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Diskurse von Geopolitik und ‚Neuem Kaltem Krieg‘ – Zur Veränderung medialer Repräsentationen von Russland und ‚dem Osten‘
Thirty years after the Cold War, many aspects of the West's self-identification are still shaped by othering ‚the East‘. This geographical identity-building in Western media discourses is indicated by terms like geopolitics and the (New/Second) Cold War. The paper scrutinizes ‚grand‘ narratives behind the appearances of such concepts and observes their continuities, dislocations, and disruptions.
Taking a critical geopolitical perspective informed by discourse theory and based on Foucault's conceptualization of the archive, the paper introduces aspects of the transformation of geopolitical imaginations of the East and the West: (1) it reconstructs phases of the rebirth of geopolitics after WW2 until today. (2) It focuses on the changes in the East-West relations after 1990 and shows how the imagination of the ‚cold war‘ disappears from media discourse. (3) Finally, it analyses the revival through rising geopolitical risk-narratives since the crises and wars in Georgia and Ukraine.
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Die Münchener Sicherheitskonferenz ist alljährlich eine der wichtigsten globalen Drehscheiben für aktuelle Leitbilder und Risikodiskurse der internationalen Politik. Im Februar 2016 nutzte der russische Ministerpräsident Medwedjew diese prominente Bühne, um sich in seiner Rede mit der provokanten These „Wir sind in einem neuen Kalten Krieg“ (Der Stern online, 14. Februar 2016) zu positionieren. Mit einer solchen Risiko-Rhetorik steht er nicht allein: Die machtvolle Wiederbelebung der geopolitischen Formel vom „(Neuen) Kalten Krieg“ hat sich seit einigen Jahren vor allem entlang der zunehmenden Spannungen zwischen Russland und seinen Nachbarstaaten entwickelt. Sie berührt und formatiert gleichzeitig das Verhältnis zwischen Russland und den Staaten der EU bzw. NATO. Die Reaktualisierung begann im 2008 eskalierenden Konflikt zwischen Georgien und Russland (Kaukasuskrieg), als in der Medienberichterstattung plötzlich wieder vom Kalten Krieg die Rede war. Eine solche Diskursentwicklung war seinerzeit mehr als erstaunlich, war doch dieses zentrale geopolitische Leitbild des 20. Jahrhunderts nach 1990 für nahezu 20 Jahre von der Bildfläche verschwunden – verdrängt nicht zuletzt von anderen wirkmächtigen geopolitischen Repräsentationen wie Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“ (vgl. z. B. Ó Tuathail, 1996; Dalby und Ó Tuathail, 1996; Reuber und Strüver, 2009; Reuber, 2012). Wer annahm, dass sich die Wiederbelebung eines solchen Leitbildes als vergleichsweise kurzer Ausrutscher entpuppen würde, sieht sich seit dem Krieg in der Ukraine1 eines Besseren belehrt: „Der neue Kalte Krieg“ lautete damals die Schlagzeile in der Frankfurter Rundschau (16. März 2014), „Kalter Krieg in Europa“ titelte Der Spiegel (2. März 2014), und viele andere Zeitungen reaktualisierten die Metapher in ähnlicher Weise.
Der Rückgriff auf die Rhetorik vom Kalten Krieg ist sicher eine provokante, gleichzeitig aber nur eine von mehreren historisch prominenten geopolitischen Repräsentationen, die im Schlepptau der Ereignisse aus den Archiven des Diskurses auftauchen. Gemeinsam stehen sie für eine Wiederbelebung der Argumentationsfigur der ‚Geo‘-Politik zur diskursiven Plausibilisierung internationaler Konfliktkonstellationen in Europa. Eine besondere Rolle spielt in diesem regionalen Zusammenhang die Renaissance eines Denkens in Ost-West-Dualismen, das hier nicht nur eine seit Jahrhunderten eingeübte Denkschablone für die Verortung politischer Gegnerschaften darstellt, sondern auch als räumliches Grundmotiv in das geopolitische Leitbild vom Kalten Krieg und seinen jüngst aktualisierten Wiederbelebungsversuch als Neuer Kalter Krieg eingewoben ist.
Mit einem Fokus auf diese Phänomene arbeitet der vorliegende Beitrag in einem länger angelegten zeitlichen Verlauf zunächst einführend die Phasen der ‚Renaissance der Geopolitik‘ nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges heraus. Auf dieser Grundlage konzentriert er sich im zweiten Teil besonders auf die Phase nach 1990, in der sich der geopolitische Diskurs in den Medien wieder deutlich sichtbarer etablieren konnte. Der Artikel analysiert – mit Blick auf die sich verändernden Ost-West-‚Gegensätze‘ – das Verschwinden und die Wiederbelebung des Leitbildes vom Kalten Krieg im Umfeld geopolitischer Risikonarrationen über Russland, weil letzteres (nicht nur) in den medialen Repräsentationen als Kern eines inhaltlich und räumlich (re-)fokussierten ‚neuen Ostens‘ identifiziert wird. Die Ergebnisse basieren auf Daten eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Projektes2. Dessen Schwerpunkt lag auf der Analyse der Konjunkturen von Ost-West-Risikoszenarien am Beispiel ausgewählter Mediendiskurse. „Klassische“ Zeitungen bilden dabei trotz der zunehmenden Rolle sozialer Medien eine zentrale gesellschaftliche Vermittlungsinstanz geopolitischer Leitbilder und Diskurse, die zudem über einen langen Zeitraum in ähnlicher Struktur vorliegen. Dies macht deren kontinuierliche Analyse auf Ebene der Sprache für eine auf aktuelle Diskursentwicklungen reagierende Kritische Geopolitik interessant (Medby, 2020; Müller, 2018; Toal, 2017).
‚Archive der Geopolitik‘ als diskurstheoretischer Rahmen
Die untersuchten geopolitischen Leitbilder sind für das Verstehen und den kritischen gesellschaftlichen Umgang mit diskursiven Rahmungen aktueller Konfliktkonstellationen in der internationalen Politik relevant. Sie sind Teil eines breiteren Forschungsfeldes der Politischen Geographie, das sich aus Perspektive der Critical Geopolitics mit deren Rolle bei der Rahmung internationaler Konflikte und den sich daraus ableitenden politischen und kriegerischen Praktiken beschäftigt (vgl. z. B. Lossau, 2002; Ó Tuathail, 1996; Ó Tuathail et al., 2006; Reuber und Wolkersdorfer, 2003, 2004, 2007; Dodds et al., 2013; zur Kritik Müller und Reuber, 2008; Redepenning, 2006, 2007). Bezogen auf diskursive Leitbegriffe wie ‚Geopolitik‘ und ‚Kalter Krieg‘ ist es sowohl gegenwärtig als auch in Zukunft interessant, die inhaltlichen Dynamiken und Rollen entsprechender politischer Risikonarrative, insbesondere historisch bereits erprobter Leitbilder internationaler Gegner_innenschaften, zu beobachten. In diesem Sinne verfolgt die Analyse das Ziel, herauszuarbeiten, ob und in welcher Form sich geopolitische Ost-West-Szenarien und Leitbilder nach dem Ende des historischen Kalten Krieges in die Neukonzeptualisierung der internationalen Politik eingeschrieben haben. Zusätzlich wird untersucht, inwieweit und in welcher inhaltlichen Konturierung hier historisch etablierte geopolitische Diskursformationen als ‚ eingeübte‘ geopolitische Raumkonstruktionen aus vergangenen Dekaden (wieder) wirksam werden.
Dazu bedarf es einer Erweiterung des konzeptionellen Blicks der Critical Geopolitics. Benötigt werden Ansätze, die sich mit der Veränderung gesellschaftlicher Diskurse im Laufe der Zeit beschäftigen und Aussagen über das Wiederauftauchen historischer Leitbilder ermöglichen. Um eine solche Fragerichtung theoretisch zu unterlegen, können diskursanalytische Ansätze hilfreich sein. Einen grundlegenden Impuls dafür liefert Foucault, der sich in vielen seiner Fallstudien (z. B. Focault, 1973; Focault und Sennelart, 2006) mit – teilweise zeitlich sehr lang angelegten – diskursiven Verschiebungen und Umbrüchen beschäftigt hat. In seiner „Archäologie des Wissens“ (Foucault, 1981) hat er bei dem teilweise fragmentarisch gebliebenen Versuch, allgemeine theoretische und methodologische Grundlagen seiner Analyse zu formulieren, auch Aspekte von Zeitlichkeit und zeitlicher Veränderung diskursiver Formationen thematisiert.
Aus seiner Sicht gehören Veränderungen und Verschiebungen zu den grundsätzlichen Merkmalen gesellschaftlicher Diskurse. Er geht entsprechend davon aus, dass aktuelle Diskurse Teile ihrer Wirkkraft und ihrer hegemonialen Deutungsmacht aus ihrem historischen Gewordensein beziehen. Dieser Aspekt verweist darauf, „daß der Diskurs nicht nur einen Sinn oder eine Wahrheit besitzt, sondern auch eine Geschichte“ (Foucault, 1981:184f.). Mit einer solchen Konzeptualisierung stellt Foucault die Genealogie diskursiver Formationen, die Veränderung von Argumentationsstrukturen, (begrifflicher) Verknüpfungen etc. als historischen Prozess dar. Aus diesem Blickwinkel haben Diskurse ihre heutige inhaltliche Spezifik unter anderem deswegen, weil sie auf vergangene Formen rekurrieren, die auch heute noch ihre Wirkung entfalten. „[D]iese Ereignisse haben einst im Rahmen ihrer ursprünglichen Situation funktioniert; sie haben Spuren hinterlassen, bestehen weiter fort und üben durch dieses Fortbestehen innerhalb der Geschichte eine Reihe manifester und verborgener Funktionen aus“ (Foucault et al., 2001:762). Die Gesamtheit der historischen Diskursformationen, aus denen die derzeitigen Diskurse ihre Formen des Sagbaren (ebenso wie des Unsagbaren und Marginalisierten) beziehen, bezeichnet Foucault als Archiv. Er versteht darunter einen
nach historischen Apriori (H. i. O.) gegliederte[n], […] durch verschiedene Positivitätstypen charakterisierte[n] und durch distinkte diskursive Formationen aufgeteilte[n] Aussagenbereich […]. Man hat es jetzt mit einem komplexen Volumen zu tun[.] […] All diese Aussagensysteme (Ereignisse einerseits und Dinge andererseits) schlage ich vor, Archiv (H. i. O.) zu nennen. […] Das Archiv ist zunächst das Gesetz dessen, was gesagt werden kann, das System, das das Erscheinen der Aussagen als einzelner Ereignisse beherrscht. Aber das Archiv ist auch das, was bewirkt, dass all diese gesagten Dinge sich nicht bis ins Unendliche in einer amorphen Vielzahl anhäufen, […] sondern daß sie sich in distinkten Figuren anordnen, sich aufgrund vielfältiger Beziehungen miteinander verbinden, gemäß spezifischen Regelmäßigkeiten sich behaupten oder verfließen; was bewirkt, daß sie nicht im gleichen Schritt mit der Zeit zurückgehen, sondern daß diejenigen, die besonders stark wie nahe Sterne glänzen, in Wirklichkeit von weither kommen, während andere, noch völlig junge, bereits außerordentlich verblaßt sind (Foucault, 1981:186ff.).
Das Archiv ist das, „was die Diskurse in ihrer vielfachen Existenz differenziert und sie in ihrer genauen Dauer spezifiziert. […] Es ist das allgemeine System der Formation und der Transformation der Aussagen“ (Foucault, 1981:188, H. i. O.). Für Foucault wird damit das Archiv im Rahmen seiner Diskurstheorie zu einem zentralen Konzept, ohne einen solchen Ansatz „schwebten die ‚Aussagen‘ und die ‚Diskurse‘ gleichsam im undefinierten Raum“ (Gehring, 2004:63): „the archive has an abstract function as the system that governs the appearance of statements as unique events“ (Withers, 2002:304).
In dieser Form wird das Archiv aus theoretisch-methodologischer Sicht die diskursive Hintergrundfolie, in der „die Analyse sich bewegt“ (Gehring, 2004:63). Die unten dargestellten Ergebnisse geben Hinweise darauf, inwieweit sich damit für die aktuell relevanten Begriffe der Geopolitik und des Leitbildes vom Kalten Krieg die Konjunkturzyklen geopolitischer Begrifflichkeiten und Argumentationslogiken rekonstruieren und interpretieren lassen. Auch soll gezeigt werden, inwieweit diese Form der Untersuchung hilfreich sein kann, um nachzuvollziehen, wie sich diese im Zeitverlauf entwickeln und dabei – im Sinne diskurslogischer Verschiebungsprozesse, wie sie Laclau und Mouffe (1985) im Anschluss an Foucault beschrieben haben – verändern. Die empirischen Ergebnisse bieten erste Belege dafür, dass und wie entsprechende Reaktualisierungen von Elementen historischer Leitbilder in aktuellen Konfliktkontexten nicht ‚eins zu eins‘ erfolgen, sondern vielmehr einer gleitenden Anpassung an veränderte diskursive Rahmenbedingungen unterliegen. Die Bedeutung, mit der die zentralen Signifikanten alter Leitbilder verknüpft waren, gerät in Fluss und führt zu einer sich verschiebenden Sinnzuschreibung unter Einbeziehung und Neukombination von Elementen aus vergangenen Formen geopolitischer Risiko-Figuren. Ein solches ‚semantisches Gleiten‘ ist – einer Kernaussage poststrukturalistischer Ansätze folgend – möglich, weil Bedeutung nie vollständig fixiert ist und weil „the transition from the ‚elements‘ to the ‚moments‘ is never entirely fulfilled“ (Laclau und Mouffe, 1985:110). Beide Aspekte verweisen auf den politischen Charakter der Diskurstheorie und damit auch auf deren gute Verwendbarkeit zur Konzeptualisierung entsprechender empirischer Analysen.
So hilfreich solche Entwürfe auch sein mögen, es bleibt kritisch anzumerken, dass ihre Rolle für den Erkenntnisprozess im Sinne der Funktion sozialwissenschaftlicher Theoriebildung eher als hermeneutische Deutungsfolie für die Interpretation der untersuchten Diskurse angesehen werden muss. Dabei besteht notwendigerweise eine gewisse Gefahr von Zirkelschlüssen, bei denen man z. B. bei der Generierung von Codes oder bei der qualitativen Tiefenanalyse einzelner Dokumente genau die Zusammenhänge findet, die die Köpfe der Forscher_ innen durch die Formulierung untersuchungsleitender Theoriebausteine bereits vorformatiert haben. Eine Möglichkeit, ein solches Risiko in Grenzen zu halten, besteht im Feld der Diskursanalyse darin, für grundlegende Schritte der Auswertungen zusätzlich quantitativ, in diesem Falle lexikometrisch, zu arbeiten (Kapitel 2). Auf diese Weise wird mit der statistischen Logik eine weitere Maschine der Wahrheitsproduktion eingespannt, die dabei helfen kann, nicht vorschnell in Deutungen zu verfallen, die der eigene Theorieansatz nahelegt.
Um die beschriebenen Fragen der Dynamiken und Verschiebungen geopolitischer Repräsentation von Ost und West untersuchen zu können, wurden im Schwerpunkt Methoden der Diskursanalyse angewendet. Als Datengrundlage dienten breit angelegte Textkorpora, die mit Hilfe von projektrelevanten Schlagwort-Recherchen aus der Berichterstattung deutscher Tages- und Wochenzeitungen aufgebaut wurden (Tabelle 1). Diese Sammlung wurde ergänzt durch eine Reihe thematisch relevanter Vergleichskorpora, zu denen US-amerikanische Printmedien, für Teilfragen aber auch themenzentrierte Twitter-Daten und Reden des Deutschen Bundestages zählen (Tabelle 1). Der zeitliche Schwerpunkt des Kernargumentes liegt im 21. Jahrhundert, weshalb die meisten Quellen aus diesem Zeitraum stammen. Für Teilfragen, zu deren Bearbeitung langfristigere Analysen notwendig waren, wurden aber auch Korpora aus Zeitungen und Zeitschriften gebildet, die seit mindestens 1948 vollständig digital vorliegen. Insbesondere Die Zeit und Der Spiegel sind über die gesamte Erscheinungszeit verfügbar, und da sie gleichzeitig auch aus wissenschaftlicher Sicht immer wieder als Leitmedien in Deutschland charakterisiert werden (Pfanner, 2011; Schanze, 2002:93), wurden sie im vorliegenden Projekt für die Untersuchungen herangezogen, die die gesamte Zeit seit Gründung der BRD abbilden sollten (Kapitel 3)3.
Insgesamt wurden weit über 20 Millionen Dokumente und Artikel durchsucht. Die (Sub-)Korpora wurden einerseits entlang inhaltlicher Schlagwörter gebildet, andererseits durch fragestellungsspezifisch unterschiedliche zeitliche Intervalle bestimmt. Sie wurden primär lexikometrisch mit Hilfe korpuslinguistischer Software analysiert. Zur Anwendung kamen dabei schwerpunktmäßig AntConc (entwickelt von Laurence Anthony, Waseda University) als kostenloses Tool sowie wordsmith (entwickelt von Mike Scott, Oxford University) zur quantitativen Sprach- und Konkordanzanalyse. Ergänzend und vertiefend wurden zu einigen umfassenderen Teilfragen kodierende und interpretative Verfahren eingesetzt. Unterstützend wurde dabei v. a. MAXQDA genutzt. Generell existiert zu Verfahren der Korpuslinguistik/Lexikometrie mittlerweile in der Humangeographie eine breitere Verweisliteratur (z. B. Dzudzek et al., 2012; Glasze und Mattissek, 2009a, b; Müller, 2011), sodass die genutzten Verfahren hier nicht mehr grundlegend erläutert werden müssen. Vor diesem Hintergrund sollen hier nur drei für das Vorhaben spezifische Punkte angesprochen werden.
2.1 Lexikometrische Analyse von Begriffskonjunkturen
Bei den lexikometrischen Vergleichen zur relativen Verteilung von Begriffen und Artikeln über einen längeren Zeitraum (z. B. wortartübergreifende Lexeme von „Geopolitik“ und „Kalter Krieg“) wurden die Ergebnisse teilweise nach ihrer relativen Erscheinungshäufigkeit über den Analysezeitraum hinweg untersucht, in einigen Fällen aber auch mit der Gesamtzahl der pro Zeitung erschienenen Artikel der Jahrgänge ins Verhältnis gesetzt. In diesen Fällen handelt es sich jeweils um alle in digitaler Form verfügbaren Artikel der jeweiligen Publikationsorgane für den untersuchten Zeitraum. Diese Zahlen weichen vor allem in der Zeit von 1948 bis 1980 geringfügig von der stichprobenartig erhobenen Zahl der auf Papier gedruckten Artikel ab. Die Ergebnisse der Stichproben legen nahe, dass dabei keine systematische Verzerrung entstanden und trotz dieser kleinen Unschärfe eine hinreichend genaue Einschätzung möglich ist.
2.2 Sprachliches Umfeld geopolitischer Schlüsselbegriffe
Um die Bedeutung von Begriffsverknüpfungen zu untersuchen, wird in der Lexikometrie das sprachliche Umfeld entsprechender Begriffe analysiert4. Dazu wurden im vorliegenden Fall Sub-Korpora angelegt, die sich – je nach Analysebreite – aus den vollständigen Worten ergeben, die entweder 80 oder 140 Zeichen rechts und links der wortartübergreifenden Lexeme (z. B. „Geopolitik“, „geopolitisch“ etc.) bzw. Wortgruppen (z. B. „Kalten Krieges“, „Kalter Krieg“ etc.) lagen. Diese Sub-Kopora können mit anderen inhaltlich oder zeitlich relevanten (Sub-)Korpora verglichen werden und zeigen dann Veränderungen oder Unterschiede zwischen sprachlichen Umfeldern an, die deutlich spezifischer sind als eine Betrachtung auf der Ebene ganzer (Zeitungs-)Artikel, die recht unterschiedlich lang und vom Aufbau heterogen sein können.
Zur Berechnung von korpuslinguistischen Zusammenhangsbeziehungen in Subkorpora von Wortumfeldern verwenden Programme wie wordsmith und AntConc, mit denen die Berechnungen durchgeführt wurden, zum Teil unterschiedliche Verfahren (chi-squared test; log-likelihood) um die Keyness zu berechnen. Da das Log-Likelihood-Verfahren insbesondere bei kleineren Werten eine bessere Abschätzung der Signifikanz zulässt, wurde dieses hier bevorzugt angewendet. Das Signifikanzniveau (beim Vergleich von zwei Korpora) lag stets bei mindestens 99 % (). Dieser Wert wird als Beleg für einen Effekt interpretiert. Die Keyness als Assoziationsmaß gibt hier also an, ob ein Wort (Wortgruppe) in einem untersuchten Korpus im Vergleich zu einem anderen Korpus hoch signifikant häufiger auftritt als zu erwarten (Bubenhofer et al., 2015). In der Aussage über die Signifikanz ist allerdings noch nicht unmittelbar die Effektstärke enthalten und ablesbar. Die Effektstärke gibt an, wie groß der statistische Effekt des als hoch signifikant angesehenen Zusammenhangs ist. Wenn also ein Wort nur in einem einzigen Jahr verwendet wird, hat es eine hohe statistische Signifikanz bezogen auf diesen Jahrgang; wenn es aber gleichzeitig insgesamt im Korpus nur sehr selten auftaucht, ist die Effektstärke gering und das Ergebnis wäre also für die Gesamtinterpretation eher zu vernachlässigen. Daher wurde in allen Untersuchungen jeweils ein Schwellenwert für die Effektstärke festgelegt, der sicherstellt, dass sich relevante Aussagen ableiten lassen.
Wie kommt es, dass der Begriff der Geopolitik wieder scheinbar selbstverständlich im Umfeld außenpolitischer Medienberichterstattungen verwendet wird? Historisch sensiblen Betrachter_innen muss diese Konjunktur aufgrund der spezifischen Genealogie im deutschsprachigen Raum befremdlich erscheinen. Geopolitik ist untrennbar mit dem europäischen Nationalismus, Imperialismus und Kolonialismus verknüpft. Der Begriff steht in enger diskursiver Verbindung zu zentralen geodeterministisch unterlegten politischen Begründungsnarrativen beider Weltkriege. Er avancierte im Dritten Reich zu einem der Schlüsselbegriffe der nationalsozialistischen ‚Volk-und-Raum‘-Ideologie. Zu dieser Verortung des Begriffs hat die seinerzeit zutiefst geodeterministisch und biologistisch argumentierende Politische Geographie maßgeblich beigetragen. Deren Forschungen reihten sich ein in eine breitere völkisch-räumelnde Denkweise, die mit vermeintlich wissenschaftlichen Argumentationen versuchte, rassistischen und menschenverachtenden Weltanschauungen einen rationalen Unterbau zu geben (Reuber, 2012:69ff.; Rössler, 1990). Vor diesem Hintergrund erscheint es mit Blick auf Diskurskonjunkturen in geopolitischen Archiven wichtig, die derzeitige Wiederkehr des Begriffs Geopolitik in den Medien aus einem größeren Kontext heraus zu betrachten und über die vergangenen sieben Nachkriegsjahrzehnte die unterschiedliche mediale Präsenz mit einer Frequenzanalyse zu rekonstruieren. Dabei lassen sich drei Intensitätsstufen herausarbeiten und unterschiedlichen zeitlichen Abschnitten zuordnen: eine ‚Unsichtbarmachung‘, eine ‚Trendwende‘ und eine ‚Renaissance‘ des Begriffs der Geopolitik.
Unsichtbarmachung: In den ersten Nachkriegsjahrzehnten vermeiden deutschsprachige Printmedien den Begriff in auffälliger Weise (vgl. Abb. 1). Selbst in der Summe der wichtigsten deutschen Wochen- und Tageszeitungen bleibt die Verwendung bis Anfang der 1980er Jahre über drei Jahrzehnte hinweg jährlich im einstelligen Bereich. Diese sprachliche Marginalisierung kann als eine Vermeidungsreaktion, als eine diskursive Gegenbewegung der Berichterstattung dieser Dekaden interpretiert werden, die Geopolitik – ähnlich wie andere Kernbegriffe nationalsozialistischer Ideologie – weitgehend aus den Feldern des öffentlichen Sagbaren verbannte. Ab 1960 wird der Begriff etwas sichtbarer, taucht zunächst vor allem im Rahmen von geostrategischen Überlegungen auf und ist in dieser Lesart eng mit dem ‚Blockdenken‘ verbunden, welches in der BRD in der Zeit des Kalten Krieges die zentralen Raumkonstruktionen der Außenpolitik im globalen Maßstab bildet.
Trendwende: In den 1980er Jahren, auch verbunden mit beginnenden Auflösungserscheinungen und Umwälzungen in den Staaten des Warschauer Paktes und dem Krieg in Afghanistan, setzt eine merkliche Zunahme der Verwendung von Geopolitik in den untersuchten Printmedien ein. Im Durchschnitt versechsfachen sich die Erwähnungen gegenüber dem ersten Zeitraum. Zugleich fällt in der qualitativen Analyse dieser Entwicklung auf, dass trotz der zunehmenden Begriffswiederverwendung kaum eine inhaltliche Aufarbeitung im Sinne einer Auseinandersetzung mit der ambivalenten historischen Begriffsgeschichte verbunden ist. Im Unterschied zu anderen Feldern der kritischen Reflexion der deutschen Nachkriegsgesellschaft mit Kernproblemen des Nationalsozialismus reimportiert der mediale Diskurs das Konzept der Geopolitik recht unkritisch in den damaligen Kontext des späten Kalten Krieges hinein. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn der Begriff trotz – oder gerade wegen – der häufigeren Verwendung recht breit, unbestimmt und damit auch politisch gewissermaßen kraftlos blieb. Nicht von ungefähr bezeichnete Franz Josef Strauß „Geopolitik“ noch 1989 als „ominös“ (Der Spiegel, 35/1989).
Eine semantische Verschiebung im Sinne einer Entkopplung von den Diskursen des Kalten Krieges erfährt der Begriff Geopolitik nach dem Fall der Mauer – zunächst rückblickend in den Bewertungen der Veränderungsdynamiken nach 1989, später auch mit Bezug auf jeweils aktuelle politische Konstellationen sowie auf die sich neu konfigurierenden geopolitischen Leitbilder (Ó Tuathail et al., 2006; Reuber und Wolkersdorfer, 2004). Diese Verschiebung entfernt den Begriff einerseits weiter vom völkisch-geodeterministischen Gedankengut des Nationalsozialismus. Andererseits erweitert sie im Zuge der Verknüpfung mit aktuellen politischen Neuformatierungen und Umbrüchen auf der Weltbühne die begriffliche Variationsbreite (und Unschärfe). In diesem Sinne lassen sich ab Mitte der 1990er Jahre eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Ereignisse und räumlicher Bezüge ausmachen, die diskursiv in den Zusammenhang mit Geopolitik gestellt wurden. Tabelle 2 zeigt die jeweils auffälligsten Begriffe im Vergleich der damaligen Zeitungsjahrgänge mit dem Gesamtkorpus. Es tauchen dabei nur Begriffe und Begriffspaare auf, die für das Jahr statistisch signifikant sind und die zugleich eine hohe statistische Effektstärke haben. Die konkreten Fälle und ihr schneller zeitlicher Wechsel zeigen, wie die möglichen Bedeutungen, mit denen der Begriff Geopolitik verknüpft wird, in dieser Öffnungsphase nach dem Ende des historischen Kalten Krieges vielfältiger und unbestimmter werden. So werden etwa Streitigkeiten zwischen Pakistan und Indien, zwischen Israel und seinen Nachbarn, ebenso wie Debatten über Rohstoffe in China und ganz allgemein der Klimawandel als dezidiert geopolitische Themen gerahmt. Überprüft man entsprechende Fundstellen inhaltsanalytisch, so finden sich in all diesen Fällen keine direkten Bezüge zum Kontext der alten Ost-West-Konflikte, zum Kalten Krieg oder zu den ideologischen Verstrickungen vor 1945. Der Begriff „Geopolitik“ wird in dieser Phase in deutschen Printmedien sehr allgemein in unterschiedlichen außenpolitischen Auseinandersetzungen bzw. Konfliktfeldern verwendet.
Renaissance: Erst vor diesem Hintergrund (und der damit einhergehenden Loslösung des Begriffes von Bezügen zum Nationalsozialismus) lässt sich dessen dritter, quantitativ deutlich meßbarer Popularitätssprung im medialen Diskurs einordnen und verstehen. Dieser kann als eine ‚Renaissance der Geopolitik‘ im engeren Sinne bezeichnet werden, weil hier zum einen im Vergleich zur Vorphase eine erneute Verdopplung der medialen Erwähnungen des Begriffs Geopolitik stattfindet. Es ist aber nicht nur die quantitative Steigerung, die hier von Bedeutung ist, sondern zum anderen auch die sich dabei vollziehende semantische Rejustierung, die den Begriff inhaltlich in seine gegenwärtige Diskursposition und Deutungslogik hinein (ver)schiebt. Diese entfaltet sich in einem recht engen zeithistorischen Fenster, im Umfeld der Konflikte zwischen Russland, seinen (süd-)westlichen Nachbarstaaten und den damit verbundenen außenpolitischen Reaktionsweisen des ‚Westens‘. Konkret wird die diskursive Verschiebung ein erstes Mal 2008 deutlich sichtbar mit dem Kaukasuskrieg. Die neue Selbstverständlichkeit der geopolitischen Erzählweise betrifft seinerzeit auch zahlreiche wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Veröffentlichungen aus dieser Zeit (z. B. Casula, 2012; Lucas, 2008; MacKinnon, 2007; Moïsi, 2010; Scholl-Latour, 2006). Die Entwicklung findet ihren vorläufigen Höhepunkt in der Verkopplung mit den Ereignissen in der Ukraine. Abbildung 1 zeigt, dass kein Ereignis im Untersuchungszeitraum zeitungsmedial so sehr mit dem Begriff Geopolitik verknüpft wurde wie die Krise und der Krieg in der Ukraine. Zwischen 2013 und 2015 erschienen über 15 % aller Artikel zu geopolitischen Themen der Jahre 1948 bis 2018. Die Deutlichkeit dieser stufenweisen ‚Renaissance der Geopolitik‘ in der Medienberichterstattung wird sogar noch übertroffen von vergleichend analysierten Textkorpora aus Reden des Deutschen Bundestages, in denen diese Entwicklung quantitativ noch stärker zu Tage tritt.
Um diese Renaissance inhaltlich genauer zu bestimmen, erscheint erneut eine konzeptionelle Orientierung an Foucaults Idee vom Archiv des Diskurses hilfreich, da im Umfeld des jüngsten quantitativen Höhenflugs des Begriffs Geopolitik gleichzeitig ein weiterer Begriff mit Bezug zu vergangenen geopolitischen Repräsentationen auftaucht. Es handelt sich um die mediale Anrufung eines „Neuen Kalten Krieges“ bzw. eines „Kalten Krieges 2.0“. Diese Kombination ist, wie lexikometrische Kollokationsanalysen zeigen, eng verbunden mit dem Begriff Geopolitik und stabilisiert sich als sprachliche Verbindung zunehmend seit 2008 in den oben angesprochenen regionalen Konfliktfeldern und Kriegen des Kaukasus und der Ukraine. In der Folge wird die sprachliche Kollokation von „Geopolitik“ und „(Neuem) Kalten Krieg“ so stark, dass kein anderer Begriff mit höherer statistischer Wahrscheinlichkeit in dessen Umfeld auftaucht. Daneben fanden sich in den drei letzten Jahrzehnten des Untersuchungszeitraums (d. h. nach dem Ende des Kalten Krieges) lediglich kleinere ‚sonstige‘, statistisch deutlich weniger signifikante mediale Bezüge auf die Metapher vom Kalten Krieg: im Kontext der Großmachtrollen beim Krieg in Syrien, im Kontext der Griechenland-Diskurse (Zypernfrage, EU-Grenzregime) und im Umfeld des Diskurses um geoökonomische Interessenslagen von Nationalstaaten im Nordpolarmeer.
Die Wiederauferstehung des geopolitischen Leitbildes eines Kalten Krieges im Kontext regionaler Ost-West-Konfliktkonstellationen erscheint zunächst etwas verwunderlich, ist doch der Abgesang auf das Ende des (alten) Kalten Krieges gerade einmal knapp drei Jahrzehnte her. Daher lohnt aus diskursanalytischer Sicht ein Blick auf genau diesen Zeitraum. Wie konnte es so schnell zu dieser ‚zweiten Blütezeit‘ kommen? Welche Phasen der Diskursentwicklung lassen sich in diesen vergangenen drei Dekaden feststellen und durch welche inhaltlichen Verschiebungen sind sie in der Medienberichterstattung gekennzeichnet?
Im Detail zeigt sich, welche quantitativ erheblichen diskursiven ‚Konjunkturschwankungen‘ der Begriff des Kalten Krieges in den vergangenen drei Jahrzehnten hinter sich gebracht hat und welche inhaltlichen und ‚geo‘-politischen Gemeinsamkeiten und Verschiebungen diese jeweils auszeichnen. Dabei lassen sich drei Teilphasen unterscheiden, die nachfolgend kurz charakterisiert werden5.
4.1 Teilphase I: Der ‚Rückzug‘ des Diskurses vom Kalten Krieg 1990 bis 2000
Im Verlauf dieser Teilphase gehen die medialen Erwähnungen des Begriffs Kalter Krieg deutlich und rapide zurück. 1991 erscheinen 7,3 % aller Artikel des Gesamtzeitraums – im Jahr 2000 sind es nur noch 2,7 % (Abb. 2a). Dabei ist der Rückgang in den untersuchten US-amerikanischen Printmedien noch stärker als in den deutschsprachigen. Inhaltlich wird in dieser Zeit der Kalte Krieg vor allem als vergangen und damit ‚historisch‘ beschrieben. Mitte der 1990er Jahre machen historisierende Wendungen in Bezug auf den Kalten Krieg zwischen 20 % (USA) und 31 % (D) aller Erwähnungen innerhalb des Korpus aus allen Artikeln zum Kalten Krieg aus (Abb. 2b und d). Aber auch die übrigen Artikel beschreiben überwiegend die Vergangenheit. Es findet sich vor allem eine Berichterstattung über das ‚Verschwinden‘ dieses ehemals global gültigen geopolitischen Leitbildes – verbunden mit Berichten über Umbrüche und gesellschaftliche Transformationen in postsowjetischen Staaten, allen voran Russland. Insgesamt ist die rückblickende und inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Kalten Krieg aber eher deskriptiv angelegt, hat wenig kritische Tiefenschärfe im Sinne einer gesellschaftlichen ‚Auf‘-Arbeitung. Es gibt z. B. wenig Auseinandersetzungen mit der Rolle ‚des Eigenen‘, d. h. des ‚Westens‘, in den Diskursen dieser Phase. Der Schwerpunkt liegt auf Perspektiven im sprachlichen Umfeld von Transformation, Neugestaltung und Umbruch im Osten. Damit wird auch die in dieser Teilphase durchaus prominente geopolitische Fukuyama-These vom „Ende der Geschichte“ (Fukuyama, 1992) gestärkt, die den ideologischen Sieg und die Überlegenheit des ‚Westens‘ postuliert.
4.2 Teilphase II: 2001 bis 2007: Das ‚Verschwinden‘ des Diskurses vom Kalten Krieg
In der zweiten Phase setzt sich der quantitative Abwärtstrend der Erwähnungen des Begriffs „Kalter Krieg“ in den deutschen und US-amerikanischen Printmedien fort und erreicht im Jahr 2004 mit 2 % der Nennungen im gesamten Untersuchungszeitraum seinen absoluten Tiefststand. Auch in Bundestagsdebatten zeigt sich ein ähnlicher Trend. In dieser Phase werden die ideologischen Risikoszenarien des Kalten Krieges sukzessive überlagert von der Rhetorik vom Clash of Civilizations, der in dieser Phase spätestens seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA globale geopolitische Krisendiskurse in den Medien dominiert. Entsprechend ist das alte Leitbild vom Kalten Krieg argumentativ kaum anschlussfähig. Die geopolitische Erzählung vom ‚Kampf gegen den Terror‘ löst die Ost-West-Binarität als medial hegemoniales Deutungsmodell ab. Vor diesem Hintergrund verblassen (vermeintliche) Ost-West-Dichotomien nicht nur, sondern die Medien berichten zunehmend über Formen der Annährung zwischen den alten Gegner_innen: Russland öffnet z. B. seinen Luftraum für die NATO, erlaubt die Nutzung seiner Militärbasen, ehemalige Länder des Warschauer Paktes sind Mitglieder in der von G. W. Bush gebildeten ‚coalition of the willing‘. Weitere Beispiele für die mediale Fokussierung auf Themen der ‚Entspannung‘ in Bezug auf Russland finden sich in der zunehmenden Vernetzung in Feldern der Ökonomie und der Energieressourcen. Zusammenarbeit und Kooperation – noch immer in Verbindung mit der Neuartigkeit dieser Beziehungen – sind auffallend überrepräsentiert im Vergleich zu den anderen Phasen. Auch der räumliche Fokus re-zentriert sich nach dem Zerfall der Sowjetunion auf Russland, das Interesse an anderen postsowjetischen Räumen lässt deutlich nach und auch die Ukraine und Georgien werden fast gar nicht adressiert, erst recht nicht in Bezug auf den Kalten Krieg oder Ost-West-Konflikte. Bei der medialen Repräsentation der Machtstrukturen beginnt sich ein Schwenk von der Parteienstruktur (ZK, Politbüro, Kreml etc.) hin zu einer stärken Personifizierung auf wenige Schlüsselakteure aus Politik und Wirtschaft abzuzeichnen (Führungseliten).
4.3 Teilphase III: 2008 bis 2018: Die Rückkehr des geopolitischen Ost-West-Diskurses als „Neuer Kalter Krieg“
Der mediale Abwärtstrend des Diskurses vom Kalten Krieg findet ein abruptes Ende mit dem Kaukasuskrieg von 2008, an dem vor allem Russland und Georgien beteiligt sind. Er markiert in den Medien das Ende der diskursiven Entspannung und den Beginn einer Repolarisierung alter Konfliktszenarien. Damit verbunden ist in der medialen Berichterstattung eine Art Wiederauferstehung der Formel vom Kalten Krieg, die bis heute nicht abgeschlossen ist. Zum ersten Mal überhaupt wird hier die Figur eines Neuen Kalten Krieges sichtbar – die 2008 etwa gleich häufig auftritt wie dezidiert rückblickende Bezugnahmen auf den (‚alten‘) Kalten Krieg (Abb. 2b). Ab dem Jahr 2014 ist der Neue Kalte Krieg dann die häufigere Konnotation. Diese Entwicklung läuft ab hier inhaltlich parallel mit der im vorherigen Kapitel ausgeführten Renaissance ‚geo‘-politischer Risikodiskurse im engeren Sinne (russische Einflusszonen, Nachbarschaftspolitik, Sicherheitskorridore, Sicherung von Meereszugängen etc.), die von der Medienberichterstattung als Rationalisierungen der neuen Konflikte und Kriege im regionalen Spannungsfeld von Ost-West herangezogen werden. Obwohl diese diskursive Reaktivierung nicht die Prominenz erreicht, die der ‚alte‘ Kalte Krieg seinerzeit eingenommen hat (Abb. 2b), schlägt sie sich im angesprochenen Zeitraum relativ gesehen doch als deutlich ansteigende Wiederverwendung einer sprachlichen Figur nieder, die wenige Jahre zuvor auf dem ‚Weg in die geopolitischen Archive‘ zu sein schien. Sie beschleunigt sich sogar noch einmal ab 2013 im Zuge der Berichterstattungen über die kriegerischen Entwicklungen in der Ukraine.
Konzeptionell ist an dieser Entwicklung aus der theoretischen Perspektive des Wirkens vergangener ‚Archive der Geopolitik‘ beachtenswert, dass diese Form der ‚Wiedereinführung‘ aus Sicht ‚westlicher‘ Medien diskursiv vor allem deswegen so gut zu funktionieren scheint, weil es sich mit Russland um die ‚Nachfolgemacht‘ der Sowjetunion handelt und weil der ‚Gegner‘ erneut im ‚Osten‘ liegt. An dieser Stelle zeigt sich noch einmal nachdrücklich, wie sehr der Kalte Krieg als historisch vergleichsweise ‚junge‘ Risikonarration Teil einer sehr viel älteren im geopolitischen Archiv verankerten Narration von Ost-West-Unterschieden ist. Aufgrund einer solchen diskurshistorisch (genealogisch) eingeübten geopolitischen Verortungsweise besitzt die Idee vom Kalten Krieg 30 Jahre nach dem Fall des ‚Eisernen Vorhangs‘ für die Medien im vorgegebenen Konfliktkontext erneut eine hohe Plausibilität. Es sind zahlreiche sprachliche Verknüpfungen und diskursive Muster erkennbar, die aus der Zeit dieses allumfassenden Systemkonfliktes stammen. Scheinbar mühelos wird die Geschichte in dieser Form weitererzählt.
Diese Befunde zeigen, wie sehr die Jahrzehnte des Kalten Krieges stabile diskursive Verortungs- und Risikomuster geschaffen haben, die offenbar auch in den Jahren der Annäherung von Ost und West ein (weitgehend schweigender) Teil des diskursiven Archivs geblieben sind, und die dann ab 2008 ihre Argumentationsschablonen erneut bereithielten, um aktuelle Deutungsmuster – trotz aller Unterschiede – in einer ähnlichen Weise ‚vorzufräsen‘ (vgl. Reuber, 2020:741f.).
Gleichzeitig zeigt ein zweiter Blick auf inhaltliche Füllungen dieser Reaktualisierung, dass ihre Umstände im Detail komplexer sind. Die medialen Verweise auf den Kalten Krieg zeigen, dass nicht jede historisch denkbare Sagbarkeitsoption bezüglich der Gegner_innenschaft mit Russland reaktualisiert wird. Zusätzlich unterliegen diejenigen Elemente, die aus vergangenen geopolitischen Diskursen hervorgeholt und weitergetragen werden, einer inhaltlichen Veränderung.
Bei aller Plausibilität der hier vorliegenden Phasierungen muss aus diskurstheoretischer Sicht darauf hingewiesen werden, dass sich die Abfolge der beschriebenen Elemente trotz vermeintlicher Evidenzen nicht monokausal durch einzelne historische Ereignisse erklären lässt. Obwohl diese – auch aufgrund ihrer häufigen Wiederholung in medialen Berichten und Kommentaren – plausibel erscheinen, ergibt sich keine unmittelbare Zwangsläufigkeit der dahinterliegenden diskursiven Rahmungen. Hinzu kommt, dass geopolitische Diskurse auch immer Teil anderer gesellschaftlicher Auseinandersetzungen sind und damit gleichzeitig auf unterschiedliche diskursive Aussagesysteme verweisen, die in ihren historischen Formatierungen sehr verschieden angelegt sein können. So ist beispielsweise das Ziel der Unabhängigkeit Deutschlands von Öl- und Gas-Importen ab Ende der 1990er Jahre eine sich durchsetzende diskursive Formation, die in der Medienberichterstattung stark geopolitisch kontextualisiert wird und in besonderer Weise auch die Beziehungen zu Russland betrifft. Gleichzeitig interagieren diese Diskurse mit gesellschaftlichen Diskursen um den Klimawandel und daraus entstehen gemeinsam andere (auch politisch-geographische) inhaltliche Verknüpfungen und geopolitische Konstruktionsweisen als etwa in den 1950er Jahren, als intensive Handelsbeziehungen mit fossilen Bodenschätzen als positives Zeichen der europäischen Integration gesehen wurden (z. B. Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, 1952). Die hier untersuchten geopolitischen Ost-West-Beziehungen sind also immer Teil von sich komplex überlagernden diskursiven Formationen. Entsprechende Aspekte inhaltlicher Wechselwirkungen und begrifflicher Verschiebungen treten in der dritten Phase des Konjunkturzyklus des Kalten Krieges seit 2008 (Georgien) und noch deutlicher ab 2014 (Ukraine) zu Tage und sollen nachfolgend etwas detaillierter umschrieben werden.
Die Reaktualisierung alter Ost-West-Risikodiskurse als Neuer Kalter Krieg erfolgt in den untersuchten Medien – wie oben skizziert – nicht 1:1, sondern in einer diskursiv verschobenen Weise. Dies deutet sich in der Medienberichterstattung prominent bereits im angepassten Leitbegriff vom Neuen Kalten Krieg an, der zu einer eigenständigen Beschreibungsformel für die Konflikte in den westlichen Anrainerstaaten Russlands wird, und zwar sowohl in deutschen als auch in US-amerikanischen Zeitungen. Diese Verschiebung hat drei Dimensionen, die nachfolgend diskutiert werden sollen.
5.1 Erste Dimension: Neue ‚Raum-Ordnungen‘ in den politischen Geographien von Ost und West
In seinen politischen Geographien hat der Neue Kalte Krieg viel weniger mit dem historischen Kalten Krieg zu tun, als es zunächst scheint. Zwar finden sich alte Deutungsformeln wie ‚Russland gegen den Westen‘, Stellvertreterkriege, Steigerungen der Militärausgaben, Gefechtsübungen etc., die dem diskursiven geopolitischen Archiv des Kaltem Krieges entstammen. Aber dahinter vollzieht sich eine Rekonfiguration der räumlichen Ordnungen von Ost und West in den untersuchten ‚westlichen‘ Medien, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen.
Global gesehen war der ‚alte‘ Kalte Krieg „eine politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung“ (Stöver, 2012), die (aus ‚westlicher‘ Perspektive) weltweit stattfand. Das lässt sich nicht nur Geschichtsbüchern entnehmen, sondern wird auch durch die lexikometrische Auswertung räumlicher Begriffe im sprachlichen Umfeld des Kalten Krieges in den 1960er bis 1980er Jahren sichtbar. Im Neuen Kalten Krieg nach 2008 geht es in Bezug auf die räumliche Ausdehnung aber nicht mehr um den Konflikt der beiden Supermächte und ihrer weltumspannenden Interessenssphären, sondern um das regionale Spannungsfeld zwischen Russland, seinen westlichen Nachbarstaaten und der Europäischen Union. So spielten auch die USA nur während der ersten Monate des Krieges in der Ukraine eine sichtbare Rolle (vgl. Barthel und Bürkner, 2019). Russland wird eher selten als Großmacht bezeichnet, es wird im Diskurs der Medien – von Ausnahmen abgesehen – durch ein (noch) etwas verschwommenes Bild als geopolitische Regionalmacht abgelöst. An die Stelle des Dualismus Kapitalismus/Kommunismus tritt eine Vorstellung vom Westen als ‚freier Welt‘, der Russland als Verkörperung des unfreien und moralisch unterlegen ‚Ostens‘ gegenübersteht – eine Formel, in der erneut eine bereits sehr alte Denkfigur geopolitischer Identitätskonstruktion wiederauflebt. ‚Ost‘ und ‚West‘ sind dabei – ähnlich wie seinerzeit im Kalten Krieg – stark aufgeladene Begriffe und weit mehr als Himmelsrichtungen.
Was die mediale Repräsentation der konkreten Konfliktregionen angeht, ist aus geographischer Sicht interessant, dass die seit 2014 referenzierten Räume (aus westlicher Sicht) fast ausschließlich im Osten liegen. Auch im Bundestag wird – anders als in den 1980er Jahren – die eigene Rolle in diesem Dualismus seltener thematisiert. Vereinfachend lässt sich feststellen, dass der Neue Kalte Krieg etwas ist, was mit Russland zu tun hat und derzeit vor allem in der Ukraine stattfindet. Im sprachlichen Umfeld um den Neuen Kalten Krieg finden sich fast ausschließlich räumliche Referenzen in den post-sowjetischen Raum (Ukraine, Russland, Kiew, Donbass, Krim, Georgien). Die Räume dazwischen spielen im Wesentlichen in ihrem Bezug zu Russland eine Rolle. Der Westen, die EU, Deutschland, die USA etc. werden räumlich hingegen sehr viel weniger repräsentiert. Auf lokaler Ebene lässt die starke Fokussierung der Medienberichterstattung auf die Konflikt- und Kriegsereignisse in der Ukraine gleichzeitig andere Nachbarregionen Russlands aus dem Aufmerksamkeitstrichter westlicher Gesellschaften verschwinden, obwohl sie im Prinzip mit ähnlichen politischen Problematiken konfrontiert sind. Auf diese Weise formatieren die Medien den Blick auf die Landkarten, wie das Beispiel der Republik Moldau/Transnistrien zeigt, welche trotz ähnlicher Konstellationen wie in Georgien und der Ukraine zwar etwas häufiger als in den Phasen davor, aber insgesamt in viel geringerem Umfang thematisiert wird. Transnistrien wird in vielen Jahren kein einziges Mal im Bundestag angesprochen und auch in den Zeitungen nur sehr selten erwähnt.
5.2 Zweite Dimension: Stärkung der Selbstanrufung als ‚Westen‘ gegenüber ‚Russland‘ als räumlich fokussiertem ‚Anderen‘
Im Zuge der Reaktualisierung der Debatten über Geopolitik und Kalten Krieg rückt auch der ‚Westen‘ als geopolitische Selbstbezeichnung ‚des Eigenen‘ wieder stärker in den Mittelpunkt der deutschsprachigen Medienberichterstattung. Abbildung 2c zeigt die relative Verteilung dieser Bezeichnung in den untersuchten Zeitungen und Artikeln mit geopolitischem Bezug. Die Ergebnisse sind semantisch bereinigt6 und zeigen, dass die Selbstanrufung des ‚Westens‘ parallel zu den Ereignissen in Georgien (2008) und der Ukraine (2013) sprunghaft ansteigt und sich dieser Trend danach auf einem höheren Niveau einpendelt.
Die wichtigsten Worte im direkten sprachlichen Umfeld von „Westen“ in Artikeln mit Bezug zum Begriff Geopolitik unterscheiden sich in den beiden letzten Phasen. Waren es zwischen 2001 und 2007 die Worte „USA“, „Europa“ und „Islam“, die am häufigsten auftauchten, sind es nun „Russland“, „Sanktionen“, „Ukraine“ und „Putin“, die jeweils häufiger vorkommen als „USA“, „Europa“ oder irgendwelche anderen Formen der positiven Selbstbestimmung. Dieser Vergleich zeigt, dass der Westen sich nun viel stärker durch Abgrenzung gegen ein ‚Außen‘ als durch Formen der inhaltlichen Selbst-Bestimmung definiert, ein Umstand, der sich bis in den Leitbegriff der Westlessness auf der aktuellen Münchner Sicherheitskonferenz 2020 durchpaust. Eine solche Abgrenzung gab es zwar in allen untersuchten Zeiten, doch war sie im Verhältnis zur Bestimmung der Gegnerschaft in keiner Phase so dominant (Barthel und Bürkner, 2019; Toal, 2017).
Während Inhalt und Form des Sprechens über einen Neuen Kalten Krieg – wie oben gezeigt – vom historischen Konflikt abweichen, wird gleichzeitig die diskursive Polarisierung von Wir/Westen und Die Anderen/Russland stärker. Dabei wird der Westen in den medialen Berichterstattungen häufiger zu einer Art ‚moralischer Idee‘ weiterentwickelt, die die ursprüngliche Bedeutungslogik der geographisch-geopolitischen ‚Verortung‘ bei diesem Signifikanten in den Hintergrund treten lässt. Dieser Trend zeigt sich auch darin, dass die Frage, was in den Medien als Westen bezeichnet wird, auf der normativen Ebene des Diskurses verhandelt wird. Die postulierte inhaltliche Nähe zu westlichen Werten ist also entscheidender als die Lage: Obwohl die baltischen Staaten geographisch weiter in den Osten reichen, werden sie deswegen im Untersuchungskorpus nicht selten als schützenswerter und ‚westlicher‘ verhandelt als z. B. Polen und Ungarn. Deren aktuelle Regierungen werden entlang ihrer Orientierung an ‚westlichen‘ Werten verortet, wenn z. B. in Bezug auf die freie Presse und Wissenschaft, Demokratie und sexuelle Selbstbestimmung über ‚Abweichungen‘ berichtet wird.
Man könnte also sagen: Der ‚Westen‘ als geopolitische Selbstbezeichnung wird wichtiger (im Sinne von häufiger) und zugleich (politisch-geographisch) unsichtbarer. Damit wird er zu einer Art unmarkiertem Zentrum, zum Normalen, beansprucht für sich stillschweigend den Stellenwert einer Universalie. Gleichzeitig wird er in den medialen Repräsentationen der neuen Ost-West Debatte – anders als im historischen Kalten Krieg – weniger im Sinne einer direkten Konfliktpartei angesprochen, er ist zum Beispiel statistisch im direkten Umfeld der Begriffe vom Neuen Kalten Krieg unterrepräsentiert. Nur die Selbstbezeichnung des Eigenen in den Medien als Westen wird über alle Artikel und Themenfelder hinweg stärker. Es kann geschlussfolgert werden, dass sich der mediale Selbstdiskurs über den ‚Westen‘ insgesamt und nicht nur in explizitem Bezug zum Neuen Kalten Krieg verändert. Während der Osten eine mit konkreten Räumen verknüpfte gedankliche Einheit bleibt, ist ‚der Westen‘ in Anlehnung an Laclau und Mouffe (1985) ein „gleitender Signifikant“, dessen Rolle – etwas zugespitzt formuliert – vor allem in Form einer (vermeintlich globalen) Wertegemeinschaft re-imaginiert wird7.
Die Zunahme und Bedeutung dieser Selbstbezeichnung setzt logisch weiterhin ein sinnstiftendes ‚östliches‘ Anderes, ein geopolitisches othering, voraus, das sich seit 1990 zunehmend auf Russland konzentriert. Russland bleibt dabei in einer ähnlichen Weise der „elephant in the room“ (Casula, 2012; Henderson, 2007), wie das Said für die Rolle des ‚Orient‘ in westlichen imagined geographies gezeigt hat (Said, 2003 [1978]). Im Unterschied dazu aber hatte und hat die eher diffusere Imagination vom ‚Orient‘ (in seiner Rolle als vormoderner Antagonist des ‚Westens‘) in den untersuchten Jahren keine so klar abgrenzbare Bedeutung, dass darauf langfristige geopolitische, geostrategische und geoökonomische Strategien bezogen werden konnten, wie im Falle des geopolitischen ‚Ostens‘. Entsprechend konnte sich auch Huntingtons „Kampf der Kulturen“ im untersuchten Zeitraum – von den Jahren nach dem 11. September 2001 abgesehen – nicht als langfristig dominante mediale geopolitische Erzählung etablieren (was nicht bedeutet, dass er nach wie vor für regionale und/oder islamistisch hinterlegte Konflikte herangezogen wird). Stattdessen zeigt sich insbesondere an den jüngeren Repolarisierungen ab 2008, dass trotz zwischenzeitlich ‚entspannterer‘ geopolitischer Repräsentationsweisen die alten Leitbilder vom ‚bedrohlichen Osten‘ nie verschwunden waren und kraftvoll und schnell aus den Archiven des Diskurses heraus reaktiviert werden können.
Im Sinne dieses othering wird in den untersuchen Medien die Sichtweise auf Russland zunehmend einseitiger. Russland verkörpert nicht nur den östlichen Teil der alten Ost-West-Binarität, es wird immer häufiger darauf reduziert. Die Beziehung funktioniert also auch andersherum, d. h. was mit Russland zu tun hat, wird heutzutage – aus westlicher Sicht – recht dominant mit dem Begriff Geopolitik in Verbindung gebracht. Keyword-Analysen im Umfeld des Begriffs „Russland“ in unterschiedlichen Teilphasen nach dem Ende des Kalten Krieges zeigen, welche Begriffe in verschiedenen Zeiträumen mit diesem Begriff signifikant stärker verbunden sind. So wird sichtbar, dass 2001 bis 2006, also in Zeiten der größten Abwesenheit von Verweisen auf den Begriff Kalter Krieg, die medial mit Russland verknüpften Themen deutlich breiter angelegt waren als im Zeitraum des Ukraine-Konfliktes 2014 bis 2017. Damals waren es Themen wie Rohstoffe (Öl und Gas), Russlands Beziehungen zu China und ein vielfältiges Spektrum aus den Bereichen Kultur, Landesgeschichte und Natur, die im Vergleich zur heutigen Berichterstattung viel stärker repräsentiert waren. In den Jahren 2014 bis 2017 sind stattdessen Begriffe wie „Sanktionen“, „Krim“, „Putin“ und „Westen“ überrepräsentiert. Der Anteil von Artikeln ohne (geo-)politische Bezüge nimmt ab – sowohl in Bezug auf andere Themen als auch im Vergleich zu anderen Jahren. Vor allem die letztgenannten ‚bunten‘ Themen tauchen nun fast gar nicht mehr auf. Dies zeigt sich auch in der Verortung der Berichterstattung innerhalb der untersuchten Medien: Artikel zu Russland sind dominant ins Politikresort gewandert, Reiseberichte und Naturberichte werden seltener. Und selbst wenn über Themen wie Sport, Musik oder Film berichtet wird, spielt die Verbindung zum Diskurs der Geopolitik häufiger eine Rolle. Diese Verengung in der medialen Repräsentationsweise führt zu einer Gefahr, die Adichie in anderem regionalen Zusammenhang als „the danger of a single story“ (2009) beschrieben hat.
5.3 Dritte Dimension: Vom Parteienstaat zum Personenkult – Fokussierung der politischen Repräsentation des Gegners auf die Person Vladimir Putins
Verbunden sind die oben angesprochenen Entwicklungen mit einer weiteren Verengung des medialen Blicks, und zwar einer – im Vergleich zur Phase des Kalten Krieges mit einem Fokus der Berichterstattung auf der Macht von Gremien und Institutionen wie der ‚Partei‘, dem ‚Zentralkomitee‘, dem ‚Politbüro‘ oder dem KGB – deutlich klarer personifizierten Repräsentation Russlands, die sich im Kern auf den ‚starken Akteur‘ Vladimir Putin fokussiert8. Eine solche Verschiebung der Berichterstattung ist zunächst nicht allein typisch für Russland. Die Fokussierung auf ‚einen starken Mann‘ passt sich ein in eine breitere Palette von Beispielen für die Entwicklung männlich dominierter populistischer Politik und deren Echo in den Medien (z. B. im Fall von Erdogan, Trump, Duterte, Orban, Bolsonaro usw.), bei dem einzelne Persönlichkeiten weltweit stärker als noch vor wenigen Dekaden zu alleinigen Repräsentationsfiguren ganzer Länder werden.
In Bezug auf Russland spielt dabei aber erneut das langzeitliche Wirken diskursiver Archive eine Rolle. Es speist sich aus der Perspektive der untersuchten Medien aus der jahrhundertelang eingeübten geopolitischen Repräsentation als ‚Zaren-Reich‘, dessen Geschicke maßgeblich durch herausgehobene Herrscher bestimmt worden sind. Diese Form der Fokussierung auf den ‚starken Akteur‘ verschwindet auch nach der kommunistischen Revolution nicht, erneut richtet sich der westliche Blick auf wirkmächtige Einzelfiguren, prototypisch abgebildet in der Person Stalins, etwas weniger prominent in den Zeiten des Kalten Krieges, spätestens mit Gorbatschow denn aber zurück auf der Spur der ‚großen Männer‘. In diese diskursive Spur passt aus Sicht der Medienrepräsentation kaum jemand besser als Vladimir Putin. Bereits die Zaren-Analogie nutzen die Medien – in unterschiedlichen Wellen – immer wieder zur Kennzeichnung seines Regierungsstils. Er wird noch in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends (2000–2009) in etwa 3 % aller Artikel in die Nähe eines Zaren gerückt. Die anfangs etwa gleich häufig auftretende Repräsentation von Putin als herausgehobenem ‚KGB-Spion‘ gewinnt dann allerdings ab 2010 sprunghaft die Oberhand und ist seither die dominantere Bezeichnung. In dieser Lesart und vor allem auch durch die Bezüge zur Tätigkeit im sowjetischen Geheimdienst folgt die Darstellung Putins seither stärker einer Anspielung auf den ‚starken Herrscher‘ Stalin, die ja ihrerseits bereits Elemente der Zaren-Erzählung fortführt.
Seit 2013, mit der Zunahme der Konflikte in der Ukraine, lässt sich eine weitere in diese Linie passende Transformation der Putin-Repräsentation beobachten, die in gewisser Weise als Ikonisierung bezeichnet werden kann. „Putin“ wird dabei selbst zum Begriff, d. h. er wird nicht allein durch die oben angesprochenen historischen Rückverweise kontextualisiert, sondern ist mittlerweile mit den ihm in ständiger Wiederholung medial zugeschriebenen Elementen seiner persönlichen Biographie und seines Charakters eine eigene Marke geworden. In dieser Form steht er noch mehr als früher ‚mit sich selbst‘ für Russland. Dieser Trend führt sogar dazu, dass in der medialen Repräsentation der Begriff „Russland“ quantitativ gesehen zunehmend von „Putin“ verdrängt wird (Creutziger, 2017): Die Analyse der Medienkorpora zeigt, dass Lexeme von „Putin“ in einigen Phasen häufiger vorkommen als solche von „Russland“. In den Schlagzeilen und Überschriften der Zeitung ist diese Form der Zuspitzung proportional noch stärker vertreten und findet ihre Extreme in der Boulevardberichterstattung: B. Z. und Bild haben 2014 jeweils mehr als doppelt so oft „Putin“ im Titel als „Russland“ (z. B. Bild, 2014:141/71; B. Z., 2014:106/52). Diese starke Personalisierung wirkt sogar aktiv zurück auf das Image von Russland insgesamt, bei dessen Charakterisierung die medialen Diskurse nicht selten Elemente von Putins persönlicher Biografie, Ausbildung und sogar sein Aussehen für die Erklärung „russischer Politik“ heranziehen. Die wirkmächtigen Geschichten und Bilder vom reitenden, angelnden oder skifahrenden Putin emotionalisieren gleichzeitig die Wahrnehmung der politischen Ereignisse. Selbst in Abbildungen wird Putin zum ikonischen Motiv für Russland – dies gilt für die Zeitungsberichterstattung ebenso wie für exemplarische Vergleichsuntersuchungen mit bildlichen Darstellungen in sozialen Netzwerken.
Die Analyse der Rückkehr von Leitbegriffen wie Geopolitik und (Neuem) Kalten Krieg in medialen Diskursen zeigt, dass es möglich ist, mit lexikometrisch angelegten Längsschnittanalysen über mehrere Dekaden Konjunkturen des Verschwindens und Wiederauftauchens historischer politischer Raumkonstruktionen in einer differenzierteren Weise herauszuarbeiten. Damit liefert der Beitrag einen weiteren Baustein für ein politisch-geographisches Theoriekonzept der ‚Archive der Geopolitik‘, das solche Diskurskonjunkturen in konzeptioneller Rückbindung an Foucaults ‚Archiv des Diskurses‘ versteht (vgl. 1981).
Auf der inhaltlichen Ebene zeigt die Untersuchung, wie aufschlussreich es sein kann, große Zeiträume in den Blick zu nehmen, um aktuelle Entwicklungen politischer Weltbilder im Sinne einer diskurstheoretisch informierten Kritischen Geopolitik aus dem genealogischen Kontext heraus verstehen zu können. Für den Begriff der Geopolitik wird dabei deutlich, dass heutige semantische Vorstellungen sich einerseits immer noch in Rückbindung an vergangene Sinnzuschreibungen befinden, andererseits aber in unterschiedlichen Phasen teilweise auch ‚in Bewegung‘ sind, d. h. dass Bedeutungen verschoben werden. Vor 100 Jahren wurde Geopolitik als ‚Welterklärungskonzept‘ gewissermaßen vergöttert, war dann – wie oben gezeigt – nach dem 2. Weltkrieg ‚verbannt‘ und verschwunden. Im historischen Kalten Krieg erhielt der Begriff beginnend in den 1970er Jahren eine erste, eher zaghafte Reaktualisierung und inhaltliche Verschiebung. Ab den 1990er Jahren wird er in der außenpolitischen Berichterstattung dann wieder deutlich prominenter. Gleichzeitig verschieben sich die Geographien und Konnotationen: Völkisch-biologistische Verknüpfungen sind (derzeit) aus dem hegemonialen Feld des Sagbaren verdrängt9, während die raumdeterministischen Elemente des ‚klassischen‘ Geopolitik-Begriffs (z. B. Lagepolitik, Einflusszonen, Nachbarschaftspolitik) häufiger und prominenter werden. Regional gesehen findet sich der diskursive Rekurs auf Geopolitik dabei spätestens seit den Auseinandersetzungen in Georgien und in der Ukraine dominant in Medienberichten über die Konflikte zwischen Russland, seinen Nachbarstaaten und der Europäischen Union, wobei der Begriff in den medialen Rationalisierungen vor allem zum Verstehen der außenpolitischen Strategien und Interventionen Russlands eingesetzt wird10.
Das Leitbild vom Kalten Krieg ist – im Vergleich zum Begriff der Geopolitik – eine diskursiv deutlich jüngere Denkfigur. Aber auch hier zeigt die lexikometrische Analyse, dass die über vier Nachkriegsjahrzehnte eingeübte Argumentation nach dem Ende der entsprechenden historischen Epoche nicht völlig verschwindet, sondern ebenfalls eine phasenhaft sehr unterschiedliche Entwicklung durchläuft. Ähnlich wie bei der Geopolitik kommt es nach dem ‚realpolitischen‘ Scheitern des Konzeptes zu einer Dekade des diskursiven Verschwindens. Danach schreibt sich der Begriff jedoch wieder in die außenpolitischen Logiken und Berichterstattung ein – in Form einer inhaltlich und mit Blick auf die politischen Geographien her verschobenen Art und Weise. Die aktuelle diskursive Verknüpfung mit der Figur des (neuen) Kalten Krieges oder allgemeiner einer Abgrenzung des ‚Westens‘ gegen den ‚Osten‘ (dominierend Russland, z. T. China) zeigt also, dass einige Erzählstränge aus den Archiven des geopolitischen Diskurses auf alltagsweltlicher wie politischer Ebene weiter bedient werden und andere fast völlig erloschen sind. In all diesen inhaltlichen und medialen Konstruktionsweisen des ‚Fremden‘, die die Untersuchung der politischen Geographien von Ost und West am Beispiel der Begriffe „Geopolitik“ und „Kalter Krieg“ zutage fördert, zeigt sich am Ende auch noch einmal sehr deutlich, wie der ‚Westen‘ sich darin selbst imaginiert und sich auf diese Weise ständig neu (re-)produziert.
Die Befunde verweisen diskurspolitisch gesehen aber auch darauf, dass es bei solchen begrifflichen ‚Renaissancen‘ und ihren inhaltlichen Verschiebungen keine Zwangsläufigkeiten gibt und geben muss, dass es in den (Geo-)Politiken der Diskurse – trotz der herausgearbeiteten mannigfaltigen Pfadabhängigkeiten – auch Spielräume der Gestaltung gibt. Mediale Berichte und Kommentare über Fragen von Krieg, Sicherheit und Frieden in Europa wären entsprechend gut beraten, in ihren kritisch-reflexiven Teilen gerade nicht in den territorialen Fallen des Denkens der Geopolitik zu bleiben. Denn wenn Konflikte, die eigentlich präziser benannt werden könnten, in Mediendiskursen geopolitisch repräsentiert werden, dann ist das genau genommen eine Form der Verschleierung, die dahinterliegende komplexere Formen politischer Machtverhältnisse und Formen sozialer Ungleichheit in einer globalisierten Gesellschaft unsichtbar werden lässt (Creutziger und Reuber, 2019). Ein solcherart ‚anders‘ angelegtes Schreiben bzw. Berichten würde die Kritik an Krieg, Propaganda und Menschenrechtsproblemen nicht mildern, sondern präzisieren und könnte die Diskussion um politische Verantwortungen aus den Schablonen der Containerlogik befreien.
Die sprachliche Anbindung an den Diskurs der Geopolitik bewirkt auch im vorliegenden Fallbeispiel das Gegenteil. Sie verstärkt eine in der Politik zunehmend häufiger angelegte Logik, die eine diskursive Brücke zwischen dem deutlich älteren Ansatz eines Denkens in ‚eurasischen‘ Ost-West-Kategorien mit der Idee vom Neuen Kalten Krieg verbindet. In Anlehnung an die kritische Argumentation in „Seeing like a State“ (Scott, 1998) meint unsere Kritik nicht, dass mediale Diskurse generell auf ein seeing (writing) like a geopolitican verzichten sollten. Es jedoch – wie sowohl quantitativ als auch qualitativ in unseren Analysen zunehmend sichtbar wird – recht häufig zu tun und damit auch alltägliche Repräsentationsweisen zu verschieben, erscheint uns problematisch und politisch gefährlich. Um solche Ambivalenzen herauszuarbeiten und dazu gesellschaftlich relevante geopolitische Leitbilder und ihre Verankerung in den ‚Archiven der Geopolitik‘ zu rekonstruieren, bleibt vor diesem Hintergrund die Kritische Geopolitik eine ungebrochen wichtige Analyseperspektive, auch und besonders in der Bearbeitung größerer Zeiträume, die Konjunkturzyklen und inhaltliche Verschiebungen großer Erzählungen und ihrer Leitbegriffe hervortreten lässt.
Gleichzeitig enthalten und produzieren solche Analysen durch ihre Art der Sichtweise und ihre insbesondere auch in quantitative Verfahren angelegte Konzentration auf rationale Formen der Bedeutungsproduktion und Repräsentation des Eigenen und Fremden auch Leerstellen. Einige davon werden offenbar, wenn die Medien-Debatten mit einem qualitativen Blick genauer betrachtet werden, etwa die teilweise vehement geführten Vergleiche mit dem historischen Kalten Krieg, die Kommentare im Umfeld der Krim-Annexion oder die Darstellungen des Personenkults um Putin. In all diesen Fällen zeigt sich, dass in den bisherigen lexikometrischen Analysen die für die populistische Kraft geopolitischer Repräsentationen wichtige Ebene der Affekte und Emotionen kaum angemessen abgebildet wird. Hier gilt es für die Zukunft, auf der Basis der vorliegenden Befunde einen nächsten Schritt der Analyse zu gehen und die emotionale Ebene der geopolitischen Leitbilder von „Ost-West“ in den Blick zu nehmen. Dies ist ergänzend deswegen so wichtig, weil die Macht geopolitischer Leitbilder und Identitätskonstruktionen sich immer auch aus den emotionalen Belegungen und Aufladungen speist, die mit ihnen verbunden sind (Militz, 2019). Gerade auf diese Weise sind aktuell geopolitische Raumproduktionen wie der Nationalismus als Identitätsanker populistischer Bewegungen besonders verführerisch.
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Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren bedanken sich für die konstruktiven Hinweise bei der Vorstellung der ersten Ergebnisse des Projekts, aus dem das vorliegende Manuskript entstanden ist, auf der Preconference Political Geography und der AAG in Washington 2019 sowie auf der Tagung des AK Politische Geographie 2019. Unser Dank gilt weiterhin Benedikt Korf als Mitherausgeber der Geographica Helvetica und den drei anonymen Gutachter*innen für ihre inhaltlich weiterführenden Kritikpunkte und Empfehlungen.
Die Forschungen zu diesem Manuskript wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziell unterstützt (Geschäftszeichen RE1200 11-1).
Das Manuskript wurde vom Mitherausgeber Benedikt Korf betreut und von drei anonymen Gutachter_innen begutachtet.
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In Bezug auf die Situation in der Ukraine ab Ende 2013 werden verschiedene Bezeichnungen verwendet – in Printmedien ebenso wie in wissenschaftlichen Publikationen und sozialen Netzwerken. In diesem Beitrag verwenden wir für die Zeit der Proteste auf dem Maidan und die Besetzung der Krim den Begriff Krise. Der Krieg in der Ostukraine wird als solcher bezeichnet.
„Die Rückkehr der ‚Geo‘-Politik!? Zur Reaktualisierung geopolitischer Ost-West-Leitbilder in der Medienberichterstattung über die Konflikte in Georgien (2008) und in der Ukraine“. DFG – Projektnummer RE1200/11-1.
In Übereinstimmung mit den jeweiligen Urheberrechten konnten zum Teil nur die Ergebnisse, nicht aber die Datenkorpora selbst dauerhaft gespeichert werden. Die Archive sind aber öffentlich zugänglich und die Ergebnisse somit jederzeit reproduzierbar.
Die Diskursanalyse geht vereinfacht gesprochen davon aus, dass Begriffe, die oft zusammen auftauchen, auch diskursiv verbunden sind. Dies gilt auch bei einer möglichen Verneinung. Wenn beispielsweise gesagt wird, dass Russland keine Massenvernichtungswaffen eingesetzt hat, liegt hier trotzdem die diskursive Reaktualisierung und Verknüpfung von Massenvernichtungswaffen und Russland vor. Das eingangs erwähnte Zitat von Medwedjew („Wir sind in einem neuen Kalten Krieg“) ist auch eigentlich unzutreffend aus dem Russischen übersetzt, und doch erzielte gerade diese verkürzte Form der Übersetzung eine starke diskursive Wirkung.
Diese zeitliche Abfolge als Ergebnis der Frequenzanalyse der deutschen Presseberichterstattung kommt zu etwas anderen Phasierungen als stärker akteursorientierte geschichts- oder politikwissenschaftliche Perspektiven, die Trendwenden eher an politischen Ereignissen festmachen, wie z. B. Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz (2007) oder der Geiselnahme von Beslan (2004).
Herausgenommen sind häufig auftretende Wortverbindungen, die das Ergebnis verfälschen, wie z. B. Westbank/West-Jordanland; Westwind etc.
Dies zeigt sich – abseits des Untersuchungsbeispiels – exemplarisch an der Verknüpfung westlicher Wertestandards mit Diskussionen um die menschenrechtliche Lage vs. bündnispolitische Bedeutung Saudi-Arabiens, an den medialen Diskussionen um den Zwiespalt zwischen dem alltäglichen Umgang mit flüchtenden und migrierenden Menschen und der abstrakten bzw. fehlenden moralischen Position ‚des Westens‘
Es geht in diesem Beitrag nicht darum, politische Entwicklungen in Russland zu bearbeiten, sondern die diskursiven Verbindungen zu untersuchen. Diese Trennung ist nicht einfach, da die Wahl eines Präsidenten Auswirkungen auf das sprachliche Umfeld hat.
Das bedeutet nicht, dass diese nicht in bestimmten Nischen, wie z. B. den geopolitischen Leitbildern extrem rechter Bewegungen in Deutschland, Europa und z. B. auch in Russland, derzeit wieder ‚auf dem Vormarsch‘ sind.
In geringerem Umfang wird auch China und insbesondere die „Neue Seidenstraße“ mit Geopolitik bzw. Geostrategie in Verbindung gebracht.
- Kurzfassung
- Die Rückkehr der Geopolitik in den aktuellen Ost-West-Konflikten
- Methoden
- Die großen Linien der Konjunktur des Begriffs Geopolitik seit 1948
- Die aktuelle Renaissance der Geopolitik als Diskurs vom „Neuen Kalten Krieg“
- Neuer Kalter Krieg: Eine Rückkehr mit diskursiven Verschiebungen und veränderten politischen Geographien
- Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Ausblick
- Code- und Datenverfügbarkeit
- Interessenkonflikt
- Danksagung
- Finanzierung
- Begutachtung
- Literatur
geopoliticsor the
Cold Warthe manuscript draws on media discourses of the past 75 years to show which phases of emergence, disappearance, and reactualization they go through and how the long-lasting discursive
archives of geopoliticspowerfully weave themselves into current geopolitical representations.
- Kurzfassung
- Die Rückkehr der Geopolitik in den aktuellen Ost-West-Konflikten
- Methoden
- Die großen Linien der Konjunktur des Begriffs Geopolitik seit 1948
- Die aktuelle Renaissance der Geopolitik als Diskurs vom „Neuen Kalten Krieg“
- Neuer Kalter Krieg: Eine Rückkehr mit diskursiven Verschiebungen und veränderten politischen Geographien
- Zusammenfassung, Schlussfolgerungen und Ausblick
- Code- und Datenverfügbarkeit
- Interessenkonflikt
- Danksagung
- Finanzierung
- Begutachtung
- Literatur