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„Diskursiv-konsensual ausgerichtete Konfliktregelung“? Versuche der Versachlichung und die Widerständigkeit von Emotionen im Umgang mit Atommüll
Christiane Schürkmann
In Germany the challenge of finding a final disposal site for storing high-level nuclear waste has been accompanied by historically grown conflicts along with highly emotional commitment. From an ethnographic perspective at the interface of nuclear geography, environmental sociology and further social scientific research in the area of nuclear waste management, the contribution investigates the relationship between the formalized character of the ongoing process of site selection and the emotional character of civic participation and its discursive and performative qualities. Even though emotions appear to be marginalized in the procedure of site selection they become relevant as resources in the sense of discursive artefacts and for performing participation and therefore engagement in interaction.
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Die Frage nach dem Für und Wider der Nutzung von Kernkraft sowie damit zusammenhängend nach dem Umgang mit radioaktiven Abfällen ist eng verbunden mit Konflikten, die nicht allein, aber auch von Emotionalisierungen getragen werden: Erinnert sei an Bilder von widerständigen Aktivist:innen am Bauzaun des geplanten Kernkraftwerks in Brockdorf in den siebziger Jahren, Eskalationen zwischen Bürger:innen und der Polizei im Zuge der Auseinandersetzungen um den Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in den achtziger Jahren, oder das Aufbegehren gegen den Bau eines Entsorgungszentrums für radioaktive Abfälle in Gorleben in den siebziger und achtziger Jahren. Beispiele wie diese zeugen von Wut und Misstrauen gegenüber staatlichen Instanzen sowie der Angst und Sorge vor potentiell freigesetzten strahlenden Giftstoffen im Zuge des Einsatzes einer als solche bewerteten „Hochrisikotechnologie“ (Perrow, 1999).1 Auch die Kehrtwende der Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel nach dem Reaktorunglück in Fukushima 2011 und dem darauffolgenden Beschluss des Ausstiegs Deutschlands aus dieser Form der Energiegewinnung mag nicht zuletzt von einem ad hoc verstärkten Unbehagen im Lichte dieser Katastrophe getragen sein. Kurzum: Industriell produzierte radioaktive Abfälle sind zu „kritischen toxischen Objekten“ (Schürkmann, 2021:66) avanciert, einhergehend mit einer emotionalen Aufladung der Frage nach ihrer Regulierung und ihrem räumlichen Verbleib.
Eine Spezifik der Entsorgung radioaktiven Abfalls in verschiedenen Ländern wie u.a. in Deutschland liegt nicht zuletzt in der räumlichen Organisation der Entsorgung: Der nukleare Abfall soll unterirdisch bzw. in einem geologischen Tiefenlager eingeschlossen werden, was ihn nach Verschluss weiteren gesellschaftlichen Zugriffen entzieht (s. hierzu auch Bloomfield und Vurdubakis, 2005). Radioaktiver Abfall und Gesellschaft, materielle und soziale Welt werden in diesem Szenario langfristig getrennt und – so die Annahme der Befürworter:innen dieser Entsorgungsstrategie – voreinander geschützt. Die gegenwärtige Suche nach einem geologisch geeigneten Tiefenraum für die in Deutschland angefallenen hoch radioaktiven Abfallstoffe wird dabei auch als ein „wicked problem“ (Brunnengräber, 2016a:145–166) beschrieben, das im Sinne eines „geographical reading of siting controversy“ (Bickerstaff, 2012: 2611) nicht nur als soziotechnische (Hocke, 2016), sondern auch als sozioräumliche Herausforderung hervortritt.2 In dieser Weise wird der Einbezug des Tiefenraumes zu einer Frage des gesellschaftlichen Zugriffs auf Untergründe, die als Räume der Entsorgung dienstbar gemacht werden sollen (Schürkmann, 2022). Dies geht einher mit Moralisierungen, Politisierungen und nicht zuletzt Emotionalisierungen der Frage nach Raum. Raum wird dabei nicht nur in die Fläche, sondern auch in seiner Tiefe zum Politikum und die Frage nach dem Umgang mit ihm setzt Konfliktpotenzial frei. Die sozialwissenschaftliche Umweltforschung hat sich bereits in vielfältiger Weise mit Konflikten der Ver- und Entsorgung befasst (z. B. Feindt und Saretzki, 2010): z. B. im Bereich der Altlastensanierung (Lazar, 2002), oder der Entstehung von Protestbewegungen im Kontext der Entsorgung von Müll vor dem Hintergrund von Umweltgerechtigkeitsdebatten (s. etwa zur Anti-incinerator movement in China z. B. Johnson et al., 2018, s. zu Müll im Kontext politischer Auseinandersetzungen Kramm und Schlitz, 2022). Im Folgenden wird der Umgang mit radioaktiven Abfällen als spezifischer Entsorgungskonflikt gefasst, der unterschiedliche „Werte, Wissen und Interessen“ (Kuppler und Bechthold, 2022) versammelt.
Im Rahmen des in Deutschland langfristig angestrebten Ziels des Baus und der Inbetriebnahme eines nationalen Endlagers begegnen die Akteure den erwarteten Konflikten zunächst mit der Etablierung von Verfahren, innerhalb derer Konflikte bearbeitbar gemacht werden sollen (Luhmann, 1983). Zentral ist hierbei das Standortauswahlverfahren und dessen gesetzliche Manifestation im Standortauswahlgesetz (StandAG).3 Bei der Gestaltung des Verfahrens spielt besonders der Rekurs auf Diskurse eine zentrale Rolle, die im Feld der Standortsuche und seiner Akteure zur Organisation einer verfahrensmäßig geforderten Öffentlichkeitsbeteiligung und wissenschaftlichen Basierung eingesetzt werden. Mit Bezug auf einen normativ und deliberativ angelegten Diskursbegriff fordert die von 2014 bis 2016 von Bund und Ländern eingesetzte Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe in ihrem 2016 erschienenen Bericht die Berücksichtigung einer „diskursiv-konsensual ausgerichteten Konfliktregelung“ (Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, 2016:22), durch die das Verfahren in seinen partizipativen Möglichkeiten und mit Blick auf die Herstellung von Transparenz profitieren soll. Eine derart geforderte Konfliktregelung lässt sich dabei auch als Versuch des Umgangs mit Emotionalisierungen von Konflikten verstehen, so gilt es doch im Sinne der Konsensfindung in der Standortsuche weitere Eskalationen zu vermeiden. Implizit wird demnach von einem engen Zusammenhang zwischen Emotionen und Konflikten ausgegangen: „Konfliktverhalten und -lösungen haben viel zu tun mit dem Austausch von Emotionen, mit ihrem Verbergen und Enthüllen sowie ihrer Ritualisierung, Dramatisierung und Unterdrückung“ (Vester, 1991:15, s. auch hierzu Rössel, 2006; Bornemann, 2018).
Mit einer ethnografischen und damit qualitativ-empirischen Perspektive, angereichert um dokumentenanalytische Einsichten rückt der Beitrag die angestrebte „diskursiv-konsensual ausgerichtete Konfliktregelung“ dahingehend in sein Zentrum, wie die beteiligten Akteure Emotionalisierungen einmal als Gegenstand von Diskursen adressieren und zudem wie emotionalisiertes Engagement in etablierten Diskursformaten wie z. B. Konferenzen praktisch aufgeführt wird (s. zum Verhältnis von Diskursen und Ethnografie weitergehend Elliker, 2022:507–517).4 Emotionen werden dabei einmal als diskursive Artefakte gefasst, die im Sprechen über ihre Berücksichtigung im Verfahren durch die am Verfahren beteiligten Akteure zum Gegenstand bzw. zum Thema gemacht werden (Bereswill et al., 2021:4–12), dem die Ethnografin in Interviews mit den Teilnehmer:innen des Feldes folgt. Zudem rücken emotional bzw. affektiv aufgeladene Situationen in den Fokus der Ethnografin, wenn sich Emotionalisierungen bzw. Affizierungen in Situationen der aufgeführten Diskurspraxis zeigen – so etwa in Interaktionen auf öffentlichen Konferenzen, in denen sich Teilnehmer:innen im Feld der Endlagersuche mit Themen identifizieren, sich für Themen engagieren und sich auch moralisch positionieren (Bereswill et al., 2021:4–12; zur Diskussion von Emotionen u. a. im Verhältnis zu Affekten s. Reckwitz, 2016; Schurr und Strüver, 2016).5 Der Blick auf Emotionen als Gegenstand des Diskurses sowie auf Engagement stiftende Affekte eröffnet für die ethnografische Analyse ein Spannungsfeld, in welchem Emotionalisierungen und Affizierungen einmal als Ressource und zudem als Störung diskursiver Ordnung (Foucault, 2021 [1972]) von verschiedenen Akteuren markiert werden. Dabei geht es auch um den Zusammenhang zwischen sozialer und räumlicher Wirksamkeit von Emotionen: Einmal in Anbetracht eines (noch) imaginären Raumes der Lagerung und Isolation der Stoffe („Standort“), zudem mit Blick auf die an der Suche nach einem solchen Raum beteiligten Akteure, die in gewisser Weise auch durch ihre emotionale Beteiligung einen Platz innerhalb des Suchverfahrens zugewiesen bekommen – oder wie Gammerl et al. (2017:87) über die sozialräumliche Wirksamkeit von Emotionen schreiben: „they [emotions, d. V.] put you in your place“. Im Fokus der qualitativen und ethnografisch orientierten Analyse stehen von offizieller Seite publizierte Dokumente (der 2016 veröffentlichte Abschlussbericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe), Interviews und Konversationen mit Akteuren aus dem Feld der Standortauswahl sowie teilnehmende Beobachtungen auf der Fachkonferenz Teilgebiete und auf Veranstaltungen der Antiatomkraftbewegung. Der Beitrag verfolgt das Ziel, die Rolle von Emotionen und Affekten in einem auf Sachlichkeit und Konsens setzenden Verfahren aus ethnografischer Perspektive zu beleuchten.
Insbesondere im Hinblick auf nukleare Technologien einschließlich ihrer strahlenden Abfälle ist bereits vielfältig auf die Rolle von Emotionen in Verbindung mit Konfliktpotenzialen hingewiesen worden (s. hierzu besonders Smeddinck, 2018a). Wie Hocke und Grunwald (2006:11) anmerken „[…] ist der Verbleib radioaktiver Abfälle ein Reizthema für viele Menschen.“ Dabei spielt nicht nur die Angst vor einer mittlerweile vielen als unberechenbar geltenden Technologie eine Rolle, sondern auch die Sorge vor politischer Verantwortungslosigkeit, Intransparenz und unzureichender Partizipation an Entscheidungsprozessen. Der Historiker Joachim Radkau (2011:4) schreibt etwa von der „Wut“ der Kernkraftgegner im Kontext der Antiatomkraftbewegung und ihrer Proteste sowie einer in Anbetracht der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 aufsteigenden „existenzielle[n] Angst vor der Atomkraft“ weiter Teile der Bevölkerung Deutschlands (Radkau, 2011:5). Diagnostiziert wird gleichsam eine „Nuklearangst“ (Gassert, 2011), die zunächst getragen wird von der „Furcht der Bevölkerung“ (Radkau und Hahn, 2013:68) vor dem Bau von Atombomben. Im Kontext der gegenwärtigen Standortsuche weisen aus Sicht der Technikfolgeabschätzung Hocke und Grunwald (2006:17) auf die bestehenden „Sorgen, Ängste und Bedenken“ hin, die der (potenzielle) Bau eines Endlagers in der Nähe des eigenen Wohnortes bei vielen Menschen auslöst. Aus Perspektive der Governance-Forschung bringt Achim Brunnengräber (2016b:23) die „Skepsis gegenüber der Endlager-Kommission“ seitens der Antiatomkraftbewegung zur Sprache. Mit Blick auf die Furcht vor Radioaktivität wird aus Perspektive der angewandten Risikoforschung ein variantenreiches Bild skizziert (Marti, 2016:98):
Während einige die Strahlenbelastung aufgrund einer Computertomographie als vernachlässigbar einstufen und sich gleichzeitig vor einem potentiellen Austritt ionisierender Strahlung aus einem Endlager für radioaktive Abfälle fürchten, ist es bei anderen genau umgekehrt.
Nicht zuletzt argumentiert Gabrielle Hecht das Vorliegen eines „Nuclear Exceptionalism“ (Hecht, 2010:3) ausgehend vom Abwurf der Atombombe auf Hiroshima 1945, einhergehend mit starken emotionalen Aufladungen der Verwendung nuklearer Technologien, des Einsatzes nuklearer Materialen und der Aushandlung nuklearer Politiken. Kurzum: Emotionen spielten und spielen eine herausragende Rolle im Umgang mit Kernkraft und damit auch im Umgang mit dem durch sie produzierten Abfall. Derartigen Emotionen stehen aber auch solche Gefühle gegenüber, die den Ausbau der Kernkraft potenziell forciert haben dürften: So ist die Rede von einer Mitte der fünfziger Jahre einsetzenden „Atomeuphorie“ (Radkau und Hahn, 2013:53, 60ff., 67) auf Seiten der Kernkraftbefürworter:innen, getragen von einem überschwänglichen Glauben an technische Entwicklungen und der Faszination ihrer damals angenommenen Beherrschbarkeit und Zukunftsfähigkeit. Die Worte des Philosophen Ernst Bloch (2019 [1985]:775) scheinen gar von purer Begeisterung getragen, wenn er schreibt:
Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen, so schafft die Atomenergie, in anderer Maschinerie als der der Bombe, in der blauen Atmosphäre des Friedens, aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling.
Auch vor dem Hintergrund risikoanalytischer und risikotheoretischer Betrachtungen lassen sich Emotionalisierungen und Konflikte im Umgang mit nuklearen Technologien und ihren Hinterlassenschaften weitergehend einordnen. Aus umweltsoziologischer Perspektive wird die Frage der Endlagerung etwa im Kontext von „Risikokonflikte[n]“ (mit Verweis auf Ulrich Beck s. Brand, 2014:119) beschreibbar, wobei „der Verlauf dieser Konflikte […] von der Deutung der jeweiligen Probleme und Risiken sowie vom Vertrauen oder Misstrauen in die Lösungskompetenz staatlicher Behörden ab[hängt]“ (Brand, 2014:119). Im Zuge seiner Ausführungen zur „Risikogesellschaft“ schreibt Ulrich Beck (1986:7, Herv. i. O.) unter anderem in Anbetracht der Vorfälle in Harrisburg 1979 und der Katastrophe in Tschernobyl 1986: „Not lässt sich ausgrenzen, die Gefahren des Atomzeitalters nicht mehr“ und spricht in diesem Zusammenhang von einer „atomaren Verseuchung“, die in ihrer Entgrenzung „Allbetroffenheit“ (Beck, 1986:7) und „Angst“ (Beck 1986:66) freisetzt. Auch Niklas Luhmann identifiziert die Angst im Sinne eines „Ausdruck[s] von Besorgtheit“ (Luhmann, 2008:157) als zentralen Bestandteil ökologischer Kommunikation und spricht gar von einer „Angstkommunikation“ (Luhmann 2008:157), die zu einer moralischen Aufladung führt (Luhmann, 2008:161). Aus Perspektive der geografischen Risikoforschung steht nicht nur das Identifizieren von Risiken einschließlich ihrer Verräumlichung im Fokus, sondern zudem die Praktiken ihrer Erzeugung und Verortung (Egner und Pott, 2010). Diese Perspektive lässt sich auf das Standortauswahlverfahren übertragen: Die Festlegung eines Standortes für ein Endlager geht einher mit der Konstruktion bzw. Herstellung eines radioaktiv induzierten Risikoraumes, was Emotionen und Affekte evoziert. Solche Risikoräume werden mit Blick auf eine „nuclear geography“ (Becky und Davies, 2017) auch als „riskscapes“ (Müller-Mahn et al., 2018; Davies et al., 2020) im Sinne ko-produzierter „collective imaginations of ‚landscapes of risk‘“ (Davies et al., 2020 197) beschreibbar. Sie erfordern koordinierte Umgangsweisen, wobei das in Deutschland praktizierte Standortauswahlverfahren hiernach als ein solcher Koordinationsversuch im Zuge der Herstellung eines gefühlt unsicheren Raumes bzw. eines Raumes gefühlter Unsicherheit lesbar wird (z. B. Senanayake und King, 2021). Mit Blick auf auslaufende Genehmigungen für Zwischenlager in den kommenden Jahren bis Jahrzehnten und der Frage nach oberirdischen Sicherheitspolitiken wird ein geologisches Tiefenlager jedoch nicht allein als ‚risk space‘, sondern zugleich als ‚best possible safe space‘ bzw. als „Standort mit der bestmöglichen Sicherheit“ (StandAG § 1, Abs. 2) im Verfahren und dessen gesetzlicher Grundlage adressiert. In dieser Weise birgt ein Endlager in tiefengeologischen Formationen Qualitäten eines opportunistischen und ambivalenten Raumes: Er soll Sicherheit bieten und erzeugt zugleich Gefühle der Unsicherheit. Bis hierin sei festgehalten: Dass Betroffenheit und damit verbunden Angst bzw. Besorgtheit im Umgang mit gefühlt unsicheren und riskanten Räumen ein zentraler Stellenwert zugerechnet werden kann, ist Gewissheit. Aus heutiger Sicht stellt sich vielmehr die Frage, wie im Zuge geplanter Großvorhaben zur gezielten Herstellung solcher Räume – die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist eines davon – mit derartigen Emotionen und Affekten umgegangen wird.
Der Aufsatz ist wie folgt aufgebaut: Ausgehend vom Abschlussbericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe wird die geforderte „diskursiv-konsensual ausgerichtete Konfliktregelung“ dokumentenanalytisch (Wolff, 2004, 2006) als Versuch der Versachlichung eines Verfahrens herausgearbeitet, der von einem normativen und rationalen Diskursbegriff ausgeht (Kapitel 2). Auf Basis teilnehmender Beobachtungen (Breidenstein et al., 2013) und ethnografischer Interviews (Spradley, 1979) im Feld der Standortsuche werden sodann Emotionen im Spannungsfeld von Ressource und Störung diskursiver Ordnung beleuchtet – einmal als Artefakte des Diskurses im Sprechen über ihre Relevanz sowie als affektive Praxis interaktiven Engagements, in der etablierte diskursive Formate mitunter herausgefordert werden (Kapitel 3). Zum Schluss wird die Frage diskutiert, inwiefern sich Bestrebungen der Versachlichung von Verfahren und die Widerständigkeit von Emotionen gegenseitig ausschließen oder gar zuarbeiten (können) (Kapitel 4).
Die von 2014 bis 2016 arbeitende Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe publizierte 2016 in Form eines Abschlussberichts ihre Empfehlungen an den Gesetzgeber, die dem politischen Auftrag entsprechend in die Überarbeitung des StandAGs einbezogen werden sollten.6 Mitglieder der Kommission waren Vertreter:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Umweltverbänden, Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und dem Bundestag in ihrer Funktion verschiedene gesellschaftliche Teilbereiche zu repräsentieren. Die durch den Einsatz einer solchen Kommission erkennbare Teilnehmer:innentheorie der Repräsentation von Gesellschaft wird von Akteuren der Antiatomkraftbewegung sowie verschiedenen Umweltverbänden in Frage gestellt (Drögemüller, 2016:190f.; Kalmbach, 2016:391). So wird etwa die mangelnde Repräsentanz der berufenen Mitglieder bzw. die Zusammensetzung der Kommission im Hinblick auf die Beteiligung von Frauen und das Ignorieren von Jugendverbänden in Anbetracht eines derartig generationenübergreifenden Großprojekts kritisch angemerkt (Kalmbach, 2016:393). Die Auftritte der Kommission – veröffentlicht wurden Sitzungen und Diskussionen der Mitglieder untereinander – waren mitunter geprägt von tradierten Konfliktlinien zwischen Befürworter:innen und Gegner:innen der Kernenergienutzung und führten in der Arbeit unter den Mitgliedern nicht selten zu Streitgesprächen mit Publikumsadressierung (Kalmbach, 2016:389ff.). Die im Abschlussbericht der Kommission 2016 geforderte Etablierung einer „diskursiv-konsensual ausgerichteten Konfliktregelung“ erscheint vor diesem Hintergrund keineswegs als präventiv, sondern plausibilisiert sich vielmehr als Reaktion auf ein seitens der Kommission problematisiertes historisch gewachsenes Konfliktpotenzial in der Frage des Umgangs mit der Entsorgung nuklearen Abfalls. Im Folgenden wird mit einer dokumentenanalytisch orientierten und rhetorisch interessierten Perspektive (s. hierzu auch Schürkmann, 2019) untersucht, wie eine solche Konfliktregelung im Abschlussbericht der Kommission zur Darstellung gebracht wird und von welchen Annahmen diese ausgeht. Die Ethnografin folgt dabei zunächst dem in dem Bericht elaborierten Diskursverständnis, das in seinen normativen bzw. moralisierenden Annahmen stark vom Ideal deliberativer, auf Vernunft basierender Demokratien geprägt ist und somit ein bestimmtes Verständnis von Rationalität in das Verfahren der Standortauswahl implementiert bzw. implementieren soll.
Die im Abschlussbericht der Kommission vorgeschlagene „diskursiv-konsensual ausgerichtete Konfliktregelung “ wird seitens der Autor:innen zunächst einmal grundlegend auf den „Geist der Aufklärung, die Gestaltungskraft der Politik, die Fähigkeit zur Verständigung aus Vernunft und Verantwortung sowie die Ausweitung der Freiheit und des demokratischen Engagements der Bürgerinnen und Bürger“ (Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, 2016:22) bezogen. Der Rekurs auf Vernunft, Mündigkeit und Demokratie stellt in dieser Weise das normative und moralische Ideal der Konsenserzeugung durch und im Diskurs zentral – so heißt es:
Die demokratische Öffentlichkeit hat ein umfassendes Anrecht auf Transparenz, denn nur so wird eine Auseinandersetzung in der Sache auf Augenhöhe möglich. Damit Expertenwissen und Erfahrungswissen zusammenkommen, muss die wissenschaftliche Beratung der Politik und der Verwaltung durch das Wissen von Bürgerinnen, Bürgern und Gesellschaft erweitert werden. Dieses Wissen ist zu nutzen. Denn in vielen Fällen besitzen zivilgesellschaftliche Initiativen ein hohes Maß an unverzichtbarer Expertise.
Die Kommission setzt auf einen umfassenden Diskurs, der alle Beteiligten wertschätzt und zugleich Konflikte auch als Chance zur Verständigung begreift. Die Öffnung der Standortsuche für die Gesellschaft bietet die Möglichkeit, durch demokratische Partizipation Blickverengungen zu überwinden und die Fantasie und den Sachverstand der Menschen für konstruktive Lösungen zu nutzen (Kommission zur Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe, 2016:26).
Die „Gesellschaft“ einschließlich ihres „Sachverstandes“ bzw. der ihrer Mitglieder wird hier als Akteurin adressiert, die inkludierendes und identifizierendes Potenzial freisetzen und zur Beteiligung aller Bürger:innen auffordern soll. So wird gleichsam empfohlen, die „Expertise“ der Gesellschaft bzw. das „Wissen“ ihrer Mitglieder einzubeziehen. Der Rekurs auf „Sachverstand“ und „Wissen“ (s. Auszug Bericht) liest sich dabei auch als Bestreben, das Verfahren durch die Etablierung diskursiver Kommunikationsformate zu versachlichen und mit einer bestimmten Rationalität zu operieren, wie sie sich etwa in der Diskurstheorie nach Jürgen Habermas wiederfindet:
Wann immer wir den Ausdruck ‚rational‘ verwenden, unterstellen wir eine enge Beziehung zwischen Rationalität und Wissen (Habermas, 2019 [1995]:25).
Eine an Wissen gebundene Rationalität bedeutet hiernach, dass jemand „weder seinen Affekten nachgibt, noch den unmittelbaren Interessen folgt, sondern bemüht ist den Streit unter moralischen Gesichtspunkten unparteiisch zu beurteilen und konsensuell beizulegen“ (Habermas, 2019 [1995]:39). Durch Betonung von Vernunft, Wissens und Sachverstand wird der Gestus einer solchen Rationalität durch die Etablierung eines diskursiv zu gestaltenden Verfahrens erkennbar, das den Blick weniger auf die emotionale Involvierung der Beteiligten lenken soll, sondern vielmehr auf eine ihm zu- und eingeschriebene Sachlichkeit. Wie der Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann anmerkt, geht ein solches Rationalitätsverständnis von der „Selbstreferenz der Vernunft“ aus (Luhmann, 2008:167), oder nicht systemtheoretisch formuliert: Der Bericht stellt hier ein vernunftbegabtes Subjekt voran bzw. geht in seiner Argumentation von einem solchen aus – ein vernunftbegabtes Subjekt, das vor allem rational und konsensorientiert agiert. Dieses soll wissens- und wissenschaftsbasiert sowie öffentlichkeitswirksam um die ‚bestmögliche‘ Lösung im Umgang mit den radioaktiven Stoffen argumentativ mit anderen ringen und seine Affizierung dabei zugunsten rationaler bzw. sachlicher Argumentationen zurückstellen. Ein weiterer Auszug aus dem Bericht unterstreicht dieses Ringen, das sich nicht nur als ein Ringen um Konsens, sondern auch als Ringen um ein konsensfähiges Verfahren und seine Formen zeigt:
Die Kommission geht wie die überwältigende Mehrheit des Deutschen Bundestages vom gesetzlich verankerten Ausstieg aus der Kernenergie aus. Der Ausstieg hat einen gesellschaftlichen Großkonflikt entschärft. Sie sieht zugleich die Generationen, die Strom aus der Kernkraft genutzt haben oder nutzen, in der Verantwortung, für eine bestmögliche Lagerung der dabei entstanden Abfallstoffe zu sorgen. Diese Generationen haben die Pflicht, die Suche nach dem Standort zügig voranzutreiben. Auf dieser Basis will die Kommission zu einer Konfliktkultur kommen, die eine dauerhafte Verständigung möglich macht (Kommission Lagerung hcohradioaktiver Abfallstoffe, 2016:23).
Der Ausstieg Deutschlands aus der Kernkraft sowie die Notwendigkeit sich der Herausforderung der Endlagerung des produzierten Atommülls gegenwärtig zu stellen, wird hier als konsensuale Ausgangslage markiert. Dabei wird der Versuch erkennbar, zwischen Gegner:innen und Befürworter:innen der Kernkraft zu vermitteln und somit Solidarität zu erzeugen. Diese wird zudem generationenübergreifend argumentiert. Es gilt sich gegenüber diesen Stoffen als Generation(en) zu positionieren. Sah Ulrich Beck (1986:66) in seinen Analysen der Risikogesellschaft die Politisierung von Konflikten vornehmlich von einer „Solidarität aus Angst“ getragen, wird hier vielmehr an eine Solidarität aus Verantwortung appelliert – Verantwortung, die von denen getragen werden soll, die von der Kernkraft profitiert haben und in deren Lebenszeit die Produktion dieser Abfälle fällt.7 Während Angst dem Bereich des Affektiven und Emotionalen zugeschrieben wird, erscheint Verantwortung dem Bereich des Rationalen und Vernunftbetonten näherzustehen, wobei auch Verantwortungs- und Pflichtgefühle im Sinne der Identifikation und Erzeugung von Betroffenheit durchaus eine Rolle spielen können (Schürkmann, 2019). Mit dem Appell an die Übernahme von Verantwortung wird hier nicht zuletzt gesellschaftliche Handlungsfähigkeit bzw. die Handlungsfähigkeit von Gesellschaft rhetorisch aufgeführt.
Die Rhetorik des Berichtes zeigt sich hiernach durchdrungen von Bemühungen potenziell Destruktives in Konstruktives zu wenden, das durch die Etablierung eines rationalen, sachlichen und in diesem Sinne wissens- und wissenschaftsbasierten Verfahrens argumentativ erschlossen werden soll, wobei eine solche Rhetorik dabei durchaus selbst affizierendes Potenzial freizusetzen vermag. So lässt sich in diesem Teil des Berichts die Erzeugung einer gewissen Aufbruchstimmung ausmachen, beispielsweise mit Blick auf den obigen Auszug. Rhetorisch vermittelt wird ein Streben nach Konstruktivität durch positiv formulierte Zielsetzungen („will die Kommission zu einer Konfliktkultur kommen“), verbunden mit der Erzeugung von Optimismus – hier vermittelt durch das In-Aussicht-Stellen der Etablierung einer „dauerhafte[n] Verständigung“. Konflikte gilt es gleichsam innerhalb des Suchverfahrens als deren Bestandteil „dauerhaft“ und in gewisser Weise produktiv zu kultivieren, das heißt: Sie sollen offensiv von den beteiligten behördlichen und nicht-behördlichen Akteuren berücksichtigt werden, und – so die Annahme dieser Konfliktregelung – rational, vernunftorientiert und diskursiv bearbeitet werden. Des Weiteren heißt es:
Dies stellt besondere Herausforderungen an Träger und Gestalter des Suchverfahrens. Einerseits gilt es, bei der Ausgestaltung des Prozesses unproduktive Konflikte zu vermeiden, andererseits, Konflikte als wesentliches Klärungselement zu berücksichtigen (Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe, 2016:25f.).
Welche Konflikte als „unproduktiv“ gelten, wird dabei offengelassen. Um „produktive“ Konflikte dauerhaft zu kultivieren, empfiehlt die Kommission „erweiterte und neue Formen der Bürgerbeteiligung“ (Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe, 2016:25), was somit auch die Etablierung neuer kommunikativer bzw. diskursiver Formate bedeutet. Zentrale Formen der Partizipation, die sich im Stand-AG und seiner Überarbeitung niedergeschlagen haben, sind beispielsweise die unter anderem laut § 9 abzuhaltende Fachkonferenz Teilgebiete sowie die im Anschluss daran laut § 10 auszurichtenden Regionalkonferenzen. Dabei soll eine weitere Strategie zur Etablierung einer „diskursiv-konsensual ausgerichteten Konfliktregelung“ im offensiven Einbezug von Reflexivität liegen bzw. der „Reflexion der unterschiedlichen Interessen und Ziele“ (Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe, 2016:25). Das Streben nach Reflexivität lässt sich dabei auch vor dem Hintergrund der Etablierung eines „lernenden Verfahrens“ (Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe, 2016:u.a. 23, 31, 150) verstehen – ein Verfahren, das immer wieder kritisch geprüft werden und das laufend Korrekturen einspeisen soll, was an Strategien der „reflexive governance“ (Brand, 2014:161f.) erinnert. Bis hierin sei festgehalten: Die im Abschlussbericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe ausgewiesene „diskursiv-konsensual ausgerichtete Konfliktregelung“ lässt sich auch als Versuch der Versachlichung und Rationalisierung eines höchst emotionalisierten Konfliktfeldes betrachten, wobei dieser Versuch von einer auf Vernunft basierenden Rationalität getragen wird, in der Affekte und Emotionen zugunsten eines wissensbasierten Diskurses zurückzuhalten bzw. eher auszublenden sind.
Mit Blick auf die Formalisierung und Institutionalisierung der Standortauswahl durch die Etablierung eines juristischen Pfads (Hamacher, 2022) und die Betonung der wissenschaftlichen bzw. wissenschaftsbasierten Fundierung ist ein Verfahren etabliert worden, das sich besonders an Sachlichkeit orientiert. Dabei stellt sich die Frage, wie Emotionen ‚ihren Platz‘ in einem solchen Verfahren finden können: Wie werden Emotionen als Artefakte des an Konsens orientierten Diskurses adressiert und von den Beteiligten thematisiert? Wie zeigen sie sich in der interaktiv aufgeführten diskursiven Praxis? Mit einer ethnografischen Perspektive (Breidenstein et al., 2013) werden im Folgenden exemplarische Einblicke dazu gegeben, wie Emotionen im Feld der Standortsuche einmal als vernachlässigter Gegenstand von Diskursen durch Teilnehmer:innen ausgewiesen werden (Sprechen über Emotionen in Bezug auf das Verfahren der Standortauswahl im Interview und auf Veranstaltungen der Anti-Atomkraftbewegung) (Kapitel 3.1). Zudem wird exemplarisch die Aufführung von emotionalisiertem bzw. affektiv aufgeladenem Engagement im interaktiven Vollzug in einem vermeintlich sachlich orientierten Diskursformat (Konferenz) fokussiert. Hierzu habe ich die ersten zwei via Zoom organisierten Termine der Fachkonferenz Teilgebiete mit besonderem Schwerpunkt auf fachlich orientierte Arbeitsgruppen teilnehmend beobachtet und ethnografische Interviews mit Teilnehmer:innen im Nachgang der Konferenz geführt. So wurden besonders solche Arbeitsgruppen ausgewählt, die sich naturwissenschaftlich mit Fragen der Endlagerung befasst haben in der Annahme einer dort in Interaktion zur Darstellung gebrachten Sach- und Fachorientierung in Vorträgen und Diskussionen. Auch eine an die Konferenz anschließende online-basierte Veranstaltung der organisierten Antiatomkraftbewegung, die das Verfahren kritisch begleitet, habe ich in diesem Kontext teilnehmend beobachtet.
3.1 Sprechen über Emotionen: Emotionen zwischen Marginalisierung und Präsenz
Insbesondere die bereits angedeutete Dichotomie zwischen Emotionalität und Rationalität, zwischen gefühlsbasierter und wissenschaftsbasierter Kommunikation stellt das Verfahren und seine Teilnehmer:innen vor Herausforderungen – nicht nur im Umgang mit den zu lagernden Stoffen, sondern auch im Umgang mit dem seitens der und für die Beteiligten zu legitimierenden Verfahren selbst. Folgender Interviewauszug mit einem temporären Mitglied des Nationalen Begleitgremiums (NBG)8 entwirft eine problematisierende Perspektive auf den Einbezug von Emotionen im Rahmen des laufenden Verfahrens (I: Interviewerin, T: Interviewte*r, anonymisiert):
- I:
Inwieweit spielen Emotionen Ihrer Einschätzung nach in der Standortauswahl eine Rolle und wie treten diese hervor?
- T:
Dieses Thema ist an sich hoch emotional. Das wird man auch nicht verhindern können. Und ich finde es auch wichtig und von höchster Bedeutung, dass Emotionen in diesem Verfahren auch ernst genommen werden und auch zur Geltung kommen können und auch dürfen. […] Da sind ja dann Existenzen gefährdet, da sind auch Leben gefährdet und auch ganze Landstriche sozusagen werden zunehmend auch bedroht und das wurde bisher alles immer – ich möchte sagen – niedergehalten, oder als ja zu wild, oder – was ist das richtige Wort dafür – als zu wenig konform wahrgenommen. Es wird versucht alles sachlich zu machen – sachlich, fachlich und auch entmenschlichend irgendwie. Es wird sehr stark juristisch auf das Verfahren geguckt, ohne dabei die Menschen im Blick zu haben, sondern nur darauf geschaut, dass alles juristisch wasserdicht ist, dass alles nach Recht und Gesetz verläuft.
(Auszug aus einem Interview mit einem temporären Mitglied des Nationalen Begleitgremiums)
Folgt man der hier entworfenen Perspektive, so werden Emotionen bislang zu wenig von den verfahrensgebenden Akteuren berücksichtigt und in ihrer Relevanz marginalisiert. Emotionen seien Ts. Ausführungen zufolge in der Wahrnehmung der Entscheidungsträger zu „wild, zu wenig konform“. Hiernach werden sie als Störfaktoren eines auf Konsens ausgerichteten Verfahrens adressiert, das von der Annahme einer auf Vernunft basierenden Rationalität ausgeht. Das Verfahren wird von T. besonders in seiner juristischen Dimension als übergeordnet und gleichsam machtvoller bzw. mächtiger Akteur adressiert, der „die Menschen“ aus dem Blickfeld geraten lässt – und damit auch ihre Ängste und Sorgen. Folgt man der hier entworfenen Perspektive, so ist es das Verfahren, das unversehrt bleiben soll und nicht die Menschen, die von dessen Ausgang betroffen sein werden. Aus Ts. Sicht wird die emotionale Dimension in dem von Formalisierungen und Versachlichung durchzogenen Verfahren ausgeklammert, wobei T. dies in ihrer vermeintlich angenommenen Unberechenbarkeit und Widerständigkeit begründet sieht. Hier lässt sich auch an die Argumentation Luhmanns (2008:157) anschließen, nach der sich Emotionen und besonders die Angst als resistent gegenüber behördlich verordneter Regulierbarkeit und wissenschaftlicher Aushebelung zeigen:
Angst kann rechtlich nicht reguliert und wissenschaftlich nicht widerlegt werden. Versuche, die komplizierte Struktur von Risiko- und Sicherheitsproblemen unter wissenschaftlicher Verantwortung aufzuklären, liefern der Angst nur neue Nahrung und Argumente.
Die Ausführung Ts. problematisiert damit nicht zuletzt die Gegenüberstellung von Rationalität und Emotionalität im Umgang mit der Frage der Entsorgung radioaktiver Abfallstoffe einhergehend mit der Gegenüberstellung von Konformismus und Widerständigkeit. Diese Spannung zwischen den sich vermeintlich gegenüberstehenden Polen von „Emotionen, Gefühlen, Affekten auf der einen Seite und Rationalität, Recht“ (Reichold, 2018:157 mit Bezug zu Nussbaum, 2016) und nicht zuletzt Sachlichkeit auf der anderen Seite gilt der Emotionsforschung als Topos und ist auch im Feld der Standortsuche bereits diskutiert worden (Smeddinck, 2018b).9 Dabei wird nicht nur die Angst vor den radioaktiven Stoffen und der Verdrängung von „Existenz“ und „Leben“ (s. Auszug Interview) durch den zu findenden Endlagerstandort relevant gemacht, sondern auch die Angst davor, dass es in der Ausführung, Umsetzung und Festlegung des Standortauswahlverfahrens „nicht mit rechten Dingen“ zugeht – hierzu ein weiterer Auszug desselben Interviews:
- T:
Da sind zum einen Ängste, Zweifel – auch Ängste, die durchdringen: etwas läuft nicht richtig, etwas müsste besser laufen und es kann so nichts werden, wenn es so weiterläuft […] aber auch Ängste: das muss weiter so laufen, das darf nicht anders laufen, weil wir müssen den Prozess ja schnell zu Ende führen und wenn wir das nicht machen, wird alles auseinanderbrechen.
(Auszug aus einem Interview mit einem temporären Mitglied des Nationalen Begleitgremiums)
Das Verfahren selbst wird hiernach im Zuge seiner Ermächtigung bzw. der hier markierten Zuweisung einer Vormachtstellung als angststiftend markiert. Folgt man den Ausführungen Ts. liegt eine Angst erzeugende Wirkung des Verfahrens für dessen Kritiker:innen besonders in seiner Engführung und seiner – trotz der im StandAG formulierten Anforderungen der Bürgerbeteiligung – Geschlossenheit bzw. Exklusivität („etwas läuft nicht richtig, etwas müsste besser laufen und es kann so nichts werden, wenn es so weiterläuft“). Dagegen wird mit Blick auf die Befürworter:innen bzw. die verfahrensgebenden und -umsetzenden Behörden und Institutionen von T. die Herausforderung bzw. der Zugzwang zur Sprache gebracht, dass diese in einem bestimmten Zeitraum entscheiden und handeln müssen. In dieser Weise werden Ängste verbunden mit Zweifeln nicht nur einseitig den Kritiker:innen des Verfahrens zugesprochen, sondern auch den verfahrensgebenden und -umsetzenden Akteuren, die sich hiernach der Herausforderung ausgesetzt sehen, in einem tolerierbaren Zeitraum als handlungsfähig wahrgenommen zu werden und das Verfahren durchzuführen. Mit Blick auf die Kritik am Verfahren spielen besonders Misstrauen und Skepsis gegenüber den entscheidungsrelevanten Instanzen im Kontext der Produktion von Angst eine Rolle. Folgender Auszug aus einem Chatbeitrag im Kontext einer Veranstaltung der Antiatomkraftbewegung zur Kritik am Standortauswahlgesetz mag diesen Zusammenhang beispielhaft veranschaulichen:
Ich habe nicht spezifisch Angst vor einem Endlager vor meine Haustüre, sondern Angst davor, dass hier ein Problem einfach unter den Teppich gekehrt werden soll.
(Auszug aus einem Chatbeitrag auf einem online veranstalteten Symposium der Antiatomkraftbewegung, Mai 2021)
Der Beitrag lässt sich in zweierlei Hinsicht interpretieren: Einmal hinsichtlich der Angst vor einem intransparenten Verfahren bzw. die Angst davor, dass etwas „unter den Teppich gekehrt werden soll“ (s. Auszug Chatbeitrag) und im Verborgenden entschieden und festgelegt wird. Zudem lässt sich der Beitrag mit Bezug auf die sozioräumliche Spezifik des Entsorgungskonflikts um hoch radioaktive Abfälle deuten: So werden in solchen Endlagerszenarien, in denen der Zugang nach einer Zeit endgültig verschlossen werden soll, die Abfälle zukünftigen gesellschaftlichen Zugriffen dauerhaft entzogen. Das „Problem“ wird langfristig an unterirdische Gesteine bzw. deren Stabilität und Rückhaltevermögen delegiert und untergründig vergraben. Wird der unterirdische Raum in dem Beitrag eher als ‚risk space‘ und weniger als ‚best possible safe space‘ adressiert, so mag dies ebenfalls Ängste und Misstrauen freisetzen. Die Metapher des „unter den Teppichkehrens“ wird somit auch mit Blick auf das verschließbare geologische Tiefenlager und damit in sozioräumlicher Hinsicht interpretierbar. Auch Wut wird als relevante Emotion im Rahmen der Standortsuche genannt, wie in folgendem Interviewauszug deutlich wird:
- T:
Und zum Teil auch Wut von den Akteuren, die sich nicht gehört fühlen, was meistens nicht die im Standortauswahlgesetz verankerten Akteure sind und Institutionen, sondern gerade diejenigen, die sich dann sozusagen als vernachlässigt fühlen, als kleine Minderheit die der Überzeugung ist, das Richtige zu wollen und auch zu tun, aber dann nicht Einfluss hat auf das Verfahren und dann sozusagen unter den Teppich gekehrt wird.
(Auszug aus einem Interview mit einem Mitglied des Nationalen Begleitgremiums)
Ts. Ansprache von sich als „Minderheiten“ bzw. marginalisiert wahrnehmenden Gruppen oder Einzelnen im Rahmen des Verfahrens stellt damit auch Fragen der Einflussnahme und damit zusammenhängend ein Gefühl der Wut zentral. Das Sprechen über Wut als Emotion im Standortauswahlverfahren schließt die Frage an, wie diese durch die Teilnehmer:innen zur Darstellung gebracht wird – hierzu ein Gesprächsauszug aus einem Dialog, der sich im Anschluss an einen Vortrag im Rahmen eines wissenschaftlichen Kolloquiums im Mai 2021 im Sinne einer ‚friendly conversation‘ (Spradley, 1979) zwischen einer Vertreter:in einer Bürgerinitiative und der Ethnografin entwickelt hat:
Wäre die Konferenz (die Fachkonferenz Teilgebiete) nicht digital gewesen, hätten wir das Podium gestürmt! Wut ist da, sie kann sich leider derzeit nicht so äußern, wie wir es uns wünschen würden.
(Teilnehmer:in an der Fachkonferenz Teilgebiete im Gespräch mit der Ethnografin)
Die Möglichkeiten Wut zur Darstellung zu bringen, sieht die Teilnehmer:in durch die damals pandemiebedingte Wahl online-basierter Kommunikationsformate in der Ausrichtung der Fachkonferenz Teilgebiete als beschränkt an. Gesprochen wird von der im Konjunktiv gehaltenen Option, das Podium zu stürmen. Damit wird ein kommunikatives Format in Erwägung gezogen, das einen Übergang von diskursiven zu aktivistischen Formen markiert: Das Podium, die Bühne, wird hier nicht als ‚runder Tisch‘ adressiert, an den es sich zu setzen gilt, um im Diskurs sachlich zu streiten, sondern wird in diesem Statement vielmehr als hegemonialer Rahmen markiert, den es zu besetzen und umzudeuten gilt. Die Widerständigkeit von Emotionen ließe sich mit derartigen Aktionen gleichsam in eine alternative Form übersetzen, die sich des reinen Sprechens ‚am runden Tisch‘ ein Stück weit entzieht, um eine potentiell gesteigerte performative Wirkung zu erzielen. Derartige Aktionen würden der diskursiv-konsensual angelegten Konfliktstrategie in ihren Voraussetzungen als „unproduktiv“ gelten – so operieren sie mit einem anderen Diskursverständnis, das vielmehr von der Produktivität von Störungen und der Inszenierung von Dissens ausgeht.
Bis hierhin sei festgehalten: Das Sprechen über Emotionen im Feld der Standortsuche weist auf ein Zusammenspiel von Angst, Misstrauen und Wut im Kontext des Standortauswahlverfahrens hin entlang der Konfliktlinien zwischen verfahrensprägenden Vertreter:innen der im StandAG verankerten Organisationen und Institutionen, denen eine machtvolle Stellung zugesprochen wird, sowie denjenigen Akteuren, die ihre Möglichkeit der Einflussnahme auf das Verfahren als eingeschränkt und die ihre Stellung innerhalb des Verfahrens demzufolge als marginalisiert ansehen. Dabei zeigt sich das Sprechen über Emotionen zugleich als präsente diskursive Ressource, um die als marginalisiert wahrgenommene Stellung der sich beteiligenden zivilgesellschaftlichen Akteure zu artikulieren und zu markieren. Im Sprechen über Emotionen werden diese als diskursive Artefakte bzw. Artefakte des Diskurses präsent gemacht. Emotionen sind hiernach präsent als Teil eines Diskurses, der nicht allein synchron und zentriert am ‚runden Tisch‘ stattfindet, sondern der parzelliert und asynchron an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten von den Sprechenden aufrechterhalten wird. In dieser Weise zeichnet sich ein Spannungsfeld im Sprechen über Emotionen und emotionaler Beteiligung darin ab, dass Emotionen selbst als marginalisiert gegenüber einer starken Geste der Rationalisierung von verschiedenen sich am Verfahren beteiligenden Akteuren eingeordnet werden, was sie zugleich als widerständig hervortreten lässt.
3.2 Das Aufführen emotionalen Engagements: Emotionen und Affekte zwischen Störfaktor und Ressource
Wie aber treten Emotionen und Affekte in den institutionell bereitgestellten, nach vernunftbasierter Rationalität und Sachlichkeit strebenden Diskursformaten hervor? Wie verschaffen sie sich in gewisser Weise in actu ihren Platz? Folgendes ethnografisch aufgearbeitetes Beispiel im Rahmen der Fachkonferenz Teilgebiete mag einen Einblick dazu geben, wie emotionalisiertes bzw. affektives Engagement sich in gewisser Weise auch in vermeintlich sach- und fachorientierten Settings interaktiv und situativ Bahn brechen kann. Auf der Konferenz trugen Wissenschaftler:innen – etwa angestellt bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), Forschungsinstituten und Universitäten – sowie Referent:innen aus zivilgesellschaftlichen Bereichen wie beispielswiese Umweltverbänden unter anderem in thematisch gerahmten Arbeitsgruppen ihre Papers und Präsentationen vor, wobei auch Bürger:innen, die sich zuvor zur Konferenz angemeldet hatten, als Zuhörer:innen und potenziell als Mitdiskutant:innen teilnehmen konnten. Aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie fand die Konferenz an den ersten zwei Terminen im Februar und Juni 2021 in Form zweier online-basiert organisierter Termine statt, der dritte Termin im August konnte in hybrider Form abgehalten werden. Organisiert wurde die Konferenz von einer Arbeitsgruppe (AG Vorbereitung) mit Unterstützung des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Im Rahmen einer ebenfalls mit teilnehmenden Beobachtungen operierenden machtanalytischen Studie zum ersten Termin der abgehaltenen Fachkonferenz Teilgebiete beschreiben Themann et al. (2021:11) die Situation in den Arbeitsgruppen (AGen) wie folgt:
Die technisch und geologisch ausgerichteten AGen zeichneten sich eher durch meist nüchternen, wissenschaftlicheren Diskurs aus, während die Debatten vor allem in der AG zur Fortführung der Beteiligung auch emotional geführt wurden.
Auch wenn hiernach speziell in den AGen zu Fragen der Partizipation ein anderer Grad der Politisierung und auch der Emotionalisierung beobachtbar war, so lässt sich doch auch in den AGen mit naturwissenschaftlichen Schwerpunktthemen und einer starken sachbezogenen Orientierung emotionalisiertes bzw. affektives Engagement der Beteiligten ausmachen – folgender Protokollauszug gibt einen Einblick in das Vortragsgeschehen im Rahmen einer geologisch ausgerichteten AG der ersten Fachkonferenz Teilgebiete:
Als die Referentin auf die Mindesttiefe bzw. Teufe der im Standortauswahlgesetz ausgewiesenen 300 Meter als obere Begrenzung eines zu findenden einschlusswirksamen Gebirgsbereichs zu sprechen kommt, ertönt ein lauter und hörbar aufgeregter Zwischenruf aus dem digital zugeschalteten Publikum: ‚Das ist nicht tief genug!‘. Der Moderator des Panels ermahnt den Reinrufenden, er möge sich bitte an die Gepflogenheiten halten und der Referentin nicht ins Wort fallen, Zeit für Diskussionen sei nach dem Vortrag. Nach einiger Zeit folgt ein weiterer lauter Zwischenruf desselben Teilnehmers als die Referentin in ihrem Vortrag wieder auf die 300 Meter Mindestabstand zu sprechen kommt. Der Moderator weist darauf hin, dass er auch befähigt sei, Leute von der Konferenz auszuschließen. Ein Wissenschaftler merkt in der anschließenden Diskussion an, dass der Wert 300 lediglich als Mindestwert im Standortauswahlgesetz steht und dies keineswegs bedeutet, dass das Endlager schlussendlich in 300 Meter Tiefe gebaut wird.
(Auszug aus einem ethnografischen Protokoll, erster Termin der Fachkonferenz Teilgebiete)
Ein Aspekt, der hier in prägnanter Weise mit Blick auf die inhaltliche Auseinandersetzung der Teilnehmer:innen hervortritt, ist die Verknüpfung zwischen emotionalem bzw. affektiv aufgeladenem Engagement des reinrufenden Teilnehmers und seiner Einschätzung der räumlichen Bedingungen für die Sicherheit des zu bauenden Endlagers: Das aufgeregte Unterbrechen der Referentin erfolgt an der Stelle als es um die referierte Mindesttiefe des sogenannten einschlusswirksamen Gebirgsbereichs geht, die dem als „Bürger“ angemeldeten Zuhörer als nicht tief genug erscheint. Die hier als zu gering bewertete Nähe der radiotoxischen Stoffe zur Erdoberfläche und damit zur Gesellschaft wird für den Teilnehmer gleichsam zum Marker für einen aus seiner Sicht nicht tragbaren Risikoraum, was emotionales und affektives Engagement freisetzt, das auf Angst und Sorge rückschließen lässt. Dabei wird jedoch nicht nur inhaltlich eine Korrektur der Mindesttiefe verlangt, sondern zugleich auch das kommunikative Format des Konferenzvortrags gestört. So wird die Referentin von dem sich als emotional bzw. affektiv engagiert zeigenden Teilnehmer unterbrochen, was sich im Sinne Goffmans (1986:20) als Taktlosigkeit in der Situation darstellt. Der Teilnehmer (angemeldet in der Rolle als „Bürger“) bringt sein Engagement zur falschen Zeit ein. Das hier vorgesehene am wissenschaftlichen Diskurs interessierte Format der Konferenz sieht ein solches Reinrufen in laufende Vorträge nicht vor, sodass der Störenfried mit dem Ausschluss aus der AG durch den Moderator rechnen muss, der diese Möglichkeit auch vor Publikum zur Sprache bringt. Das sich in seiner akustischen Darstellung (der Teilnehmer ist nur zu hören und nicht per Video zu sehen) als emotional involviert zeigende Stören in Form des lauten und aufgeregten Reinrufens und Unterbrechens wird durch die Moderation markiert und sodann auch sanktioniert zugunsten der Aufrechterhaltung des Formats einer sach- und wissenschaftsorientierten Konferenz, die von bestimmten Regeln – hier mit Blick auf das Rederecht – ausgeht. Themann et al. (2021:15) weisen aus politikwissenschaftlicher und machtanalytischer Perspektive auf die Problematik hin, „dass der wissenschaftlich-rationale Streit vor allem die Menschen im Diskurs begünstigt, die einen bestimmten Sprechduktus erlernt haben“ – und andere im Umkehrschluss benachteiligt, die sich dieses kommunikativen Stils nicht bedienen können.
Eine alternative Interpretation zum Nichtbedienen-Können eines kommunikativen Stils der Konferenz mit Blick auf den obigen Protokollauszug besteht darin, dass das als kommunikative Störung markierte Reinrufen auch als Protest eines emotional und affektiv involvierten Teilnehmers lesbar wird – ein Protest, der sich gegen die starke und alleinstehende Bezugnahme der Referentin auf das StandAG einschließlich der darin festgeschriebenen Werte richtet. So wird der in die Kritik geratene Wert weder mit Bezug zu wissenschaftlichen Quellen noch mit Verweis auf eigene Forschungen im Vortrag der Referentin weitergehend begründet, sondern allein durch den Rekurs auf den entsprechenden Paragraphen im StandAG abgesichert. Mag man dieser Interpretation der Interaktion bzw. des ethnografisch protokollierten Vortragsgeschehens folgen, so tritt in der beschriebenen Situation nicht zuletzt die Ambivalenz der Rolle des StandAGs in derart wissenschaftlich geführten bzw. wissenschaftsorientierten Debatten hervor. Während die Referentin in ihrem Vortrag das juristisch korrekte Vorgehen zentralstellt und dieses gar im Stil des Belegs durch die Bezugnahme auf das StandAG ausweist, wird dieser starke Bezug auf das Gesetz von einem anderen Wissenschaftler in der anschließenden Diskussion gleichsam relativiert:
Ein Wissenschaftler merkt in der anschließenden Diskussion an, dass der Wert 300 lediglich als Mindestwert im Standortauswahlgesetz steht und dies keineswegs bedeutet, dass das Endlager schlussendlich in 300 Meter Tiefe gebaut wird.
(s. Auszug Protokoll). Mit Blick auf die angestrebte Versachlichung tritt im kommunikativen Vollzug in dieser Weise die Frage hervor, was hier eigentlich Sache ist bzw. wer welche Autoritäten und Deutungshoheiten heranzieht, um argumentativ zu überzeugen. Solche Relativierungen eines starren Bezugs auf das verfahrensgebende Gesetz seitens der involvierten Wissenschaftler:innen mögen der Totalisierung der Sache im Sinne einer bloßen Umsetzung eines gesetzlich festgelegten Pfades entgegenwirken, dem eingeschrieben wurde, ‚lernend‘ zu sein. Zugleich mögen sie – wie im Protokollauszug deutlich wird – auch emotional und affektiv aufgeladenen Beiträgen sachlich begegnen. So lässt sich der Beitrag des in der Anschlussdiskussion sprechenden Wissenschaftlers auch als Reaktion auf den reingerufenen Widerspruch gegenüber der laut StandAG ausgewiesenen Mindesttiefe von 300 Metern deuten. Das diskursive Format einer online organisierten sachlich und wissenschaftsorientierten Konferenz mit seinen implizit vorausgesetzten Regeln mag der Expressivität von Emotionen und Affekten in gewisser Weise Grenzen setzen, wobei der Dissens zwischen den Beteiligten in einer solch voraussetzungsvollen Kommunikation umso deutlicher hervortritt. Emotionales und affektives Engagement, das in der Unterbrechung eines Vortrags mündet, zeigt sich hier einmal als Störfaktor eines von Konventionen ausgehenden Diskursformats (Konferenz) und wird auch als solcher markiert bis sanktioniert. Andererseits wird Betroffenheit in der Situation mit der Folge eines affektiv aufgeladen wirkenden Engagements hier auch als Ressource für Beteiligung von Bürger:innen relevant, die gegebenenfalls selten in derartigen Settings agieren.
Bis hierhin sei festgehalten: Die hier skizierten ethnografischen Einblicke in das Feld der Standortsuche deuten an, dass Emotionen im laufenden Standortauswahlverfahren von den verfahrensgebenden Institutionen und Organisationen eher zugunsten der Etablierung eines um Sachlichkeit bemühten Verfahrens marginalisiert werden, wobei sie im Sprechen über ihre Relevanz sowie im kommunikativen Vollzug unter Einbezug verschiedener Teilnehmer:innenperspektiven als dessen Bestandteil hervortreten. Einmal werden sie als Artefakt des Diskurses im Sprechen über Emotionen von sich als marginalisiert wahrnehmenden Diskursteilnehmer:innen präsent gemacht – in dieser Hinsicht treffen sie auf gesellschaftliche Akzeptanz. Als diskursive Artefakte treten sie hiernach als Ressource hervor, um im Verfahren als unterdrückt wahrgenommene Positionen zum Sprechen zu bringen. Zudem können sich Affekte in der Interaktion praktisch offenbaren, was einerseits von Betroffenheit und Identifikationspotenzial der Engagierten bzw. Partizipierenden zeugt, was aber andererseits als Störung der diskursiven Ordnung sanktioniert wird, sobald sich ein solch affektiv aufgeladenes Engagement den kommunikativen Konventionen widersetzt.
Wie Luhmann dies bereits aus seiner systemtheoretischen Sicht für die Angst beschrieben hat, lassen sich auch Emotionen wie Wut und Skepsis weder wegregulieren noch allein durch das sachlich und rational gehaltene Präsentieren von wissenschaftlichem und juristischem Wissen aufheben. Vielmehr werden sie zur Sprache und zur Darstellung gebracht – in einer von den Teilnehmer:innen als angemessen beurteilten oder als unangemessen markierten Weise. Emotionen und Affekten werden von den Akteuren im Feld der Standortsuche nicht zuletzt widerständiges Potenzial zugeschrieben bzw. sie treten in einer gewissen Widerständigkeit gegenüber den vorgesehenen, an die Vernunft und den Takt appellierenden kommunikativen und am Diskurs interessierten Formaten auf und fordern diese heraus. Insbesondere dann, wenn neben dem juristischen Bezug keine weiteren wissenschaftlichen Quellen für die Argumentation hinzugezogen werden, um diskursiv Plausibilität und Überzeugung herzustellen, scheinen referierte und präsentierte Argumente in Vorträgen auf solchen, ihrem Selbstverständnis nach ‚wissenschaftsbasierten‘ Konferenzen Gefahr zu laufen, dass sie weniger im Kontext wissenschaftlicher Debatten, als vielmehr im Rahmen des Vollzugs rechtlich regulierter „Sachzwänge[n]“ (Radkau und Hahn, 2013:305) hervortreten, was gegebenenfalls Unmut in Teilen des interessierten Publikums evozieren kann. Im Lichte der durch die Kommission empfohlenen „diskursiv-konsensual ausgerichteten Konfliktregelung“ stellt sich die Frage, inwieweit das Format des sachlichen und rationalen Diskurses den Einbezug von Emotionen und Affekten zulässt bzw. inwieweit Emotionen und Affekte im Rahmen eines solchen Verfahrens als dessen Bestandteil diskursiv berücksichtigt werden können, um Dissens in der Sache mit Blick auf ein lernendes, wissenschaftsbasiertes und partizipativ zu gestaltendes Verfahrens zum Gegenstand weiterer Aushandlung zu machen.
Der Aufsatz hat sich zum Ziel genommen, die Forderung und Umsetzung einer „diskursiv-konsensual ausgerichteten Konfliktregelung“ als Versuch der Versachlichung im Umgang mit Atommüll und die Rolle von Emotionen und Affekten in ihrem widerständigen Potenzial im Kontext des Standortsauswahlverfahrens und seiner Teilnehmer:innen in Deutschland zu untersuchen. Dabei konnte einmal herausgearbeitet werden, dass die Forderung und Umsetzung einer solchen Konfliktregelug auch vor dem Hintergrund einer starken Formalisierung des Verfahrens zu betrachten ist, das auf einer vernunfts- und wissensorientierten Rationalität basiert, die Affekten und Emotionen in dichotomer Weise begegnet und diese mitunter marginalisiert. Auf diese Weise zeigt der Beitrag, wie die voraussetzungsvolle Annahme eines rationalen, deliberativen Austauschs – nicht zuletzt im Sinne des habermasschen Diskursideals – selbst affizierendes und emotionalisierendes Potenzial mit zum Teil subversiven Qualitäten freisetzt. Mit Blick auf die angestrebte „diskursiv-konsensual ausgerichtete Konfliktregelung“ kann einmal festgehalten werden, dass das etablierte und auch bereits im Bericht der Kommission formulierte Ideal einer auf Vernunft rekurrierenden, rational strukturierten Partizipation von Bürger:innen die Marginalisierung von Aussagen als nicht-rational zu ermöglichen scheint mit der Folge, dass Emotionen und Affekte eher als Störfaktoren eines wissens- und wissenschaftsbasierten Diskurses abgewertet werden. Im Sinne ethnografischer Einblicke konnte zudem beispielhaft gezeigt werden, wie Emotionen durch diese Versachlichung im Feld der Standortsuche sodann als Bestandteile von eben solch rationalisierten Verfahren diskursiv zum Gegenstand gemacht und somit zu Artefakten des Diskurses werden. Auch wie sich Emotionen und Affekte in sachlich orientierten kommunikativen Settings bahnbrechen, wurde exemplarisch in der ethnografischen Analyse diskutiert. Die dabei zur Sprache und zur Darstellung gebrachten Emotionen und Affekte sind auch vor dem Hintergrund eines historisch gewachsenen Zusammenspiels von Wut, Skepsis und Angst im Umgang mit radioaktivem Abfall in Deutschland einzuordnen. Dieses bezieht sich nicht allein auf den Abfall und sein Gefahrenpotential, sondern zum Teil auch auf die Umsetzung eines gesetzlich institutionalisierten und formalisierten Verfahrens und seine als machtvoll wahrgenommenen Akteure. Das Narrativ der Gegenüberstellung von machtvollen staatlichen Institutionen bzw. behördlichen Organisationen und einer sich als ohnmächtig bzw. weniger machtvoll wahrnehmenden Bürgerschaft bzw. Zivilgesellschaft lässt sich hier gleichsam in eine Dichotomie einer erhabenen vernunftbasierten Rationalität vs. einer marginalisierten und partizipativ geforderten Berücksichtigung von Emotionalität fortführen, was beides in ein asymmetrisches Verhältnis setzt. Die Rolle und der Stellenwert von Partizipation in solch konfliktbehafteten Verfahren ist längst vielseitig in den Sozial- und Planungswissenschaften diskutiert worden. Eine wichtige Rolle spielt etwa die Beobachtung eines „participatory turn“ (z. B. Bergmans et al., 2014) in der Gestaltung von Nuclear Waste Management einschließlich von Verfahren der Standortauswahl, nach welchem der Einbezug der Bürger:innen die Demokratisierung von Verfahren und die Überwindung einer Trennung zwischen technisch-naturwissenschaftlichen und gesellschaftlich-sozialen Dimensionen stärken kann (siehe hierzu auch Hocke, 2016). Mit Blick auf das Wie der Gestaltung von zunehmend auf Partizipation ausgerichteten Verfahren weist z. B. aus planungsbezogener Perspektive der Stadtforscher Klaus Selle (2011:4) auf den zunehmend inszenatorischen Reduktionismus heutiger Beteiligungsformate hin:
Statt substanzieller Diskurse im Kontext einer lebendigen lokalen Demokratie wird eine Bürgerbeteiligung inszeniert, die Teilhabe an Meinungsbildung und Entscheidungen suggeriert, ohne dies einlösen zu können.
Hiernach stören emotionalisierte Beteiligungen nicht allein die Ordnung des Diskurses, sondern vielmehr dessen Inszenierung.
Wie Luhmann (2008:161) schreibt:
Sie [die Angst] macht es zur Pflicht sich Sorgen zu machen, und zum Recht, Anteilnahme an Befürchtungen zu erwarten und Maßnahmen zur Abwendung von Gefahren zu fordern.
Da sich mit Blick auf die Endlagerung „Realexperimente“ in ihren gegebenenfalls folgenschweren Überraschungen als schwierig erweisen, erscheint in diesem Fall die „Angstlosigkeit vor dem Unberechenbaren“ (Groß, 2013:196) und auch die emotionale und affektive Nichtbeteiligung als geradezu riskant. Engagement und Interesse an der Frage nach einem Standort für ein Endlager gehen nicht zuletzt mit der Erzeugung von Anteilnahme, Betroffenheit und daher auch emotionalisierter Identifikation einher – sei es Anteilnahme aus Angst oder einem Gefühl der Verantwortung. Das Verfahren in seinen Bemühungen um Sachlichkeit mit einem starken Fokus auf juristische Korrektheit scheint mit einer Marginalisierung und zugleich Freisetzung von Emotionen einherzugehen. So ist es nicht allein die Risikowahrnehmung im Hinblick auf die radioaktiven Stoffe, die Unbehagen, Angst und Wut bei verschiedenen Teilnehmer:innen im Feld der Standortsuche evoziert, sondern eben auch das Verfahren selbst in seinen von Menschen ausgehandelten und weiterhin auszuhandelnden Formen und Formaten, in seinen Darstellungen von Wissen und Nichtwissen, in seinem Aufführen von Macht und Machtlosigkeit. So stellt sich hinsichtlich des in diesem Beitrag illustrierten Spannungsfelds zwischen Versuchen der Versachlichung und der Widerständigkeit von Emotionen die Frage, ob Rationalität und Emotionalität in Anbetracht derartiger Großvorhaben, wie das der Endlagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, weiterhin als Pole einer dichotomen Beziehung zueinander aufzufassen sind bzw. ob Emotionen und Affekte nicht vielmehr als Ressourcen für Verfahren in Erscheinung treten können, um Identifikation zu stiften, Konfliktlinien öffentlich hervortreten zu lassen und Partizipation auch diesseits komplexer und in die Tiefe gehender fachwissenschaftlicher Diskurse zu ermöglichen. Die Position, dass Emotionen und Affekte in einem solchen Verfahren scheinbar keinen Platz haben, scheint hiernach als überholt (Themann et al., 2021:19). Anders formuliert: Die Annahme „einer dichotomen Beziehung einer ‚emotionalen‘ […] und einer ‚rationalen‘ sozialen Sphäre“ (Schützeichel 2006:8) wird mit Blick auf ein derart von Unsicherheiten geprägtes Großvorhaben gleichsam obsolet. Neben Fragen nach weitergehenden Strategien der Versachlichung zur Stabilisierung des Verfahrens (und dessen Vollzug in einer bestimmten Zeitspanne), deutet sich zudem ausblickhaft die Frage an, inwieweit auch fragilere und anfälligere Formen der Konfliktregelung zur „dramatischen Gestaltung“ (Goffman, 2009) des Verfahrens und seiner Teilnehmer:innen einbezogen werden können, um Möglichkeiten zu schaffen, Emotionen und Affekte als Bestandteile von Engagement in Interaktion zur Sprache und zur Darstellung zu bringen. Bedarf es neben Strategien der Versachlichung auch Strategien für die diskursive Integration von Emotionen und Affekten? So mag das Management radioaktiver Abfallstoffe – insbesondere im Wissen um das bereits vieldiskutierte Konfliktpotenzial im Umgang mit diesem Abfall – nicht zuletzt von einem Management von Emotionen und Affekten getragen sein, oder in den Worten Luhmanns (2008:158):
Angst widersteht jeder Kritik der reinen Vernunft.
In dieser Weise lässt sich festhalten, dass für den weiteren Verlauf des Verfahrens mit dem Ziel der gesellschaftlichen Akzeptanz und Konsensproduktion auch die Frage des Einbezugs von Emotionen und Affekten als Ressource von Engagement und als Mittel kommunikativer Gestaltung nicht zu unterschätzen ist.
Der Artikel basiert auf ethnografischer Forschung. Aus Gründen der Vertraulichkeit und zum Schutz von Informant:innen können die erhobenen Daten nicht öffentlich zugänglich gemacht werden.
Die Autor:innen erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Anmerkung des Verlags: Copernicus Publications bleibt in Bezug auf gerichtliche Ansprüche in veröffentlichten Karten und institutionellen Zugehörigkeiten neutral.
Ich danke den beiden anonymen Gutachter:innen für ihre überaus hilfreichen Kommentare, Anmerkungen und Hinweise, durch deren Berücksichtigung der Beitrag an Qualität gewinnen konnte. Auch danke ich der Editorin Nadine Marquardt für ihre hilfreiche Zusammenfassung der Gutachten. Ein weiterer Dank geht an die beiden Herausgeber des Special Issue Boris Michel und Jan Winkler sowie an meine Interviewpartner:innen, die diese empirische Studie als solche möglich gemacht haben.
Dieser Artikel wurde von Nadine Marquardt redaktionell betreut und durch zwei anonyme Expert:innen begutachtet.
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Siehe z. B. https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/Dem-Verbot-zum-Trotz-Grossdemo-gegen-AKW-Brokdorf-1981,brokdorfdemonstration101.html (letzter Zugriff: 17. Mai 2021); z. B. https://www.br.de/mediathek/video/dokumentation-atom-streit-in-wackersdorf-die-geschichte-einer- (letzter Zugriff: 17. Mai 2021); z. B. https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Albrecht-wir-kommen-Gorleben-Protest-in-Hannover,gorleben240.html (letzter Zugriff: 17. Mai 2021). Exemplarisch zeugen auch wissenschaftsjournalistische Publikationen von einer starken emotionalen Aufladung im Umgang mit Kernkraft, so etwa mit Blick auf Titel wie Der unsichtbare Tod. Die Angst des Bürgers vorm Atom (Barthel et al., 1979).
In der jüngeren sozialwissenschaftlichen Endlagerforschung wird davon ausgegangen, dass Endlagerprojekte weder auf ein naturwissenschaftlich-technisches Problem, noch auf ein rein gesellschaftlich-politisch lösbares Problem reduziert werden können, sondern vielmehr als soziotechnische Herausforderung oder auch soziotechnisches System im Sinne einer Verschränkung beider Sphären zu konzipieren sind (Landström und Bergmans, 2015; Hocke, 2016).
Unter anderem vor dem Hintergrund der historisch berühmt gewordenen Proteste und Aktionen der Antiatomkraftbewegung soll das seit 2017 in überarbeiteter Form in Kraft getretene Standortauswahlgesetz (StandAG) das Verfahren zur Findung eines nationalen Endlagerstandortes unter Einbezug der Mitwirkung der Bürger:innen regeln. Vorausgegangen sind den Überarbeitungen des Gesetzestextes von 2017 die Ergebnisse Kommission Lagerung hoch radioaktive Abfallstoffe, die über geologische und technische Fragen der Endlagerung beraten und Empfehlungen zu Möglichkeiten der Partizipation von Bürger:innen und zur Bereitstellung von Informationen für die Öffentlichkeit abgegeben hat. Dabei wird seitens der Kommission von einem von vornherein konfliktbehafteten Verfahren ausgegangen, an dessen Ende ein zu erzielender gesellschaftlicher Konsens stehen soll.
Die Studie ist als genuin ethnografische Studie angelegt, die keinen starken theoretischen Diskursbegriff voraussetzt, sondern die zunächst dem Diskursverständnis der Teilnehmer:innen folgt und dieses unter Einbezug dokumentenanalytischer Verfahren zum Gegenstand der Analyse macht (s. Kapitel 2).
Der Aufsatz wagt eine multiperspektivische Untersuchung von Affekten und Emotionen, indem er einmal der „Diskursivierung von Emotionen“ (Reckwitz, 2016:168) folgt und zugleich vor dem Hintergrund einer praxistheoretisch eingebetteten Perspektive „Affekte als körperliche Erregungszustände“ (Reckwitz, 2016:168) fasst, die weniger rein sprachlich vermittelt, sondern vielmehr praktisch aufgeführt und in Interaktion zur Darstellung gebracht werden. Vor diesem Hintergrund geht der Beitrag davon aus, dass Emotionen in diskursivierbare Artefakte übersetzt werden können, indem sie etwa als Angst oder Wut benennbar und damit besprechbar werden. Affekte hingegen zeigen sich in ihrer situativ praktischen und interaktiven Darstellung nicht selten als unspezifischer sowie ambivalenter und bergen zum Teil auch subtiles Potenzial, was sie mehr im Tun/Tätigsein als im Sprechen darüber hervortreten lässt.
Cord Drögemüller (2016:189) weist darauf hin, dass das Stand-AG auch eine politische Reaktion „auf die von der Europäischen Union (EU) verabschiedete Richtlinie 2011/70/Euratom“ ist, nach welcher die Staaten, die Kernenergie nutzen, dazu aufgefordert waren, bis August 2015 nationale Programme für die Entsorgung ihrer radioaktiven Abfälle vorzuweisen.
Eine Referenz für den Appell an die Übernahme von Verantwortung, die im Bericht der Kommission genannt wird (Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe, 2016:20, 128ff.), ist die Ethik von Hans Jonas (2020) [1979], die auch als Reaktion auf „Das Prinzip Hoffnung“ von Ernst Bloch eingeordnet werden kann.
Die Etablierung eines Nationalen Begleitgremiums ist im StandAG unter § 8 verankert – siehe Absatz 1: „Aufgabe des pluralistisch zusammengesetzten Nationalen Begleitgremiums ist die vermittelnde und unabhängige Begleitung des Standortauswahlverfahrens, insbesondere der Öffentlichkeitsbeteiligung, mit dem Ziel, so Vertrauen in die Verfahrensdurchführung zu ermöglichen. Es kann sich unabhängig und wissenschaftlich mit sämtlichen Fragestellungen das Standortauswahlverfahren betreffend befassen, die zuständigen Institutionen jederzeit befragen und Stellungnahmen abgeben. Es kann dem Deutschen Bundestag weitere Empfehlungen zum Standortauswahlverfahren geben.“
Andreas Reckwitz sieht die Gegenüberstellung von Emotionen und Rationalität sozialtheoretisch nicht zuletzt darin begründet, dass „die klassischen Sozialwissenschaften“ Emotionen und Affekte vielmehr a priori als Eigenschaften des Individuums vorausgesetzt haben, oder sie als biologische Verfasstheiten naturalisiert haben. Beide Richtungen gehen folglich mit einer Abwertung des Emotionalen und Affektiven gegenüber „der Rationalität, der Regelmäßigkeit und Kalkulierbarkeit“ (Reckwitz, 2016:167) einher, da Emotionen und Affekte in diesen Lesarten auf vorsoziale Eigenschaften oder Strukturen reduziert werden.