Book review: Das Ende rechter Räume. Zu Territorialisierungen der radikalen Rechten
Autor*innenkollektiv Terra-R: Das Ende rechter Räume. Zu Territorialisierungen der radikalen Rechten, Münster, Westfälisches Dampfboot, 288 pp., ISBN 9783896911377, https://doi.org/10.56715/978398634192, EUR 30,00, 2025.
Die extreme Rechte, ihre Ideologien und Alltagspraktiken sind auf das Engste mit Fragen nach dem Raum, mit räumlichen Gelegenheitsstrukturen und konkreten Orten verknüpft. In der Vorstellung von einem „Lebensraum“, die der völkische Nationalismus seit dem späten 19. Jahrhundert verwendet, kommt dem Raum sogar eine identitätsstiftende Funktion zu (Weiß, 2017, S. 189). In den Politik- und Sozialwissenschaften, v.a. in der Humangeographie und Sozialanthropologie, wird der Zusammenhang zwischen Raum und extremer Rechter seit einigen Jahren theoretisch fundiert und empirisch systematisch erforscht (u. a. Quent und Schulz, 2015; Rodríguez-Pose, 2020; Mullis und Miggelbrink, 2022). Andere Disziplinen wie die Geschichtswissenschaft entdecken den Gegenstand erst in jüngster Zeit (vgl. den Workshop „Die extreme Rechte und der Raum nach 1945“, 13./14. März 2025, https://www.hsozkult.de/event/id/event-152898, letzter Zugriff: 1. Juli 2025).
Während eine raumtheoretisch geleitete Erforschung der extremen Rechten ermöglicht, grundsätzlichen Fragen nach unterschiedlichen Raumvorstellungen und -typen sowie Modi der Raumproduktion und -aneignung nachzugehen, läuft sie bisweilen Gefahr, die Dynamiken und Vielschichtigkeiten der Prozesse zu reduzieren (S. 9). Das gilt in zweierlei Hinsicht: Zum einen finden auf der Ebene des Untersuchungsgegenstands häufig die Vorstellungen und das Handeln der extremen Rechten größere Beachtung als etwa die ihrer Gegner*innen. In der Folge werden Narrative und Sichtweisen wie die einer „rechten Landnahme“ unkritisch übernommen, wodurch einzig die Erfolge der extremen Rechten in den Blick geraten, während Misserfolge kaum Beachtung erhalten. Zum anderen kommt es auf der Beschreibungsebene zu unzulässigen Homogenisierungen, weil Begriffe und Konzepte verwendet werden, die vereinheitlichen, wo es eigentlich zu differenzieren gilt. Dieses Problem teilt die Wissenschaft mit der öffentlichen Debatte um „rechte Räume“. Dort zeigt sich eine Tendenz zur Verallgemeinerung etwa in Wahlkarten, die wie jüngst wieder bei der Bundestagswahl suggerieren, Ostdeutschland sei fest in der Hand der AfD.
Beiden Herausforderungen möchte der vorliegende Band „Das Ende rechter Räume“ des Autor*innenkollektivs Terra-R, das auf das von der DFG geförderte Forschungsnetzwerk „Territorialisierungen der radikalen Rechten“ zurückgeht, begegnen. Entgegen der Erwartung, die der Buchtitel weckt, geht es den Autor*innen keineswegs darum, ein Ende rechter Mobilisierung und Raumaneignung zu postulieren. Vielmehr geht es ihnen darum, „mit den Vereinfachungen, Verdinglichungen und Verdrängungen aufzuräumen, die mit einem Sprechen über rechte Räume zu oft einhergehen“ (S. 235). Um dies zu erreichen, verwenden sie das Konzept der „Territorialisierung“, dessen Inhaltsbestimmung sie in einem einleitenden Kapitel aus zwei unterschiedlichen Forschungstraditionen herleiten: In der spanisch- und portugiesischsprachigen Forschung beschreibt der Begriff „territorio“ bzw. „território“ den vermachteten Prozess, mit dem Menschen – gerade auch durch den Einsatz ihrer Körper – in der Auseinandersetzung miteinander Raum herstellen. Das aus der angelsächsischen Tradition stammende Konzept „territory“ wirft hingegen eine kritische Sicht auf räumliche Konzepte und Begriffe wie Staat, Eigentum usw. und den ihnen inhärenten (kapitalistischen) Machtlogiken. Mit ihrem doppelt fundierten Territorialisierungs-Begriff stellen sich die Autor*innen in die Tradition einer kritischen Raumforschung, die die vielschichtigen Ebenen der sozialen und kulturellen Raumproduktion untersucht. Dass sie in der Publikation durchgängig die originalsprachlichen Begriffe verwenden anstatt sie mit dem deutschen Begriff „Territorium“ zu übersetzen, ist konsequent, wenn man dessen äußerst problematische Karriere in der Politischen Geographie und v.a. im Nationalsozialismus bedenkt.
Die Autor*innen fokussieren mit ihrem Konzept also sowohl auf die „Territorialisierungen vonseiten [als auch] bezüglich der radikalen Rechten“ (S. 20). Wie beide zusammenspielen (können), illustrieren sie an Beispielen aus vier Dimensionen territorialer Praxis: der performativen, affektiven, imaginativen und infrastrukturellen Ebene. In einem ersten Kapitel befassen sie sich mit „Praktiken performativer Territorialisierung“ (S. 52), worunter alle interaktiven und sich wiederholenden, meist körperlichen Handlungen gefasst werden, durch die sich die extreme Rechte in aktiver Auseinandersetzung Raum temporär aneignet. Solche Prozesse unterliegen stets einer mehrfachen Dynamik, weshalb die Autor*innen zurecht die oft verwendete, vereinfachte Rede von „rechter Landnahme“ oder „Raumergreifung“ ablehnen. Wie komplex die Sache in der Regel ist, beschreiben sie am Beispiel des Protestgeschehens gegen die Maßnahmen in der Corona-Pandemie in Sachsen. Dort wurden lokale Initiativen, die zunächst in imaginierter Tradition zu den Montagsdemonstrationen der späten DDR sowie in loser Anlehnung an die PEGIDA-Proteste gegründet wurden, von der radikal rechten Kleinstpartei Freie Sachsen im Februar 2021 aufgegriffen und gebündelt. Indem sie die Proteste als „Spaziergänge“ framten, verharmlosten sie diese, wodurch sie nicht nur staatliche Kontroll-und Verbotsversuche umgingen, sondern sie für viele Menschen in Sachsen anschlussfähig machten. Die „Spaziergänge“ wirkten als performative Territorialisierungspraktiken in erster Linie durch die schiere Masse der anwesenden Körper, wobei es am Rand der Veranstaltungen auch zu gewaltsamen Handlungen v.a. gegenüber der Presse kam. Staatliche Institutionen taten das ihre, damit die radikale Rechte in Sachsen sich auf diese Weise temporär Raum aneignen konnte. Während lokale Politiker*innen die Proteste oft unterstützten, hielt sich die Polizei in der Regel – nicht zuletzt aufgrund von Personalmangel – zurück und schuf damit letztlich erst einen Möglichkeitsraum.
Neben den performativen Territorialisierungspraktiken befassen sich die Autor*innen ausführlich mit drei weiteren Dimensionen: Mit der affektiven Ebene, die auf das Engste mit der performativen verbunden ist, adressieren sie die Frage, wie die extreme Rechte die Gefühle von Menschen anspricht, um sie für ihre Ideen und Projekte zu gewinnen. Ein Beispiel der jüngeren Vergangenheit, an dem sichtbar gemacht wird, wie dies funktioniert, ist die Herausbildung einer eigenen ostdeutschen Identität seit den 1990er Jahren. Mit der Gefühlsebene verbunden sind wiederum imaginative Territorialisierungen. Vorstellungen und Erzählungen der radikalen Rechten basieren in der Regel auf einem dichotomen Gegensatz vom Eigenen und Anderen, wie er im eingangs skizzierten Konzept des völkischen Lebensraums beispielhaft zum Ausdruck kommt. Die extrem rechten Ideale und Narrative bilden nicht nur häufig die Grundlagen für (gewaltsames) Handeln. Sie sind zugleich in der Regel anschlussfähig an Debatten und Diskurse anderer gesellschaftlicher Gruppen v.a. aus dem konservativen Spektrum, wie sich am Beispiel der Corona-Proteste in Sachsen zeigte. Um ihre Botschaften zu transportieren, bedarf die radikale Rechte Infrastrukturen, d.h. technischer Medien wie Zeitungen, Plakate und Online-Plattformen sowie soziale Elemente, also die Anwesenheit und das Engagement von Menschen. Den infrastrukturellen Territorialisierungen nimmt sich der Band in einem weiteren Kapitel am Beispiel radikal rechter Medienlandschaften sowie der Vereinnahmung von Diskussionen um lokale (Verkehrs-)Infrastrukturen an.
Bevor die Autor*innen am Ende des Bandes die Tragfähigkeit ihres konzeptionellen Entwurfs selbst kritisch reflektieren, dokumentieren sie in drei Kapiteln den Austausch, den sie mit anderen Gruppen darüber geführt haben. Die Gespräche sind Ausdruck der kollektiven Arbeitsweise, die dem Band insgesamt zugrundeliegt und die mit der Vorstellung verbunden ist, dass wissenschaftliches Arbeiten und gesellschaftliches Engagement auf das Engste miteinander verflochten sind. Entsprechend suchten die Autor*innen des Terra R-Kollektivs u.a. den Austausch mit Aktivist*innen der Initiative AIS (antifaschistisch, initiativ, solidarisch) aus dem Saale-Holzland-Kreis sowie dem Sozial Ökologischen Zentrum in Dortmund. Mit ihnen tauschten sie sich u.a. über die Bedeutung von materiellen Räumen für ihre Arbeit aus. In einem zweiten Gespräch mit dem Zetkin Collective, das 2018 an der schwedischen Universität Lund ins Leben gerufen wurde, geht es u.a. um die Zusammenhänge von rechten Ideologien und Umweltthemen. Als besonders ertragreich erweist sich der Austausch mit dem Colectivo Miradas Feministas und dem Colectivo de Geografía Crítica del Ecuador. Diese beiden Kollektive stellen in Erweiterung des zugrundeliegenden Territorialisierungsverständnisses das Konzept des cuerpo-territorio vor. Dieses rückt die (körperlichen) Widerständigkeiten in den Fokus, die radikal rechten (Körper-)Politiken entgegengesetzt werden können.
Die Auseinandersetzung mit anderen Gruppen und Kollektiven verweist bereits darauf, wie das vorgelegte Territorialisierungskonzept modifiziert bzw. erweitert werden könnte. Es seien hier drei Aspekte genannt, an denen weitergedacht werden könnte: Erstens bedürfte es weitergehender theoretischer Überlegungen, wie die verschiedenen Dimensionen territorialer Praktiken aufeinander bezogen sind. Hier lässt der Band Leerstellen, was erstaunt, wird das Zusammenspiel in den konkreten Fallbeispielen doch äußerst differenziert dargestellt. Zweitens wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Frage eingehender diskutiert worden wäre, in welchem Maß die vorgestellten Territorialisierungspraktiken als spezifisch „(radikal) rechts“ zu betrachten sind. Kritisch gelte es zu fragen, ob sie nicht viel eher Ausdruck allgemeiner Aushandlungsmodi der „westlichen Moderne“ und ihrem kapitalistisch, demokratisch-liberalen Gesellschaftmodell sind, wodurch sich auch die Anschlussfähigkeit der Handlungen der extremen Rechten an allgemeine gesellschaftliche Praktiken erklärt. Drittens stellt sich schließlich die Frage, ob es tatsächlich des Begriffs der Territorialisierung bedarf, um die eingangs erwähnten Ebenen sozialer Raumproduktion kritisch zu diskutieren. Sind diese nicht in einer kritischen Raumtheorie selbst bereits angelegt?
Die aufgeführten Punkte sind keineswegs als eine grundsätzliche Kritik an dem vorliegenden Band zu verstehen. Vielmehr verdeutlichen sie, wie sehr dieser zum kritischen Weiterdenken anregt. Die Kritik und Fragen, die der Band in Bezug auf den bisherigen Umgang mit „rechten Räumen“ – sowohl in der Wissenschaft als auch im öffentlichen Diskurs – aufwirft, sind absolut berechtigt. Die Autor*innen des Bandes erheben nicht den Anspruch, fertige Antworten zu präsentieren. Sie unterbreiten mit ihrem doppelt begründeten Konzept der Territorialisierung ein theoretisch und empirisch fundiertes Angebot und fordern zur Diskussion auf. Diese ist ihnen und uns zu wünschen – und dem Band viele interessierte und kritische Leser*innen.