Book review: Legal Geography: Perspectives and Methods
O'Donnell, T., Robinson, D. F., and Gillespie, J. (Eds.): Legal Geography: Perspectives and Methods, Routledge, 328 pp., ISBN 978-1-138-38738-6, EUR 43.95, 2019.
Legal Geographies, die im deutschsprachigen Raum auch unter der Bezeichnung Rechtsgeographie
oder Geographien des Rechts verhandelt werden, haben sich beginnend seit den
1980er Jahren als transdisziplinäre Perspektive in und jenseits der
Humangeographie etabliert. Auch inhaltlich scheint die Debatte an einem
neuen Konsolidierungspunkt angekommen zu sein: Progress Reports reflektieren den Stand der
Forschung und identifizieren neue Herausforderungen (Jeffrey,
2021); die Formulierung elaborierterer theoretischer Frameworks wird
versucht (z.B. Delaney, 2010); und zugleich findet eine
Erweiterung des Horizonts statt, im Rahmen methodologischer Überlegungen
(Braverman, 2014) sowie angetrieben durch feministisch
(Faria et al., 2020) und marxistisch (Orzeck and
Hae, 2020) inspirierte Reflexionen.
In diesem Umfeld versammelt Legal Geography: Perspectives and Methods insgesamt 17 Beiträge mit dem Anspruch, in einer Art Leistungsschau die ca. in der letzten Dekade entstandene, spezifisch australasiatische Perspektive der Rechtsgeographie zu präsentieren und damit der rechtsgeographischen Debatte neue Impulse zu geben. Der Sammelband trägt aus meiner Sicht insbesondere drei Aspekte zur Debatte bei: Erstens einen thematischen Schwerpunkt auf das Verhältnis von Recht und Raum in gesellschaftlichen Naturverhältnissen; zweitens eine Sichtbarmachung des wenig beleuchteten Topos der Methoden in der Rechtsgeographie; und drittens eine methodologische Reflexion über Machtverhältnisse in rechtsgeographischer Wissensproduktion. Diese drei Aspekte werden folgend nacheinander dargestellt.
Erstens hatten Andrews and McCarthy (2014:7) zutreffend bemerkt, dass die rechtsgeographische Debatte „arguably paid to little attention to the environment“. Das ist in gewisser Weise erstaunlich, sind doch Umwelt- und Klimaschutzrecht zwei dynamische und offensichtlich geographisch strukturierte Rechtsgebiete, deren gesellschaftliche Beachtung und Relevanz vor dem Hintergrund der akuten Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse in den letzten Jahren noch gewachsen sein dürfte. Mit Blick auf diese Lücke bildet Legal Geography einen willkommenen Beitrag zur Debatte, sehen die Herausgeber*innen den inhaltlichen Kern der präsentierten australasiatischen Schule der Rechtsgeographie doch als „environmental legal geography“ (5) bzw. in der Bearbeitung von „human-environment problems“ (304) – und damit als Unterschied zum Fokus auf Mensch-Mensch-Probleme in den US-amerikanischen und britischen Beiträgen aus der Legal Geography. Die Texte im Sammelband zeigen, wie Recht im Generellen und Rechtsakteur*innen im Besonderen beispielsweise in den Herstellungsprozessen von Räumen des Extraktivismus (Kapitel 12–15), des Küstenschutzes (Kapitel 7) oder der Patentierung einheimischer Pflanzenarten in Vanuatu (Kapitel 5) involviert sind. Mit dieser inhaltlichen Ausrichtung einher geht eine geographische Ausrichtung auf Orte und Räume jenseits der Stadt, die bislang den zentralen Ort rechtsgeographischen Forschens bildete.
Den zweiten Debattenbeitrag des Sammelbandes sehe ich darin, Untersuchungsmethoden der Rechtsgeographie explizit sichtbar zu machen. Praktisch wird dies dadurch erreicht, dass jedes Kapitel ausführlich über die jeweils verwendeten Methoden berichtet und reflektiert. Die meisten Beiträge präsentieren Fallstudien, in denen die in der empirischen Humangeographie üblichen Methoden mobilisiert wurden: Qualitative Interviews, Ethnographien und verschiedene Formen der Textanalyse. Aus diesem üblichen Methodenspektrum ragt insbesondere ein Beitrag heraus: Robinson et al. (Kapitel 5, Patent Landscaping for Vanuatu) untersuchen die Rechtsgeographien der Biopiraterie im Schnittfeld von globalem geistigem Eigentumsrecht und lokalen indigenen Rechten. Bearbeitet wird diese Problemstellung durch die Methode des „patent landscaping“, einem quantitativen Mappingverfahren, das die globale Gewährung von Patentrechten auf biologische Ressourcen und (oftmals in indigenem Wissen antizipierten) „Innovationen“ darstellt, aufschlüsselt und damit Trends zur Biopiraterie sichtbar macht (78f.).
Durch die explizite Sichtbarmachung der Methoden stellt der Sammelband einen Fundus bereit, aus dem sich andere Rechtsgeograph*innen inspirieren können, und kann zudem den Auftakt zu einer vertieften Diskussion rechtsgeographischer Methoden bilden. Es wäre aber in einem nächsten Schritt erforderlich, auch systematisch zu diskutieren, inwiefern die Besonderheiten des juridischen Feldes – formalisiert in den diskursiven Formationsregeln der dogmatischen Argumentation sowie den institutionalisierten Eigenheiten der juridischen Verfahren – klassische sozialwissenschaftliche Methoden auch über- bzw. herausfordern können. So ist beispielsweise über die verschiedenen Beiträge in Legal Geography hinweg auffällig, dass kaum einzelne Gerichtsentscheidungen oder die Herausbildung von Rechtsprechungslinien über mehrere Entscheidungen hinweg thematisiert werden. Der methodologische Fokus liegt klar auf Kontext, sozialer Praxis und Wirkungen des Rechts, wodurch alltägliche, indigene oder alternative Rechtsverhältnisse in den Blick kommen. Dieser Zugang demonstriert einerseits die klassische Stärke des Rechtspluralismus, Normierungsprozesse jenseits des herrschenden Rechts (law in the books) aufzuzeigen und die resultierenden Macht- und Gerechtigkeitseffekte zu thematisieren. Zugleich entsteht aus der rechtspluralistischen Verschiebung des Untersuchungsfokus aber tendenziell ein blinder Fleck bezüglich der Prozesse sozusagen im Maschinenraum des herrschenden Rechts. Wie fruchtbar ein aktives Zusammenfügen beider Perspektiven dabei sein kann, zeigt der Beitrag von Calyx, Jessup und Sihombing (Kapitel 3, Asserting land rights through technology and democratic expression). Dieser thematisiert die Entstehung, Relevanz und resultierenden Rechtsgeographien der Entscheidung des indonesischen Verfassungsgerichts Indigenous Peoples Alliance of the Archipelago vs. Indonesia, in der das Verhältnis von Staat und indigenen Gemeinschaften im Bereich der Forst-Governance verhandelt wurde. Im Forschungsprojekt wurde die dogmatische Analyse der Rechtsprechung des Gerichts verbunden mit Verfahren der Aktions- und Community-Forschung, mittels derer indigene Rechtsverständnisse rekonstruiert und die Rechtskämpfe um Landnutzung analysiert wurden.
Als dritten Beitrag stellen die Herausgeber*innen methodologische Sensitivitäten heraus, die ein geteiltes Anliegen der australischen Legal Geographies bildeten (8f.) und generell rechtsgeographische Arbeiten anleiten können. Die Beiträge teilen eine reflexive Befassung mit der Positionalität von Forschenden und Beforschten, den konstituierenden Machtverhältnissen und daraus resultierenden Folgen für Forschungsprozesse in der Rechtsgeographie. Ein besonderes Augenmerk liegt auf „[i]ndigenous ways of knowing and being“ (8), also Rechtsverständnissen und -systemen, die in Abgrenzung vom staatlich gesetzten herrschenden Recht lokale lawscapes konstituieren und Alltagspraktiken co-strukturieren. Die Widersprüche und Dynamiken, die zwischen indigenen Rechtsnormierungen und dem (im Sammelband durchgängig so bezeichneten) settler colonial law entstehen, werden bspw. im Beitrag von Bargh und Van Wagner (Kapitel 6, Consulting the consultators) zum Institut der „Māori consultation in New Zealand's minerals and mining regime“ (91) diskutiert. Das Autor*innenteam – laut Selbstbeschreibung „Māori (Te Arawa (Ngāti Kea/Ngāti Tuarā), Ngāti Awa) and non-Māori (Canadian, with Dutch, Scottish, Irish and Spanish ancestry)“ – betont, dass ein tiefes Verständnis der Problemstellung erst durch die besonderen Positionalitäten der Forschenden ermöglicht wurde: „These different positionalities and experiences mean we bring different skills, methodological approaches, knowledge and understanding to the project.“ Damit verbunden ist auch eine Strategie gesellschaftlicher Intervention, indem die Autor*innen sich einsetzen für „[i]ndigenous environmental justice and self-determination“ (92). Die rechtliche Kernforderung zur Umsetzung dieses Ziels ist, progressive, faire und gerechte Bodenschatzregime durch indigene Selbstregierung zu ermöglichen, mit dem Mittel „to support Māori aspirations and assertions of jurisdiction and tino rangatiratanga (self-determination/chiefly authority) in relation to minerals and other natural resources“ (100). Eine solche Forderung nach Selbstregierung im Konflikt zum herrschenden Recht ist sicherlich auch an anderen Orten des Extraktivismus, bspw. in den europäischen Kohlerevieren, nicht gänzlich unbekannt, wo vielfältige Konflikte zwischen staatlichem Bergrecht und lokalen Gerechtigkeitsverständnissen auftreten.
Eine weitere methodologische Sensitivität der australasiatischen Perspektive sehen die Herausgeber*innen in der besonderen Aufmerksamkeit für (physische) Materialität in den Prozessen des Rechts, „because we recognise that places are different given the soil, water, topography (etc.) […] which law (per se) does not always recognise or appreciate. Materiality of place should be as important to a legal geographer as the social dimensions of place“ (9). Im Grunde verbirgt sich hinter dieser Sensitivität über die meisten Beiträge im Sammelband hinweg nicht mehr als die mittlerweile als klassisch zu bezeichnende Erkenntnis der Rechtsgeographie, dass das Recht in seiner Selbstbeschreibung zwar behauptet, gerade nicht räumlich zu differenzieren, in seinen konkreten Funktionsweisen und Wirkungen dann aber doch von Ort [place], sozio-materiellen Bedingungen und geographischem Kontext abhängig ist (Blomley, 1989). Am überzeugendsten ist die Betonung der Rolle von physischer Materialität dort, wo deren Relevanz für rechtliche Regulation aktiv in den Vordergrund gestellt und diskutiert wird. So analysiert etwa der Beitrag von Graham (Kapitel 12, Sydney's drinking water catchment) die Widersprüche der rechtlichen Regulation des Wassereinzugsgebiets zwischen „menschlichen“ Wasser-, Bergbau- und Landnutzungsgesetzen und den nicht vollständig subsumierbaren „Natur“-Gesetzen, wie der Veränderung des Grundwasserspiegels in der Folge des Kohleabbaus. Der Autorin gelingt es so „to disrupt the uncritical reproduction of anachronistic legal categories of land in terms of ‚improvement‘ and [to challenge] the atomistic separation of water and coal as unrelated component parts“ (216).
Überblickend lässt sich zusammenfassen, dass der Sammelband einen Blick auf einen doppelten blinden Fleck lenkt: Erstens wird deutlich, dass eine Rechtsgeographie der gesellschaftlichen Naturverhältnisse über die bisher in dieser Subdisziplin bearbeiteten Themen vor allem aus dem städtischen Kontext hinausweist. Das ist auch deswegen interessant, weil in den letzten Jahren auch in der nicht-rechtsgeographischen Stadtforschung eine Kritik am Cityism zu vernehmen war und eine Beschäftigung mit der Co-Konstitution städtischer Prozesse jenseits der Stadtgrenzen eingefordert wurde (Angelo and Wachsmuth, 2015). In dieser Debatte spielen Mensch-Natur-Verhältnisse eine wichtige Rolle und so lässt sich der Sammelband auch als Einladung verstehen, diese städtischen Geographien jenseits der Stadt in ihrer rechtlichen Co-Konstitution zu thematisieren.
Zweitens ist der Sammelband auch für Politische Ökolog*innen von Interesse, thematisiert er doch die bislang in dieser Subdisziplin wenig beachtete Verrechtlichung gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Die Politische Ökologie ist als Forschungsrichtung traditionell einer Kritik der Ungerechtigkeit verpflichtet. Mit dem Aufkommen des modernen Umweltrechts ab den 1970er Jahren und beschleunigt durch internationale Abkommen und Verträge wie die Aarhus-Konvention bildet das Recht mittlerweile ein prominentes Feld, auf dem sozio-ökologische Ungleichheiten hergestellt und reguliert werden, das aber auch Mittel zur Abwehr bereitstellt. Die Politische Ökologie findet daher im Recht ein Feld, dass sie bearbeiten sollte – nicht in Konkurrenz oder Verdrängung zu den etablierten Herangehensweisen, sondern als produktive Ergänzung. Das erscheint auch deswegen fruchtbar, weil die verschiedenen Beiträge im Sammelband Legal Geography aufzeigen, dass Rechtsverfahren systematisch auf Expertise und Kontextualisierung jenseits des Rechts angewiesen sind, die Politische Ökolog*innen in Zusammenarbeit bspw. mit Rechtsanwält*innen produzieren können. Und schließlich haben auch Umweltbewegungen und -verbände (also wichtige Gegenstände, Partner*innen und Adressat*innen der Politischen Ökologie) entdeckt, dass strategische Prozessführung ein adäquates Mittel sein kann zur Mobilisierung und Durchsetzung eigener Interessen.