolation ergibt. Das Reproduktionsmodell wird aus Gründen der eingeschränkten Mobilität undnicht der fehlenden Verfügbarkeit von Einkommen oder Zeit prekär. Ob es der gebrechlich gewordene Rentner, der depressive Auszubildende oder die aus anderen Gründen (Burnout, Schwangerschaft o. ä.) zeit- und teilweise körperlich entfähigte leitende Angestellte ist – wir sehen nicht den klassischen „domestic time squeeze“ (Huws, 2019) als Resultat einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Vielmehr finden wir spezifische Problemlagen, die sich mit anderen Bedürfnissen (z. B. nach sozialer Begegnung) überlagern und als solche auch nur fragmentarisch von Lieferdiensten adressiert werden. Die Lieferdienstnutzung ermöglicht hier einen Erhalt reproduktiven Handlungsvermögens über die Möglichkeit, für sich selbst sorgen zu können, ohne das Zuhause räumlich verlassen zu müssen. Selbst dort, wo wir uns in der Brennweite von durch die Erwerbssphäre unter Druck gesetzten Lebenszusammenhängen befinden, kommen wir jedoch zu bedeutenden Differenzierungen. Der Fall Figura offenbart bspw. eine Auslagerung von Hausarbeit, die aus der Starrheit der Geschlechterarrangements in paarzentrierten Reproduktionsmodellen resultiert. Die Lieferdienstnutzung stabilisiert hier Erwerbs- und Geschlechterarrangements, indem sie den Haushalt um Wegestrecken zum Supermarkt entlastet und eine wirkliche Neuaushandlung angesichts äußeren Drucks verdrängt (berufliches Pendeln, Zeitdruck durch Erwerbsarbeitszeiten usw.). Der Lieferdienst wird hier zu einer Stütze tradierter Vorstellungen von Häuslichkeit und trägt zur Reproduktion einer vergeschlechtlichten Arbeitsteilung bei. Mit dem Fall Pächter finden wir gewissermaßen genau die Konstellation, die in der klassendiagnostischen These zur „Dienstbotenökonomie“ (Tlusty, 2021) im Zentrum steht. Gerade in dieser Fallstruktur passt das Narrativ der Krise der sozialen Reproduktion allerdings weniger gut. Denn hier kann trotz enormem Zeitdruck im subjektiven Erfahren kaum von einer manifesten Krisenlage gesprochen werden. Diese Haushalte haben die strukturellen Voraussetzungen, um den Subjekt- und Lebensentwurf angesichts des Drucks der Erwerbssphäre und entsprechend eigenen Ideen einer egalitäreren Lebensweise zu gestalten. Die Ökonomisierung ihrer Reproduktionsmodelle entlastet sie räumlich durch die Auslagerung von Wegestrecken und ermöglicht ihnen eine (noch) stärkere Erwerbszentrierung. Dabei sehen wir jedoch kein existenziell auf die Bedürfnisse der Reproduktion der Arbeitskraft beschränktes Reproduktionshandeln, sondern Gewinne von Handlungsvermögen in der Reproduktion einer breiter aufzufassenden „Lebenskraft“ (Jürgens, 2006). Sie können so eine Privatsphäre ausbauen, die von abgewerteten Formen der Arbeit befreit mit subjektiv höher bewerteten Tätigkeiten gefüllt wird. Zugespitzt sehen wir weniger eine Kulmination von Krisenhaftigkeit als die klassenspezifische Manifestation der sozialpolitischen neuen bürgerlichen Norm: das „doppelt aktivierte Paar als sozialpolitisches Appellativ“ (Wimbauer, 2012: 358). Hier funktioniert die Verdrängung bzw. Bewältigung des enormen Zeitdrucks. Die Lieferdienstnutzung wird eine billige materielle Unterseite einer „rhetorischen Modernisierung“ (Wetterer, 2005) von Partnerschaft, die Haushalte entlastet, ohne eine grundlegende Aushandlung von Erwerbssituation und Haushaltsarbeitsteilung nötig zu machen.

Unsere Forschungsarbeit leistet somit erstens in ihrer Verknüpfung von Erwerbs- und Reproduktionssphäre einen Beitrag zur Plattformforschung: Die Fokussierung auf Lieferarbeit wird um eine empirische Betrachtung der Haushalte und eine Überprüfung der meist auf vollmündigen Versprechen aufbauenden digitalen Experimente mit Hausarbeit erweitert. Die Kritik der Bedingungen der Lieferarbeit ergänzen wir um eine geschlechter-, klassen- und raumsensible Kritik der Bedingungen der Hausarbeit und eine raumsensible Fassung von Reproduktionsmodellen. Zweitens arbeiten wir aus dem interdisziplinären Dialog zwischen feministisch-geographischen sowie arbeits- und geschlechtersoziologischen Beiträgen eine raum- und machtsensible Perspektive auf Reproduktionsmodelle heraus. Wir zeigen, wie ein „transversaler“ (Haubner, 2024) Blick auf Arbeit zu einer Analyse der Wechselwirkungen zwischen unbezahlter Reproduktionsarbeit und bezahlten Formen logistischer Dienstleistungsarbeit beitragen kann. Drittens schlagen wir mit dieser geographischen Perspektive eine Spielart interdisziplinärer „raumsensibler Reproduktionsforschung“ (Haubner, 2024) vor. Wir zeigen dabei ausgehend von einer einzelnen Form von Hausarbeit und ihrer Externalisierung Bezüge zwischen der raumzeitlichen Restrukturierung von Reproduktionsmodellen (Kapitel 4.1) und gesellschaftstheoretischen Fragen der sozialen Ungleichheit (Kapitel 4.2) auf. Durch unseren umfassenden Fokus auf die Verschiebungen von Arbeit und die Relationalität der Sphären pluralisiert und differenziert unsere analytische Perspektive dabei Makronarrative der Krisenhaftigkeit der sozialen Reproduktion.

Wir regen mit dem Beitrag somit eine theoretische und forschungsprogrammatische Diskussion an, die bedeutende Folgefragen aufwirft. Neben qualitativen Folgeforschungen zu soziostrukturell heterogeneren Samples (Kapitel 3) bieten unsere angestellten Argumente bspw. auch eine mögliche Grundlage für eine quantitative Operationalisierung und Überprüfung. Wir hoffen somit eine analytische Perspektive an einer thematischen und disziplinären Schnittstelle zu vertiefen, die gleichzeitig mehr ist als eine wissenschaftliche Nischeninnovation. Denn sowohl die Makroperspektiven einer Krise der Sozialen Reproduktion und Logistifizierung der Hausarbeit als auch die kleinen kritischen Erzählungen unserer Gesprächspartner:innen erinnern daran, dass die erste Falle der logistisch gestützten Krisenbearbeitung in der Fragmentierung und Herauslösung der Arbeit aus ihrem Kontext besteht. Unsere Analyseperspektive stellt hierbei an sich keine Kritik der Auslagerung dar, sondern eröffnet vielmehr eine Sensibilisierung für die Bedingungen und den Preis  der Auslagerung. Denn in der Frage nach der Durchsetzung von Lieferdiensten stecken Fragen nach Altern, Geschlechterhierarchien, Arbeit(szeiten) sowie Praktiken und Imaginationen gewünschter Urbanität – kurz: dem Ineinandergreifen multipler „boundary struggles“ (Fraser, 2017:155), die über die Lohnarbeitsbedingungen städtischer Lieferarbeiter:innen hinausgehen.

Datenverfügbarkeit

Aufgrund der Anonymitätsvereinbarungen mit den befragten und beteiligten Personen sind die qualitativen Daten dieser Studie nicht öffentlich zugänglich.

Autor:innenmitwirkung

YE entwickelte die wichtigsten konzeptionellen, methodischen und inhaltlichen Ideen des Artikels. HS war an der inhaltlichen Entwicklung des Arguments beteiligt. Die empirische Erhebung wurde durch YE durchgeführt, dabei wirkte JM unterstützend mit. Die Aufbereitung und Analyse des Materials sowie die Entwicklung der Fallstrukturen erfolgte unter Beteiligung aller Autor:innen. Die Verantwortung für die Planung und Durchführung des Forschungsvorhabens lag bei YE.

Interessenkonflikt

Die Autor:innen erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Haftungsausschluss

Anmerkung des Verlags: Copernicus Publications bleibt in Bezug auf gerichtliche Ansprüche in veröffentlichten Karten, institutionellen Zugehörigkeiten oder anderen geographischen Begrifflichkeiten neutral. Obwohl Copernicus Publications alle Anstrengungen unternimmt, geeignete Ortsnamen zu finden und im Manuskript anzupassen, liegt die letztendliche Verantwortung bei den Autor:innen.

Danksagung

Wir möchten uns sehr herzlich bei unseren Interviewpartner:innen für die intensiven Einblicke bedanken, die sie uns ermöglicht haben. Zudem bedanken wir uns herzlich bei den anonymen Gutachter:innen für ihre konstruktive Kritik früherer Fassungen des Artikels.

Begutachtung

Dieser Artikel wurde von Hanna Hilbrandt redaktionell betreut und durch drei Expert:innen in einem double-blind Review-Verfahren begutachtet.

Literatur

Altenried, M., Dück, J., und Wallis, M. (Hrsg.): Plattformkapitalismus und die Krise der sozialen Reproduktion, Münster, Westfälisches Dampfboot, ISBN 978-3-89691-056-1, 2021a. 

Altenried, M., Animento, S., und Bojadžijev, M.: Plattform-Urbanismus: Arbeit, Migration und die Transformation des urbanen Raums. sub\urban, Zeitschrift für kritische Stadtforschung, 9, 73–91, https://doi.org/10.36900/suburban.v9i1/2.605, 2021b. 

Barns, S.: Negotiating the platform pivot: From participatory digital ecosystems to infrastructures of everyday life, Geography Compass, 13, https://doi.org/10.1111/gec3.12464, 2019. 

Barns, S.: Platform Urbanism: Negotiating Platform Ecosystems in Connected Cities, Singapore, Palgrave Macmillan Singapore, https://doi.org/10.1007/978-981-32-9725-8, 2020. 

Bauriedl, S. und Strüver, A.: Platform Urbanism: Technocapitalist Production of Private and Public Spaces, Urban Planning, 5, 267–276, https://doi.org/10.17645/up.v5i4.3414, 2020. 

Becker, K., Binner, K., und Décieux, F. (Hrsg.): Gespannte Arbeits- und Geschlechterverhältnisse im Marktkapitalismus, Wiesbaden, Springer, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22315-1, 2020. 

Berk, S. F.: The Gender Factory: The Apportionment of Work in American Households, New York, Springer US, https://doi.org/10.1007/978-1-4613-2393-8, 1985. 

Bhattacharya, T.: Introduction: Mapping Social Reproduction Theory, in: Social Reproduction Theory. Remapping Class, Recentering Oppression, Herausgeber:innen: T. Bhattacharya, London, Pluto Press, 20 pp., https://doi.org/10.2307/j.ctt1vz494j.5, 2017. 

Bissell, D.: Affective platform urbanism: Changing habits of digital on-demand consumption, Geoforum, 115, 102–110, https://doi.org/10.1016/j.geoforum.2020.06.026, 2020. 

Dowling, E.: The care crisis: What caused it and how can we end it?, London/New York, Verso, ISBN 978-1-78663-034-6, 2021. 

Ecker, Y. and Strüver, A.: Towards alternative platform futures in post-pandemic cities? A case study on platformization and changing socio-spatial relations in on-demand food delivery, Digital Geography and Society, 3, 100032, https://doi.org/10.1016/j.diggeo.2022.100032, 2022. 

Ecker, Y. and Strüver, A.: Kommodifizierung, Fragmentierung, Auslagerung: Restrukturierung städtischer Räume und Arbeit in technologischen Experimenten mit Hausarbeit, s\u, 11, 17–45, https://doi.org/10.36900/suburban.v11i1/2.836, 2023. 

Enßle, F., Dirksmeier, P., and Helbrecht, I.: Does spatial proximity supplant family ties? Exploring the role of neighborly support for older people in diverse, aging cities. Urban Geography, 43/3, 344–363, https://doi.org/10.1080/02723638.2020.1857991, 2022. 

Fraeser, N., Schuster, N., und Vogelpohl, A.: Feministische Geographien der Arbeit – Zusammenhänge von Prekarisierung, Gentrifizierung und Globalisierung, in: Handbuch feministische Geographien: Arbeitsweisen und Konzepte, Herausgeber:innen: Autor:innenkollektiv, Verlag Barbara Budrich, Opladen Berlin Toronto, 120–144, ISBN 978-3-8474-2373-7, 2021. 

Fraser, N.: 7. Behind Marx's Hidden Abode: For an Expanded Conception of Capitalism, in: Critical Theory in Critical Times, Herausgeber:innen: Deutscher, P. und Lafont, C., New York Chichester, West Sussex, Columbia University Press, 141–159, https://doi.org/10.7312/deut18150-009, 2017. 

Fuchs, M., Dannenberg, P., López, T., Wiedemann, C., und Riedler, T.: Location-specific labour control strategies in online retail, ZFW – Advances in Economic Geography, 0, https://doi.org/10.1515/zfw-2021-0028, 2022. 

Fuchs, M., López, T., Wiedemann, C., Riedler, T., und Dannenberg, P.: Digital Work and the Struggle for Labour Representation: The Food and Grocery Online Retail Sector in Berlin (Germany), in: Geographies of the Platform Economy, Herausgeber:innen: Vale, M., Ferreira, D., und Rodrigues, N., Cham, Springer International Publishing, 105–120, https://doi.org/10.1007/978-3-031-53594-9_8, 2024. 

Gutiérrez Rodríguez, E.: Haushaltsarbeit und affektive Arbeit: Über Feminisierung und Kolonialität von Arbeit, PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 44, https://doi.org/10.32387/prokla.v44i174.192, 2014. 

Hanson, S. und Pratt, G.: Reconceptualizing the Links between Home and Work in Urban Geography, Economic Geography, 64, 299, https://doi.org/10.2307/144230, 1988. 

Hanson, S. und Pratt, G.: Gender, work, and space, Routledge, London New York, ISBN 978-0-415-09941-7, 1995. 

Haubner, T.: Soziale Reproduktion jenseits des Produktivitätsfunktionalismus: Prämissen einer raumsensiblen Reproduktionsforschung für die Gegenwart, PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, 54, 33–50, https://doi.org/10.32387/prokla.v54i214.2106, 2024. 

Haubner, T. und Pongratz, H. J.: Die ganze Arbeit! Für eine transversale Arbeitssoziologie, AIS-Studien, 14, 8–26, https://doi.org/10.21241/SSOAR.75423, 2021. 

Heiland, H.: Neither timeless, nor placeless: Control of food delivery gig work via place-based working time regimes, Human Relations, 75, 1824–1848, https://doi.org/10.1177/00187267211025283, 2022. 

Hill, D. W.: The injuries of platform logistics, Media Culture & Society, 42, 521–536, https://doi.org/10.1177/0163443719861840, 2020. 

Hobbs, M. and Pasch, L.: Die räumliche Produktion von Alternsbildern durch Smart-Home-Technologien, Geogr. Helv., 79, 177–189, https://doi.org/10.5194/gh-79-177-2024, 2024. 

Huws, U.: The Hassle of Housework: Digitalisation and the Commodification of Domestic Labour, Feminist Review, 123, 8–23, https://doi.org/10.1177/0141778919879725, 2019. 

Huws, U., Spencer, N. H., Coates, M., und Holts, K.: The Platformisation of Work in Europe. Results From Research in 13 European Countries, UNI Global Union, Foundation for European Progressive Studies (FEPS), University of Hertfordshire (UH), https://feps-europe.eu/wp-content/uploads/downloads/publications/the platformisation of work in europe - final corrected.pdf (last access: 13 November 2024), 2019. 

Isselstein, E.: Smart Home, in: Handbuch Digitale Geographien: Welt – Wissen – Werkzeuge, Herausgeber:innen: Bork-Hüffer, T., Füller, H. und Straube, T., Paderborn, Brill Schöningh, 103–113, ISBN 978-3-8252-5567-1, 2021. 

Jürgens, K.: Arbeits- und Lebenskraft: Reproduktion als eigensinnige Grenzziehung, Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-531-90453-5, 2006. 

Jürgens, K.: Deutschland in der Reproduktionskrise, Leviathan, 38, 559–587, https://doi.org/10.1007/s11578-010-0103-9, 2010. 

Keller, M.: „When Clean Angels Calls, I Run“: Working Conditions of a Gigified Care-Worker, in: Platformization of Urban Life. Towards a Technocapitalist Transformation of European Cities, Herausgeber:innen: Strüver, A., und Bauriedl, S., Bielefeld, transcript, 135–148, https://doi.org/10.14361/9783839459645-009, 2022. 

Klenner, C., Pfahl, S., Neukirch, S., und Weßler-Poßberg, D.: Prekarisierung im Lebenszusammenhang – Bewegung in den Geschlechterarrangements?, WSI-Mitteilungen, 64, 416–422, https://doi.org/10.5771/0342-300X-2011-8-416, 2011. 

Koppetsch, C. und Burkart, G.: Die Illusion der Emanzipation: Zur Wirksamkeit latenter Geschlechtsnormen im Milieuvergleich, UVK, Universitätsverlag Konstanz, ISBN 3-87940-658-8, 1999. 

Kruse, J.: Qualitative Interviewforschung: Ein integrativer Ansatz, Weinheim, Beltz Juventa, ISBN 978-3-7799-4162-0, 2015. 

Lentz, J. M., Meyer-Habighorst, C., Riemann, M.-L., Strüver, A., Baumgartner, S., Staubli, S., Techel, N., Bauriedl, S., und Schwiter, K.: From Exceptionalism to Normalisation: How Narratives of Platform Companies Legitimise Precarious Work and Commodified Care, Critical Sociology, 0, https://doi.org/10.1177/08969205241306300, 2025. 

Marquardt, N.: Technik des Wohnens, in: Handbuch Wohnsoziologie, Herausgeber:innen: Eckardt, F. und Meier, S., Wiesbaden, Springer Fachmedien Wiesbaden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24862-8_8-1, 2020. 

Massey, D.: Space, place, and gender, University of Minnesota Press, Minneapolis, ISBN 978-0-8166-2616-8, 1994. 

Schaupp, S.: Digitale Unterschichtung: Migrantische Arbeit bei Dienstleistungsplattformen, in: Verkannte Leistungsträger:innen: Berichte aus der Klassengesellschaft, Herausgeber:innen: Mayer-Ahuja, N. und Nachtwey, O., Berlin, Suhrkamp, 305–324, ISBN 978-3-518-03601-3, 2021. 

McDowell, L.: Work, workfare, work/life balance and an ethic of care, Progress in Human Geography, 28, 145–163, https://doi.org/10.1191/0309132504ph478oa, 2004. 

McDowell, L.: The New Economy, Class Condescension and Caring Labour: Changing Formations of Class and Gender, NORA – Nordic Journal of Feminist and Gender Research, 16, 150–165, https://doi.org/10.1080/08038740802302547, 2008. 

Mitchell, K., Marston, S. A., and Katz, C. (Hrsg.): Life's Work: geographies of social reproduction, Blackwell Publishing, Malden, ISBN 978-1-4051-1134-8, 2004. 

Motakef, M. und Wimbauer, C.: Prekarität im Lebenszusammenhang – eine um Anerkennung erweiterte Perspektive auf prekäre Erwerbs- und Lebenslagen, Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 20, https://doi.org/10.17169/FQS-20.3.3222, 2019. 

Mullings, B.: Caliban, social reproduction and our future yet to come, Geoforum, 118, 150–158, https://doi.org/10.1016/j.geoforum.2020.11.007, 2021. 

Orth, B.: Riders United Will Never Be Divided?: A Cautionary Tale of Disrupting the Platformization of Urban Space, in: Platformization of Urban Life. Towards a Technocapitalist Transformation of European Cities, Herausgeber:innen: Strüver, A., und Bauriedl, S. (Hrsg.), Bielefeld, transcript, 185–204, https://doi.org/10.14361/9783839459645-012, 2022. 

Peukert, A., Teschlade, J., Wimbauer, C., Motakef, M., und Holzleithner, E. (Hrsg.): Elternschaft und Familie jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit, Opladen, Verlag Barbara Budrich, ISBN 9783847424314, 2020. 

Power, E. R. and Mee, K. J.: Housing: An infrastructure of care, Housing Studies, 35, 484–505, https://doi.org/10.1080/02673037.2019.1612038, 2019. 

Schwiter, K. und Steiner, J.: Geographies of care work: The commodification of care, digital care futures and alternative caring visions, Geography Compass, 14, e12546, https://doi.org/10.1111/gec3.12546, 2020. 

Solga, H. und Wimbauer, C. (Hrsg.): „Wenn zwei das Gleiche tun“ –: Ideal und Realität sozialer (Un-)Gleichheit in Dual Career Couples, Opladen, Barbara Budrich, ISBN 3-938094-06-0, 2005. 

Statistisches Bundesamt: Erhebung zur Zeitverwendung privater Haushalte. 2022, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/ Zeitverwendung/Publikationen/Downloads-Zeitverwendung/statistischer-bericht-zeitverwendung-priv-haushalte-5639102229005.xlsx?__blob=publicationFile&v=8, (last access: 11 April 2025), 2024. 

Strauss, K. und Meehan, K.: Introduction. New Frontiers in Life's Work, in: Precarious Worlds: Contested Geographies of Social Reproduction, Herausgeber:innen: Meehan, K. und Strauss, K., University of Georgia Press, 22 pp., ISBN 978-0-8203-4882-7, 2015. 

Strüver, A.: Geschlechterordnung des Wohnens, in: Handbuch Wohnsoziologie, Herausgeber:innen: Eckardt, F. und Meier, S., Wiesbaden, Springer Fachmedien Wiesbaden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24862-8_11-1, 2020. 

Strüver, A.: Care To Go. Arbeitsbedingungen und -beziehungen in der plattformvermittelten Sorgearbeit, Kurswechsel, 4, 105–109, 2022. 

Tlusty, A.-K.: Die Mittelschicht bestellt, das Prekariat liefert, https://www.deutschlandfunkkultur.de/gorillas-lieferando-und-co-die-mittelschicht-bestellt-das-100.html (last access: 5 November 2024), 2021. 

Van Doorn, N.: Platform capitalism's social contract, Internet Policy Review, 11, https://doi.org/10.14763/2022.1.1625, 2022. 

Wetterer, A.: Rhetorische Modernisierung und institutionelle Reflexivität. Die Diskrepanz zwischen Alltagswissen und Alltagspraxis in arbeitsteiligen Geschlechterarrangements, FZG – Freiburger Zeitschrift für GeschlechterStudien, 11, 75–96, 2005. 

Vogelpohl, A.: Urbanes Alltagsleben, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, https://doi.org/10.1007/978-3-531-19473-8, 2012. 

Wimbauer, C.: Wenn Arbeit Liebe ersetzt: Doppelkarriere-Paare zwischen Anerkennung und Ungleichheit, Frankfurt/New York, Campus Verlag, ISBN 978-3-593-39782-5, 2012. 

Wimbauer, C. und Motakef, M.: Das Paarinterview: Methodologie – Methode – Methodenpraxis, Wiesbaden, Springer, ISBN 978-3-658-17977-9, 2017. 

Winker, G.: Care Revolution: Schritte in eine solidarische Gesellschaft, Bielefeld, transcript, ISBN 978-3-8376-3040-4, 2015. 

Winner, Langdon: Do Artifacts Have Politics?, Daedalus, 109, 121–136, 1980. 

Wischermann, U. und Kirschenbauer, A. (Hrsg.): Geschlechterarrangements in Bewegung: Veränderte Arbeits- und Lebensweisen durch Informatisierung?, Bielefeld: transcript, ISBN 978-3-8394-2729-3, 2015. 

1

Der Name der Großstadt wurde anonymisiert.

2

Winker (2015:57) selbst beschreibt in der zitierten Arbeit diese Idealtypen für Familien mit minderjährigen Kindern, wobei die Typologie auch darüber hinaus angewendet werden kann.

3

Die kapitalistische Produktionsweise ist somit auch in die Reproduktion des binären Geschlechtersystems und Hetero- sowie Cis-Normativität verstrickt. Die geschlechterbinären Kategorien „Frau“/„Mann“ müssen daher im Folgenden Anwendung finden, ohne sie naturalisieren, essentialisieren oder die Diversität unterschiedlicher Erfahrungen innerhalb dieser Strukturkategorien homogenisieren zu wollen. Wir möchten an dieser Stelle daher explizit auf die diesen Setzungen inhärente Gewalt und Unsichtbarmachung von nicht-binären, inter*- oder trans*-Personen thematisieren. Wie wir in Kapitel 3 kritisch anmerken, spiegelt sich die Bedeutung von Heteronormativität auch in unserem Sample und hinterlässt mehrere kritische Leerstellen in Bezug auf spezifische, über diese Normalisierungen hinausgehende Reproduktionsbedarfe und -modelle (für Ansätze, z. B. Peukert et al., 2020).

4

Im Durchschnitt 45–60 min. Zum Teil handelte es sich um Paar- bzw. Gruppenkonstellationen. Die Namen sowie weitere Details (berufliche Tätigkeit, genaues Alter etc.) wurden zum Zwecke der Anonymisierung verändert. Die Interviews wurden zur besseren sprachlichen Analyse umfassend transkribiert, zur besseren Lesbarkeit werden die Zitate jedoch im Folgenden geglättet wiedergegeben und über Interviewnummern zitiert (IP1 usw.). Innerhalb der Falldarstellungen wird auf die Angabe dieser Referenz verzichtet.

5

Voraussetzung für die Interviewteilnahme, für die wir über Online-Kanäle, Haustürflyer, Gespräche in Fußgängerzonen und Nachbarschaftszentren warben, war die regelmäßige Nutzung eines Online-Lieferdienstes für Lebensmittel aus dem Supermarkt.

6

Der mit der Lieferdienstnutzung zusammenhängende Kontrollverlust im Leben der Rentnerin wird in ihrer Erzählung zusätzlich deutlich durch einschränkende Bedingungen, die mit den Plattformen einhergehen. Beispielsweise erzählt Kallert vom Mindestbestellwert, der sie in der Flexibilität des Einkaufens dadurch einschränkt, dass sie als alleinstehende Person mit kleineren Mengenbedarfen über Lieferdienste zu größeren Einkäufen in größeren zeitlichen Abständen gezwungen wird oder durch den bildschirmbasierten Einkauf weniger Kontrolle über die Qualität der Produkte hat.

7

Obwohl die Literatur gerade im Bereich der Logistikdienstleistungsarbeit von einer Rassifizierung der Arbeit ausgeht (z. B. Schaupp 2021), bleiben Zuschreibungen und Deutungen davon in den Gesprächen nahezu vollständig aus. Wir beschränken uns daher auf die klassenspezifische und vergeschlechtlichte Deutung der Arbeit und wollen hiermit das Sprechen über die Rassifizierung der Arbeitsteilung explizit als Leerstelle und Desiderat in der Deutung einer Dienstbot:innenökonomie markieren.

Download
Short summary
In the Covid-19 pandemic food-delivery services became emblematic for an urban middle class compensating unmet reproductive needs with an externalization of housework. However, we identify a conceptual gap between macro explanations and observable domestic logistics services. To address this, we explore spatio-temporal arrangements of domestic reproductive models using qualitative interviews. In closing, we discuss how such a geographic perspective contributes to research on delivery work.
Share