Articles | Volume 75, issue 1
https://doi.org/10.5194/gh-75-23-2020
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24 Mar 2020
Standard article |  | 24 Mar 2020

Politiken sozialer Mischung und die Produktivität von Rassismus im „gefährlichen Viertel“

Moritz Rinn and Lena Wiese
Kurzfassung

In Germany, strategies of “social mixing” aiming at the development of “disadvantaged” neighborhoods have been widely established in urban politics. Such strategies are oriented towards attracting middle class residents and therefore are discussed as drivers of displacement and exclusion of “the disadvantaged”. In our paper, we analyze such urban transformation processes focusing on the productivity of racial classifications. We present results of a research project in which we examine the appropriation of urban resources (such as housing, neighborhood infrastructures, and public spaces) by residents in such quarters. Using an interactivist approach “from below” and qualitative research methods, our case study on the former “declining”, currently “stagnating” quarter Essen-Altendorf shows the productivity of racial classifications in the residents' negotiations on “rules” in the closer neighborhood or on the use of public spaces. Yet, racializing articulations correspond with the policies of social mixing as well as with the observed selective policing of a “dangerous quarter”.

Dates
1 Einleitung

Im vorliegenden Aufsatz präsentieren wir Ergebnisse einer empirischen Untersuchung von Aneignungskonflikten in Stadtteilen, die mit dem in Deutschland seit den 1990er Jahren institutionalisierten Programm „Soziale Stadt“ bearbeitet wurden1. Mit diesem Programm soll Segregations- und Desintegrationsprozessen in ‚ benachteiligten‘ Stadtteilen entgegengewirkt und die soziale Integration ‚benachteiligter‘ Bewohner*innen, die in Bezug auf Klassenpositionen, zugeschriebener Herkunft oder Kultur problematisiert werden, verbessert werden. Strategischer Kern ist die Konzeption der Sozialen Mischung. Mischungspolitiken zielen vor allem auf die Attraktivierung solcher Stadtteile für Angehörige der Mittelschichten und werden deshalb auch als Strategien der Verbürgerlichung diskutiert, die Ausschließung und Verdrängung forcieren (Lees et al., 2012; Slater, 2006).

Kritische Stadtforschung hat mischungsorientierte Stadtpolitiken bislang zumeist auf programmatischer Ebene analysiert. Dabei wurden klassenpolitisch selektive, mittelschichtszentrierte und rassistische Dimensionen herausgearbeitet (etwa Lanz, 2009; Ronneberger und Tsianos, 2009). Zuletzt wurde aber auch ein stadtpolitischer Paradigmenwechsel hin zu einer Affirmation von Diversität als sozial-ökonomischer Ressource identifiziert und in den Kontext einer als „postmigrantisch“ beschriebenen Stadtgesellschaft gestellt (Rodatz, 2014). Dies würde auch eine Verschiebung der Perspektive auf als segregiert problematisierte städtische Räume ermöglichen. Wir untersuchen nun Transformationsprozesse in solchen Stadtentwicklungsgebieten mit einem interaktionistischen, praxisanalytischen Zugang „from below“ (Bareis und Cremer-Schäfer, 2013). Dabei fragen wir nach verräumlichten Machtbeziehungen, die sich durch potentiell konflikthafte Aushandlungen der Aneignung und Nutzung stadtteilbezogener Ressourcen herausbilden, verändern und als Verdrängungsprozesse beschrieben werden können. Verdrängung begreifen wir als selektive Veränderung von Aneignungs- und Nutzungsmöglichkeiten städtischer Ressourcen (wie Wohnraum, nachbarschaftliche Infrastrukturen oder öffentliche Räume). Dabei gehen wir davon aus, dass Aneignungen stadtteilbezogener Ressourcen in Aufwertungsgebieten kontinuierlich (neu) ausgehandelt werden (müssen) und dass entsprechende Akteur*innenkonstellationen, also von wem, um was und wie solche Aushandlungen ausgetragen werden, auch in spezifischen Korrespondenzen zu mischungsorientierten Aufwertungspolitiken stehen.

Wir nehmen in diesem Aufsatz insbesondere die Bedeutung von Rassismus und rassistischen Artikulationen (Bojadžijev, 2012; Hall, 1989) innerhalb solcher Aushandlungen in einem unserer Untersuchungsgebiete in den Blick: im stadtpolitisch als stagnierend charakterisierten Essener Stadtteil Altendorf. Diese Schwerpunktsetzung hat sich uns gewissermaßen aufgedrängt: Unsere ersten empirischen Befunde legten nahe, dass diskursive Konstruktionen von Gruppen, die vor allem kulturalisierend und ethnisierend vorgenommen werden, für viele insbesondere weiß-deutsche2 Bewohner*innen übergreifende Bedeutungen haben, um sich alltägliche Schwierigkeiten, Ärgernisse und Konflikte, aber auch wahrgenommene Veränderungen der letzten Jahre im Stadtteil verstehbar zu machen. Wir fragen nun, wie rassistische Artikulationen in Aushandlungen der Aneignung stadtteilbezogener Ressourcen in Essen-Altendorf praktisch produktiv werden. Dafür untersuchen wir Nachbarschaftskonflikte und Auseinandersetzungen um die Nutzung eines baulich erneuerten Stadtplatzes sowie um ein öffentliches Naherholungsgebiet und Wohnungsneubauprojekt. Diese stellen wir in den Kontext lokaler Stadtpolitik und Polizeiarbeit. Im Folgenden skizzieren wir zunächst das stadtentwicklungspolitische Paradigma der Sozialen Mischung und entwickeln unsere analytische Perspektive zur Untersuchung von Aneignungskonflikten und Rassismus. Im dritten Abschnitt gehen wir dann auf die stadtentwicklungspolitische Bearbeitung Altendorfs als ‚Problemquartier‘ und die polizeiliche Bearbeitung als ‚gefährliches Viertel‘ ein, um die nachfolgend präsentierten Befunde zu kontextualisieren. Im fünften Abschnitt resümieren wir dann die zentralen Befunde. Unser Ergebnis lautet dabei: Auch wenn sich Bewohner*innen in Altendorf städtische Ressourcen meist auf eine Weise aneignen, in der konflikthafte Aushandlungen vermieden werden, zeichnen sich asymmetrische Beschwerdekonstellationen ab. Es sind insbesondere als nicht-deutsch markierte Personen, die zu Adressat*innen von Beschwerden anderer Bewohner*innen oder des kontrollierenden Zugriffs administrativer wie polizeilicher Akteur*innen werden. Diese Asymmetrie korrespondiert mit den Selektivitäten stadtpolitischer Akteur*innen ebenso wie mit der polizeilichen Bearbeitung des ‚gefährlichen‘ Stadtteils. So wird eine rassifizierte Hierarchisierung von Positionen sichtbar, aus denen heraus Ansprüche an die ‚richtige‘ Aneignung und Nutzung stadtteilbezogener Ressourcen im Stadtteil formuliert werden können. Es lassen sich zwar keine linearen Entsprechungen zwischen mischungsorientierter Stadtpolitik und alltäglichen Aushandlungen von Bewohner*innen, aber dennoch spezifische Korrespondenzen feststellen. Diese Befunde stehen insofern im Widerspruch zu einer diskutierten kommunalpolitischen Normalisierung von Migration und „Diversität“ (Pütz und Rodatz, 2013). Vielmehr zeigt sich eine Kontinuität segregationskritischer territorialer Ordnungs- und Bevölkerungspolitiken, „differentieller Integrationsdiskurse“ und „urbaner Verfallserzählungen“ (Lanz, 2009), die zugleich mit alltäglichen rassistischen Artikulationen korrespondieren.

2 Konflikte um Aneignungen städtischer Ressourcen und Rassismus in Gebieten mischungsorientierter Stadtentwicklung

2.1 Das Paradigma der „Sozialen Stadt“ und die Transformationen kommunaler Integrationspolitik

Das Ideal der Sozialen Mischung hat sich in den letzten Jahrzehnten in Westeuropa und Nordamerika zum zentralen Bezugspunkt sozialer Stadtentwicklungspolitiken entwickelt, denen es um die Bearbeitung von als negativ bewerteter sozialer Segregation und insbesondere um die Dekonzentration städtischer Armut geht (etwa Blokland und van Eijk, 2010; Lees et al., 2012; Walther und Güntner, 2013). Mischungsorientierte Stadtentwicklungspolitiken zielen auf die Neuzusammensetzung der Bevölkerung spezifischer, administrativ abgegrenzter stadträumlicher Einheiten, deren ‚Bewohner*innenmischung‘ als problematisch für die individuelle wie stadtgesellschaftliche Integration begriffen wird. Die entsprechenden Problemdefinitionen basieren vor allem auf ethnisierenden, kulturalisierenden und klassenbezogenen Kategorisierungen. In Deutschland prägen diese Problematisierungen und Strategien insbesondere das Paradigma der „integrierten Stadtteilentwicklung“ (Güntner, 2007). Beispielhaft dafür steht das Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“, das 1999 ins Leben gerufen wurde (ebd.). Mit seiner ressortübergreifenden und quartiersspezifischen governance-Orientierung war das Programm Teil der als neoliberal beschriebenen Transformationen hin zu einer aktivierenden Sozialstaatlichkeit (Lanz, 2009; Mayer, 2003). Zugleich stand diese Regierung ‚ benachteiligter‘ städtischer Räume in deutlicher Kontinuität zu seit den 1970er Jahren teils restriktiven Bearbeitungsversuchen von Gebieten mit hoher Armuts- und insbesondere „Ausländerkonzentration“ (Rinn und Wehrheim, 2018). Die Soziale-Stadt-Programmatik hat nun drei zentrale Bausteine: Die physische Aufwertung des Wohnungsbestandes und Wohnumfeldes, die Verbesserung der sozialen, kulturellen und Bildungsinfrastrukturen sowie des Stadtteilimages. Verbesserungen der Teilhabe- und Integrationschancen ‚benachteiligter‘ Bewohner*innen wurden eng an Strategien zur Stabilisierung der Sozialstruktur gebunden: Durch Aufwertungspolitiken Sozialer Mischung, die auf Verbleib und Zuzug statushöherer Bewohner*innen zielten (Münch, 2010:359 f.), sollte die stadträumliche Konzentration statusniederer Gruppen aufgebrochen und so mögliche negative Kontext- bzw. Quartierseffekte (Manley et al., 2012; Volkmann, 2012) vermindert werden. Mittelschichtshaushalten wurden die Potenziale zugeschrieben, Verantwortung für das Wohnumfeld zu übernehmen, durch Nachfrage und Engagement soziale, kulturelle sowie Bildungsinfrastrukturen zu verbessern und die lokale Ökonomie anzukurbeln: Gleichzeitig sollten sich durch milieu-, schicht- und herkunftsübergreifende Kontakte und soziales Lernen Sozialisationsbedingungen und damit Teilhabechancen statusniederer Bevölkerungsgruppen verbessern (DeFilippis und Fraser, 2010; Weck und Hanhörster, 2017).

Die Rationalität der „Sozialen Stadt“ steht zudem in engerer Beziehung zu einem konstatierten „Paradigmenwechsel“ der auf Menschen mit (zugeschriebenem) „Migrationshintergrund“ gerichteten „Integrationspolitik“ in Deutschland (Häußermann und Kapphan, 2008): „Integration“ wurde zunehmend auf die kommunale Ebene verlagert und als Querschnittsaufgabe konzipiert, die „vor Ort“ in „sozialräumlichen“ Bezügen bearbeitet werden sollte. Pütz und Rodatz (2013) haben herausgearbeitet, dass sich damit auch eine Abkehr von einer Defizitperspektive auf Migration verbindet: eine neoliberale Affirmation von „Diversität als Potenzial“ in einer „Stadt der Vielfalt“, die bis zur Kritik des Mischungsideals selbst reiche (ebd.: 174). Unter Vorzeichen unternehmerischer Stadtpolitik und einer Rationalität der Aktivierung ökonomischer Potenziale aller Stadtbewohner*innen würde sich eine Normalisierung von Migration und Migrationsfolgen abzeichnen, Segregation nun auch als Integrationsmodus (und nicht nur Desintegrationserscheinung) thematisiert und Diversität zur Ressource auch im interurbanen Wettbewerb. Für Frankfurt zeigt Rodatz, dass auf der Ebene administrativer Programmatiken „Vielfalt als Tatsache“ betont und gar auf „Diversity statt Integration“ (Rodatz, 2014:50, Terkessidis zitierend) gesetzt werde. In dieser Verschiebung scheint eine „postmigrantische“ Perspektive auf: Migration und Diversität bzw. „Pluralität“ werden als Normalität gesetzt und damit dominante problematisierende Repräsentationen migrationsgesellschaftlicher Wirklichkeiten zurückgewiesen (Foroutan, 2018; Wiest, 2019). Es wird jedoch vielfach aufgezeigt, dass diese normalisierende Perspektive auf Migration mitnichten gesellschaftlich durchgesetzt sei (ebd.), gerade auch angesichts gegenwärtiger Konjunkturen von Rassismen und Polarisierungen in Nachfolge des „Sommers der Migration“ 2015 (El-Tayeb, 2016; Espahangizi et al., 2016). Und so weisen neben anderen Autor*innen (etwa Wiest und Kirndörfer, 2019) auch Pütz und Rodatz auf die Umstrittenheit Diversity-orientierter Programmatik und auch auf die Diskrepanz zwischen Programm und Umsetzung hin.

Politiken Sozialer Mischung bleiben insofern trotz integrationspolitischer Perspektivverschiebungen weitgehend wirkmächtig. Sie werden allerdings ebenso kontinuierlich von zahlreichen Stadtforscher*innen kritisch analysiert. Diese heben hervor, dass die mit der Mischungsprogrammatik verbundenen integrationspolitischen Zielsetzungen und die Annahmen über nachbarschaftliche Beziehungen im Kontext sozialer Ungleichheit und Diversität gewissermaßen unrealistisch und empirisch fragwürdig seien (u.a. Lees et al., 2012:7 f.; Dangschat, 2014). In zahlreichen empirischen Untersuchungen wird festgestellt, dass sich durch eine veränderte Mischung von Bewohner*innen, die durch den Zuzug von Mittelschichtsangehörigen erreicht werden soll, keine Verbesserungen von nachbarschaftlichen Beziehungen, Armutslagen, Teilhabe- und Integrationschancen feststellen lassen (Blokland und van Eijk, 2010:315). Alte und neue Bewohner*innen würden kaum „inter-ethnische“ oder klassenübergreifende Verbindungen eingehen. Darüber hinaus werden grundsätzliche Zweifel an der Bedeutung der Kontexteffekte im Vergleich zu anderen Ausgrenzungsfaktoren formuliert (etwa Manley et al., 2012). Gleichzeitig werden aber auch die spezifischen Auswirkungen der mischungsorientierten Stadtentwicklungsstrategien kritisch diskutiert. Diese könnten soziale und stadträumliche Ausschließungsprozesse armer bzw. etwa am Wohnungsmarkt (rassistisch) diskriminierter Bewohner*innen eher verstärken: Auf der Ebene gesamtstädtischer Integration würden neue unerwünschte Segregationsprozesse in Gang gesetzt, auf der Ebene individueller Integration von statusniederen Bewohner*innen wirkten in den ehemaligen innerstädtischen ‚Problemquartieren‘ nun Abgrenzungs- und Distinktionspraktiken der neu zuziehenden Mittelschichten ausgrenzend (Holm, 2012; Karsten, 2008). Zugespitzt formuliert: Das Mischungsideal verweise auf „hegemonic middle-class values of individual achievement, capacity and lifestyle“ und stabilisiere bestehende Machtverhältnisse (Huning und Schuster, 2015:741). Gezeichnet wird so ein Bild, in dem Bewohner*innen mit größerem sozialem, ökonomischem und kulturellem Kapital sich ‚benachteiligte‘ Stadtteile aneignen, indem sie ihre eigenen Normen und Ansprüche etwa an nachbarschaftliches Zusammenleben oder die Nutzung öffentlicher Räume verallgemeinerten. Auf multiple Weise würden sie so zur Ausgrenzung marginalisierter Bewohner*innen beitragen. Entsprechende Aufwertungsstrategien werden demzufolge auch als Katalysatoren für Verdrängung diskutiert, und Politiken Sozialer Mischung als neutrale Beschreibungen für politisch-administrativ vorangetriebene Gentrifizierung bezeichnet (Lees et al., 2012; Slater, 2006). Nicht zuletzt lassen sie sich als Strategien im Rahmen einer bevölkerungspolitischen Regierungsrationalität zur Herstellung ‚funktionierender‘ städtischer Räume begreifen (Rinn, 2018).

Dass ein möglicher Zusammenhang zwischen mischungsorientierten Aufwertungsstrategien und Verdrängung so prominent diskutiert wird, wird insbesondere dann plausibel, wenn die verschiedenen Dimensionen und Formen von Verdrängung in den Blick genommen werden: Neben physischer oder ökonomischer Verdrängung aus der Wohnung und ausschließender Verdrängung auf lokalen Wohnungsmärkten werden hier auch Veränderungen des breiteren Gebiets- bzw. Nachbarschaftscharakters beschrieben (Marcuse, 1985; Davidson, 2008)3. In Verdrängungsprozessen stehen insofern Aneignungsmöglichkeiten von städtischen Ressourcen wie Wohnraum, Wohnumfeld, Stadtteilinfrastrukturen und öffentlicher Räume auf dem Spiel, die zentral auch im Rahmen sozialer Stadtentwicklungsstrategien aufgewertet und für statushöhere Zielgruppen attraktiv gemacht werden sollen – also auch in solchen Stadtteilen, in denen kein direkter ökonomischer Verdrängungsdruck besteht.

2.2 Eine interaktionistische Perspektive auf Konflikte um Aufwertung und Verdrängung im „Mischungsgebiet“

Der theoretische wie empirische Ausgangspunkt unserer Frageperspektive lässt sich nun folgendermaßen zusammenfassen: Aufwertungsgebiete, in denen politisch-administrative Akteur*innen Politiken Sozialer Mischung einsetzen, lassen sich – unabhängig von einsetzender oder ausbleibender ökonomischer Verdrängung – als Wohngebiete beschreiben, in denen sozial ungleiche Bewohner*innen miteinander und mit anderen Akteur*innen der Stadtteilentwicklung (potentiell) konflikthaft interagieren (Bridge et al., 2014). Diese Interaktionen sind wiederum relevant für die Realisierung von Teilhabe an und Ausgrenzung von städtischen Ressourcen. Konflikte von Bewohner*innen in solchen unterschiedlichen innerstädtischen Wohngebieten resultieren dabei nicht einfach aus sozialstrukturellen Positionen, institutionalisierten Machtasymmetrien oder quasi-automatisch verlaufenden ökonomischen oder sozialökologischen Entwicklungsprozessen. Vielmehr lassen sich diese Konflikte als praktisch in spezifischen Situationen hergestellt begreifen. Dieser Konzeption liegt eine interaktionistische Perspektive zugrunde: Konflikte, verstanden als Beziehungen zwischen (mindestens) zwei Akteur*innen, die durch Unvereinbarkeiten in Bezug auf spezifische Aushandlungsgegenstände gekennzeichnet sind (vgl. Bonacker, 2018), werden in „Handlungskategorien“ (Blumer, 1981) begriffen, wobei Handlung als eine kommunikative und produktive Praxis begriffen wird, die immer relational, situativ und performativ ist4. Vor dem Hintergrund dieser Konzeption lautet unsere grundlegende forschungsleitende Annahme, dass alltägliche Aneignungsweisen städtischer Ressourcen in Quartieren kontinuierlich (neu) ausgehandelt werden müssen, und, dass aufwertungsorientierte Stadtentwicklungspolitiken der Sozialen Mischung Auswirkungen auf diese Aushandlungen und Aneignungsmöglichkeiten haben. Dabei ist von potentiell konflikthaften Interaktionssituationen auszugehen, in denen Teilhabemöglichkeiten und Ausschlüsse praktisch verhandelt und realisiert werden. Konflikte um Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse lassen sich dementsprechend als relationale Aneignungskonflikte verstehen, in denen Zugänge und Ausschlüsse sozial ungleich und different positionierter Bewohner*innen in Bezug auf die Gestaltung und Nutzung städtischer Ressourcen praktisch verhandelt bzw. hergestellt werden.

2.3 Rassismus als gesellschaftliches Verhältnis und alltägliche Praktiken der Rassifizierung

Um die im Zentrum dieses Artikels stehenden ethnisierenden und kulturalisierenden Artikulationen innerhalb dieser interaktiven Aushandlungen begreifbar zu machen, nehmen wir eine ebenfalls konfliktorientierte rassismusanalytische Perspektive ein. Basal operieren rassifizierende Deutungspraktiken zunächst über die hierarchisierende Konstruktion homogener Gruppen entlang von (zugeschriebenen) körperlichen, kulturellen oder ethnischen Merkmalen und über praktische Identifikationen von Individuen als Exemplare dieser Gruppen (Castro Varela und Mecheril, 2016:16 ff.). Durch (historisch variierende) Konstruktionen solcher ‚Anderen‘ wird zugleich die ‚eigene Gruppe‘ (als weiß, westlich-europäisch, christlich-abendländisch, aufgeklärt-rational etc.) konstruiert und deren Dominanzansprüche legitimiert5. Rassistische Artikulationen lassen sich dabei in Anschluss an Stuart Hall (1989) als Strategien bestimmen, die dazu dienen, „bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen oder symbolischen Ressourcen aus[zu]schließen“ (ebd.: 913). Solche Strategien können auch mit (selektiven und widersprüchlichen) Assimilierungs- oder Integrationsanforderungen verbunden werden (Bojadžijev, 2012:24). Damit sollen zugleich soziale, ökonomische, politische und kulturelle Ordnungen (und damit Arbeitsteilung, Ausbeutung, die Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen, Repräsentationsregime etc.) re-produziert und legitimiert werden. Rassismus muss also als gesellschaftliches Verhältnis verstanden und spezifische Rassismen als Dimensionen sich transformierender sozialer Kräfteverhältnisse analysiert werden (ebd.: 20 ff.). Rassifizierende Klassifikationssysteme materialisieren sich in unterschiedlichen gesellschaftlichen Formen, sie sind etwa eingeschrieben in staatliche Institutionen und werden in alltäglichen Praktiken produktiv. Rassifizierende Praktiken können dann auch als Dominanzstrategien gegenüber Forderungen nach Anrechten und Teilhabe, gegenüber Widerständen gegen Unterordnung und auch widerspenstigen Aneignungspraktiken subalternen Gruppen verstanden werden. Für unsere Untersuchung von Aneignungskonflikten bedeutet dies, dass die beobachteten kulturalisierenden und ethnisierenden Gruppenkonstruktionen nicht als Reaktionen auf die Präsenz (oder gar zahlenmäßige Zunahme) ethnisch oder kulturell ‚Anderer‘ im Stadtteil zu verstehen sind. Vielmehr werden diese rassifizierten ‚Objekte‘ durch entsprechende Zuschreibungen erst hervorgebracht; durch interaktive Deutungspraktiken also, die durch historisch gewordene sowie stadtgesellschaftlich situierte Wissensrepertoires mit ermöglicht werden. Als solche sind sie zugleich Elemente konflikthafter gesellschaftlicher Konstellationen und Konjunkturen von Rassismen (Espahangizi et al., 2016).

2.4 Zur qualitativen Erhebung von Aneignungskonflikten

Um nun im Untersuchungsgebiet auftretende Aneignungskonflikte aus einer interaktionistischen Perspektive zugänglich zu machen, haben wir vorbereitend Dokumenten- und Medienanalysen sowie Expert*inneninterviews mit professionellen Akteur*innen im Stadtteil durchgeführt. Während mehrmonatiger Feldforschungen haben wir unter anderem umfangreiche Begehungen des Stadtteils sowie 80 qualitative teilstrukturierte Interviews mit 114 Bewohner*innen durchgeführt, die wir ethnographisch protokolliert haben. Ziel war es dabei, möglichst unterschiedliche Perspektiven auf unterschiedliche Konfliktfelder zu erheben, einen Materialkorpus mit möglichst heterogenen Konfliktsituationen zu produzieren, und dafür ein möglichst heterogenes Sample an Interviewpartner*innen zu generieren6. Nach einem offenen Intervieweinstieg, der auf Erzählungen über selbst erlebte schwierige Situationen und problematische Ereignisse mit Bezug auf den Stadtteil und dessen Ressourcen zielte, richteten wir thematische Nachfragen auf unterschiedliche stadtteilbezogene Ressourcen. Anschließend haben wir in Auswertungsteams die Interviewprotokolle verstehend interpretiert und knapp 330 Erzählsequenzen rekonstruiert, von denen 147 Erzählungen über selbst erlebte schwierige Situationen und deren Bearbeitung umfassten, die anderen dagegen eher allgemeine Problemerzählungen über den Stadtteil.

Bevor wir nun auf zentrale Befunde unserer qualitativen Bestandsaufnahme von Aneignungskonflikten eingehen und die Bedeutung rassifizierender Zuschreibungen in den Aushandlungen konflikthafter Situationen herausarbeiten, skizzieren wir im nächsten Abschnitt die stadtentwicklungspolitische und polizeiliche Bearbeitung Altendorfs.

3 Regierungsweisen eines „problematischen“ Stadtteils: Stadtentwicklungspolitik und Polizei in Essen-Altendorf

3.1 Altendorf als „Stadtteil mit besonderem Entwicklungsbedarf“

Altendorf liegt nord-westlich der Essener Innenstadt. Die Entwicklung des Stadtteils ist eng mit der Geschichte kapitalistischer Industrialisierung im Ruhrgebiet verknüpft – mit dem Aufstieg und Fall industrieller Arbeit und verschiedenen Phasen der (Arbeits-)Migration. Nach einer längeren Schrumpfungsphase ist die Bevölkerung im letzten Jahrzehnt wieder um knapp 10 % auf 22.600 Personen angewachsen (Stadt Essen, 2019). Als Altendorf Ende der 1990er Jahre in den Fokus integrierter Stadtteilentwicklung geriet, lautete die kaum weiter begründete Problembestimmung „Segregation“. Der Stadtteil sei geprägt „durch eine Fülle von städtebaulichen, sozialen, ökonomischen, ethnischen Problemen“ (Stadt Essen, 1999:11): „Die vorhandene Drogenszene, Vandalismus, Schmutz im öffentlichen Raum, fehlende Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche und Konflikte im Wohnbereich zwischen Deutschen und Nichtdeutschen belasten das Klima in Teilen Altendorfs“ (ebd.: 7). Die Verknüpfung von „Ausländern“ und „Problemen“ bzw. „ethnischen Konflikten“ zieht sich deutlich durch das Handlungskonzept der Stadt Essen, es spricht insofern auch die Sprache „urbaner Paniken“ (Ronneberger und Tsianos, 2009). Im Rahmen des Stadtentwicklungsprozesses wurden zunächst unter anderem einzelne Stadtplätze aufgewertet und diverse sozialarbeiterische Integrationsprojekte umgesetzt. Diese zielten auf eine community- und arbeitsmarktorientierte Re-Integration insbesondere von Erwerbslosen in diversen Spezifizierungen („Ausländer“ allgemein, Jugendliche, alleinerziehende Frauen, langzeitarbeitslose Männer). Multikulturalistisch orientierte Nachbarschaftsprojekte zielten auf Vermittlung zwischen als ethnisch unterschiedlich klassifizierten Bevölkerungsgruppen und auf eine Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen. Verhindert werden sollte die Abwanderung von ‚alteingesessenen‘ Bewohner*innen und eine ‚problematische‘ Neuzusammensetzungen von Wohngebieten. Mischungsorientierte Stadtteilentwicklung war hier auf die vorhandene Bevölkerung in ihrer spezifischen ethnischen Zusammensetzung gerichtet.

Diese Innenorientierung wurde ab Mitte der 2000er Jahre in Richtung einer Anreizung selektiver Zuzüge verschoben: An den Rändern des Stadtteils wurden Wohnungsneubauprojekte errichtet, die sich an besserverdienende Familien in ganz Essen richteten (Stadt Essen, 2003). Das spektakulärste Projekt war dabei ein künstlich angelegter See im nord-östlichen Teil Altendorfs, der 2014 fertiggestellt wurde. An den „Niederfeldsee“ mit Grünflächen und einer Promenade schließt das „Uferviertel“ mit sechs freistehenden kubischen Mehrparteienhäusern an. Eigentümer ist das städtische Wohnungsunternehmen Allbau, alle 62 Wohnungen werden frei (d.h. nicht sozialgebunden) vermietet. Die mit dem Uferviertel verbundenen Ziele hätten, so ein Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes, darin bestanden, „auch eine Durchmischung hinzukriegen, also ganz bewusst da andere Bewohner hinzukriegen, also hochwertig zu bauen“ (Exp_Adorf_04). Niederfeldsee und Uferviertel waren als ‚Leuchtturmprojekte‘ konzipiert, die einen Imagewandel Altendorfs befördern und zugleich als doppelter Entwicklungsimpuls wirken sollten: Durch den Zuzug von Besserverdienenden sollte die „Durchmischung“ verbessert und private Investitionen in den Wohnungsbestand im Umfeld angereizt werden.

Nun haben sich diese angestrebten Veränderungen offenbar nicht entsprechend eingestellt. Mitarbeiter*innen des Stadtplanungsamtes, Quartiersmanagements und der Wohnungswirtschaft beschreiben Altendorf heute problematisierend als „Ankommensstadtteil“ mit einer weiterhin „schwierigen“ Wohnungsmarktlage (Exp_Adorf_04; Exp_Adorf_01; Exp_Adorf_03). Hauptproblem sei eine zu geringe erzielbare Marktmiete, was mit dem anhaltenden Imageproblem zusammenhänge: Kaufkräftigere Haushalte würden den Stadtteil weiterhin verlassen oder meiden, weshalb Investitionsanreize für Eigentümer*innen fehlten. Im Effekt bleibe Altendorf so mit seinen relativ günstigen Mietpreisen attraktiv für diejenigen mit den schlechtesten Wohnungsmarktchancen, und der schlechte Ruf reproduziere sich. Im Zusammenhang dieses Teufelskreises des Altendorfer Wohnungsmarktes wird dann auch die ab Mitte der 2010er Jahre einsetzende ‚Armutsmigration aus Osteuropa‘ und ‚Fluchtmigration aus Bürgerkriegsländern‘ als besondere Herausforderung für den Stadtteil begriffen. Eine positive Bezugnahme auf eine Diversität des Stadtteils oder ‚Potentiale der Migrant*innen‘ findet sich dagegen kaum in unseren Expert*inneninterviews. Und auch in der auf neu zugewanderte EU-Bürger*innen aus Bulgarien und Rumänien gerichteten Stadtteilarbeit überwiegen (ethnisierte) Problematisierungen deutlich7. Diagnostiziert wird eine kontinuierliche Transformation der Bevölkerungszusammensetzung, die daher kontinuierlicher Interventionen von Stadtplanung und Quartiersmanagement bedürfe. Hervorgehoben werden dabei Auseinandersetzungen um den Niederfeldsee, aber insbesondere auch um den baulich neugestalteten „Ehrenzeller Platz“.

3.2 Altendorf als „gefährliches Viertel“

In Korrespondenz zur stadtpolitischen Behandlung als ‚Problemquartier‘ wird Altendorf von der lokalen Polizei als ‚gefährliches Viertel‘ bearbeitet. Zentral ist dabei die Konstruktion einer ‚gefährlichen ausländischen Bevölkerung‘ als Verunsicherungsfaktor, wobei rassifizierende und kriminalisierende Zuschreibungen in den letzten Jahren insbesondere die durch Unschärfen geprägte Figur der „Clans“ hervorgebracht haben. Diese würden sich durch ihre „Abschottung“ und „ethnische Geschlossenheit“ (Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, 2019:6) auszeichnen. So lautet die Problemdefinition des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen, dass „türkisch-arabischstämmige Großfamilien mit Mhallamiye-Hintergrund“ durch „aggressives Auftreten, Ordnungsstörungen und Straftaten die Bevölkerung einschüchtern und versuchen, bestimmte regionale Räume augenscheinlich für sich zu reklamieren“ (ebd.). Wegen der Unterwanderung staatlicher Strukturen und aktiv herbeigeführter „Segregation“ sei dieses Problem nicht nur von polizeilicher Relevanz, sondern habe vielmehr eine „politische und eine gesellschaftliche Dimension“ (ebd.).

Unter Federführung von NRW-Innenminister Reul zielen nun Polizeistrategien der „Politik der 1000 Nadelstiche“ und der „Null-Toleranz-Politik“ auf eine flächendeckende Durchsetzung von „Recht und Ordnung“, und dies insbesondere auch in Altendorf. Hier wurde etwa zwischen April und September 2018 die Polizeipräsenz erhöht und Alltagsdevianzen häufiger und „niederschwellig“ kontrolliert. Angesichts der intensiven anlasslosen Bestreifung, aber auch gezielter Razzien in als ausländisch markierten Gewerbebetrieben8 konnten wir während unserer Forschungsaufenthalte gewissermaßen eine Dauerpräsenz der Polizei im Stadtteil beobachten. Ein leitender Polizeibeamter äußerte sich bei einer von uns zufällig beobachteten Großkontrolle einer Shisha-Bar im Juni 2018 auf Nachfrage, es gebe keinen spezifischen Anlass für die Razzia, sondern gehe vielmehr darum, „hier für Recht und Ordnung zu sorgen“ (Feldprotokoll_D_15.06.18). „Wir tun alles, um keine Parallelgesellschaften aufkommen zu lassen und die Gesetze des deutschen Staates mit allen erlaubten Mitteln durchzusetzen“ (Sat, 2018), wird der Polizeisprecher in Essen in einem Zeitungsartikel zu der Aktion zitiert. Sichtbar wird die Strategie der ‚ Zerschlagung‘ von ‚räumlich konzentrierter Ausländerkriminalität‘, was zugleich das in Altendorf gestörte ‚Sicherheitsempfinden‘ der Bevölkerung wiederherstellen soll.

Eben diese Strategie wird auch in der Bearbeitung des lokalen Drogenhandels produktiv. Im Jahr 2015 wurden eine polizeiliche Task-Force gegründet und ‚kriminogene Orte‘ definiert, an denen verdachtsunabhängige Kontrollen gemäß Paragraph 12 PolG NRW ermöglicht wurden. Ein Polizeibeamter, der Mitglied eben jener Task-Force war, berichtet, dies habe zu einer räumlichen Verdrängung der Szene geführt (Exp_Adorf_05). Aus der Altendorfer Bevölkerung habe es allerdings erstaunlicherweise wenig Beschwerden, insbesondere keine Rassismusvorwürfe gegeben, „wenn man Leute dann einfach mal an die Hauswand stellt und sie durchsucht“, obwohl man vor zwei Jahren „noch nicht ganz so aus dieser Gutmenschsituation raus“ gewesen sei: „Da haben wir gedacht oh das geht schief, weil es gibt ja auch dann immer irgendwelche Sachen: ‚warum wird der jetzt kontrolliert? Nur aufgrund der Hautfarbe?‘, […] oder weil er eben den großen Bart hat“ (Exp_Adorf_05). Hier wird ein polizeiliches Wissen darüber sichtbar, in Altendorf relativ unproblematisiert repressiv-kontrollintensive Polizeistrategien gegen die ‚üblichen Verdächtigen‘ (d.h. als in Gruppen agierend und nicht-deutsch markierte Bewohner*innen) durchführen zu können9.

Auch wenn man nun annehmen könnte, dass die polizeiliche Bearbeitung Altendorfs als ‚gefährliches Viertel‘ bei der imagepolitisch orientierten Stadtteilentwicklungspolitik eher kritisch gesehen wird, so ist das Gegenteil der Fall: Die von uns interviewten Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung und involvierter sozialer Träger begrüßten die polizeiliche Null-Toleranz-Strategie (Exp_Adorf_01) und formulierten die Notwendigkeit einer „kontinuierlichen Intervention“ unterschiedlicher ordnungspolitischer Akteur*innen in öffentlichen Räumen (Exp_Adorf_04). Verstehbar wird dies dadurch, dass solche Kontrollpraktiken mit dem stadtteilpolitischen Ziel korrespondieren, die Enttäuschungen und Empörungen derjenigen Bewohner*innen zu befrieden, die mehr ‚Sicherheit‘, (soziale) Kontrolle und Ordnung fordern. Denn diese sollen zum Verbleib im Stadtteil bewegt werden und zugleich soll so der Zuzug der umworbenen Mittelschichtshaushalte mittelfristig ermöglicht werden. Plausibel wird so auch der Appell an die Bewohner*innen, bei Störungen oder Konflikten die Polizei zu kontaktieren. So wird die Polizei zugleich als legitime Beschwerde- und Konfliktlösungsinstanz alltäglicher Ärgernisse im Stadtteil positioniert.

4 Aneignungskonflikte in Altendorf

4.1 Allgemeine Problematisierungen und erlebte Schwierigkeiten: Artikulationen und Kritiken des Problemdiskurses – Vermeidung interaktiver Konfliktaushandlungen

Wenn wir nun Bewohner*innen Altendorfs nach persönlich erlebten Schwierigkeiten oder Ärger fragten, fielen ihnen häufig als erstes Problemerzählungen ein, die von allgemeinen Zuständen und beispielhaften Situationen handelten, mit denen als abweichend gedeutete Verhaltensweisen und „Mentalitäten“ von Bewohner*innengruppen illustriert wurden. Häufig artikulierten sie ein Wissen über „die Libanesen“, „die Bulgaren und Rumänen“, „die Roma“ oder „die Afrikaner“, aber auch „die Deutschen“, „Trinker“ oder „Penner“. „Müll“, „Lärm“, „Drogen“, „Gewalt“ waren die zugeordneten Phänomene. Auffällig waren dabei auch Erzählungen über die Präsenz der Polizei im Stadtteil, die etwa aus der eigenen Wohnung, beim Passieren oder Sich-Aufhalten im öffentlichen Raum erfahren wird: die Sirenen von Polizeiautos, beobachtete Kontrollen von „Verkehrssündern“ (die in zweiter Reihe parken) oder „Kriminellen“ (mit „dicken Autos“ vor Grillimbissen und Wettbüros) und „Drogendealern“ (die nahezu ausschließlich als sschwarz beschrieben wurden). Zudem kursierten Stadtteilgeschichten etwa über eine Messerstecherei, eine Schießerei mit einem bekannten Boxer und einen „Vergeltungsangriff“ auf eine Pizzeria. Solche narrativen Elemente verdichten sich dabei zu einer Konstruktion des Stadtteils als gefährlichem und kriminellem Ort. Der mediale wie politisch-administrative dominante Problemvierteldiskurs ist im Stadtteil also deutlich präsent. Neben affirmativen Re-Artikulationen trafen wir in einer geringeren Anzahl auf Bewohner*innen, die diesem Diskurs ablehnend gegenüberstanden und etwa die Verbreitung eines „schlechten Rufs“ Altendorfs kritisierten. Dabei finden sich auch einige Gegenerzählungen, die aus migrantisierter Perspektive explizit eine zunehmende „Ausländerfeindlichkeit“ (bspw. Bew_Adorf_A_05) der „Deutschen“ betonen10, oder auch, dass die Polizei nur „Ausländer“ kontrolliere und schikaniere (Bew_Adorf_D_20).

Die Befunde zu problematisierenden Artikulationen homogenisierender Gruppenkonstruktionen durch Bewohner*innen haben uns hinsichtlich ihrer Quantität durchaus überrascht. Besonders aufschlussreich wird es nun aber dann, wenn diese allgemeinen problematisierenden Erzählungen über den Stadtteil mit den Erzählungen über eigene konfliktbehaftete Erlebnisse in Beziehung gesetzt werden. Zumeist erst auf weitere Nachfragen erzählten uns einige Gesprächspartner*innen von erlebten schwierigen Situationen. Andere dagegen hatten keine solchen Situationen zu erzählen (gut 36 % der Interviews enthalten keine Erzählungen über schwierige Situationen, weitere 10 % weder solche noch Problemerzählungen), was mitunter mit ihren allgemeinen Problematisierungen des Stadtteils im Widerspruch stand. Von den erzählten schwierigen Situationen wurden knapp zwei Drittel interaktiv ausgehandelt11. Der größere Teil dieser Interaktionssituationen war dabei durch Praktiken gekennzeichnet, die darin bestanden, einen Konflikt zu vermeiden bzw. nicht entstehen zu lassen. Situationen, in denen Bewohner*innen Unvereinbarkeiten interaktiv ausgehandelt haben, machten nur 18 % der insgesamt erhobenen schwierigen Situationen aus. Ein zentraler Befund ist also, dass die erhobenen Erzählungen darauf hinweisen, dass städtische Alltage in Altendorf relativ konfliktvermeidend organisiert werden. Dies steht in deutlichem Kontrast zu dominanten Dramatisierungen und Skandalisierungen des ‚gefährlichen Problemquartiers‘. Dass diese Konfliktvermeidungsstrategien jedoch weniger mit einer besonderen Gefährdungslage, sondern viel eher mit dem rassistischen Problemvierteldiskurses korrespondieren dürften, wird in der folgenden Analyse deutlich.

4.2 Beispiel Nachbarschaftskonflikte: Asymmetrische Beschwerdekonstellationen

Analysieren wir nun die konkreten Situationsschilderungen genauer, wird ein spezifisches Muster von Akteur*innenkonstellationen sichtbar. Das wollen wir exemplarisch am Themenfeld Wohnumfeld und Nachbarschaft zeigen. Hier schildern Bewohner*innen Erlebnisse, in denen es vor allem um die Einhaltung von Regeln und um Nutzungsnormen geht: Abfallentsorgung, Treppenhausreinigung, Laustärkegrenzen oder auch ‚Gartenordnungen‘. Etwa die Hälfte dieser Erzählungen haben Lautstärke zum Thema. Drei Viertel dieser Lautstärkeerzählungen erfolgen aus problematisierender Perspektive, das heißt, unsere Gesprächspartner*innen berichten über problematisches Verhalten anderer. Dabei finden sich in knapp zwei Dritteln dieser problematisierenden Erzählungen ethnisierende, kulturalisierende oder nationalstaatliche Zuschreibungen. Ebenfalls in zwei Dritteln der geschilderten Situationen entschieden sich die problematisierenden Personen dafür, „nichts“ zu tun, einmalige Ereignisse auszusitzen oder sich mit dauerhaft störenden Zuständen abzufinden. Als Begründungen werden etwa fehlende Erfolgsaussichten oder Angst vor negativen Konsequenzen einer Beschwerde genannt, wobei auch hier wieder ethnisierende und kulturalisierende Gruppenkonstruktionen produktiv werden. Das andere Viertel der Lautstärkeerzählungen wurde uns nun aus der Perspektive als problematisierte Person geschildert – und zwar ausschließlich von migrantisierten Bewohner*innen12. Es gibt dagegen keine Erzählungen von weiß-deutschen Bewohner*innen, von anderen im Wohnumfeld in Bezug auf Lautstärke problematisiert worden zu sein. Um es festzuhalten: Die Hälfte der geschilderten Situationen, in denen Lautstärke problematisiert wurde, wurde interaktiv ausgehandelt – und in allen Fällen wurden „Ausländer“ zum Einhalten von Lautstärkegrenzen aufgefordert. Es sind ausschließlich Bewohner*innen mit zugeschriebenem Migrationshintergrund, die davon berichten, von anderen Bewohner*innen problematisiert zu werden, während es mehrheitlich weiß-deutsche Bewohner*innen sind, die über Ereignisse erzählen, in denen sie sich über zumeist als nicht-deutsch markierte Bewohner*innen „aufregen“ oder diese „zur Raison“ bringen mussten. Dieser Befund zur Selektivität von Beschwerdekonstellationen weist nun weniger auf mangelnde Artikulationskompetenz derjenigen hin, die häufig schlicht als „Ausländer“ gelabelt werden. Vielmehr wird sichtbar, wer in Altendorf offenbar zu denjenigen gehört, die üblicherweise verantwortlich gemacht werden können, über die man sich beschwert, und wer über legitime Positionen verfügen kann, um sich über andere zu beschweren.

4.3 Umstrittene Aufwertungsprojekte: Wohnungsneubau und öffentlicher Raum

So zeichnet sich als Befund unserer Untersuchung ab, dass Problematisierungen von Normverstößen mit rassifizierenden, ethnisierenden und kulturalisierenden Gruppenkonstruktionen korrespondieren, die wiederum auch in alltäglichen Aushandlungen der Aneignung städtischer Ressourcen produktiv werden, und dass die beschriebene Beschwerdeasymmetrie mit den stadtentwicklungspolitischen wie polizeilichen Strategien im Stadtteil korrespondiert. Dies bestätigt sich auch in der Untersuchung von Aneignungskonflikten rund um zentrale Aufwertungsprojekte. Im Folgenden diskutieren wir Aushandlungen um den Niederfeldsee und das Uferviertel als symbolisch aufgeladene Aufwertungsinsel sowie um den Ehrenzeller Platz, der mittlerweile eher für den gescheiterten Versuch der Aufwertung eines „Ankommensstadtteils“ steht.

4.3.1 Niederfeldsee und Uferviertel: Umkämpftes Leuchtturmprojekt

Am Niederfeldsee und Uferviertel werden zunächst unterschiedliche Raumkonzeptionen deutlich: Für die einen ist der See ein Treffpunkt, an dem freie Zeit verbracht wird, für andere ist es der ‚eigene Vorgarten‘, wieder andere scheinen mit dem See das Versprechen einer Aufwertung des Stadtteils zu verbinden. Aus der Perspektive der Anwohner*innen geht es um physische Präsenzen und symbolische Repräsentationen am See, beide untrennbar miteinander verbunden. Zentrale Problematisierungen handeln von Lautstärkebelastung durch Nutzer*innen des Geländes, von Hinterlassenschaften wie Müll und Verschmutzungen und grundlegend von abweichenden Nutzungsweisen (z.B. „Shisha-Rauchen“ und „Sonnenblumenkerne essen“, mit „dicken Autos“ vorfahren, teils auch „Drogen verkaufen“). Die Präsenzen der problematisierten Gruppen werden als Vereinnahmung begriffen. Einige Anwohner*innen relativieren diese Problematisierungen, beschreiben die Phänomene eher als typisch für ein großstädtisches Setting, andere dagegen skandalisieren. Dabei ist wiederum die Verknüpfung von „Müll“, „Lärm“ und „Personengruppen“ mit „Ausländern“ dominant. Am Niederfeldsee werden dann beanspruchte Dominanzen und gefühlte Verletzungen dessen ausgehandelt, ‚was mir als Anwohner*in eigentlich zustehen würde‘. Gerade für diejenigen, die sich mit dem Stadtteilentwicklungsprozess identifizieren, aber auch für jene, die davon ausgegangen waren, sich im Uferviertel in ein hochwertiges Wohnumfeld einzumieten, scheint es schwer erträglich, wer sich für gewöhnlich am See aufhält und was diese „Bevölkerung“ (Bew_Adorf_D_23) dort macht. Und so zirkuliert ein Wissen darüber, dass die Neuzugezogenen unzufrieden seien, ihre Balkone nicht nutzen oder schon wieder wegziehen würden. Neben diesen eher adaptiven oder exit-orientierten Strategien werden aber auch regelmäßige Beschwerden beim Ordnungsamt oder der Polizei geschildert.

Gleichzeitig ist der Niederfeldsee ein Ort bürgerschaftlichen Engagements: Seit Eröffnung sammelt eine Bürgerinitiative, der Alteingesessene wie Neuzugezogene angehören, regelmäßig Müll auf dem Gelände. Mitglieder berichten, sie seien „als Deutsche“ von „Ausländern“ beim Müllsammeln verspottet und respektlos behandelt worden, und aus den „Vororten“ des Uferviertels sei niemand bereit gewesen, sich der Initiative anzuschließen (Bew_Adorf_D_22). Es scheint, dass hier gerade über das Thema „Müll“ die Formierung einer Community rechtschaffender Altendorfer Bürger*innen zu beobachten ist, die mindestens implizit kulturalisierende Problematisierungen des Stadtteils re-produziert. Über den stadtentwicklungspolitischen ‚Erfolg‘ des Neubauprojektes entscheidet offenbar auch, ob den Leuten hier ‚beigebracht‘ oder ‚anerzogen‘ werden kann, sich an die ‚Regeln‘ und als selbstverständlich artikulierte Sauberkeitsvorstellungen zu halten.

Diese Frage der Regierung der Aufwertungsinsel entfaltet sich auch über die Präsenz und Anrufung von Kontrollakteur*innen. Kontrollerfahrungen werden uns nun von verschiedenen Seenutzer*innen und in Bezug auf unterschiedliche Situationen erzählt: So schilderten uns zwei junge Männer, dass sie abends am See sitzend von Polizist*innen grundlos kontrolliert worden seien, weil denen „ihr Gesicht nicht gefallen“ habe. Sie seien auf die Wache mitgenommen und dort entwürdigend behandelt worden: Sie hätten sich gemeinsam in einem Raum entkleiden müssen (Bew_Adorf_D_02). Sie selbst positionieren sich implizit als weiß-Deutsche, und es liegt nahe, dass in dieser Kontrollsituation polizeiliche Konstruktionen der ‚üblichen Verdächtigen‘ (in diesem Falle: Alter, Männlichkeit und ‚Unterschichtsinsignien‘) wirksam geworden sind (dazu Künkel, 2014). Eine weitere Bewohnerin, die sich selbst als „die erste Cappuccino-Mama in Altendorf“ beschreibt, erzählt, sie sei mit ihren Töchtern immer im See schwimmen gegangen, bis dies verboten worden sei (Bew_Adorf_B_21) – in den Worten einer Mitarbeiterin der Stadt Essen: „bis man dat den Leuten da mittels Bußgelder aberzogen hatte“ (Exp_Adorf_04). Gleichzeitig zirkulieren Erzählungen darüber, dass gerade die Polizei unfähig sei, am Niederfeldsee für Ordnung zu sorgen: „Wenn die laut reden, dann reden die halt und klar machen die dann die Musik leiser, aber wenn die Streife weg ist, drehen sie wieder auf“ (Bew_Adorf_C_01). Wir konnten nun während unserer zahlreichen Feldaufenthalte und systematischen Beobachtungen eine ausgeprägte Heterogenität von Nutzungsweisen, aber nahezu keine konflikthaften Interaktionen rund um den See beobachten. Insofern zeichnet sich der Befund ab, dass einerseits ganz unterschiedliche Kontrollsituationen am See erlebt werden, und sich andererseits die üblicherweise von anderen Bewohner*innen Problematisierten in ihren Aneignungspraktiken nur wenig stören lassen. Einiges spricht dafür, dass sie Problematisierungen schlicht aussitzen und einem durchaus vorhandenen Verdrängungsdruck durch fortgesetzte Aneignung begegnen. Gleichwohl dürfen die erhobenen Problematisierungen nicht einfach als folgenlos begriffen werden, und dies auch auf scheinbar banaler alltagspraktischer Ebene: Ein Bewohner berichtet etwa, wenn er mit einem Liegestuhl am See sitze, „da musste das Radler dicht an deinen Stuhl ran stellen, sodass es keiner sieht, sonst heißt es gleich wieder: Oh die saufen da“ (Bew_Adorf_D_15). In seiner Erzählung verbinden sich hier Erfahrungen mit rassistischen Zuschreibungen und einer ‚klassistischen‘ Abwertung öffentlich sichtbaren Alkoholkonsums. Und für Personen, die als ‚übliche Verdächtige‘ kategorisiert werden, besteht am See grundsätzlich ein erhöhtes Kontroll- und damit Sanktionierungsrisiko.

4.3.2 Ehrenzeller Platz: Gescheiterte Aufwertung im „Ankommensstadtteil“

Der im nördlichen Teil Altendorfs gelegene Ehrenzeller Platz wurde 2014 im Rahmen des Soziale-Stadt-Prozesses umfassend baulich erneuert. Er soll ein zentraler öffentlicher „Treffpunkt“ und „Begegnungsort“ (Stadt Essen, 2014:61) sein und somit auch Gradmesser dafür, wie gut die Soziale Mischung im Stadtteil funktioniert. Der Platz ist allerdings einer jener Orte, der in den Erzählungen der Bewohner*innen am häufigsten problematisiert wird. Thematisiert werden insbesondere zwei „Gruppen“: Diejenigen, die als „Sinti und Roma“, als „Bulgaren und Rumänen“ oder schlicht als „Zigeuner“ gelabelt werden, und diejenigen, die implizit als „deutsch“ und explizit als „Trinker“, „Penner“ oder auch „Obdachlose“ bezeichnet werden. Es geht in den Problemerzählungen um sich aufhaltende, laut unterhaltende, Alkohol konsumierende „Gruppen“, regellos spielende Kinder, „Lärm“ bis in die späten Abendstunden, und „Vermüllung“ des Platzes. Gegenerzählungen finden sich in unseren Interviews kaum bzw. ausschließlich auf die als „deutsche Trinker“ gelabelten Personen bezogen, mit denen sich etwa eine andere „deutsche“ Platznutzerin solidarisiert. Während die antiziganistischen Zuschreibungen sich durch unser gesamtes Interviewmaterial ziehen sind es gerade die sich als „Deutsche“ Positionierenden, die die „Zustände am Ehrenzeller Platz“ in Erzählungen über einen zunehmenden Ausländeranteil, den Niedergang „deutscher“ Gewerbeinfrastruktur und steigende Kriminalität einordnen. Hier wird der Platz zum Symbol für den Verlust beanspruchter Dominanz im Stadtteil.

Auffallend ist, dass sich diese Problematisierungen und jene stadtpolitischer Akteur*innen – mit leichten Unterschieden in der Wortwahl – gleichen. Im stadtteilpolitischen Problemszenario steht die Situation am Ehrenzeller Platz für die ‚Abwärtsspirale‘ und eine Überforderung des „Ankommensstadtteils“. Der Mitarbeiter eines Wohnungsbauunternehmens berichtet, der Platz sei mittlerweile „zwischen den Ethnien aufgeteilt“ und man befürchte, „wenn man das nicht steuert, dass es da zu ethnischen Konflikten kommt“ (Exp_Adorf_02). Und die Problemdefinition des sozialarbeiterischen Projekts „MifriN – Migrantinnen und Migranten in friedlicher Nachbarschaft“ mit Zielgruppe „neuzugezogene Osteuropäer“ bzw. „Roma“ auf dem Platz lautet, dass „der raumgreifende Aufenthalt von großen Gruppen der Zugezogenen […] große Verunsicherung bei den alteingesessenen Bewohnerinnen und Bewohnern“ (Stadt Essen, 2020) auslösen würde.

Im deutlichen Kontrast zu den Problematisierungen und vermuteten Konflikten stehen nun die Erzählungen über selbst erlebte schwierige Situationen am Platz. Von lediglich acht solchen Erzählungen bleiben alle vage und in keiner berichten Bewohner*innen, dass sie in Interaktionen mit anderen Personen involviert waren. Platznutzer*innen versuchen offenbar vermutete Konflikte mit anderen „Gruppen“ zugeordneten Personen zu vermeiden. Beispielhaft dafür steht die Erzählung eines Mannes, mit dem wir dort ein Interview geführt haben, wo sich nach Beschreibungen anderer Interviewter die „Trinker“ aufhalten würden. Im Anschluss an eine Problemerzählung über „die Bulgaren und Rumänen“ verneint er die Frage, ob er persönlich einmal Schwierigkeiten mit „denen“ gehabt habe, und begründet dies damit, dass „hier“ „jeder so seins“ machen würde, es seien „alles so getrennte Clübchen“ hier. Wenn man sich dann mal über „die“ beschwere, bekäme man „gleich von denen auf die Fresse“ (Bew_Adorf_D_08). Hier wird eine doppelte Produktivität rassistischer Zuschreibungen sichtbar: Der Bewohner deutet zunächst die benannten Personen als „Exemplare einer Gruppe“, und schreibt dieser zu, potentiell gefährlich zu sein, mit dem Resultat, dass die Personen als Interaktionspartner*innen nicht in Frage kommen und er einen ‚Maßregelungsversuch‘ vermeidet. Er und andere Bewohner*innen, mit denen wir bei den Bänken gesprochen haben, beschreiben jedoch, dass „sie“ gute Kontakte zur „Stadt“ hätten: Auf ihre Initiative hin seien Bänke erneuert und Mülleimer aufgestellt worden; sie würden regelmäßig von Sozialarbeiter*innen aufgesucht, die sie ermutigten, bei Konflikten am Platz die Polizei einzuschalten. Die hier beschriebene Konstellation ähnelt jener „Identitäts- und Anerkennungsarbeit“ der „deutschen Trinker“ in Abgrenzung zu den „Polen und Russen“, die Krüger am Leopoldplatz in Berlin-Wedding beobachtet hat (Krüger, 2017:71) – und auch die Positionierungen gegenüber der lokalen Stadtteilentwicklungspolitik ähneln sich.

Denn in den Problematisierungen und auch den politisch-administrativen Bearbeitungen des Platzes werden spezifische Selektivitäten sowie eine Defizitperspektive auf Migration sichtbar. Die als „Bulgaren und Rumänen“ oder „Roma“ bezeichneten Personen und ihre Aneignungsweisen werden als illegitim und störend, als „Okkupation“ und somit als zu bearbeitendes Problem definiert. Die „deutschen“ Nutzer*innen des Platzes erfahren eine Legitimierung durch stadtentwicklungspolitische Akteur*innen. Die von uns bei zahlreichen Interviewanbahnungen und ethnographischen Beobachtungen wahrgenommenen Aneignungssituationen des Platzes weisen aber nun vor allem auf eine Beharrlichkeit der rassistisch problematisierten Platznutzer*innen hin, wenn auch die Tatsache, dass wir dort mit keinen sich selbst als Rom*nija positionierenden Personen gesprochen haben, einerseits auf eine schon erfolgte räumliche Verdrängung schließen lassen könnte, andererseits aber auch auf einen präventiven Umgang mit erwarteten antiziganistischen Zuschreibungen.

5 Zusammenfassung: Korrespondenzen rassifizierender Problematisierungen und die Arbeit an Verdrängung

Die qualitativ-empirische Untersuchung der Praktiken, mit denen Bewohner*innen in Essen-Altendorf die Aneignung und Nutzung stadtteilbezogener Ressourcen aushandeln, zeigt, dass potentiell konflikthafte Interaktionen insgesamt eher vermieden werden. Bewohner*innen organisieren ihre Alltage also relativ konfliktarm, was teils in deutlichem Kontrast zu ihren eigenen Problemerzählungen steht, insbesondere aber auch zu den politisch-administrativen, polizeilichen und auch medialen Problematisierungen des Stadtteils. Gleichzeitig können es sich manche Bewohner*innen nicht aussuchen, ob sie eine konflikthafte Interaktion eingehen wollen oder nicht: Etwa dann, wenn sie zu Adressat*innen von Beschwerden oder Angriffen anderer werden, oder aber eines kontrollierenden Zugriffs administrativer oder polizeilicher Akteur*innen. Und das werden, wie wir gezeigt haben, insbesondere als nicht weiß-deutsch markierte Personen. Das Muster von Beschwerdekonstellationen der Bewohner*innen weist dabei eine spezifische Asymmetrie auf, die mit den Selektivitäten mischungsorientierter Stadtpolitik und polizeilicher Akteur*innen in Altendorf korrespondiert. Rassifizierende Gruppenkonstruktionen werden dabei in Erzählungen von Bewohner*innen über den Stadtteil wie auch über eigene Aneignungspraktiken und schwierige Situationen produktiv. Deutungsrepertoires beziehen sich zumeist auf ein zirkulierendes allgemeines Wissen über den ‚problematischen‘ und ‚gefährlichen‘ Stadtteil. Und dieses Problematisierungswissen wird durch die selektiven Polizeistrategien und stadtpolitischen Steuerungsversuche stabilisiert. Diese Konstellation macht die (ethnozentristische) Deutung der problematisierten Aneignungs- und Nutzungspraktiken städtischer Ressourcen als ‚Integrationsdefizite‘ und ‚Segregation‘ von Migrant*innen auf spezifische Weise legitim.

So lässt sich schlussfolgern, dass mischungsorientierte Stadtpolitik in Altendorf aktiv an einem „loss of place“ (Davidson, 2008) für insbesondere rassistisch problematisierte Bewohner*innen arbeitet – und insofern an Verdrängung. Dies hat spezifische ‚Wirkungen‘ auf die Aushandlungen von Aneignungs- und Nutzungsweisen städtischer Ressourcen durch Bewohner*innen: Denn der Dominanzanspruch der sich als „Deutsche“ Konstituierenden wird von den stadtteilentwicklungspolitischen Programmen, Projekten und geforderten Interventionen ebenso unterfüttert wie von der polizeilichen Problemquartierbearbeitung. Diese bestärken eine rassistische Hierarchisierung der Positionen, aus denen Forderungen und Ansprüche an die ‚richtige‘ Aneignung und Nutzung stadtteilbezogener Ressourcen sowie an deren Regulation formuliert werden können. Wir finden diesen Anspruch auf eine (eben keinesfalls post-migrantische) ‚Normalität‘ in den Erzählungen der alteingesessenen und neuzugezogenen „Deutschen“, die ihre Verlust- oder Enttäuschungserfahrungen insbesondere an die stadtpolitischen Akteur*innen adressieren: Die Zumutungen des Wohnens am Niederfeldsee und der Nutzung des Ehrenzeller Platzes nach dessen Erneuerung, verknüpft mit dem Vorwurf, es zuzulassen, dass immer mehr „Ausländer“ nach Altendorf kommen und sich im Stadtteil ausbreiten.

Hier lässt sich dann der Bogen zu der stadtentwicklungspolitischen Affirmation polizeilicher Normdurchsetzung im Stadtteil schlagen: Die polizeilichen Kontrollpraktiken korrespondieren letztlich mit den stadtpolitischen Bearbeitungsstrategien, re-produzieren und bestärken durch ihr kriminalisierendes Eingreifen wiederum die dominanten Problematisierungen. Diese stehen weiterhin in der Kontinuität „differentieller Integrationsdiskurse“ (Lanz, 2009) – ein Potenzialdiskurs der Diversität ist weder programmatisch noch praktisch wirksam. Insbesondere die beschwerdemächtigen, zumeist weiß-deutschen Bewohner*innen, aber auch die ‚Trinkerszene‘ am Ehrenzeller Platz werden ermutigt, ihre Ordnungsvorstellungen durch das Hinzuziehen externer Konfliktlösungsinstanzen wie der Polizei und das Ordnungsamt durchzusetzen. Und damit korrespondieren auch die beschriebenen Problematisierungskonstellationen. Alltägliche Produktionen gesellschaftlicher Ausschlüsse und Verdrängung rassistisch problematisierter Bewohner*innen werden von den stadtentwicklungspolitischen Akteur*innen somit zumindest in Kauf genommen. Zugleich wird deutlich, dass die ‚dominant-deutschen‘ Ansprüche sich im Stadtteil eben nicht unmittelbar durchsetzen, sondern mit beharrlichen Aneignungspraktiken, aber auch Gegenerzählungen konfrontiert werden. So finden sich insgesamt nur wenige Hinweise auf direkte Verdrängungsprozesse in Bezug auf die Nutzung öffentlicher Räume – aber durchaus solche auf ein erhöhtes Kontroll- und Sanktionierungsrisiko für die (gerade auch rassistisch konstruierte) polizeiliche „Kernklientel“ (Künkel, 2014).

Um es noch einmal deutlich zu machen: Es ist nicht die Präsenz von ‚Anderen‘ in Altendorf, die „die Deutschen“ rassistisch werden lässt. Rassismen werden vielmehr mit ermöglicht durch die Re-Produktion von Imaginationen einer quasi-natürlichen Hierarchie und Ordnung, die wiederhergestellt werden müsse, gerade auch durch politisch-administrative und polizeiliche Akteur*innen. Insofern lässt sich hier deutlich von „revanchistischer“ Stadtpolitik sprechen (Smith, 1996). Vor allem lässt sich festhalten, dass die Produktivität rassistischer Diskurse und Praktiken von der Stadtentwicklungspolitik bislang nicht als eigenständiges relevantes Problem definiert wird – also weder Ausschlüsse durch Institutionen, Vermieter*innen oder die Polizei (auf die wir deutliche Hinweise gefunden haben) noch innerhalb von alltäglichen Beziehungen etwa unter Nachbar*innen. Diese Nicht-Thematisierung von Rassismus und gleichzeitig die eigene stadtentwicklungspolitische Problematisierung der Leute, die rassistische Zuschreibungen erfahren, begünstigt eben jenen diskursiven Raum des Sag- und Machbaren, in dem alltägliche Rassismen in Altendorf produktiv werden.

Zitierte Interviews und Erhebungsprotokolle

  • Expert*inneninterviews

    1. Exp_Adorf_01, Mitarbeiter*innen Stadtteilarbeit Altendorf, Juli 2018;

    2. Exp_Adorf_03, Mitarbeiter Wohnungswirtschaft, Juli 2018;

    3. Exp_Adorf_04, Mitarbeiter*innen Stadt Essen, September 2018;

    4. Exp_Adorf_05, Mitarbeiter Kreispolizeibehörde Essen, September 2018.

  • Teilstrukturierte Interviews

    1. Bew_Adorf_A_05, zwei Bewohnerinnen, ca. 35 und 50 Jahre, September 2018;

    2. Bew_Adorf_B_21, Bewohnerin, ca. 45 Jahre, Oktober 2018;

    3. Bew_Adorf_C_01, Bewohnerin, ca. 60 Jahre, September 2018;

    4. Bew_Adorf_C_07, Bewohnerin, ca. 16 Jahre, September 2018;

    5. Bew_Adorf_D_02, drei Bewohner, ca. 25, 30 und 40 Jahre, September 2018;

    6. Bew_Adorf_D_08, drei Bewohner, ca. 30, 40 und 55 Jahre, Oktober 2018;

    7. Bew_Adorf_D_15, Bewohner, ca. 30 Jahre, Oktober 2018;

    8. Bew_Adorf_D_20, zwei Bewohner, ca. 16 und 18 Jahre, Oktober 2018;

    9. Bew_Adorf_D_22, Bewohner, ca. 70 Jahre, Oktober 2018;

    10. Bew_Adorf_D_23, Bewohnerin, ca. 60 Jahre, Oktober 2018.

  • Erhebungsprotokolle

    1. Feldprotokoll_D_15.06.18.

Datenverfügbarkeit

Die verwendeten qualitativen, insbesondere ethnographischen Forschungsdaten – Feldnotizen, Beobachtungs-, Interview- und Erhebungsprotokolle sowie Transkriptionen der Expert*inneninterviews – enthalten sensible, zum Teil personenbezogene Informationen, die aus forschungsethischen Gründen nicht öffentlich zugänglich gemacht werden können. Weitere Informationen zu den Forschungsdaten können bei den Autor*innen erfragt werden.

Autorenmitwirkung

Beide Autor*innen haben in gleichem Umfang zum Artikel beigetragen.

Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Für kritisch-konstruktive Kommentare bedanken wir uns bei den Gutachter*innen sowie bei Jan Wehrheim.

Finanzierung

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 389360901.

Begutachtung

This paper was edited by Nadine Marquardt and reviewed by two anonymous referees.

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1

Im Forschungsprojekt „Aneignungskonflikte in mischungsorientierten Stadtentwicklungsprozessen“, das unter der Leitung von Jan Wehrheim an der Universität Duisburg-Essen angesiedelt ist, untersuchen wir mit ethnographischen Forschungsmethoden und qualitativen Interviews, wie die Aneignung städtischer Ressourcen in einem ‚gentrifizierenden‘ und einem ‚stagnierenden‘ Stadtentwicklungsgebiet durch Bewohner*innen praktisch ausgehandelt wird und welche Konflikte dabei beobachtbar werden. An der Altendorfer Fallstudie waren außerdem Fatemeh Afshar und Margarete Killian als wissenschaftliche Hilfskräfte und Clara Will als studentische Hilfskraft beteiligt.

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Damit bezeichnen wir Bewohner*innen, die keine eigenen negativen Rassismuserfahrungen machen und über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen.

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Mit Marcuse (1985) lassen sich einerseits direkte Formen ökonomischer wie physischer Verdrängung aufgrund des baulichen Zustandes oder Vertreibung durch Eigentümer*innen, durch Mieterhöhungen oder Wohnungsumwandlung, andererseits indirekte Formen ökonomischer Verdrängung bzw. „exclusionary displacement“ durch die lokale Schließung des Wohnungsmarktes für untere Einkommensgruppen bestimmen. Der von Marcuse ebenfalls beschriebene Verdrängungsdruck lässt sich mit Davidson (2008) weiter differenzieren: „neighbourhood resource displacement“ umfasst Veränderungen der Dienstleistungsinfrastruktur (durch auf „neue Zielgruppen“ ausgerichtete Angebote) sowie des öffentlichen Raumes (etwa als Verlust bestehender Treffpunkte); und „community displacement“ die Veränderungen u.a. lokalpolitischer Machtbeziehungen zuungunsten alteingesessener unterprivilegierter Gruppen.

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In Interaktionssituationen schreiben Akteur*innen sich selbst, anderen „Dingen“ (von materiellen Objekten, Personen, Institutionen bis zu Tätigkeiten und abstrakten Ideen (Blumer, 1981)) und den jeweiligen Situationen spezifische Bedeutung zu und handeln diese interaktiv aus. Ein Konflikt lässt sich dann als eine solche Interaktionssituation bestimmen, in der die beteiligten Akteur*innen eine Unvereinbarkeit gegenüber einem Aushandlungsgegenstand zuschreiben und diese wechselseitig konfrontativ aushandeln.

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Rassismen sind dabei im deutschen bzw. europäischen Kontext konstitutiv auf kapitalistische Klassenverhältnisse, (National-)Staatsbildungsprozesse, (post-)koloniale, (post-)faschistische und (post-)sozialistische Verhältnisse (El-Tayeb, 2016) sowie Grenzen überschreitende Migrationen bezogen.

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Deshalb führten wir (d.h. Fatemeh Afshar, Margarete Killian, Moritz Rinn und Lena Wiese) die meisten Interviews wochentags zu unterschiedlichen Zeiten nach Ansprachen im öffentlichen Raum (an Straßenecken, Plätzen und Parks) unmittelbar vor Ort (65 Interviews). Die restlichen Interviews führten wir nach Verteilung postalischer Informationsschreiben in spezifischen Straßenzügen (entweder nach Kontaktaufnahme durch die Bewohner*innen oder via Door-Knocking) in den Wohnungen der Interviewpartner*innen. Etwas mehr als die Hälfte (61 Personen) der Interviewten haben wir als weiß-deutsch zugeordnet, die anderen als Personen, die uns eigene Migrationsgeschichten oder Rassismuserfahrungen erzählt haben oder denen wir zugeschrieben haben, dass andere ihnen „Migrationshintergründe“ zuschreiben. Uns ging es hier nicht um ‚exakte‘ Einordnungen, weshalb wir auch nicht nach Staatsangehörigkeit oder „Migrationshintergrund“ gefragt haben; entscheidender war für uns, (a) die Kategorisierungsleistungen der Interviewer*innen mit zu erheben und (b) insbesondere für die anschließenden Situationsinterpretationen festzuhalten, ob wir eigene Rassismuserfahrungen als Erfahrungs- und Deutungsrepertoire annehmen müssen bzw. können, auch wenn diese möglicherweise nicht explizit erzählt wurden. 54 Personen haben wir als weiblich, 59 als männlich zugeordnet, knapp die Hälfte war zwischen 31 und 60 Jahre alt, 23 Personen waren über 60 Jahre sowie 11 Personen unter 19 Jahren alt, wobei es sich hier größtenteils um eigene Einschätzungen handelt. Die Länge der Interviews variiert deutlich: Zwischen nur wenigen Minuten und fast zweieinhalb Stunden.

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Eine Mitarbeiterin eines an der Stadtteilentwicklung beteiligten Sozialen Trägers beschrieb uns im Interview die ‚migrantische Ökonomie‘ entlang der Altendorfer Straße als „Monokultur“, da es dort kaum noch „deutsche“ Läden geben würde. In dieser ethnisierenden Homogenisierung von funktionaler Heterogenität (die Straße ist vom Gewerbe her so vielfältig wie es kaum sonst in Stadtteilzentren zu finden ist) wird eine dominanzkulturelle ethnozentrische Perspektive sichtbar, die wohl das Gegenteil einer normalisierenden Perspektive auf Migration markiert. Und im Projekt „Migrantinnen und Migranten in friedlicher Nachbarschaft“ lautet die zentrale Problemdiagnose zu „neu zugewanderten Menschen“ aus Rumänien und Bulgarien, diese kämen aus „sozial schwierigen und bildungsungewohnten Verhältnissen, verfügen über einen niedrigen beruflichen Qualifizierungsstand und neigen auf Grund von Diskriminierungserfahrungen in ihren Herkunftsländern zu Misstrauen gegenüber staatlichen Einrichtungen […]“ (Stadt Essen, 2020).

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Problematisiert werden etwa Shisha-Bars, Gaststätten, Teestuben, Wettbüros und neuerdings auch sogenannte Barbershops, da sie vorwiegend als „Treffpunkte für Clanmitglieder“ und zur „Kontaktpflege und damit auch zur Vorbereitung und Verdeckung von Straftaten“ dienen würden (Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, 2019).

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Dass dennoch auch in Altendorf Kritik an rassistischen Polizeipraktiken und Polizeigewalt artikuliert wird, zeigt etwa eine Demonstration im August 2019 anlässlich der polizeilichen Erschießung des Bewohners Adel B. (Rinn et al., 2020).

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Eine Bewohnerin erzählt: „Als dann 2015/2016 so viele Flüchtlinge kamen und so schlimme Sachen passierten, hatte ich das Gefühl, dass die Leute mich noch mehr beobachteten, böse schauten und noch mehr was gegen Ausländer hatten“ (Bew_Adorf_A_05).

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43 % dieser Interaktionssituationen bezogen sich auf den öffentlichen Raum, ein Drittel auf die Nachbarschaft und 20 % auf den eigenen Wohnraum.

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Um ein Beispiel zu nennen: Eine jugendliche Bewohnerin, die vor etwa drei Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland migriert ist, erzählt, dass sie die regelmäßigen Beschwerden über Lautstärke durch eine ältere Nachbarin als unverhältnismäßig empfinde: „Sie klingelt und sagt, dass wir leise sein sollen. Ich finde, manchmal ohne Sinn. Einmal war es so, also meine kleine Schwester, wenn sie spielt, ist schon manchmal bisschen laut, aber da hat sie schon geschlafen, und es waren nur Mama, Papa und ich wach und wir waren alle drei am Handy“ (Bew_Adorf_C_07).