Kiel 1969–2019: Die Zukunft der Geographie liegt auch in ihrer Vergangenheit
Kiel 1969 ist zum Erinnerungsort der Geographie geworden, weil damals die Fetzen flogen. Einschlägig ist die Sitzung, die in einem Kieler Hörsaal stattfand, in der Studierende die Lehre der Hochschulgeographie zerpflückten. Das tönt spannend, auch noch im Rückblick, auch wenn die offizielle Dokumentation dieses Disputs (Meckelein und Borcherdt, 1970:191–232) nachträglich redigiert und geschönt wurde (Wardenga, 2021:301). Diese Revolte erschien wie ein „Wunder“, und liess doch viele „Wunden“ zurück (Helbrecht, 2014). Die Intensität der Auseinandersetzung, auch der Abwehrkämpfe danach, begründen die „Arbeit am Mythos“ (Blumenberg), der mit „Kiel 1969“ verbunden wird (Korf, 2014). Was das Wirkungspotential eines Mythos ausmacht, so Blumenberg (1971 [1990]:34), ist „die Implizität der Fragen, die in der Rezeption und ihrer Arbeit an ihnen entdeckt, ausgelöst, artikuliert werden“. In diesem Sinn möchten wir zum Abschluss dieses Diskussionsforums zu „Kiel 1969 – ein Mythos?“ denjenigen Fragen nachgehen, die in der „Arbeit am Mythos ‚Kiel 1969‘“ entdeckt, ausgelöst und artikuliert wurden.
Kiel 1969 steht heute für eine grundlegende Kontroverse über die theoretische und epistemologische Ausrichtung der Geographie. „Nach diesem Massstab müsste Schurr vs. Weichhart – Kiel 2019 enttäuschen: kein grosser Streit … zu viel Wohlwollen“, schreibt Matthew Hannah in seinem Kommentar des Dialogs zwischen Carolin Schurr und Peter Weichhart, der auf dem Deutschen Kongress für Geographie 2019, 50 Jahre nach „Kiel“, stattfand (Schurr und Weichhart, 2020). Dialog, nicht Streitgespräch. Hannah meint dies durchaus positiv: Ihm geht es um eine neue Haltung der Aufmerksamkeit gegenüber den Grenzen des eigenen Wissens und um einen reflektierten Sinn für „positionale Differenzierung“ (Hannah, 2020:323). Dazu sei der Sprachgebrauch stetig zu überprüfen, um unwürdige, trivialisierende Unterstellungen gegenüber anderen Positionen zu unterlassen. Zurückhaltung als epistemische Tugend oder ein Denken, das ohne Konturen bleibt? Ulrich Eisel hat diese Konstellation mit deutlich skeptischerem Unterton so charakterisiert:
[D]as Paradigma selbst ist diffus, und es ist schick, sich um Fachabgrenzungen nicht mehr zu kümmern. Das nutzen die Querdenker, aber sie stehen zu nichts mehr quer (Eisel, 2014:316).
„Kiel 1969–2019“ wirft die grundlegende Frage auf, welchen Platz Streitlust in der fachlichen Auseinandersetzung heute hat oder haben sollte: 1969 ging es um die grundsätzliche Frage, was den theoretischen Kern der (Human-) Geographie ausmacht, denn „auch Länder- und Landschaftskunde sind … das Produkt von Theoriearbeit. Es stellt sich somit nicht die Frage ob, sondern wie Theorie betrieben wurde“ (Werlen, 2014:296). 2019 scheint diese Grundsatzfrage durch gegenseitiges „Wohlwollen“ elegant umschifft worden zu sein. Aber ist dadurch die Frage obsolet geworden? Benötigen wir keine Kontroversen mehr über die grundlegende theoretische Ausrichtung des Faches? Die Frage, was den theoretischen Kern der Humangeographie heute ausmacht, wird oft über den Truismus „geography is what geographers do“ aus dem Weg geräumt. Aber ist es sinnvoll und nutzbringend für die interne Diskurskultur, wenn grundlegende Kontroversen ausbleiben und verschiedene Theorieströmungen es sich behaglich im von Weichhart so bezeichneten „Multiparadigmenspiel“ nebeneinander einrichten?
Für uns ist nicht der Paradigmenpluralismus das Problem, sondern eher die implizit akzeptierte „Sprachlosigkeit“ zwischen den nebeneinander bestehenden Denkstilen und Denkkollektiven, die dazu führt, grundlegende Fragen über die theoretische Ausrichtung des Faches „Humangeographie“ nicht mehr oder nur innerhalb eines Paradigmas zu führen. Was dabei zu kurz kommt sind Reibungen und Irritationen, die durch eine Auseinandersetzung mit Arbeiten und Denkstilen anderer Paradigmen theoretisch produktiv werden können. Solche Kontroversen erfordern jedoch eine grundsätzliche Offenheit gegenüber anderen Denkstilen und Denkkollektiven. Eine Möglichkeit, diese Offenheit zu vermitteln und eine gemeinsame Basis für die innerfachliche Kontroverse herzustellen, ist der Bezug auf die Disziplingeschichte und einen geteilten disziplingeschichtlichen Kanon.
Weder die deutschsprachige noch die anglophone Geographie hat eine positive Beziehung zu ihrer Disziplingeschichte entwickelt (Keighren et al., 2012; Powell, 2015). Eine Auseinandersetzung mit zentralen Figuren und vergangenen Denkstilen findet zwar statt, aber nur vereinzelt mit dem Ziel, innerfachliche Theoriedebatten der Gegenwart zu inspirieren. Ganz anders die Soziologie, die sich immer wieder an ihren kanonischen Figuren in kritischer Absicht abarbeitet: Émile Durkheim, Karl Marx und Max Weber werden dort nicht als „Antiquitäten“ oder peinliche Alte in die Ecke gestellt, sondern als Zeitgenossen in ein kritisches Gespräch eingebunden (vgl. dazu Powell, 2015:5). Ist so etwas mit Friedrich Ratzel oder Alfred Hettner vorstellbar? Wohl kaum. Während sich die soziologische Theorie an ihrem Kanon als Reibungszone immer wieder irritieren und inspirieren lässt, fehlt dieser Denkstil einer „argumentativen Gymnastik“ des „sich am Kanon abarbeiten“ weitgehend in der Geographie (vgl. dazu kritisch: Schlottmann, 2005:268).
Stattdessen wird in der deutschsprachigen Geographie die Vergangenheit meist in pejorativer Absicht betrachtet: als etwas, das man besser hinter sich lässt, weil es entweder als politisch verseucht (Geopolitik) oder als theoretisch seicht (Länderkunde, Landschaftsgeographie) angesehen wird. Diese Urteile sind sicher nicht unberechtigt, werden jedoch mitunter gefällt, ohne dass die entsprechenden Texte überhaupt gelesen wurden: Aneignung des Vergangenen, so schreiben Korf und Wardenga (2021:383), „findet in der Geographie vorwiegend durch ein Othering statt. Klassiker lesen scheint dabei keine Tugend zu sein.“
Dies zeigt sich sehr deutlich in der Erinnerungspolitik zu „Kiel 1969“, in der die Länderkunde und Landschaftsgeographie ohne genauere Lektüre abgewertet wurde, wie Ute Wardenga am Beispiel von Alfred Hettner gezeigt hat (Wardenga, 1996). Zwar richtete sich der Frust der Studierenden gegen diese Form von Geographie, wie sie in der Hochschullehre und dem Schulunterricht noch vermittelt wurde, jedoch wurde „weder in der Wirtschaftsgeographie noch in der Sozialgeographie, noch in Teilen der physischen Geographie […] jene Länderkunde betrieben, die Zielscheibe des Angriffs war“ (Michel, 2014:302), wie Boris Michel mit Verweis u. a. auf den Tagungsband des Kieler Geographentags (Meckelein und Borcherdt, 1970) und auf interne Fachdiskussionen, die sich kritisch mit der Länderkunde auseinandersetzten, anmerkt. Dennoch bot sich die „Länderkunde“ als Popanz in innerfachlichen Kontroversen an – mit problematischen Folgen:
Das Ausmass jedoch, in dem innerhalb der Geographie Geschichtsbilder auf die jeweils gängige Mode zurechtgetrimmt und dann als Kampfmittel im Zuge der Durchsetzung neuer Ideen instrumentalisiert werden, sollte zu denken geben (Wardenga, 1996:14).
Woody Sahr fordert deshalb:
[M]achen wir uns einmal nicht lustig über die lächerlichen Rückzugsgefechte der Länder- und Landschaftskundler (Sahr, 2016:79).
Bislang findet sich in der deutschsprachigen Geographie jedoch eine Praxis des Theoretisierens, die sich in einem Präsentismus oder gar Futurismus gefällt. Disziplingeschichte, wenn sie überhaupt noch erzählt wird, tritt dann in den Kleidern einer Fortschrittsgeschichte auf, in der sich die wissenschaftliche Erkenntnis Schritt für Schritt „verbessert“ und dann im jeweiligen „neuesten“ Paradigma ihren Höhepunkt erreicht. Diese Art Geographiegeschichte finden wir beispielsweise in den disziplinhistorisch strukturierten Lehrbüchern von Werlen (2000) oder Weichhart (2008 und später), die ihren Durchgang durch verschiedene Ansätze und Paradigmen in der deutschsprachigen Geographie jeweils auf einen theoretischen Höhepunkt zulaufen lassen. Vielleicht hängt dieser Gestus mit der von Ute Wardenga identifizierten Wende des Temporalitätsregimes der Geographie zur Leitunterscheidung „Gegenwart/Zukunft“ zusammen, die sie um „Kiel 1969“ verortet (Wardenga, 2020:2 ff.).
Durch diese Leitunterscheidung „Gegenwart/Zukunft“ geraten nicht zuletzt solche Arbeiten aus dem Blick, die sich immer schon quer zu den Moden ihrer Zeit bewegt haben. So erscheint es uns etwa als vertane Chance, dass die Arbeiten von Gerhard Hard spätestens mit dem einsetzenden Interesse an konstruktivistischen Perspektiven in der Humangeographie nicht tiefgehender rezipiert wurden, nimmt er doch gewissermassen den „linguistic turn“ der geographischen Welterschliessung vorweg. Benno Werlen diagnostiziert:
Die Bedeutung der sprachtheoretischen Wende, die Hard für die Landschaftsforschung vollzogen hat, ist in der Geographie lange Zeit gar nicht als solche registriert worden (Werlen, 2009:16).
Statt jedoch die Originalität des Ansatzes zum Anlass einer kreativen Fortschreibung zu nehmen, wurde eher nach Unzulänglichkeiten in Hards Konzept des „Spurenlesens“ (Hard, 1995) gefahndet und in Abgrenzung argumentiert, das Konzept sei nicht „konsequent genug“ für eine konstruktivistisch und poststrukturalistisch neu ausgerichtete Humangeographie. So kritisiert Sahr, Hards Kritik der Fachsprache der Geographie habe „einen unterhöhlten Boden“ eines „postmodernen Elitismus“ (Sahr, 2016:82). Dies betreffe insbesondere seine „Spurenlese“: Immer wieder durchbrächen dort „emotional erfahrbare Faktizitäten die semiotische Oberfläche“ (Sahr, 2016:82). So wird Hards „semiotische Distanzierung“ (Sahr, 2016:82) dann doch eher historisiert statt als Vorläufer des linguistic turn theoretisch ernst genommen, der, wie Benno Werlen anmerkt, „in der internationalen Debatte erst Jahrzehnte später Fuss fasste“ (Werlen, 2014:296).
Der Duktus des Präsentismus trifft nicht nur „die Alten“ vor 1969. Auch Benno Werlens Handlungstheorie musste letztlich diesen Präsentismus der Geographie erfahren: Schon wenige Jahre, nachdem seine grundlegenden Arbeiten zur Handlungstheorie ab 1995 erschienen und auf dem Deutschen Geographentag in Bonn 1997 kontrovers und prominent diskutiert worden waren (Meusburger, 1999), setzte die Neue Kulturgeographie, die sich poststrukturalistisch verortete, andere Schwerpunkte, die mit der Handlungstheorie eher inkompatibel waren. Zwar erhielt Werlen auf den einschlägigen Tagungen und Foren eine prominente Rolle, aber seine Handlungstheorie wurde kaum noch als leitende Theorie in empirischen Forschungen angewandt, da sich seine Ontologie des Subjektes fundamental von einer poststrukturalistischen Lesart unterscheidet.
Diese Dissonanz zwischen Handlungstheorie und Poststrukturalismus wurde aber nicht als Kontroverse ausgetragen (und damit produktiv gemacht), sondern eher stillschweigend vollzogen. Sahr sieht es so:
Zwar scheint es, als ob niemand Benno Werlens Ansatz so ganz bedingungslos folgen kann. Doch die heroisch ertragene Einsamkeit […] trägt als Zitatphänomen zur Mythologisierung bei. Sie distanziert den Ansatz an sich, und mythologisiert zugleich den Helden als radikalwiderständigen Recken (Sahr, 2016:84).
Sahr warnt eindringlich vor einer solchen Mythologisierung:
Entleert der konkreten Argumentation und entortet der konkreten Person […] scheinen wir wieder am Beginn einer neuen Leere zu stehen, die sich diesmal aber als Folge einer überbordenden Fülle in Freiheit zeigt (Sahr, 2016:84).
Als Lehre aus dem Diskussionsforum „Kiel 1969 – ein Mythos?“ ziehen wir deshalb das Plädoyer für eine kritisch-hermeneutische Lektüre des älteren und jüngeren Kanons der Geographie, die gleichermassen skeptisch wie offen vorgeht. Eine Praxis der „strategischen Kanonisierung“, wie sie Barnes (2015:95) vorschlägt, ermöglicht kreative Räume der Wiederaneignung theoretischer Gedanken aus der Vergangenheit. Diese „strategische Kanonisierung“ – in Analogie zu Gayatri Spivaks strategischem Essentialismus – ist sich bewusst, dass es nicht „den einen, definitiven“ Kanon der Geographie gibt, sondern dass die Frage nach dem Kanon notwendigerweise Gegenstand ergebnisoffener Kontroversen bleiben muss. Zugleich erlaubt aber eine taktische Aneignung von Teilen des Kanons das Bohren von „Wurmlöchern“ in die Vergangenheit (Folkers, 2013:17), aus deren Optik sich theoretische Inspirationen und Irritationen ziehen lassen.
Gibt es noch etwas, das wir von Hettner oder „der Länderkunde“ lernen können? Die Beantwortung dieser Frage müssen wir an dieser Stelle zurückstellen, denn sie würde nur nach einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Texten und Debatten der Vergangenheit möglich werden. Jürgen Hasse vermutet jedoch, dass der „Mythos Kiel“, der seiner Einschätzung nach einen nicht-idiographischen Denkstil in der Geographie befördert hat, einer Neubewertung der Länderkunde im Weg steht:
Inwieweit auch eine progressive Neubewertung der Länderkunde bzw. idiographischer Methoden der Raumanalyse in diesem utopischen Denken einen Platz finden könnte, muss – solange der Mythos lebt – eine offene Frage bleiben (Hasse, 2014:311).
Jüngere ethnographische oder geisteswissenschaftlich orientierte Arbeiten greifen diese Frage nach einem idiographischen Denkstil in der Humangeographie wieder auf (vgl. Verne, 2012; Korf und Verne, 2016).
Zugleich warnt Boris Michel vor einer unkritischen Aneignung länderkundlicher Denkmuster, die er in bestimmten neueren Theorieströmungen ausmacht:
Dagegen … gälte es beispielsweise die Kontinuitäten und Reaktivierungen länderkundlicher Motive zu reflektieren, wie diese möglicherweise in einer vielfach um Unmittelbarkeit und Ganzheitlichkeitsversprechen bemühten Anwendung des Assemblage-Begriffs oder in non representational theories in der Geographie aufscheint (Michel 2014:303).
Aus diesen durchaus gegenläufigen Einschätzungen lässt sich zumindest schliessen, dass sich eine intensivere Lektüre des Kanons der Länderkunde lohnen könnte, um Potentiale und Grenzen idiographischer Denkstile auszuleuchten.
Eine strategische Kanonisierung kann auch ein Weg sein, klassische Figuren der Sozialtheorie neu zu lesen und für die Geographie anzueignen. So diskutiert Runkel (2017) den Begriff der Monade (bei Leibniz) und deren Weiterentwicklung bei Gabriel Tarde über den „Umweg“ einer Kontroverse zwischen Jürgen Pohl und Benno Werlen. Werlens Kritik an Pohl, dieser argumentiere eigentlich „geodeterministisch“, kontert Runkel, Werlen sei „die Pointe der leibnizischen Monadologie [abhandengekommen]“ (Runkel, 2017:60). Im Anschluss daran bringt Runkel Pohls Programm einer idiographisch-hermeneutischen Geographie ins Gespräch mit der Neo-Monadologie von Gabriel Tarde und entwickelt Pohls Ansatz in eine „monadologische Sozialgeographie“ (Runkel, 2017:67) weiter, die die „unzähligen Geschichten der Welt“ erfassbar macht.
Eine strategische Kanonisierung kann auch politisch umstrittene Figuren einschliessen. So wie man „mit Heidegger gegen Heidegger“ (Habermas, 1981:72; Bourdieu, 1976) oder „sowohl mit als auch gegen Schmitt“ (Mouffe, 1999:6) denken kann (aber nicht muss), könnte es interessant sein, „mit Ratzel gegen Ratzel“ zu denken (vgl. Korf, 2014b:145). Einen solchen Schritt unternimmt Verne (2017), die Ratzel kosmopolitisch und postkolonial auslegt. Dazu erschliesst Verne diejenigen Schriften Ratzels, die in der Geographie eher seltener rezipiert werden, in denen er sich mit der Frage der Diffusion materieller Kultur auseinandersetzt. Verne lokalisiert diesen Ratzel alongside Latour und Deleuze, um ihn für eine relationale Raumtheorie produktiv zu machen. Neben der weit verbreiteten Lesart Ratzels, die vor allem den Rassismus in seinen geodeterministischen Argumentationen freilegt und seine Legitimation imperialer Raumnahme betont (siehe zuletzt: Klinke, 2023), etabliert sie damit weitere Ansatzpunkte der Auseinandersetzung. Die Kritik an Ratzel lässt sie dabei nicht hinter sich, eröffnet zugleich aber das Feld für eine andere theoretische Debatte.
Diese beiden Beispiele einer Relektüre des jüngeren und älteren „Kanons“ der deutschsprachigen Geographie verstehen wir auch als Einladung zur Kontroverse. Sie fordern dazu auf, „vor“ 1969 zurückzuschauen und „Wurmlöcher“ in die Vergangenheit zu graben, um sich kreativ und nicht nur pejorativ mit der Disziplingeschichte der Geographie auseinanderzusetzen. „Fragt man nach Kiel“, so Eisel (2014:317), „dann stellt man die Frage danach, wie es wohl wäre, wenn man im Alten und Neuen verwurzelt wäre“. Und Simon Runkel begründet seine „Verknüpfung des monadologischen Entwurfs einer (Human-)Geographie als hermeneutische Wissenschaft durch Pohl mit den genannten aktuellen Sozialtheorien“ damit, dass dadurch „die Kontinuität innerfachlicher Debatten dargestellt werden kann“ (Runkel, 2017:53).
Wenn solche Wurmlöcher in die Vergangenheit aus verschiedenen Denkkollektiven heraus gegraben würden, könnte sich daraus auch wieder eine denkstilübergreifende Theoriedebatte entzünden – vielleicht kontrovers, vielleicht vermittelnd, auf jeden Fall sicher inspirierend und das Gespräch fördernd, wenn der Blick mit Offenheit und Neugier betrieben wird. So könnte dann die Zukunft der Geographie – und der spannendsten Theoriedebatten – auch in ihrer Vergangenheit liegen. Und „Kiel 1969“ mehr werden als nur ein nostalgischer Erinnerungsort.