Articles | Volume 77, issue 4
https://doi.org/10.5194/gh-77-459-2022
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01 Nov 2022
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Anthropogeographie im Anthropozän, der Anthropos und darüber hinaus: Lektüre von Helmuth Plessner

Serge Middendorf, Sebastian Purwins, and Christina Walter
Kurzfassung

Questions centered around the „Anthropos in the Anthropocene“ are particularly virulent in Anthropogeography. While the discussion about More-Than-, Post- or Other-Than-Human is present and vivid especially in anglophone theoretical discourse as well as in New Materialism, the German-speaking representative of a Philosophical Anthropology Helmuth Plessner has hardly received any attention. His concept of Eccentric Positionality, among others, seems to be particularly appropriate and striking in this context. Plessner has made remarkable attempts in approximating the essence of the human being and his fellow world, without lapsing into existentialism or making under-complex differentiations. His dialectical, oscillating definition of „Menschlichkeit“ between „Un-“ and „Allzumenschlichkeit“ has great potential for differentiation and insight. This article is intended to re-examine Plessner's Philosophical Anthropology against this background and to encourage new „dives“ in the sense of a German Theory into his, in our view, highly interesting field of Philosophical Anthropology.

Dates
1 Das Anthropozän als Minimalanthropologie?

Die Popularität des Begriffs des Anthropozäns in der Anthropo-/Humangeographie der jüngeren Zeit hat paradoxerweise nicht unbedingt dazu geführt, die Frage nach dem Anthropos, seinem Einfluss, seiner Verantwortung und – mehr und mehr – seinem Wesen zu stellen. Dies könnte allgemein als Frage nach einer Fundierung in Bezug auf das Wesen des Menschen – jene conditio humana – verstanden werden. Die Disziplin, die sich damit explizit beschäftigt, ist die (philosophische) Anthropologie. Uns erscheint eine Betrachtung einiger dieser Positionen heute relevanter denn je. Durch den Einfluss des New Materialism wird in der Humangeographie jedoch gerade nicht über den Anthropos im Anthropozän, sondern stattdessen intensiv über More-Than-, Post-, Trans-, Non-, Other-Than-Human diskutiert. Korf et al. (2022:90) stellen dazu fest, dass „anti-humanistische Affekt[e] auch im Denkstil des material turn, more-than-human und posthuman geographies“ sichtbar werden. Dabei wird das Menschliche auf merkwürdige Weise als (selbst-)verständlich, fast schon (selbst-)erklärend vorausgesetzt. Paradoxerweise droht so die Frage nach dem Menschlichen zu einer „Art Minimalanthropologie […], die den Menschen, wenn durch nichts Anderes, so doch durch seine Zerstörungskraft in geologischem Ausmaß bezeichnet“ (Bajohr, 2020:10), zu verkümmern. Das Themenheft German Theory erscheint uns in diesem Zusammenhang besonders geeignet, um im Sinne einer „Aneignung oder Wiederaneignung […] bislang vernachlässigten Repertoires“ (Korf et al., 2022:86) erneut die philosophische Anthropologie Helmuth Plessners in den folgenden Kapiteln auf ihren Begriff des Menschen zu befragen.

2 Helmut Plessners Suche nach dem Wesen des Menschen

Helmuth Plessners Schriften sind, neben den Werken von Max Scheler (Die Stellung des Menschen im Kosmos (2010) [1928]), Arnold Gehlen (Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (2016) [1940]) und Ernst Cassirer (Versuch über den Menschen (2007) [1944]) einige der bedeutendsten zur philosophischen Anthropologie1. In seinem umfangreichen Werk2 hat sich Plessner sowohl explizit als auch implizit mit jenen Fragen beschäftigt, die heute als more-than- oder less-than-human thematisiert werden.

2.1 Dialektische Grundbewegung

Plessner erschien bereits damals logisch, dass die Frage beispielsweise nach dem, was menschlich ist, keineswegs eindeutig oder losgelöst von anderen Fragen, beispielsweise nach der, was unmenschlich, was Leben, was eine Pflanze und vieles mehr ist, zu beantworten sei. Ebenso sind für ihn die Fragen nach der hominitas, einem biologischen, mit der Natur verbundenen Erfragen des Menschen, und die Frage nach der humanitas, der soziokulturellen und auch ethischen Suche nach der Bestimmung des Menschen, verquickt: „Hominitas ist nicht mehr gleich Humanitas“ (Plessner, 2017 [1973]:134).

Plessner verfährt grundsätzlich dialektisch und versucht nicht etwa, die Widersprüchlichkeit der Welt aufzulösen, sondern diese als grundlegende Denkbewegung fruchtbar zu machen. Im Gegensatz zu beispielsweise Dilthey (1981) ist Plessner jedoch nicht nur an der Sphäre des Geistes, sondern ganz besonders auch an Themen interessiert, die heutzutage wohl im besten Neudeutsch als down-to-earth bezeichnet würden, also ganz explizit an der Leiblichkeit des Lebens. Dabei ist seine Anthropologie zunächst biologisch fundiert, wenn er fragt: Was bedeutet es und wie ist es möglich, ein Mensch zu sein? Alle Antworten auf diese Fragen, die gefunden werden können, sind dabei immer an unser Mensch-Sein angeknüpft. Es ist daher nicht gleichgültig, wer diese Fragen stellt. Seine philosophische Anthropologie ist daher grundsätzlich am Wesen des Menschen interessiert, nicht bloß an seiner biologischen Form. Die Frage nach eben diesem Wesen ist es, die angesichts der heutigen Debatten eine besondere Dringlichkeit und Bedeutung zu haben scheint.

Plessner deutete dies in seinem soziologischen Werk Die Grenzen der Gemeinschaft (2002 [1924]) bereits an. Er hebt in seinem Werk den Zusammenhang des Menschen mit dem Ganzen hervor, ohne ihn darin auflösen zu wollen. Hierbei sieht Plessner den Menschen in einer Entwicklungslinie allen Lebens, leitet seine Besonderheiten aus den natürlichen Bedingungen hervor und macht doch deutlich, dass diese Besonderheiten etwas ganz und gar Neues sind, die eben nicht allein biologisch erklärt werden können. Die Stärke der Plessner'schen philosophischen Anthropologie scheint uns jenseits ihrer dialektischen Grundbewegung eben die Kombination mit Phänomenologie und Hermeneutik (vgl. Lindemann, 2011:2).

2.2 Positionalität

Für Plessner ist, aufbauend auf seiner dialektischen Grundbewegung, der Begriff der Positionalität von hoher Bedeutung. Positionalität versteht er dabei als Bezug zur Umwelt, wobei die Umwelt für den Selbsterhaltungsprozess genutzt wird. Zunächst unterscheidet Plessner zwischen den belebten und unbelebten Dingen. Belebte Dinge haben eine Positionalität, unbelebte Dinge haben diese nicht. Die verschiedenen Stoffwechsel als Austausch zwischen Belebtem und Unbelebtem konstituieren gleichzeitig die Grenze zwischen Organismus und Umwelt. Plessner wählt hierfür ein Verständnis von Grenze, welches er in einer Änderung der Richtung begreift. An der Grenze ändert sich die Richtung, gewissermaßen die Logik zwischen Innen und Außen. Somit grenzt sich Leben trotz seiner Bedingtheit und Verbundenheit mit der Umwelt auch stets von dieser ab: es besitzt eine Positionalität. Alles Leben ist folglich Grenzrealisierung oder:

Die Art und Weise, wie lebendige Entitäten diese Grenzrealisierung selber vollziehen – sich aktiv auf ihre Umwelt beziehen, mit ihr im Austausch stehen und sich ihr gegenüber abgrenzen – nennt Plessner ‚Positionalität‘ (Manzei, 2015:68).

Unbelebtes hat dagegen keine Positionalität, es hat keinen Stoffwechsel, der seinen eigenen Lebens- und Erhaltungsprozess bedeutet, und es grenzt sich durch diesen auch nicht selbst von der Umwelt ab. Es hat nach Plessner einen Rand, der schlichtweg das Ende seiner Extension bedeutet, aber kein über seinen eigenen Rand hinausgehendes Verhältnis zur Umwelt.

2.3 Organisationsform

Um die bloße Unterscheidung zwischen Belebtem (sowie verschiedenen Formen des Belebten) und Unbelebtem zu verfeinern, führt Plessner die sogenannte Organisationsform als Qualität der Abgrenzung ein. Er unterscheidet im Wesentlichen zwischen Pflanzen (azentrische Positionalität)3, Tieren (zentrische Positionalität), sowie Menschen, die exzentrische Positionalität aufweisen.

Pflanzen sind azentrisch oder offen organisiert, weil sie nicht bewusst zwischen sich und der Umwelt unterscheiden. Plessner versteht dies in dem Sinne, dass sowohl keine Vermittlung zwischen Reiz aus der Umwelt und Reaktion stattfindet, als auch, dass Pflanzen über kein Bewusstsein verfügen. Dies resultiert auch aus der Tatsache, dass Pflanzen kein zentrales Nervensystem ausbilden, wie es beispielsweise bei den Tieren der Fall ist. Tiere sind nach Plessner zentrisch oder geschlossen organisiert. Sie unterscheiden bewusst zwischen sich und der Umwelt. Sie haben ein Bewusstsein und zwischen Reizen aus der Umwelt und Reaktion erfolgt eine Vermittlung, da sie ein zentrales Nervensystem besitzen. Sie sind sich jedoch, obgleich sie ihren Körper spüren, nicht so wie der Mensch hinter sich gekommen. Plessner betrachtet den Menschen als exzentrisch positioniert, weil er nicht nur sich als Körper, sondern auch sich selbst als Subjekt der Reflexion bewusst ist. Er kann, um nur ein Beispiel zu nennen, durch die Fantasie, eigene „Welten“ erdenken und erschaffen4.

Dieses Hinter-sich-Kommen (Plessner, 2016 [1928]) stellt für Plessner eine Besonderheit dar. Der Mensch ist ein Körper, der Teil der Umwelt ist, kann jedoch seinen Körper spüren und als seinen eigenen begreifen, was den eigenen Körper zum Leib macht. Er hat eine Seele, die das Wesen seines Innen bezeichnet, die er jedoch auch zugleich erleben kann. Er erlebt sich selbst als gebrochen zwischen Innen- und Außenwelt und gestaltet durch diesen Bruch gemeinsam mit anderen Menschen seine eigene Mitwelt5, die nicht vorher gegeben ist.

Der Mensch ist Körper, im Körper (als Innenleben der Seele) und außer dem Körper als Blickpunkt, von dem aus [er] beides ist. Ein Individuum, welches positional derart dreifach charakterisiert ist, heißt Person. Es ist das Subjekt seines Erlebens, seiner Wahrnehmungen und seiner Aktionen […]. Es weiß und es will. Seine Existenz ist wahrhaft auf Nichts gestellt (Plessner, 1982:11, H.i.O.).

Eine zentrale Begründung für das, was den Menschen – als Person – ausmacht, ist also das Argument seiner exzentrischen Positionalität. Er ist fähig, aus seiner Mitte herauszutreten, er hat keine gegebene Mitte, er ist gebrochen zwischen einem Innen und einem Außen, er ist sich selbst Grenze und setzt sich selbst die Grenze(n). Dieses Grenzen-Setzen, das Hinein- und Hinausgehen und dadurch auch die Mitwelt zu formen, ist für Plessners Werk zentral. Der Mensch muss sein Leben im (Selbst-)Vollzug führen. Dieser ist der Ort der positionalen Mitte (vgl. Plessner, 2016 [1928]:362). Die exzentrische Positionalität ist dabei nicht alleiniges und dennoch ein bedeutsames Kriterium Plessners bei der Suche nach dem Wesen des Menschen. Auch andere Lebewesen außer Menschen im biologischen Sinne können eine solche exzentrische Positionalität aufweisen.

2.4 Unmenschlichkeit

„Mit den Worten Unmensch und unmenschlich sollte man sparsam sein“ (Plessner, 2017 [1967]:328). Damit beginnt Plessner seinen Aufsatz Das Problem der Unmenschlichkeit. Denn aus der zuvor beschriebenen Bewegung zwischen Innen und Außen, der aktiven Gestaltung der Mitwelt und letztlich der exzentrischen Positionalität des Menschen resultieren für Plessner zwei Gefahren auf der stetig andauernden eigenen Menschwerdung.

Die Gefahr der Unmenschlichkeit sieht Plessner zum einen in einer unreflektierten Übernahme von Konventionen aus vermeintlichen Realitäten. Für ihn hat sich das

[…] dem Problem der Unmenschlichkeit zu stellen […] vor dem Hintergrund einer totalen Offenheit keinen nur moralischen Sinn mehr, der ein religiöses Widerlager braucht, und wäre es nur in Form gesellschaftlicher Konvention gegeben. In unserer experimentellen Gesellschaft versteht sich alles von selbst, nur das Moralische nicht. Diese Unsicherheit reflektiert sich an der Frage nach dem, was menschliche Natur im spezifischen Sinne ist und vermag (Plessner, 2017 [1967]:330).

Nach Plessner ist es unmenschlich, anderen Menschen ihre exzentrische Positionalität abzusprechen, sie also bloß als Körper zu begreifen (als Sachen) und nicht anzuerkennen, dass der Körper des anderen dessen Leib ist (mit dessen Innenwelt), die zu achten gerade die Menschlichkeit zum Ausdruck bringt. Menschen als Objekte zu betrachten ist für Plessner nichts anderes als unmenschlich. Es ist less-than-human, es beraubt das Mensch-Sein konstitutiver Bestandteile und öffnet so Tür und Tor für unmenschliche Praktiken6.

Ein Beispiel für solche unmenschlichen Praktiken wäre es, wenn eine Person ihr unterstellte Arbeitskräfte unter unwürdigen Bedingungen arbeiten ließe, weil sie für diese Person nicht Menschen mit eigener exzentrischer Positionalität und Würde sind, sondern Eigentum und Werkzeuge, Dinge, die Arbeit verrichten. Solcherlei Praktiken hat zuvorderst Karl Marx (1988 [1962]) im Kapital analysiert und angeprangert, indem er etwa im Band 3 feststellt, dass „[d]ie kapitalistische Produktion […] eine Vergeuderin von Menschen, von lebendiger Arbeit, eine Vergeuderin nicht nur von Fleisch und Blut, sondern auch von Nerven und Hirn“ sei (Marx, 1988[1964]:99). Ebenso ist es unmenschlich, Menschen nicht als Individuen, sondern als Teile einer Gruppe oder gar einer Masse zu sehen. Solcherlei Unmenschlichkeit nach Plessner ist beispielsweise beim Umgang mit Flüchtenden und Asylsuchenden geradezu archetypisch zu beobachten. Wenn Menschen ihre Fähigkeit der Selbstgrenzsetzung abgesprochen wird, dann verlieren sie ihre Eigenschaft als selbstbewusste Entitäten. Unmenschlichkeit ist also nach Plessner auch immer eine Handlung, die einer anderen Entität bedarf.

2.5 Allzumenschlichkeit

Doch auch auf der anderen Seite der Bewegung um die nicht gegebene Mitte und der ständigen Suche nach dem eigenen Mensch-Sein sieht Plessner eine Gefahr. Das Allzumenschliche, wie Plessner dies nennt, ist für ihn keineswegs dasselbe wie das Unmenschliche, es ist jedoch wie jenes auch der Tatsache geschuldet, dass der Mensch keine natürliche Mitte hat. Der Mensch kann sozusagen übergriffig werden, mit der Absicht, das eigene Verlangen oder die eigene Innenwelt komplett auf ein Gegenüber und somit die Körperlichkeit des Gegenübers quasi in die eigene Innenwelt zu übertragen, mit dem Gegenüber zu verschmelzen. Dadurch wird diesem aber wiederum die eigene exzentrische Positionalität abgesprochen.

So können beispielsweise übersteigertes Begehren oder allzu große Emotionen dazu führen, dass jegliche Objektivität einer Betrachtung verloren geht. Ein Liebhaber, der die begehrte Person vollkommen vereinnahmt, spricht ihr im Plessner'schen Sinne die Fähigkeit ab, eigene Entscheidungen zu treffen. Ebenso kann aber auch das zu starke Hineinversetzen in Andere unsere Emotionen übermäßig und übergriffig werden lassen. Andere Menschen sind dann aus unserer Perspektive nicht mehr exzentrisch positioniert, sondern dienen nur noch den eigenen Emotionen, sind bloße Projektionsflächen von eigenen Gefühlen oder Gedanken und somit keine menschlichen Akteure mehr. Sie werden dann zu einer Art Schauspieler, der völlig auf seine Rolle reduziert wird. Oder, nichtmenschliche Akteure werden vermenschlicht und somit auch allzumenschlich betrachtet. Dieses Phänomen ist beispielsweise bei sogenannten Petfluencern bekannt.

Das Resultat mag aus einer objektiven Außen-Perspektive somit das gleiche sein, wie es bereits bei der Unmenschlichkeit festgestellt wurde: Die exzentrische Positionalität eines anderen Lebewesens beziehungsweise Menschen wird negiert. Doch tatsächlich ist die Bewegungsrichtung eine andere, denn sie versachlicht das Gegenüber nicht, sondern sie verunsachlicht es, was Plessner als allzumenschlich, also als übermäßige Hingabe den eigenen Gefühlen und Begierden gegenüber versteht. Die Unterscheidung dieser beiden „Gefahren“, die für den vermeintlich objektiven Betrachter durchaus das gleiche Resultat zeitigen können, ist also bedeutsam (vgl. Plessner, 2017 [1967]:331 f.).

2.6 Menschlichkeit

Vorab sei die Bemerkung gemacht, dass Fragen von Moral und Menschlichkeit insofern ineinander fallen, als dass moralische Urteile stets (implizit oder explizit) auch damit begründet werden, was als jeweils menschlich oder eben nicht menschlich aufgefasst wird. Wann immer wir also etwas für moralisch richtig oder falsch befinden, so greifen wir dabei als Menschen in unserer Begründung uns selbst und anderen (Menschen) gegenüber auch auf die Frage zurück, was der Natur des Menschen entspricht beziehungsweise dieser nicht widerspricht.

Plessner (2017 [1967]:336 f.) skizziert die Menschlichkeit als das, was zwischen dem Unmenschlichen und dem Allzumenschlichen liegt, und bezeichnet die „[…] Formen der Versöhnung, die das (eine natürliche Mitte entbehrende) Lebewesen Mensch Kraft seiner Fähigkeit, auch seiner Zerrissenheit noch Herr zu werden, in seiner Macht hat, im Modus des Verzichts auf sie sich als menschlich zu erweisen“ als Approximation dessen, was angesichts der allzumenschlichen und vor allem unmenschlichen Tendenzen in der Welt als Weg zur Menschlichkeit dienen kann. Nur im Vollzug können wir eine Antwort auf die Frage nach der Menschlichkeit finden, die dann bereits im Moment ihrer Beantwortung obsolet geworden ist, da sie sich erneut stellt. Sie ist also nicht abschließend beantwortbar.

Die Menschlichkeit liegt also in einer Art dauernden Pendelbewegung, wie dies Abb. 1 zu verdeutlichen versucht, die zwischen Versachlichung und Verunsachlichung, zwischen Innen und Außen, eine menschliche, maßvolle Mitte finden kann. Diese wird dann zwischen verschiedenen Lebewesen zur Mitwelt und zeigt somit auch die Fähigkeit des Menschen, die Natur sowohl zu benötigen als auch zerstören zu können, natürlich wie künstlich zu sein, oder, wie Plessner es ausdrückt: die Natur des Menschen ist seine Künstlichkeit.

https://gh.copernicus.org/articles/77/459/2022/gh-77-459-2022-f01

Abb. 1Menschlichkeit als Pendelbewegung im Selbstvollzug nach Plessner. Eigene Darstellung.

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Menschlichkeit als eine Art holistisches Konzept jenseits einer disziplinären Grenze zu suchen, ist ein umfangreiches Unterfangen. Doch liegt genau hier auch eine besondere Fähigkeit einer breit angelegten und systemischen Wissenschaft wie der Geographie. Die Vertreter eines kritischen Posthumanismus haben sich zunächst vehement gegen die philosophische Anthropologie gewandt, die sie vor allem aus Kritik an vermeintlichen Existenzialismen ablehnen (vgl. u.a. Roden, 2015; Badmington, 2003, 2004; Braidotti, 2014). Doch Plessners äußerst umfangreiches Werk, welches sich keinesfalls in einer philosophischen Anthropologie erschöpft, ist unserer Auffassung7 nach gegen eben solche Vorwürfe unempfindlich, denn:

  • i.

    Plessners philosophische Anthropologie ist geprägt von großer (Selbst-)Reflektivität und einer relationalen Grundperspektive oder mit Schürmann (2006:84):

    Plessners Philosophie bezieht sich auch auf sich selbst. Erst dadurch und genau dadurch gebärdet sie sich nicht als alternativlos, sondern verortet sich selbst in einem Feld von Möglichkeiten.

  • ii.

    Sie unternimmt den Versuch, die Conditio Humana über kulturelle und historische Grenzen hinweg bestimmen zu wollen, ohne dies jedoch zu tun. Sie ist ein Werkzeugkasten, der über die reinen akademischen Diskurse hinweg genutzt werden kann, um die großen Herausforderungen eben jener Conditio Humana besser verstehen zu können.

  • iii.

    Plessner verwendet keinen metaphysischen Überbau, sondern ist der Überzeugung, dass auch die Philosophie (selbst) aus sich selbst heraus neu geschaffen werden muss (vgl. Plessner, 1982).

  • iv.

    Durch das Konzept der exzentrischen Positionalität und der feinen Unterscheidungen der stufenlosen Stufen unterläuft er programmatisch jegliche existentialistischen Verabsolutierungen bei seiner Suche nach dem Wesen des Menschen.

2.7 Die Unergründlichkeit des Menschen

Mit Plessner ist also das, was der Mensch ist, aus bzw. in dessen exzentrischer Positionalität begründet und setzt somit den Menschen eben nicht auf eine Stufe über anderen Lebewesen, sondern mit anderen Lebewesen. In Plessner'scher Dialektik ausgedrückt: in Form von stufenlosen Stufen8. Plessner verweist in diesem Zusammenhang immer wieder auf die Unergründlichkeit des Menschen, des homo absconditus, wonach jede letztgültige Antwort immer an seiner Grundannahme der exzentrischen Positionalität scheitern muss.

Die Suche nach universeller Moral, nach dem, was das Wesen des Menschen ist, ist also nichts, was uns überfordern muss oder darf, sondern ist genau die Suche nach dem, was der Mensch jenseits dessen sein kann, was seine Einordnung als exzentrisch positioniertes Lebewesen übersteigt: menschlich. Die Unterdeterminiertheit9 dessen, was das Wesen des Menschen ist, ist die Freiheit, die wir als Menschen genießen.

Als Wissenschaftler genießen wir diese Freiheit in ganz besonderem Umfang. Doch mit dieser (und jeder) Freiheit kommt Verantwortung. Es muss uns gelingen, einer Gleichsetzung in Form einer Reduktion des menschlichen Wesens auf dem Niveau einer Minimalanthropologie zu begegnen und diesem viele neue Perspektiven entgegenzustellen. Dies gilt umso mehr im beziehungsweise für das Anthropozän.

3 Plessner im Dialog mit dem Anthropozän

Das Anthropozän als Ausgangspunkt war für Helmuth Plessner also, wenn nicht unter diesem Begriff, dann doch zumindest unter dem Gesichtspunkt der Suche nach dem Wesen des Menschen, ein bedeutendes Thema. Dabei scheint nur auf den ersten Blick paradox, dass Plessners Anliegen gerade nicht die definitorische Bestimmung des Menschlichen war und er auch nicht den Menschen in das Zentrum seiner Betrachtungen stellte, sondern über die Organisationsformen und Positionalität gerade Perspektiven jenseits einer radikalen Zentrierung aufzeigte. Dennoch sind es für ihn die Menschen, die unter anderem aufgrund ihrer exzentrischen Positionalität so anders und besonders im Vergleich zu anderen Lebewesen sind, wobei Plessner diese Andersartigkeit im Sinne der stufenlosen Stufen eben gerade nicht als ein Besser verstanden wissen wollte, sondern als Appell, die eigene Menschlichkeit im Selbstvollzug zu konstituieren und immer wieder zu reflektieren. Obgleich Plessner also den Begriff des Anthropozän nicht kannte, so hat er doch den Menschen10 in den Mittelpunkt seines Interesses gestellt. Doch während diejenigen, die heute das Anthropozän proklamieren, von More-than, Other-than, post-, trans- oder sonstigem sprechen und sich oftmals nicht wirklich interessiert am Wesen des Menschen zeigen, außer um dessen Überwindung – sei es als biologisches Wesen oder als Mittelpunkt der Betrachtung im Sinne eines anthropozentrischen Weltbildes oder klassischen Humanismus – zu fordern, war für Plessner gerade dieser Konflikt zentral: Die Andersartigkeit des Menschen und seine Unergründlichkeit sind keine Grundlage für die Rechtfertigung (s)einer Hegemonie.

Während auf dieser Suche in den jeweiligen Extrema der Unmenschlichkeit oder der Allzumenschlichkeit die beiden Bewegungen wieder ineinander fallen, ist doch jener Pendelprozess wichtig zu verstehen, da auch das, was Menschlichkeit im (Selbst-)Vollzug bedeutet, etwas ist, was wir nicht nur in unserer Entwicklung – hier im Sinne einer Ontogenese, die Tomasello (2020) als „Prozess der Individualentwicklung artgleicher Nachkommen“ bezeichnet –, sondern eben ständig erleben. Wir sind Menschen vom Zeitpunkt unserer Existenz an, doch gleichzeitig werden11 wir auch Menschen. Die Unabgeschlossenheit dieses Prozesses als zentrale Begründung für die Unergründlichkeit des Menschen ist es, was die Herausforderung dessen, was es bedeutet menschlich zu sein, so bedeutsam macht.

Es ist gerade Plessner, der der cartesianisch-dualistischen Sicht von res cogitans und res extensa mit seiner exzentrischen Positionalität einen echten Gegenentwurf gegenüberstellt und somit das klassische Geist/Körper- oder Seele/Leib-Denken qualitativ zu überwinden vermag. Plessner, der selbst als Forschender zwischen den Welten von Naturwissenschaft, Gesellschafts- und Geisteswissenschaft hin- und herwanderte, sah diese Teilung nicht nur inter-, sondern auch intradisziplinär als Herausforderung für die Wissenschaft als Ganzes, weil diese ja von Menschen gemacht wird.

4 Informierte Unterdeterminiertheit anstatt uninformierter Indeterminiertheit

Im Sinne einer German Theory haben wir Helmuth Plessner im Dialog mit dem Anthropozän auch nach dem Mehrwert für die Humangeographie jenseits der Anthropozän-Debatte befragt. Dies heißt aber auch, die Frage nach den Besonderheiten der Spezies Mensch, dem Wesen des Menschen zu fragen. Zudem haben wir mit Plessner den Blick auf die Dimensionen der ethischen Implikationen dieser Beschäftigungen in den Blickpunkt genommen, denn Fragen von (Un-/Allzu-)Menschlichkeit drohen ansonsten als davon disjunkt wahrgenommen zu werden. Plessner gibt denen, die nach dem Wesen des Menschen fragen, Folgendes mahnend mit auf den Weg und scheint damit den vielen Stimmen des Untergangs, der Katastrophe und der Dystopie vorwegzugreifen:

Für jede theoretische Bestimmung unseres Wesens haben wir zu zahlen, sie ist ein Vorgriff auf die Praxis, von ihr hängt ab, was aus uns wird. So wie der Mensch sich sieht, wird er; darin besteht seine Freiheit, an der er festzuhalten hat, um Mensch zu sein. Wissen wir die Objektivierung unserer selbst nicht mit der Scheu vor dem Unverkennbaren unseres Wesens in Grenzen zu halten, so werden wir unsere Freiheit aufgeben, und die Verfügungsgewalt über uns selbst wird unser Tod sein (Plessner, 2017a, b [1953a, b]:116).

Im Anschluss an Plessners Dialog mit dem Anthropozän könnte daraus als eine wichtige Forderung für den wissenschaftlichen Diskurs folgen, den More-than-Human-Ansätzen als auch den Less-than-Human-Ansätzen, wie beispielsweise von Philo (2016) angeführt, mehr Raum zu geben. Neben den plastischen, additiven Verfahren (den More-than-Betrachtungen) sollten auch die skulpturalen, subtraktiven Verfahren (die Less-than-Betrachtungen) zur Anwendung gebracht werden, um die Facetten des Menschlichen besser herauszuarbeiten. Das Auslagern dieser Debatten in andere Wissenschaftsbereiche kann angesichts des Anspruchs der German Theory ebenso wenig zielführend wie wünschenswert sein; denn die Geographie hat insbesondere mit ihren starken kritischen Perspektiven hier nicht nur die Mittel, sondern auch die Pflicht, wichtige Beiträge zu liefern.

Das ungeheure Potential der Unmenschlichkeit wird besonders seit Beginn des 20. Jahrhunderts drückend und drängend: zwei Weltkriege, die Schrecken des Nationalsozialismus, die durch ihre industrielle und bürokratische Vernichtungsmaschinerie die „Banalität des Bösen“, um mit Hanna Arendt zu sprechen, ebenso wie die Schrecken von ABC-Waffen hervorgebracht haben. Gerade auch die deutschsprachige (Human-)Geographie hat mit ihren Verstrickungen im Nationalsozialismus und Kolonialismus hierfür Archive zur Verfügung. Wir plädieren im Sinne Plessners deshalb dafür, neben dem Anthropos als Frage nach der Gattung Mensch mit Nachdruck auch die Frage nach der Menschlichkeit zu betrachten.

Die Lektüre Plessners erschließt auch aus post- und transhumanistischer Perspektive sowie aus Sicht des New Materialism viele Anknüpfungspunkte. Mit Plessner ist das Wesen des Menschen zwar betrachtbar, es bleibt aber unergründlich. Der Mensch ist kein „fertiges“ oder „abgeschlossenes“ Wesen, sondern wesentlich durch seine Offenheit12 und Unvollkommenheit charakterisiert. Auch die Dezentrierung des Menschen wird hier konsequent durchgeführt. Plessner arbeitet über die stufenlosen Stufen fein heraus, welche besondere Rolle dem Menschen zukommt, ohne diesen jedoch zu überhöhen. Ebenso führt Plessner mit dem Begriff Leib eine bedeutende Stärkung materieller Aspekte ein. Auch kulturell verweist Plessner stets auf die Kontingenz des Humanen:

Dieses [menschliche Leben in der Breite aller Kulturen und Epochen, wessen der Mensch fähig ist] gerade nicht als Wirkmacht schlechthin vorauszusetzen, sondern seine historisch bedingte Relationalität zu fassen, ist eine Form der Dezentrierung des Humanen, die erlaubt, mehr-als-menschliche Entitäten zu berücksichtigen und gleichzeitig qualitative Differenzen zu erhalten, deren Wirkmächtigkeit selbst historisch kontingent ist (Block, 2020:91).

In unserem Beitrag haben wir den Versuch unternommen, einem Empfinden unsererseits Ausdruck zu verleihen: Helmuth Plessner hat nach unserer Einschätzung wertvolle und weitsichtige Betrachtungen zu den heute drängenden Fragen nach dem Anthropos angestellt, die (besonders) auch im Anthropozän wertvolle Einsichten ermöglichen. Diese fanden jedoch im anglophonen Theorieraum bisher keine Aufmerksamkeit. Umso wichtiger erscheint uns, im Sinne der German Theory, an diese Leerstellen anzuknüpfen und weitere „Tauchgänge“ (Korf et al., 2022) zu Plessner zu organisieren. Mit diesem Beitrag haben wir weiterhin versucht, die Bedeutung von Pluralität und Vielfalt von Begriffen hervorzuheben und für aktuelle Debatten fruchtbar zu machen. Gerade für die Human- oder Anthropogeographie sollte also die Frage nach dem Wesen des Menschen stets ein wichtiger Teil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sein. Wenn Antworten darauf auch nicht abschließend zu erwarten sind, so ist doch die Entselbstverständlichung13 besonders wichtig, wann immer ganz und gar nicht Selbstverständliches als solches deklariert wird. Oder, um es mit Heidegger (1953:107 zit. in: Plessner, 2017 [1967]:399) auszudrücken: „Die Bestimmung des Wesens des Menschen ist nie Antwort, sondern wesentlich Frage.“

Datenverfügbarkeit

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Autorenmitwirkung

An der Konzeption und Überarbeitung haben alle drei Autoren gleichwertig mitgewirkt, die Kapitel 2 und 3 wurden überwiegend von Serge Middendorf verschriftlicht und ausgearbeitet.

Interessenkonflikt

Die Autor*innen erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Haftungsausschluss

Copernicus Publications bleibt in Bezug auf gerichtliche Ansprüche in veröffentlichten Karten und institutionellen Zugehörigkeiten neutral.

Danksagung

Wir danken Eberhard Rothfuß und Benedikt Korf für ihre hilfreichen, kritischen und zielführenden Kommentare während des Entstehungsprozesses unseres Artikels sowie den anonymen Gutachter*innen für ihre konstruktive Kritik.

Begutachtung

This paper was edited by Nadine Marquardt and reviewed by two anonymous referees.

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Scheler, M.: Die Stellung des Menschen im Kosmos, 18. Edn., Bouvier Verlag, Bonn, Deutschland, ISBN 9783416025928, 2010 [1928]. 

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Tomasello, M.: Mensch werden: eine Theorie der Ontogenese, Suhrkamp, Berlin, Deutschland, ISBN 9783518587508, 2020. 

1

Im Gegensatz zu insbesondere Scheler und Gehlen ist Plessners umfangreiches Werk jedoch lange Zeit wenig rezipiert worden und gewinnt erst in jüngster Zeit wieder Bedeutung. Innerhalb der Geographie sind nur wenige Arbeiten mit direktem Bezug auf Plessner erschienen, beispielsweise Korf (2008, 2012) oder Ernste (2002, 2004, 2014). Manche sehen gar eine „Renaissance“ Plessners, beispielsweise in den Lebenswissenschaften (siehe Gamm et al., 2015; Fischer, 2018).

2

Seine gesammelten Werke sind in zehn Bänden im Suhrkamp Verlag erschienen. Als sein Opus Magnum gilt gemeinhin das 1928 erschienene Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. Sofern nicht anders angegeben, begründen alle folgenden Ausführungen auf diesem Werk.

3

Der Begriff azentrisch wird hier eingeführt, um die drei Organisationsformen vergleichbarer zu machen. Plessner selbst verwendete diesen Begriff nicht und sprach bei den Pflanzen hingegen von einer offenen Organisationsform. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass ihr ein Zentrum fehlt.

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Für eine Übersicht der Konzepte Positionalität und Organisationsform siehe auch Fischer (2018, 2020)

5

Der Begriff der Mitwelt kann hier nicht befriedigend erläutert werden, da er von Plessner sehr komplex angelegt ist. Anders als die bloße Umwelt gestaltet jeder einzelne die eigene Mitwelt, die dann in der Interaktion mit anderen Mitwelten steht. Auch ein einzelner Mensch würde also eine Mitwelt gestalten, selbst wenn es keine weiteren Menschen gäbe.

6

Wenn wir also andere Menschen nicht mehr als exzentrisch positionierte, in sich gebrochene Wesen wahrnehmen, also als echtes Gegenüber im Sinne eines Subjekts, sondern als Objekte, die dieser Eigenschaften beraubt sind, dann werden aus Menschen Sachen. Sachen sind im Unterschied zu Dingen, die einfach nur ein Sein bedeuten, potenziell für die eigenen Zwecke verfügbar. Diese Betrachtung reduziert also Menschen so weit, dass ihre Qualität als Mensch abhandenkommt.

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Auch Korf (2012) und Ernste (2002) bejahen Plessners Anschlussfähigkeit an poststrukturalistische Positionen.

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An dieser Stelle sei auch darauf verwiesen, dass Plessner sicherlich die verschiedenen Organisationsstufen nicht kategorial, sondern approximativ verstanden wissen wollte. Die ausgeprägteren Fähigkeiten von Primaten oder manchen Vögeln, sich ein Selbstbild zu machen im Vergleich zu denen von beispielsweise staatenbildenden Insekten, nach dem was wir wissen können, würde Plessner sicherlich auch unter Verweis auf die stufenlosen Stufen keineswegs bestreiten.

9

Doch diese Unterdeterminiertheit darf keinesfalls eine Indeterminiertheit sei; denn diese würde Unmenschlichkeit und Allzumenschlichkeit Tür und Tor öffnen.

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Zwar rückt Plessner generell das Lebendige in den Vordergrund, Pflanzen und Tiere sieht er als Mitwesen in der Sphäre der Lebendigkeit also ebenso als zentral an, doch dem Menschen kommt aufgrund seiner exzentrischen Positionalität eine besondere Rolle im Vergleich zu den azentrischen und zentrischen Organisationsformen zu.

11

Michael Tomasello (2020) hat dies in seinem Buch „Mensch werden“ aus (verhaltens-)biologischer Sicht eindrucksvoll nachempfunden. Er definiert als jene „Stufe“, die Menschen von den nächsten biologischen Verwandten unterscheidet, die Befähigung zu geteilter Intentionalität. Plessner versteht dies als „Mitwelt“ und betrachtet den „Leib“ dabei als von jener Mitwelt (mit)gestaltet (vgl. Lindemann, 2011; Plessner, 2016 [1928]).

12

Die Offenheit dessen, was unter Menschlichkeit und Mensch zu verstehen sei, verortet Plessner in der Sphäre der Politik. Wären beide Begriffe festgelegt und determiniert, wäre das zugleich im Wesentlichen das Ende von Politik.

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Die Entselbstverständlichung verstehen wir hier als im Sinne einer German Theory, wie im Editorial ausgeführt.

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Short summary
In (Anthropo-)Geography, especially in the Anthropocene, the question of what constitutes the human is of utmost interest. In the process, this human is often strangely assumed to be self-evident, almost (self-)explanatory. In the sense of a German Theory, we want to encourage to pose these question on the human anew with Helmuth Plessner and to point out new possible answers. Otherwise these questions are in danger of withering away into a Minimal Anthropology.
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