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Das tansanische Reisfeld als lebendes Labor? Eigenlogiken des Übersetzungsprozesses einer technologiezentrierten Pilotstudie in ein Agrarentwicklungsprojekt
Astrid Matejcek
Against the backdrop of food security and supposedly untapped agricultural potential in Africa, international Non-Governmental Organisations (NGOs) remain important intermediaries for the transfer of agricultural science and technologies. Realizing the limited transferability of Western technologies to the Global South, they increasingly shift to trial-and-error-approaches to generate adapted innovations. In this vein, the Spatio-Temporal Agribusiness Support System (STASS) was introduced to Tanzania not only to intensify agricultural production but also to further develop the technology itself. Following Tilley's approach to „Africa as a living laboratory“, and concepts of experimentation from Science and Technology Studies (STS), this article explores the different logics and (unintended) effects of merging a development project with a technological pilot. Participant observation during the deployment of the digital drone and satellite-based information technology highlighted how experimentation for technological innovations sought to reconcile a highly complex actor network which focused primarily on data generation. Yet, through technology breakdowns and an emphasis on the interests of external experts this newly generated digital knowledge appeared to be of constrained applicability and, ultimately, pointed to the limited compatibility of testing and developing.
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Farmers are business people and every decision on a farm is a business decision. Through drones, satellite imagery and GPS data we deliver actionable information services for smarter decision-making. Precision agriculture – this is where agriculture is going! (Projektleitung, Hauptsitz Wakilimo Fund, Dar es Salaam, 27 Februar 2019)
Mit Überzeugung stellte mir die Projektleitung im Hauptsitz der Nichtregierungsorganisation (NRO) Wakilimo Fund1 in Dar es Salaam eines der zahlreichen Projekte vor, die sie im ländlichen Tansania umsetzte. Als eine von vielen NROs, die sich die agrarökonomische „Entwicklung“2 von Kleinbäuer:innen zum Ziel gesetzt hat, steht sie in der Tradition des technological fix der Grünen Revolution in Afrika. Die umfangreiche Modernisierung von Landwirtschaft soll das unausgeschöpfte Potenzial ländlicher Räume im Globalen Süden freisetzen (Fejerskov, 2017:9). Darüber hinaus bezeugt die geplante Anwendung von Artificial Intelligence (AI) – in diesem Fall eine Technologie namens Spatio-Temporal Agribusiness Support System (STASS) – eine neue Dimension, diese Ziele durch Digitalisierung und unter dem Mantel von Information and Communications Technologies for Development (ICT4D) zu erreichen (Brooks, 2021:8; Cherlet, 2014:787).
Als Vermittler westlichen landwirtschaftlichen Wissens und Technologien bestehen die herkömmlichen Praktiken von Organisationen wie dem Wakilimo Fund in der Übermittlung von Technologie-Paketen, die in der Regel Hybridsaatgut, Düngemittel, Pestizide, Herbizide und Unterricht in agrarökonomischen Praktiken umfassen (Shepherd, 2006:399). Nachdem viele dieser Investitionen ohne die gewünschten Effekte blieben, werden Stimmen lauter, die die Grenzen der Übertragbarkeit solcher Technologien betonen (Fejerskov, 2017:13). Als Folge ist ein Wandel hin zu neuen technologischen Innovationen zu beobachten, die stärker auf die Probleme des Globalen Südens zugeschnitten sein sollen (Anadon et al., 2016:2 f.). Im Zentrum steht dabei das Testen vor Ort, um einen graduellen Aneignungsprozess der Technologien durch Trial-and-Error zu erzeugen (Fejerskov, 2017:13). In der Praxis wird daher vermehrt in Pilotstudien eine technische Ausstattung von Expert:innen in einer ausgewählten Umgebung errichtet, um deren Funktion und Leistung anhand der Interaktion mit einer bestimmten Zielgruppe messen und bewerten zu können. Statt auf bewährte Maßnahmen zurückzugreifen, werden neue Technologien direkt im Projektzusammenhang getestet und weiterentwickelt. Aus Sicht der Geber:innen ergibt sich so die Möglichkeit, Fehler früh zu erkennen und damit den Lernprozess auf Seiten der Expert:innen bereits anzustoßen, während man den Alltag der Versuchsgruppe ändert und nicht erst im Rahmen einer nachgeordneten Projektevaluation (Berndt und Boeckler, 2016:23). Bereits im Verlauf einer „Entwicklungsintervention“ herauszufinden, was (nicht) funktioniert, bedeutet auf der einen Seite ein höheres Risiko, da Scheitern auch einkalkuliert wird. Auf der anderen Seite bietet dies für die Menschen vor Ort eine Möglichkeit, aktiv und ermächtigend das Wissen über ihre Probleme und deren Bewältigung zu beeinflussen.
In diesem Zusammenhang lässt sich auch die Installation von STASS für kleinbäuerlichen Reisanbau in der Region Mbeya im Süden Tansanias von 2016 bis 2019 einordnen. Die Umstände einer klaren zeitlichen und räumlichen Begrenzung sowie das Vorgehen, eine Zielgruppe einer von außen induzierten, technologischen Intervention auszusetzen, erinnert an eine Laborsituation. In diesem Sinne greife ich die Historiographie „Africa as a living laboratory“ auf. In dieser problematisiert Tilley (2011) den Nexus zwischen Wissenschaft und Technologien, „Entwicklung“ und Macht im Kontext imperialer Wissenschaften. Vor diesem Hintergrund konzeptualisiere ich für den Kontext technologischer Pilotstudien „das lebende Labor“ weiter – auch inspiriert durch Laborstudien aus den Science and Technology Studies (STS). Lange Zeit galt „that there is a time when innovations are in laboratories, and another time when they are tried out in a new set of conditions which invalidate or verify the efficacy of these innovations (…)“ (Latour, 1983:155). Zunehmend wird die klare Trennung zwischen der Technologieentwicklung im Labor und ihrem Test in der realen Welt in Frage gestellt.
Auch im Falle des STASS-Pilotprojekts zeigt sich, wie sich die angestrebte Entwicklung der Technologie selbst mit der „Entwicklung“ der Landwirtschaft in der Testgemeinde verschnitt. Ziel des Projekts war es dabei zum einen, das AI-System weiterzuentwickeln und den Algorithmus so anzupassen, dass seine Vermarktung im Globalen Süden möglich werden würde. Zum anderen sollte mithilfe der neuen Technologie die landwirtschaftliche Modernisierung, ökonomische Vernetzung und damit die „Entwicklung“ der Gemeinde an sich vorangetrieben werden. Dabei stand die Förderung informationsbasierter, autonomer Entscheidungsfindung und technologiegeleiteter, lokaler Problemlösung im Vordergrund. Die Struktur des Agrarentwicklungsprojekts wurde durch die Einführung des AI-Systems entscheidend verändert. Vor diesem Hintergrund fragt dieser Artikel vor allem nach den Effekten, die die Übersetzung eins technologiezentrierten Pilotprojekts in ein Entwicklungsprojekt mit sich bringt. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den unterschiedlichen Logiken des Entwickelns und Testens und den Versuchen, beides in einem Projekt zu vereinen. Hierfür stelle ich zunächst den theoretischen Rahmen in Bezug auf das „lebende Labor“ (Tilley, 2011) und Laborstudien aus dem Feld der STS vor, um daran anschließend in aktuelle Diskussionen experimenteller Praktiken im „Entwicklungskontext“ Afrikas einzuführen. Nach einer detaillierten Darstellung des STASS-Pilotprojekts folgt eine Vorstellung meines empirischen Zugangs und der methodologischen Herangehensweise, auf der meine weiteren Ausführungen basieren. Durch eine teilnehmende Beobachtung des Einsatzes von STASS sowie qualitative Interviews mit den Beteiligten konnte ich Einblicke in die unterschiedlichen Eigenlogiken und die nicht-intendierten Effekte des Übersetzungsprozesses gewinnen. In diesen wurde deutlich, wie neue Akteurskonstellationen, Alltagspraktiken und Prozesse der Wissensproduktion, die mit dem Einsatz des AI-Systems einhergingen, die unterschiedlichen „Entwicklungseffekte“ beeinflussten beziehungsweise herausforderten und wie dadurch nicht nur neue, sondern auch altbekannte Problematiken der „Entwicklungszusammenarbeit“ aufgeworfen wurden. Statt, wie von den Projektentwickelnden erhofft, ländliche „Entwicklung“ durch die Einführung digitaler Technologien zur Förderung des Reisanbaus in Tansania zu stärken, enthüllten sich in diesem Pilotprojekt vielmehr die Grenzen der Vereinbarkeit des Testens und Entwickelns. Dieser ethnographische Beitrag schlägt daher eine Brücke zwischen sonst deutlich abstrakteren oder sehr anwendungsnahen Debatten um Digitalisierung in der „Entwicklungszusammenarbeit“.
Einige Arbeiten haben bereits auf Tilleys (2011) Pionierarbeit und auf den von ihr geprägten Begriff des „lebenden Labors“ verwiesen, um experimentelle Interventionen im Bereich Wissenschaft und „Entwicklung“ in Subsahara-Afrika und weiteren Bereichen des Globalen Südens einzubetten (Brooks, 2021; Beisel et al., 2018; Schurr und Verne, 2017; Fejerskov, 2017; Rottenburg, 2009). Vor dem Hintergrund von Kolonialismus und Imperialismus entwickelt die Autorin eine historische Genealogie des „African Research Survey (1929–1938)“, um das Verhältnis zwischen angewandter Forschung und wissenschaftlichen Epistemologien nachzuvollziehen. Für Forscher:innen im britischen Ostafrika stand die Frage im Zentrum, inwieweit „moderne“ wissenschaftliche Überlegungen auf „afrikanische“ Probleme anwendbar waren. Afrika wurde dabei als „unangetasteter Raum“ gesehen, in dem Theorien aus Ökologie, Landwirtschaft, Epidemiologie, Anthropologie und Psychologie zu testen seien. Die Weiterentwicklung wissenschaftlichen Wissens wurde stets mit der „Entwicklung“ des lokalen Kontextes verbunden. So pries der Leiter und Sprecher, Lord Hailey, die umfassenden Studien an:
Africa presents itself as a living laboratory, in which the reward of study may prove to be not merely the satisfaction of an intellectual impulse, but an effective addition to the welfare of the people (Lord Hailey 1938 zitiert in Tilley, 2011:5).
In den letzten Jahrzehnten waren Interventionen der „Entwicklungszusammenarbeit“ vor allem an scheinbar bewährten Maßnahmen, Praktiken und Agenden angelehnt und versuchten diese voranzutreiben. Neues Wissen zu generieren, stand weniger im Fokus. Insbesondere im Rahmen der aktuellen Digitalisierung von „Entwicklung“ zeichnet sich die Tendenz ab, die (Weiter-)Entwicklung eingesetzter Technologien und Wissen sowie die „Entwicklung“ der Gemeinden, in denen die Projekte durchgeführt werden, miteinander zu kombinieren. In Pilotprojekten, die nicht nur neue Projektideen, sondern zudem zugrundeliegende Technologien pilotieren, finden sich somit Charakteristika von Afrika als lebendes Labor wieder. Der vorliegende Text greift daher die Labormetapher, wie sie von Tilley (2011) für den historischen Kontext entwickelt wurde, auf und überträgt sie auf das aktuelle Phänomen. Damit schließe ich insbesondere an Arbeiten aus der Wissenschafts- und Technikforschung an, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Black Box des Labors zu enthüllen (Knorr-Cetina, 1981; Latour und Woolgar, 1979).
2.1 Das lebende Labor heute
Als „Symbole der modernen Wissenschaften“ begründet Kohler (2002:475) die Macht von Laboren in experimentellen Praktiken, im Technologieeinsatz und einer generischen Ortsungebundenheit. Während „natürliche“ Orte Besonderheiten aufweisen und dort gewonnenes Wissen einzigartig bleibt, so seien Labore hingegen als neutrale Räume und reduzierte Systeme überall auf der Welt gleich. Wissen aus Laboren wird unter kontrollierten Bedingungen und auf Basis kognitiver und intellektueller Denkleistung von Forscher:innen erstellt. Es erscheint deswegen universell gültig, replizierbar und frei von chaotischen Zusammenhängen in der Außenwelt (Kohler, 2002:473). Die ethnographischen Studien aus den STS zeichnen jedoch ein anderes Bild. Alltägliche Praktiken im Labor werden als banal, kognitiv wenig herausfordernd und gar unwissenschaftlich beschrieben (Latour, 1983:141 und 153 auch in Bezug auf Knorr-Cetina, 1981). Latour (1983)3 argumentiert außerdem, dass Wissen nicht in isolierten Laboren gewonnen wird, da jedes Labor den Austausch von Dingen, Menschen und Ideen zwischen Orten umfasst (Latour, 1983:143). Gerade letzteres stellt einen zentralen Aspekt dar, um die Glaubwürdigkeit von Laborwissen zu kreieren und aufrecht zu erhalten.
Die Authentizität und Unanfechtbarkeit, die Wissen aus Laboren zugesprochen wird, fußt auf der Annahme, dass im Labor Phänomene der Welt isoliert und im Detail betrachtet werden können. Ein Labor ist demnach kein klar begrenzter Container, der natürliche und komplexe Einflussfaktoren aussperrt. Vielmehr erweckt das Labor den Eindruck der Kontrolle von Austauschbeziehungen und Übersetzungsprozessen, die nicht zuletzt auch die Welt vor unerprobten, wissenschaftlichen Verfahren oder risikobehafteten Erfindungen schützen soll (Kohler, 2002:473). Um die praktische Relevanz und Glaubwürdigkeit ihres Wissens zu erhöhen, „renaturalisierten“ Wissenschaftler:innen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Labore (Kohler, 2002:477). Angewandte Forschung stand hierbei vor der Herausforderung, den Nexus zwischen Wissenschaft, Ort und Praxis zu manifestieren. Während es im Labor darum geht, die Parameter des Raums zu kontrollieren, geht es in einer Feldstudie darum, die Authentizität des Ortsgebundenen beizubehalten (Henke, 2000:493). Dabei werden in renaturalisierten Laboren Orte und das Leben eingebundener Menschen als Forschungssubjekt und -objekt Teil experimenteller Praktiken sowie der Risiken, die diese mit sich bringen (Henke, 2000; Knorr-Cetina, 1992:136).
2.2 Der Globale Süden als Experimentierfeld
Auch wenn Experimente, Tests und Pilotstudien oft synonym verwendet werden, schreibt Pinch (1993:29 f.) das Experimentieren mit dem Ziel, neues Wissen zu generieren, der wissenschaftlichen Sphäre zu. Mit dem Konzept von „experiments in three steps of translation“ betonen Callon et al. (2009:48) die interpretative Fülle und damit einhergehende Reduktionismen, die Wissenschaftler:innen beim Übersetzen zwischen der Realität, Laborbedingungen, Ergebnissen und der Welt erzeugen. Tests wiederum dienen vornehmlich dem Überprüfen von Technologien hinsichtlich auf ihre Funktionalität. Dabei steht weniger der Erkenntnisgewinn im Vordergrund, sondern das Validieren oder Überprüfen von Bekanntem. Der Vergleich einer vorliegenden Situation mit einem Standard ermöglicht zwar ein vereinfachtes und systematisches Lesen von Daten, klammert dennoch Ergebnisse und Einflussfaktoren ohne Verbindung zu standardisierten Normgrößen aus (Beisel et al., 2018:109 in Bezug auf Rottenburg, 2009). Die Interpretation eines Ähnlichkeitsverhältnisses zwischen Test und Standard sowie die Projektion auf reale Bedingungen umfassen umstrittene soziale Aushandlungen (Pinch, 1993:31). Die Pilotstudie erprobt darüber hinaus die Nutzung einer Technologie. In jene ist oft eine Art Skript eingeschrieben, das eine bestimmte Nutzung vorsieht. Diesbezüglich soll das Pilotieren Aufschluss über das Verhältnis zwischen intendiertem Nutzen sowie tatsächlichem Nutzen von Technologien geben und stellt dadurch einen sozio-materiellen Aushandlungsprozess dar (Pinch, 1993:36). Trotz definitorischer Unterschiede zwischen Experimentieren, Testen und Pilotieren verschwimmen diese Logiken in der Praxis von Pilotprojekten, wie auch die folgenden Ausführungen aus der Empirie zeigen. Ausschlaggebend für die vorliegende Analyse bleibt der gezielte Blick auf die Praktiken, welche all diese vereint: Der Versuch der Übersetzung zwischen Labor und Lebenswelten, die soziale Verhandlung von Ähnlichkeitsverhältnissen zwischen Daten und Beobachtungen sowie die sozio-materielle Aushandlung technologischer Nutzung.
Nachdem Experimente lange an Labore und Wissenschaftler:innen gebunden waren, erfährt das Experimentieren und Testen aktuell vermehrt eine Befreiung aus den Händen der Wissenschaft und staatlicher Kontrolle hin zu NROs, privaten Unternehmen, bis zu Nutzenden selbst, die sich auch im internationalen „Entwicklungskontext“ ausdrückt. Experimentelle Eingriffe des Westens auf dem afrikanischen Kontinent bezeugen aktuell Randomized Controlled Trials (RCTs) (siehe z.B. Berndt und Boeckler, 2016), medizinische Tests (Beisel et al., 2018) oder technologische Pilotstudien (Lockhart et al., 2021). Solche Experimente als Maßnahme zur Armutsbekämpfung im Globalen Süden, wie es der Weltentwicklungsbericht (WDR) mit dem Titel „Mind, Society and Behavior“ anregt, werden dafür kritisiert, politisch, gesellschaftlich und ökonomisch verflochtene Problematiken nicht als solche zu betrachten, sondern der angeblich mangelnden Denkleistung und fehlerhaften Entscheidungen von Individuen und insbesondere den Betroffenen zuzuschreiben (Berndt und Boeckler, 2016:22). Digitale Technologien finden in diesem Kontext insofern Anklang, dass sie für die Vermittlung von spezifischen Informationen als Anreize für Verhaltensänderungen eingesetzt werden, um den identifizierten Mustern wirtschaftlichen Fehlverhaltens und damit auch den angeblichen Gründen für Armut entgegenzuwirken. So stützt sich die aktuelle Experimentalität zwischen privaten, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen auf den Einsatz von Technologien als Werkzeuge, um die Probleme der Versuchsgruppe zu lösen und zu deren Wohlergehen beizutragen (Anadon et al., 2016:2 f.). Wobei das neuartige Zusammenspiel von Wissenschaft, Technologie und Entwicklungspolitik durchaus auch Effekte jenseits intendierter Wirkungsweisen eines jeweiligen Technologieeinsatzes aufweisen (Schurr und Verne, 2017:131; Rottenburg, 2009; siehe auch De Laet und Mol, 2000).
Der experimentelle Umgang mit technologischen Innovationen greift somit auf besondere und durchaus unvorhersehbare Weise in gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Verhältnisse der Lebenswelt der trial communities ein und suggeriert, dass Scheitern hier hinnehmbar sei (Fejerskov, 2017:11 f.). Mit welchen Hoffnungen und Versprechen experimentelle Vorgehensweisen in bestimmte Räume übersetzt werden, wie die Feldsituation auf jene Ziele und einhergehenden Risiken zurückwirkt und welche Folgen sich für die lokale Bevölkerung ergeben, soll im Folgenden gezeigt werden.
Testen, Experimentieren und Pilotieren müssen als praktischer Modus der Wissensgenerierung und Rechtfertigung von Interventionen im Globalen Süden hinterfragt werden. Variablen und Parameter in Laborexperimenten beziehen sich gewöhnlich auf bekannte Standardgrößen und können bei Bedarf angepasst werden. Die gesellschaftlichen Verhältnisse und Prozesse, in denen diese Experimente erfolgen, sind den Projektentwicklern jedoch weniger bekannt und vor allem nicht in gleicher Weise kontrollierbar (Fejerskov, 2017:11 f.). Dass sich technologischer Fortschritt zudem kaum unabhängig von gesellschaftlichen Einflüssen ereignet, wurde unter anderem von Cherlet (2014) in Bezug auf epistemischen und technologischen Determinismus in der „Entwicklungszusammenarbeit“ herausgearbeitet (Cherlet, 2014). Dies zeigen vor allem die verschiedenen (gescheiterten) Versuche, bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen im Globalen Süden durch einen gezielten Technologieeinsatz wie den „Tools of Empire“ (Tilley, 2011:35), „Technical Assistance“ (Owen, 1950), „appropriate technologies“ (Schumacher, 1973), „capacity building“ oder jüngst durch ICTs zu dirigieren.
Technologien aus der US-amerikanischen Agrarforschung werden bereits seit den 1940ern unter dem Banner der Grünen Revolution in vielen Regionen der Welt in unterschiedliche rhetorische sowie unternehmerische Kontexte übertragen (Fejerskov, 2017:10). Als UN-Generalsekretär verfolgte Kofi Anan mit der Grünen Revolution für Afrika in erster Linie eine auf afrikanische Kleinbäuer:innen zentrierte „Entwicklungsintervention“ von unten. In Tansania findet sich diese z.B. in der 2006 eingeführten Agrarpolitik „kilimo kwanza“ wieder. Angetrieben durch die Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA) sind es hingegen meist unterschiedliche internationale Saatgut- und Düngemittelfirmen, multilaterale Institutionen der „Entwicklungszusammenarbeit“ und einige philanthropische Stiftungen (Rockefeller und Gates Foundation), die die Einbindung von Kleinbäuer:innen in internationale Wertschöpfungsketten interessengeleitet fördern. Unter dem Vorwand, den Unternehmergeist von Kleinbäuer:innen zu wecken und auf diese Weise ihre Produktion zu steigern, scheinen diese jedoch in erster Linie zu Konsument:innen agrarökonomischer Technologien geworden zu sein, die sie gegebenenfalls noch vulnerabler gegenüber globaler Marktmechanismen und ihrer Umwelt machen (siehe z.B. Brooks, 2021:7; Fejerskov, 2017:10, wie auch Khandekar et al., 2017:677 am Beispiel des kreolischen Saatguts in Brasilien zeigt).
Aufbauend auf diesen agrarpolitischen Trends wurde das Konzept des Southern Agricultural Growth Corridor of Tanzania (SAGCOT) mit dem Ziel entwickelt, die tansanische Landwirtschaft zu kommerzialisieren und dadurch die Produktion von Nahrungsmitteln oder Treibstoffen zu verdreifachen (Milder et al., 2013). Vornehmlich digitale Technologien versprechen hierbei einen ermächtigenden Zugang zu Informationen sowie mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit für die Bewohner:innen ländlicher Gebiete (Ouma et al., 2019:341). Als Werkzeuge für „Entwicklung“ gelten Innovationen digitaler Technologien somit auch im landwirtschaftlichen Bereich als Hoffnungsträger, institutionelle und infrastrukturelle Einschränkungen von Produktivität zu umgehen oder zu überbrücken (Ouma et al., 2019:354). Mit der jüngsten Neuausrichtung von ICT4D hin zu Data for Development (D4D) dezentriert die Digitalisierung zunehmend die Kleinbäuer:innen. Stattdessen wird landwirtschaftliche „Entwicklung“ eng mit Logiken von Automation, Machine Learning und Artificial Intelligence sowie neuen Sensortechnologien verknüpft (Dalberg Advisors und CTA, 2019). Neben den Technologien als Werkzeuge für „Entwicklung“ tritt hier die Technologieentwicklung selbst verstärkt in den Vordergrund.
3.1 Technologieentwicklung für die Landwirtschaft: Das Pilotprojekt STASS
Vor diesem Hintergrund werden Technologien im ländlichen Tansania getestet, um die Produktion und das Einkommen in der Landwirtschaft zu steigern. In diesem Kontext setzte der Wakilimo Fund die technologische Pilotstudie in Mbeya um. Die Versuchsgruppe umfasste in diesem Fall alle Reis-Kleinbäuer:innen im Bewässerungssystem des Dorfes Mbuyuni, das als Jump-Start Area bezeichnet wurde. Die Reisbäuer:innen dieser Gegend galten als produktiv, lernwillig und aufgeschlossen gegenüber Neuerungen (Interview mit Projektleiter, Wakilimo Fund, Mbeya, 14 Juni 2019). Diese Einschätzung der Bäuer:innen als motivierte Versuchsgruppe ohne akute existentielle Probleme war einer der Gründe für die Wahl der Pilotgegend, so der Wakilimo Fund. So könnten sich die Beteiligten auf neue Modalitäten der Entscheidungsfindung im Rahmen ihrer landwirtschaftlichen Praktiken einlassen.
Das Labor des STASS-Pilotprojekts und dessen räumliche und zeitliche Parameter waren maßgeblich von der zu testenden digitalen Informationstechnologie bestimmt. STASS, das Spatio-Temporal Agribusiness Support System, unternahm eine multiperspektivische Analyse der Reisfelder des Bewässerungsbaus in Mbuyuni: Alle zehn Tage wurde ein hochauflösendes Satellitenbild geschossen; dazu nahm eine Drohne multispektrale Bilder der Reisfelder auf, die zuvor mit einer App kartiert wurden. Zudem ergänzten manuelle Beschreibungen und Fotos auf einem Tablet die Parameter von Pflanzstatus und Wassertiefe. Hinzu kamen einige Abfragen über USSD-Codes, in denen die Bäuer:innen zu ihren Praktiken und Abläufen auf den Feldern Auskunft geben sollten. Diese Daten wurden in eine Cloud geladen und durch einen Algorithmus mit Normbereichen von Pflanzenverbreitung, Wachstumsraten und Wasserverfügbarkeit abgeglichen. Diese Art der Analysen funktionierte nur in Bewässerungssystemen, da dort Felder klar abgegrenzt und relativ groß sind. Nur dann konnte der Algorithmus Reis von anderen Pflanzen in der gegebenen Auflösung unterscheiden. Das Endprodukt sollte eine Plattform sein, die alle Felder der Bäuer:innen darstellte und zeigte, was genau auf diesen passierte, um im Falle von Abweichungen der Normgrößen des Pflanzenwachstums, der Witterung oder der Wasserstände auf dieser Basis Handlungsanweisungen zu erteilen. Neben den Benachrichtigungen über SMS für die Bäuer:innen ermöglichte die Benutzeroberfläche Zugang zu jedem einzelnen Feld und den Daten der Bäuer:innen. So sollten nicht nur einzelne Bäuer:innen, sondern alle Akteur:innen der Wertschöpfungskette besser über die Felder Bescheid wissen, um auf dieser Grundlage (ökonomisch) bessere Entscheidungen treffen zu können.
Der Prozess selbstständiger Entscheidungsfindung der Bäuer:innen auf Grundlage von Big Data wurde im Projekt als empowerment verstanden, im Gegensatz zur herkömmlichen top-down Vermittlung von Wissen und Praktiken. Nichtsdestotrotz basierte auch dieses Vorhaben zumindest implizit auf der Idee „that Africans need to be connected to (mainly) Western modes of knowledge“ (Ouma et al., 2019:353). Das Plattform-Modell kombinierte eine Bündelung landwirtschaftlicher Produkte, Informationen und Finanzdienstleistungen mit Erinnerungs-SMS als spezifische Anstöße für Verhaltensänderungen. Jene wurden in ihrer Umsetzung eher zu einer Strategie, Landwirt:innen zu Entscheidungen hinzuführen, die im Sinne einer modernisierten Landwirtschaft ohnehin schon für sie getroffen wurden (Brooks, 2021:8). Beispielsweise drehten sich Empfehlungen zum Düngen nicht darum, ob der:die Landwirt:in düngte, ob es im jeweiligen Feld Bedarf an Dünger gab oder welche Arten des Düngens es gibt. Vielmehr wurde über ein Produkt einer Firma, ein Mengenverhältnis und meist noch einen Händler informiert.
3.2 Technologieentwicklung in der Landwirtschaft: Die Weiterentwicklung von STASS
In dieser Pilotstudie im Süden Tansanias sollten die Reisbäuer:innen in neue digitale Wege der Datenerhebung, -verarbeitung und Informationsvermittlung eingebunden werden. Das neue Set-up der künstlichen Intelligenz traf dennoch nicht auf ein Wissensvakuum. Schließlich erfordern landwirtschaftliche Praktiken jeher das Lesen von und Wissen über Umwelt. Hingegen sollte diese neue Art zu Wissen auf deutlich genaueren Umweltparametern und einer Fülle von hochauflösenden und digital vermittelten Daten basieren, wodurch jede kleine Feldparzelle zur maximalen Produktion gebracht werden sollte. Precision Agriculture und Big Data schüren die Erwartung, eine neue landwirtschaftliche Revolution anzustoßen, auch wenn diese bisher in erster Linie in der großflächigen Landwirtschaft im Globalen Norden eingesetzt werden und darüber hinaus auf wenige große Betriebe innerhalb kapitalintensiver, exportorientierter Teilsektoren des Globalen Südens limitiert sind (Brooks, 2021:12 f.). Auch das dieser Pilotstudie zugrundeliegende Spatio-Temporal Agribusiness Support System (STASS) ist ursprünglich in den Niederlanden für einen großen landwirtschaftlichen Betrieb kreiert worden:
You know, STASS in Holland is actually used by a large agricultural company so that the farmer knows more about his fields and potatoes in real time, can optimize his processes and intervene quickly in case of nutrient deficiencies, drought or disease. That is what STASS is good for. (Interview mit Programmierer, Technologieunternehmen, Israel4, 21 Juli 2019)
STASS nun in einer kleinbäuerlichen und kleinparzelligen Umgebung für eine andere Kulturpflanze in Tansania zu testen und anzupassen, war die zentrale Motivation in der Pilotstudie. Es sollten in diesem Rahmen laut Projektbeschreibung 125 000 Bäuer:innen mit Wetterinformationen, Unterstützung in der agrarindustriellen Inklusion und feldspezifischer Anbauberatung versorgt werden. Darüber hinaus sollten 400 Anbieter im landwirtschaftlichen Gewerbe mit Bäuer:innen vernetzt und die gewonnen Daten in einer SAGCOT-Datenbank bereitgestellt werden. Die effizientere Wertschöpfungskette und die produktiveren Bäuer:innen sollten sich in 15 % Erntesteigerung und 45 % Einkommenssteigerung widerspiegeln. Wofür STASS gemacht wurde und was es in diesem „Entwicklungsprojekt“ leisten sollte, schien somit deutlich zu divergieren. Neben dem Test der Technologie sollte auch bereits ihr profitabler Einsatz gewährleistet sein. Dieser Spagat zwischen Testen und Entwickeln zog sich durch das alltägliche Geschehen im Projekt. Welcher Logik die Übersetzung eines Technologiepilots in ein „Entwicklungsprojekt“ folgte, steht im Fokus der anschließenden empirischen Auseinandersetzung. Über Fragen von freiwilliger Partizipation hinaus muss STASS als scheinbar apolitische und neutrale Lösung der Informationsvermittlung kritisch beleuchtet sowie die Konnektivität auch vor dem Hintergrund historisch gewachsener und durchaus asymmetrischer Verbindungen zwischen Menschen, Orten und Prozessen gesehen werden (Ouma et al., 2019:354).
Um dem Aufeinandertreffen zwischen Entwicklung von Wissen (der Pilotstudie) und dem Wissen für „Entwicklung“ (im „Entwicklungsprojekt“) auf den Grund zu gehen, knüpft dieser Text an ein beständiges, wenn auch kritisiertes „Entwicklungsnarrativ“ an. Bis heute hält sich die Dialektik zwischen Moderne und Tradition sowie die Gegenüberstellung von Strategiepapieren von „Entwicklung“ als essentialisierte, strukturschaffende Weltbilder auf der einen Seite und chaotischen, improvisierten „Entwicklungspraktiken“ in der Umsetzung auf der anderen (Crewe und Harrison, 1998:47). Doch tatsächlich liegt in diesem Spannungsfeld zwischen Gesagt und Getan, Praxis und Resultat oder auch Ordnung und Durcheinander alles andere als Leere (Lewis und Mosse, 2006).
Die sogenannte Implementation Gap als Feld sozialer Aushandlungen, Praktiken, Ereignissen und Interessen, aus welchem Bedeutungszuschreibungen sowie Machtgefüge erst hervorgehen, ergibt auch für die geographische Entwicklungsforschung ein empirisches Feld aus öffentlichen und privaten Einrichtungen, lokalen Gemeinschaften und allen (inter-)nationalen bis lokalen Beziehungen dazwischen (Lewis und Mosse, 2006). Wie es Lewis und Mosse (2006) herausgestellt haben, bietet eine ethnographische Perspektive dabei „the unique potential to show how change is brought about, not through the logic of official policy intentions, […] but through processes of compromise and contingent action“ (Lewis und Mosse, 2006:4). Bezüglich diverser und widersprüchlicher Logiken, die in „Entwicklungsinterventionen“ vereint sind, spielt hier das Testen als formale Spezifizierung technologischer Funktionalität eine zentrale Rolle. Auch wenn Testdaten in erster Linie Einblicke in rein technische Wirkungsfelder geben sollen, offenbaren diese weitaus mehr über die Logiken von Technologien, deren Einsatz und erhoffte gesellschaftliche Wirkmacht (Pinch, 1993:25). Entsprechend sollte die Perspektive der Entwicklungsforschung um Nicht-Menschen erweitert werden, denn „der gezielte Blick auf das, was Wissen und Technologien im Namen von Entwicklung eigentlich tun sollen, was sie tatsächlich tun und wo sie sich widersetzen, ermöglicht ein tiefgreifendes Verständnis der komplexen Übersetzungs- und Anpassungsprozesse, die Wissen und Technologie auf ihrer globalen Reise durchlaufen“ (Schurr und Verne, 2017:137).
Diesem Ansatz folgend, hatte ich mir während meiner teilnehmenden Beobachtung im Projektbüro des Wakilimo Fund in Mbeya sowie am Umsetzungsort des Pilotprojekts im Dorf Mbuyuni von April bis Juli 2019 sowie im Februar 2020 vorgenommen, STASS zu „inter-viewen“ (Adams und Thompson, 2016). Laut Adams und Thompson (2016) bedeutet das, „to catch insightful glimpses of it in action, as it performs and mediates the gestures and understandings of its human employer, and as it associates with others. Such object interviews entail finding opportunities to observe a thing in its everyday interactions and involvements with human beings or other nonhuman entities“ (Adams und Thompson, 2016:17 f.).
Die Drohne, die unterschiedlichen Sensoren, das Tablet und die Nutzerplattform stellten im Pilotprojekt solche Objekte dar, die die (Neben-)Effekte der eingesetzten Technologien und ihrer Weiterentwicklung empirisch zugänglich machten. Doch bereits am ersten Tag im Projektbüro erfuhr ich, dass die Drohne, die entscheidende Daten für den Algorithmus liefern sollte, infolge eines Schadens nicht mehr einsatzfähig war. Keiner der Informationsdienste für die Bäuer:innen funktionierte, abgesehen von den SMS zur Übermittlung der Wettervorhersagen, da diese nicht von der Datenanalytik durch STASS abhängig waren. Trotzdem wurde unter viel Druck im Projekt weiter versucht, die notwendigen Daten für den Algorithmus zu erheben, um die gewünschten Informationsdienste zum Laufen zu bringen. Während ich zunächst den Aktivitäten des Wakilimo Fund im Büro sowie im Dorf folgen und in Interviews mit Mitarbeiter:innen, der Projektleitung und Programmierer:innen deren Sichtweise auf das Projekt und die Technologie erfahren durfte, konnte ich später alleine im Dorf mehr über den Alltag der Bäuer:innen mit und ohne technologische Intervention miterleben. Insgesamt habe ich 22 Interviews mit Bäuer:innen, landwirtschaftlichen Berater:innen, NGO-Personal, Agrarstoffhändler:innen, Programmierenden und Fördernden geführt. In diesen sowie zahlreichen informellen Gesprächen konnte ich von vielseitigen Perspektiven auf die Weiterentwicklung von STASS und den erhofften sowie erlebten Entwicklungen durch die Technologie in Mbuyuni erfahren. Die qualitative Inhaltsanalyse meiner Tagebucheinträge sowie der transkribierten Interviews geben damit Aufschluss über die verschiedensten Ansichten darüber, was STASS leisten konnte, sollte oder für wen die Technologie gar irrelevant erschien. Das Nicht-Funktionieren der Technologie erlaubte zentrale Einblicke in die praktischen Anforderungen an technologische Funktionalität sowie deren Grenzen, die wiederum als gegeben angesehene Hintergrundbeziehungen zwischen Menschen, Technologien und Umwelt aufdeckten (Adams und Thompson, 2016:20).
Zu diesen Hintergrundbeziehungen gehören die Relationen menschlicher und nicht-menschlicher Akteur:innen, die Praktiken, die sie vereinen, sowie die Ziele und Resultate, die sie gemeinsam erwirken (wollen). In diesem Sinne gehe ich im Folgenden auf die Veränderungen der Akteurskonstellationen im Pilotprojekt in Mbuyuni ein, die dortigen alltäglichen Aktivitäten zwischen Testen und Entwickeln sowie den Projekt- beziehungsweise Testergebnissen der Anwendung von STASS.
Die herkömmlichen Aktivitäten des Wakilimo Fund setzten an der regionalen Reis-Wertschöpfungskette an. Stagnierende Ernten der Reisanbaugebiete in Mbeya, fehlender Zugang zu hochwertigen landwirtschaftlichen Einsatzstoffen, schlechte Verarbeitungs- und Vermarktungsinfrastruktur sowie unzulängliche Märkte waren vorherrschende Probleme, die lokale Produktionssysteme schwächten. Infolgedessen blieb die Wettbewerbsfähigkeit begrenzt; Importabhängigkeit bestand und Kleinbäuer:innen lebten in Armut, so die legitimierende Argumentation der Interventionen des Wakilimo Fund.
In diesem Sinne baute die NRO seit 2015 auf starke Partnerschaften mit regionalen öffentlichen und privaten Akteur:innen in einem neuen integrativen Geschäftsmodell: Ein sogenanntes Anchor-Business, in diesem Fall eine große Getreide-Verarbeitungsanlage mit Mühle und Verpackungsindustrie, nahm Reisbäuer:innen für ihre unverarbeitete Ernte unter Vertrag (siehe die hellgrau hinterlegten Akteur:innen in Abb. 1). Die Absicherung fester Reispreise basierte auf der Vereinbarung eines Mindestpreises, der sich an den Produktionskosten orientierte. Zudem gingen das Unternehmen und die NRO eine Art Bürgschaft für die Bäuer:innen ein, um ihnen so den Zugang zu Finanzinstitutionen und Krediten zu gewährleisten. Dies sollte Bäuer:innen ermöglichen, Dünger, Hybridsaatgut und Maschinen zu kaufen. Das Anchor-Business handelte wiederum selbst mit Hybridsaatgut. Für den polierten und abgepackten Reis bestanden Beziehungen zu einigen ausgewählten Händler:innen in Dar es Salaam, wodurch Zwischenhändler vermieden wurden. Die Novellierung der Akteurskonstellation wurde durch staatliche Akteur:innen ermöglicht und unter anderem durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert. Die Schirmherrschaft und auch der Schutz der NRO ermöglichte den Zugang zu Externen wie Banken und damit zu weiteren Ressourcen für die Bäuer:innen in Mbuyuni (vgl. Mosse, 2014:516). Doch schloss der Getreide-Verarbeitungsbetrieb Verträge jeweils nur für eine Saison ab, was einer langfristigen Sicherheit entgegenstand. Darüber hinaus profitierte das Anchor-Business dreifach: am Saatgut, dem weiter verarbeiteten Reis und den Projektgeldern. Nichtsdestotrotz funktionierte die neue Konstellation vorübergehend und stellte die Basis für Neuerungen durch das Testen von STASS dar.
Die digitale Plattform, die nun in der gleichen Versuchsgemeinde Mbuyuni erprobt und weiterentwickelt werden sollte, erlaubte eine weitere strategische Bündelung des beschriebenen Pakets an landwirtschaftlichen Produkten, Informations- und Finanzdienstleistungen. Mit der Intention, weitere Synergien für die vorausgehenden Projektteilnehmenden zu schaffen (Brooks, 2021:9), wurde die Akteurskonstellation durch Datenwege ergänzt und damit deutlich komplexer und internationaler (siehe die dunkelgrau hinterlegten Akteur:innen in Abb. 1). Zunächst kamen weitere philanthropische Gelder mit ins Spiel, wobei AGRA nach der Hälfte der Projektlaufzeit ihren restlichen Einsatz einbehielt. SAGCOT war in erster Linie aus territorialen Gründen mit in die Gruppe der Weichensteller aufgenommen worden, ebenso wie das Tanzanian Rice Council. Federführend agierten dennoch die Technologiefirmen, die einerseits den Löwenanteil der finanziellen Mittel bereitstellen und andererseits die Testkonzeption, aber auch die Projektimplementierung und Datenanalysen durchführten. Unter der Regie niederländischer Innovationsberater und -manager führten vier verschiedene niederländische Technologiefirmen und eine israelische Tochterfirma in Kooperation mit der Universität Wageningen in Teilschritte aufgebrochene Analysen durch. Eine dieser Firmen erarbeitete mit der Tanzanian Meteorological Agency die Wettervorhersage. Drei weitere Firmen verarbeiteten die kartographischen Daten, satelliten- und drohnengestützte Nutzpflanzendaten sowie die Wasserstände. Personenbezogene Daten der Bäuer:innen wurden ebenso hier analysiert, um letzten Endes die Ergebnisse durch den Wakilimo Fund und ein finnisches Start-up im SMS-Format zu regelmäßigen und knappen Empfehlungen aufzuarbeiten und zu versenden.
Auch wenn der Wakilimo Fund ein immer komplexer werdendes Netzwerk an Akteur:innen und Aktivitäten zu koordinieren hatte, wurde die inhaltliche Arbeit im Wesentlichen durch den Algorithmus der niederländischen Technologiefirmen übernommen. In diesem Zuge fand eine Neuausrichtung von vielschichtigen politischen Problemen wie Armut oder globaler Ungleichheiten im Einklang mit den jeweiligen Unternehmenszielen statt, was in diesem Fall Informationsdienste und mobile Konnektivität als Allheilmittel darstellte. Auf diese Weise können sich die Technologiefirmen neue Märkte schaffen, Zugang zu Daten legitimieren, Funktion und Reichweite ihrer Technologie testen und ihr Unternehmen bewerben. Dass es sich dabei um niederländische Firmen handelte, ist auf die Finanzierung aus den Niederlanden zurückzuführen. Diese wiederum war an die Auswahl nationaler Unternehmen geknüpft (vgl. Madianou, 2019). Der privatwirtschaftliche Sektor positioniert sich somit als machtvoller Akteur im „Entwicklungskontext“ (vgl. Bayliss, 2002; Watts, 1994).
Die Zielgruppen dieser neuen Akteurskonstellation waren hingegen in Tansania verortet und umfassten zum Beispiel kleine tansanische Düngemittelläden. Diese verfügten allerdings selten über Laptops und WiFi, was eine Grundvoraussetzung dafür war, die datenlastige Plattform STASS zu verwenden. Dem Konzept nach sollten dennoch diese Unternehmen nach Ablauf der Pilotphase die Finanzierung der Plattform durch regelmäßige Beitragszahlungen übernehmen. Die Bäuer:innen, die durch dieses Geschäftsmodell nach wie vor finanziell entlastet bleiben sollten, hatten jedoch keinen Zugang zu STASS. Dies wies bereits auf die schwierigen Bedingungen für die Herstellung von Konnektivität hin. Obwohl den Bäuer:innen der direkte Zugang zu dieser Technologie verwehrt blieb, sollten sie ihre Daten dafür bereitstellen, was ihnen als Schlüsselfaktor zur Profitsteigerung vermittelt wurde. Nichtsdestotrotz erfolgte die Informationsvermittlung nur zögerlich, wie es der Landwirtschaftsberater in Mbuyuni offen zugab:
Farmers do not answer the USSD-survey about their practices in their fields, because they are afraid that those messages are gambling and gaming messages! (Interview mit Landwirtschaftsberater, Mbuyuni, 16 Juni 2019)
Die zentrale Datenverbindung für die Pilotstudie war damit unzuverlässig und macht die Fragilität technologischer Experimente im lebenden Labor deutlich, wenn es am nötigen Vertrauen in die Technologie mangelt. Die lokalen Unternehmer verbanden mit STASS jedoch die Hoffnung, Einblicke in die Tätigkeiten der Bäuer:innen zu erhalten. Wie es ein Düngemittelhändler formulierte:
We have a good relationship with our farmers. They trust us and our products. Still, we have some challenges at times, when we provide them with loans for Yara-fertilizers. Their harvest will stay a secret, because they know, if we know, they have to pay back. With STASS we can see on our own. (Interview mit Agrarstoffhändler, Mbeya, 4 Juni 2019)
Dies veranschaulicht, wie die angestrebte Konnektivität mit neuen Möglichkeiten und Absichten der Kontrolle und Disziplinierung einherging – nicht nur, was die Rückzahlung von Krediten betraf, sondern auch um zu überprüfen, ob die durch den Wakilimo Fund unterrichteten Praktiken und Technologien zum intensivierten Reisanbau auch angewendet wurden. Trotz vieler misstrauischer Stimmen und gewissem Widerstand hatten sich dennoch einige der Bäuer:innen für die Wetter-Informationsdienste und die USSD-Datenabfrage der digitalen Plattform STASS angemeldet und waren somit in den Prozess involviert, sich selbst und ihre landwirtschaftlichen Praktiken lesbar zu machen.
Da die Informationsdienste für die Bäuer:innen bisher nur die dreitägigen Wetterinformationen und einige wenige Testläufe zu Praktiken und Markt umfassten, bestand ein Großteil der Aktivitäten im Projekt aus regelmäßigen Training-Sessions, um Technologie und Praktiken gemäß „westlicher“ Wissenschaft zu vermitteln. Der Landwirtschaftsexperte des Wakilimo Fund und der lokale landwirtschaftliche Berater unterrichteten oft gemeinsam bestimmte Praktiken-Pakete zu intensiviertem Reisanbau namens Good Agricultural Practices (GAP), Good Post-Harvest Handling (GPHH) und Farmer Business School in den Gemeinschaftsräumen des Dorfes, oder auch im Sinne des Training of Trainers (ToT) direkt beim Pflügen, Säen, Pflanzen, Jäten, Düngen oder Ernten auf den Reisfeldern. Gerade letzteres sollte die größte Überzeugungskraft haben und anhand von beispiellosem Erntezuwachs gemessen in Reissäcken pro Acre demonstrieren, wie produktiv exaktes Timing, räumliche Vermessungen und der Einsatz von Maschinen, Hybridsaatgut, Dünge- und Pflanzenschutzmitteln sind. Diese Strategie fasst Shepherd (2006:408) auch als „Making them See“ zusammen. Geringe Ernten hingegen führten die Lehrenden auf keinen oder falschen Technologieeinsatz sowie individuelle Fehlentscheidungen zurück (Interview mit Agrarökonom, Wakilimo Fund, Mbeya, 13 Juni 2019). Auch die persönliche Eigenschaft, ein „serious farmer“ (Gespräch mit Landwirtschaftsberater, Mbuyuni, 16 Juni 2019) zu sein, oder wie Brooks (2021:8) schreibt ein „Entrepreneur-in-the-making“, galt als das Geheimnis für Produktivität und Profit.
Dass Praktiken der ostafrikanischen Kleinbäuer:innen meist bereits höchst angepasst an die variierenden Umweltbedingungen sind und zahlreiche vorausgegangene Versuche der Produktivitätssteigerung mehr oder weniger erfolglos blieben oder zumindest auf lange Sicht nicht tragbar erschienen, wurde in diesem Projekt, wie auch andernorts beschrieben, weitgehend ausgeblendet (vgl. Anadon et al., 2016:2 f.; Tilley, 2011:117 ff.). Nach wie vor argumentiert die „Entwicklungselite“ für zeitnahe und bedarfsgerechte Unterstützung von Kleinbäuer:innen durch meist externe Expert:innen, da traditionelle Praktiken und Technologien unter den heutigen Bedingungen von Klimawandel, Wasserknappheit und degradierten Böden zum Scheitern verurteilt seien (siehe u.a. USAID, 2018:3). Der agrar-ökonomische Experte des Wakilimo Fund räumte jedoch ein, dass seine professionellen Erfahrungen mit Reisanbau ihn kaum dazu befähigten, Bäuer:innen in Tansania zu unterrichten:
The rice knowledge we learned at university was too theoretical. There was no practical techniques training for all components from planting to harvest. It was very difficult for a graduate from Sokoine to train farmers in Mbuyuni, because farmers are more knowledgeable than the graduates, also because these practices change from time to time. After learning from them, then you are able to train other farmers. (Interview mit Agrarökonom, Wakilimo Fund, Mbeya, 13 Juni 2019)
Auch wenn es hier so klingt, als würden die Erfahrungen der Bäuer:innen Gehör finden, zeigte die Praxis, dass der Unterricht kaum an die lokalen Gegebenheiten anknüpfte. Nachdem ich an einigen Projekttreffen im Dorf teilnehmen durfte, mit einigen Landwirt:innen ohne Gegenwart von Projektmitarbeitenden sprechen konnte sowie mich immer wieder mit dem landwirtschaftlichen Berater vor Ort austauschen konnte, wurden weitere Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen Projektmitarbeitenden und Dorfbewohner:innen deutlich: Die Bäuer:innen nahmen zwar an organisierten Treffen und Lerneinheiten teil, gaben bei der Registrierung jedoch meist nur die Hälfte ihres tatsächlichen Landbesitzes an, um dadurch den allgemeinen Erwartungen an benachteiligte Kleinbäuer:innen zu entsprechen. Auch gaben sie vor, noch nie von intensiviertem Reisanbau gehört zu haben und die Unterrichtseinheiten sehr interessant zu finden. Von all den zeitgleichen und vorausgehenden „Entwicklungsprojekten“ in der Region, die meist ähnliche Ziele und Methoden verfolgten, wussten die Bäuer:innen, dass von ihnen erwartet wurde, hauptsächlich über ihre Risiken und Probleme zu sprechen. Doch auch wenn der Lösungsweg meist bereits durch das Projekt vorgegeben war und die Bäuer:innen darauf kaum Einfluss hatten, nahmen sie doch gerne die kleinen Geschenke der NROs für ihre Anwesenheit entgegen.
Die Idee, dass durch die Verwendung von STASS die Entscheidungsfindung nun eigenständig bei den Bäuer:innen liegen würde, fand im Verlauf der Pilotstudie keine Anwendung. Obgleich die Daten über die Reisfelder Verständnis für die Situation der Bäuer:innen schaffen sollten sowie deren Bedürfnisse aufzeigen, bleibt diese Form der Demokratisierung von „Entwicklungshilfe“ und die Korrektur von Machtasymmetrien ein unerreichtes Ideal. Während ich bei der ausgedehnten Laufarbeit bei Messungen in Reisfeldern oder der monotonen Anleitung von Bäuer:innen sich für Informationsdienste zu registrieren, teilnehmen durfte, wurde mir klar, dass im Rahmen der Pilotstudie auch das Personal des Wakilimo Fund zu reinen Datensammelnden geworden ist. Im „Entwicklungsprojekt“ noch als inhaltliche Expert:innen, unterlagen sie in der technologiezentrierten Pilotstudie den praktischen Anforderungen der neuen digitalen Komponenten von STASS. Unter anderem taktete die Technologie ihren Arbeitsrhythmus mit der zehntägigen Datenaufnahme über die unterschiedlichen Kanäle. Der Sinn dieser Unternehmungen blieb ihnen leider meist vorenthalten, da weniger ihr Verständnis, sondern die Weitergabe der Daten von Seiten der Technologieexpert:innen gefragt war. So gab einer der NRO-Mitarbeiter, der zu Beginn der Projektlaufzeit für den Drohnenführerschein nach Großbritannien geflogen wurde, zu, dass er nicht einmal wusste, wozu diese Datenaufnahmen dienten:
The drone, yes, I flew it two or three times a month. I'm not quite sure, but with the drone you can see something that the naked eye can't see. I've heard of infrared, but I really don't know. (Interview mit Projektleiter, Wakilimo Fund, Mbeya, 14 Juni 2019)
Auf diese Weise werden im Kontext von Precision Agriculture und D4D alte ungleiche Relationen zwischen Expert:innen im Norden und Lai:innen im Süden verschärft. Während der Algorithmus das Denken zu übernehmen scheint und die Entscheidungen trifft, geht für die Bäuer:innen selbst das Warum hinter ihren Praktiken verloren. Brooks (2021:14 f.) problematisiert diese Tendenzen als „deskilling“. Durch den Glauben an künstliche Intelligenz und die Tatsache, dass Programmierende zu neuen (landwirtschaftlichen) „Entwicklungsexpert:innen“ werden, verliert Landwirtschaft zunehmend den Charakter eines kontinuierlich dynamischen Prozesses des sozialen und ökologischen Lernens. Gleichzeitig bleiben die Technologien oft reine Vorzeigeobjekte, um die Fortschrittlichkeit und Einzigartigkeit von „Entwicklungsprojekten“ zu demonstrieren ohne anhaltende Effekte. Dies zeigte auch der Einsatz der Drohne im STASS-Pilotprojekt:
Yes, the drone is stuck in a tree and the other one we sent is stuck at the National Defense Unit to check and release it. But you know, the drone is useless anyways. It was good for getting funding… For our algorithm, we need the satellite data. (Interview mit Projektleitung Tech-Firma, Niederlande, 21 Juli 2019)
So reiht sich die Anwendung der Technologie in die stetige Neuerfindung von Heilsbringern ein, die zur Finanzierung solcher Projekte nötig erscheinen, ohne dass sich ihre Effekte hinsichtlich der gewünschten landwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung vor Ort groß von ihren Vorgängern unterscheiden würden. Wie die Wissensvermittlung von best practices im klassischen „Entwicklungsprojekt“ erfahren auch die digitale Datenanalyse im Technologiepilot und die daraus generierten Handlungsanweisungen nicht nur Akzeptanz, sondern auch Zweifel und Widerstand.
Indem das STASS-Labor Informationslücken und fehlende digitale Kommunikation als zentrale „Entwicklungsbarrieren“ benennt und dafür Lösungswege präsentiert, soll das Interesse der Bäuer:innen an der Technologie begründet werden: Wer in Zukunft ein Informations- und Konnektivitätsproblem lösen möchte, sollte auch weiterhin das Labor aus Technologiefirmen, Start-ups, Satelliten, Tablets und Algorithmen nutzen (vgl. Latour, 1983:146). Vor diesem Hintergrund ging es mir darum, mehr darüber zu erfahren, wie dieser Zusammenhang aus der Perspektive der Bäuer:innen wahrgenommen wurde. Jenseits der Fahrten in den Ort gemeinsam mit dem Wakilimo Fund erlaubten mir längere, von der NRO unabhängige Aufenthalte in Mbuyuni, mich von den NRO-bestimmten Gesprächsthemen zu lösen. So war es mir möglich, über ihre Stellung als Bäuer:innen im Pilotprojekt, aber auch generell darüber, was sie über unterschiedliche Wissensformen und Konnektivität dachten, zu reden und in ihrem Alltag zu beobachten.
Die meisten Praktiken im Projekt liefen völlig losgelöst von den Bäuer:innen selbst ab. Von Konnektivität im Sinne einer wechselseitigen Kommunikation konnte nicht die Rede sein. Die Bäuer:innen erschienen aus Sicht der Pilotstudie oft eher als eine Art Störgeräusch, das es möglichst gering zu halten galt. Im Zentrum stand die Datenaufnahme über die Feldparameter. Der Austausch zwischen Wissenschaftler:innen, Programmierenden und Bäuer:innen aus Mbuyuni blieb also begrenzt. Aus Sicht der Bäuer:innen wendete dies Einblicke in ihre Umstände vor Ort ab, die für einen anhaltenden Erfolg der Studie entscheidend gewesen wären – wie mir ein Bauer berichtete:
Information is good, but once I know that the water level in my field is too high and there is no good farm road, how can I get there? So, information is good, but infrastructure is better. Look at the old irrigation system we have, we cannot even regulate the water level. (Interview mit Bauer, Mbuyuni, 3 Juni 2019)
Vor demselben Hintergrund bewerteten andere Dorfbewohner:innen auch die dreitägige Wettervorhersage-SMS als nutzlos. Zudem konsultierten manche nach wie vor die Dorfältesten, deren Vorhersagen hilfreicher wären. Diese könnten weiter im Voraus anhand von gewissen Pflanzen und Blüten bestimmen, ob es eine regenreiche oder dürre Saison würde. Was die Dorfbewohner:innen sich tatsächlich sehnlichst wünschten, waren zuverlässige Marktinformationen, wobei deren Generierung ohne zuverlässige Märkte eine große Herausforderung blieben. So wurden auch unvorhersehbare staatliche Interventionen in Märkte landwirtschaftlicher Produkte und Inputs von den Bäuer:innen problematisiert, sowie deren schwieriger Zugang zu Finanzinstitutionen:
I know they tell me I should put three bags of fertilizer in my plot, but you know, in the beginning of the season money is little, so I put one or sometimes two. Last year I had a loan from CRDB through the project, but the high interest rate gave me a headache. (Interview mit Bäuerin, Mbuyuni, 3 Juni 2019)
In diesem Fall zeigte sich auch, dass die Bäuerin das Wissen aus den Best Practice Workshops und Trainings im Feld an ihre individuelle Situation und Möglichkeiten anpasste. Auf diese Weise fand ein Aneignungsprozess durch die Bäuer:innen statt. Gerne nahmen sie die Bezahlung und Geschenke der NROs in Trainings entgegen, aber die Anweisungen und Datenabfragen wurden ignoriert oder nach eigenem Ermessen umgestaltet. Ein Wandel landwirtschaftlicher Praxis aufgrund der neuen Daten ließ sich in Mbuyuni zumindest nicht beobachten. Nichtsdestotrotz findet sich im Newsletter der NRO eine Erfolgsgeschichte mit dem Titel: „My family dream is becoming true through Wakilimo Fund project interventions“. Was hier die Sicht einer Bäuerin beschreibt, dient dazu, das business-as-usual der „Entwicklungspraxis“ aufrecht zu erhalten und folgende Interventionen zu rechtfertigen.
Auch der Projektleiter der Technologiefirma aus den Niederlanden gestand sich ein, dass die Effekte des Projekts für die landwirtschaftliche „Entwicklung“ gering waren. Sichtlich mitgenommen gab er zu, dass sich vor Ort durch den Technologieeinsatz nichts geändert hat und er wohl einer der wenigen Profiteure des Vorhabens war, denn auf Basis dieser Pilotstudie wurde ihm ein weiterer Antrag zum erneuten Pilotieren der Technologie bewilligt. Die Situation vor Ort scheint aus Sicht der Pilotstudie nur eine Komponente des Vorhabens zu sein, die für die Technologieentwicklung eher zweitrangig erscheint. Ihnen geht es vielmehr um den Algorithmus, der durch die neuen Daten weiterentwickelt wurde und nun überall dort eingesetzt werden kann, wo Anbaupflanzen und Umweltbedingungen ähnlich sind. Zur Optimierung des Algorithmus werden weitere Tests nötig, da die räumliche Begrenzung der hier produzierten analytischen Kapazität zeitlich limitiert ist. Wiederholungen von Tests digitaler Technologien sindauf Grund von sich stets verschiebenden Bezügen zwischen Algorithmen undRealitäten nötig und zeugen von einer beschränkten Zeitlichkeit von Testwissen (Beisel et al., 2018:109).
Doch während STASS nun in einem weiteren Pilotprojekt unter dem Stichwort Climate Smart Agriculture in einem Reisanbaugebiet in Iringa, 300 km von Mbeya entfernt, erneut getestet werden sollte, ist in Mbuyuni digital vermitteltes Wissen wieder irrelevant. Dies entspricht früheren Beobachtungen, in denen Laborwissen nur durch die bestehende Existenz des Labors erhalten blieb. Denn Labore bieten nichts anderes als Lösungswege für Problemstellungen in der Welt, deren Problemlösung stets die gleichen Akteur:innen, Technologien und Praktiken erfordern (Latour, 1983).
Die Tatsache, dass sich am landwirtschaftlichen Alltag in Mbuyuni kaum etwas geändert hat, wird nicht aus jeder Perspektive als Scheitern des Projekts verstanden. Aus Sicht technologiezentrierter Pilotprojekte, die in der Regel höhere Risiken eingehen als klassische „Entwicklungsprojekte“, wird Scheitern in gewisser Weise sogar erwartet und stellt Erkenntnisgewinn dar (Fejerskov, 2017:9). Auch das Testen und Experimentieren in der Lebenswelt von Menschen im Globalen Süden wird nicht an sich als problematisch angesehen. Die dadurch gewonnenen Daten sollen über die Verwendung für Precision Agriculture hinaus in aktuelle Finanzkalkulationen einfließen, um auf entfernten Märkten bewertet und gehandelt zu werden (Brooks, 2021:13 in Bezug auf Scott, 1998). Nicht zuletzt deswegen gelten solche Daten als „the new oil“ (Dalberg Advisors und CTA, 2019:11) oder gerade im landwirtschaftlichen Bereich auch als „the new soil“ (Fraser, 2018:901), auch wenn die Bäuer:innen selbst, wie in diesem Fall, gar keinen Zugriff darauf haben.
The problem starts with calling it a pilot, because then you have 3 years, one year to set up everything, another year to deal with issues and in the last year nothing is really happening anymore apart from report writing. And nothing has really changed on the ground. It would be better to distribute technologies through private businesses … or it would be better to just give the farmers a tractor … I don't know! (Interview mit Programmierer, Israel, 21 Juli 2019)
Traktoren waren es, die als Technical Assistance einst eine wesentliche Rolle gespielt haben und in Bildern ausrangierter Fahrzeuge ihr Scheitern dokumentiert haben (siehe z.B. die Auseinandersetzung mit dem Groundnut Scheme Ende der 1940er Jahre in Tansania nach Wood, 1950 und Rizzo, 2011). Mit den unterschiedlichen Neuausrichtungen, die die „Entwicklungszusammenarbeit“ seitdem erfahren hat, haben sich die entsprechenden Technologien der Maßnahmen verändert. Aktuell wird digitalen Technologien die Fähigkeit zugeschrieben, endlich die gewünschten „Entwicklungserfolge“ zu erzielen – was das frustrierte Resümee des Programmierers in Israel so nicht bestätigen kann.
Als etablierter Vermittler für Wissens- und Technologietransfer in der tansanischen Landwirtschaft hat auch der Wakilimo Fund seine „Entwicklungspraktiken“ um den Einsatz digitaler Technologien erweitert. Dies umfasst zudem, wie es dieser Beitrag anschaulich zeigt, auch einen neuartigen Experimentiermodus. Das Pilotprojekt der AI-Technologie Spatio-Temporal Agribusiness Support System (STASS) stellt einen Versuch dar, ortsgebundene Innovation im Mbuyuni Reisanbaugebiet zu entwickeln. Nach außen ist das Vorhaben in die optimistische Rhetorik digitaler Innovationen für die „Entwicklung“ der afrikanischen Landwirtschaft eingebunden. Meine ethnographischen Einblicke veranschaulichen hingegen ein komplexeres und kritischeres Bild. So wird deutlich, dass die Entwicklung der Technologie vor Ort sich nur schwer mit dem Ziel der „Entwicklung“ der lokalen Landwirtschaft in Einklang bringen lässt. Die klassischen Akteur:innen der Wertschöpfungskette wurden durch zahlreiche neue Technologiefirmen und Finanzgeber erweitert, so dass Datengenerierung und -verarbeitung im Zentrum der Pilotstudie standen. Während die Investitionen durch die Akteursauswahl meist im Geberland blieben, entpuppte sich auch die Konnektivität weniger als informativ für Menschen vor Ort, sondern machte die Versuchsgegend vor allem nach außen lesbar. Die Reisbäuer:innen im Dorf Mbuyuni wurden dabei zu einer Versuchsgruppe im lebenden Labor, die bei den üblichen Projektmaßnahmen weitgehend mitspielten. Die Problembewältigung betrieben die Bäuer:innen jedoch weiterhin selbst mittels der Aneignung bestimmter Teilaspekte der Interventionen. Auch wenn sich vor Ort nach Ablauf der Pilotstudie kaum etwas verändert hat, reichten die gewonnenen Daten, um die Fortführung der Technologie im Rahmen eines weiteren Pilotprojekts zu sichern. Der Technologieeinsatz im „Entwicklungskontext“ schien dabei ein Spendengarant darzustellen.
Der Test von STASS in Mbuyuni wurde also nicht aus allen Perspektiven als gescheitert angesehen. Aus wissenschaftlicher Sicht illustriert das Beispiel allerdings die Schwierigkeiten, die die Verschmelzung eines technologischen Tests mit einer „Entwicklungsintervention“ mit sich bringt. Ihr Ziel der ermächtigenden Problemlösung vor Ort durch Konnektivität und Informationen wird nicht erreicht. Vielmehr verstärken sich globale Ungleichheiten, da die Mobilisierung von Innovations- und Handlungsfähigkeit vor Ort kaum eine Rolle spielt. In der Hoffnung auf diese spielten die Bäuer:innen bei der Projektdurchführung zwar zunächst mit, schließlich haben sie durchaus den Wunsch nach digitalen Technologien und Konnektivität, selbst wenn der experimentelle Umgang mit diesen im „Entwicklungskontext“ erfolglos zu bleiben scheint. Ebenso wenig sind AI-Systeme per se als exklusiv, nicht adaptierbar oder unpassend im tansanischen Kontext anzusehen. Doch die inhärente Logik der Pilotstudie und die Dynamiken des Testens wirken ihrer nachhaltigen Nutzung vor Ort entgegen.
Abgesehen davon, dass mit STASS auch die verwendeten Technologien weiterziehen und vor Ort nicht mehr zur Verfügung stehen, lehnen viele Kleinbäuer:innen die Nutzung der eingeführten Technologien ab. Was von den experimentierenden Externen oft als ignorant, stur und töricht angesehen wird, liegt vielmehr an einem Missverhältnis zwischen simplen Technologiepaketen und komplexen Landwirtschaftssystemen. Letztere sind an sich äußerst experimenteller Natur, aber eben zu den Bedingungen der Bäuer:innen selbst (Brooks, 2021:7).
Zum Schutz der befragten und beteiligten Personen sind die qualitativen Daten dieser Studie nicht öffentlich zugänglich. Sie können jedoch in anonymisierter Form bei der entsprechenden Autorin erfragt werden.
Die Autor*innen erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Copernicus Publications bleibt in Bezug auf gerichtliche Ansprüche in veröffentlichten Karten und institutionellen Zugehörigkeiten neutral.
Ein besonderer Dank kommt Julia Verne zu, die mich bei der Bearbeitung auch von vorherigen Versionen dieses Textes unterstützt sowie die Konferenz NKG XVII in Bonn 2020 zu „ Technocultures & Technoscapes“ mitorganisiert hat, für welche die ersten Ideen des Textes entstanden sind.
This paper was edited by Hanna Hilbrandt and reviewed by two anonymous referees.
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Die Namen der Organisationen und Akteure im Text sind anonymisiert und pseudonymisiert.
Um zu verdeutlichen, dass ich die postkolonialen Kritiken am Konzept, an der Idee und am Begriff „Entwicklung“ sowohl für diesen Text als auch für meine Arbeit im Allgemeinen ernst nehme, verwende ich sie stets in Anführungszeichen. Das liegt zum einen daran, dass ich mich von der eurozentrischen sowie teleologischen Sichtweise distanzieren möchte. Zum anderen ist mir bewusst, dass die darunterfallenden Praktiken auch dazu verflucht sein können, Machtungleichheiten und Abhängigkeiten zu verstärken, nicht zuletzt deshalb, weil sich Lösungsansätze auch als unangemessen und nicht nachhaltig erweisen, wenn sie eher an den Interessen westlicher Akteure oder lokaler Eliten orientiert sind und die eigentlichen Adressat:innen als verkannte oder exotisierte Identitäten ins Abseits geraten.
Anhand der Entdeckung von Anthrax durch die (Labor-)Arbeit von Louis Pasteur beschreibt Latour (1983) den Austausch von Menschen, Dingen und Ideen zwischen Labor und Echtwelt. Was er als Verschiebung von Laboren bezeichnet, umfasste die Extraktion des Milzbranderregers von befallenen Rindern in ihrer landwirtschaftlichen Umgebung und deren anschließende Kultivierung und mikroskopische Untersuchung im Labor. Die Immunisierung von Rindern mit einem abgeschwächten Erreger wiederum demonstrierte den Viehhaltern, dass die Krankheit auf den Bacillus anthracis zurückzuführen ist.
Das Interview wurde über Skype von Dar es Salaam aus geführt.
- Kurzfassung
- Einleitung
- Afrika als Labor, damals und heute
- Experimentalität und Technologien in der tansanischen Landwirtschaft
- „Inter-view“ mit einem digitalen Objekt im „Entwicklungskontext“
- Die Erweiterung des Akteursnetzwerks – Von der Reiswertschöpfungskette zum Datenweg
- Die alltäglichen Projektaufgaben – Von Überzeugungsarbeit und dem Füttern eines Algorithmus
- Die Testergebnisse – Wandel durch digitale Daten?
- Fazit
- Datenverfügbarkeit
- Interessenkonflikt
- Haftungsausschluss
- Danksagung
- Begutachtung
- Literatur
- Kurzfassung
- Einleitung
- Afrika als Labor, damals und heute
- Experimentalität und Technologien in der tansanischen Landwirtschaft
- „Inter-view“ mit einem digitalen Objekt im „Entwicklungskontext“
- Die Erweiterung des Akteursnetzwerks – Von der Reiswertschöpfungskette zum Datenweg
- Die alltäglichen Projektaufgaben – Von Überzeugungsarbeit und dem Füttern eines Algorithmus
- Die Testergebnisse – Wandel durch digitale Daten?
- Fazit
- Datenverfügbarkeit
- Interessenkonflikt
- Haftungsausschluss
- Danksagung
- Begutachtung
- Literatur