Articles | Volume 79, issue 2
https://doi.org/10.5194/gh-79-119-2024
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Book review
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22 Apr 2024
Book review |  | 22 Apr 2024

Book review: Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie

Eberhard Rothfuß, Mirka Dickel, Ute Wardenga, Ulf Strohmayer, Pascal Goeke, Peter Dirksmeier, Matthew Hannah, Paloma Puente Lozano, and Benedikt Korf

Korf, B.: Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie: Studien zu einer reflexiven Theorie der Gesellschaft, Bielefeld, Transcript, 245 ff., Print-ISBN 978-3-8376-6230-6, PDF-ISBN 978-3-8394-6230-0, https://doi.org/10.14361/9783839462300, EUR 35,00, 2022.

1 Einführung in die Buchbesprechung – „Zurück zur Kritik selbst“ – Eberhard Rothfuß

In den Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie wendet sich Benedikt Korf gegen eine Form von akademischer Kritik, die zu vorschnellen Generalisierungen und wohlfeilen Bewertungen neigt. Es geht darin um „Tonlagen der Kritik“ und „Schonstellungen kritischen Denkens“, die sich der mühseligen Arbeit der Selbstkritik entziehen: Grautöne, Ambivalenzen und Widersprüche geraten so in den Hintergrund. Gegen diese „Reflexionsverweigerungen“ formuliert Korf seinen „skeptischen Vorbehalt“ und plädiert für „Atempausen“ und „Umwege“, die ein genaueres Hinschauen erlauben und ein die Sache zu-Ende-denken impliziert, immer aber auch mit der Möglichkeit späterer Einsicht, „sich doch geirrt zu haben“.

Mit dem Format des book review forum der Geographica Helvetica möchten wir ex post die Reflexionen aus zwei Author meets Critics-Sitzungen zugänglich machen: einerseits die Sitzung „Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie – Author meets Critics“ an der Neuen Kulturgeographie (NKG) in Halle im Januar 2023 und andererseits die Sitzung „Für eine skeptische Geographie“ am Deutschen Kongress für Geographie (DKG) in Frankfurt im September 2023. Unserer Anfrage an alle Vortragenden der beiden Panels, ihr Manuskript zu verschriftlichen und uns zu überlassen, sind – bis auf Ian Klinke, dessen Beitrag bereits anderswo veröffentlicht worden ist (Klinke, 2023) – alle Panelists gefolgt. In Ian Klinkes ‚Lücke‘ ist im Nachgang wunderbarerweise Paloma Puente Lozano von der Universidad Carlos III de Madrid gestoßen.

Meine einführenden Gedanken reflektieren weniger die „Schwierigkeiten“ selbst. Vielmehr basieren sie auf Beobachtungen und Erfahrungen im Kontext der beiden durchgeführten Veranstaltungen basieren, um hier der Leserin, dem Leser kontextuelle Hintergründe zur ‚atmosphärischen‘ Einordnung dieses akademischen Unterfangens zu bieten.

Es liegen insgesamt sieben ‚Skeptiken‘ zu den „Schwierigkeiten“ (zweites bis achtes Kapitel) vor, die allesamt ein nachdenkliches, feingliedriges und kritisches (sic!) Schreibgut repräsentieren. Die Beiträge stellen weit mehr als rezensionsartige Buchbesprechungen dar, sondern bringen ihre ganz eigenen Gedankenwelten zum Vorschein und es werden oft – methodologisch gewollt – Denkumwege gegangen, um die Vollzugspraxis „skeptischen Vorbehalts“ ‚einzuüben‘. Euch allen: Vielen Dank für die gedanklich gegangen Umwege und auch für die umweglosen kritischen Reflexionen. Im letzten Kapitel formuliert Benedikt Korf seine Replik zu den jeweiligen ‚Skeptiken‘ und plädiert für ein „Wildes Denken in der Geographie“.

Dem phänomenologisch geneigten Leser wird mit dem Einführungstitel „Zurück zur Kritik selbst“ direkt die Entlehnung von Edmund Husserls „Zurück zu den Sachen selbst“ evident ‚erscheinen‘. Es ist dieser der Leitspruch der Phänomenologie, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Husserl begründet wurde.

Dies wurde nach dem Zeitalter des deutschen Idealismus (Kant, Fichte, Schelling, Hegel), in welchem das erkennende Subjekt, die Vernunft oder der absolute Geist im Zentrum standen, als regelrechte Befreiung innerhalb der Philosophie empfunden. Endlich sollten wieder die Welt und die Dinge sowie die Erfahrung anstatt der Erkenntniskritik, Dialektik oder Spekulation in den Mittelpunkt rücken (Wehrle, 2022:2).

Husserl (1900/1984) betont in seinen Logischen Untersuchungen, dass man sich nicht auf bereits etablierte Begrifflichkeiten, Theorien oder Methoden verlassen dürfe, sondern auf die „unmittelbar erschauten und ergriffenen Sachen“ zurückgehen müsse, diesen „Sachen selbst und der Arbeit an ihnen das letzte Wort belassen“ (Husserl, 1975; Hua XVIII:9).

Gegen rein metaphysische Spekulation, aber auch gegen die Auffassung von Philosophie als reine Scholastik und bloßer Analyse und Reproduktion von Konzepten/Theorien plädiert Husserl für die Aufwertung der Anschauung:

Weg mit den hohlen Wortanalysen. Die Sachen selbst müssen wir befragen. Zurück zur Erfahrung, zur Anschauung, die unseren Worten allein Sinn und vernünftiges Recht geben kann (Hua XXV:21; zitiert in Wehrle, 2022:2).

Mit Waldenfels (2019:257) geht es im phänomenologischen Denken von Anfang an darum, „im Logos der Phänomene die Erfahrung zum Sprechen zu bringen“.

Wenn wir also Kritik als Phänomen zur Anschauung bringen wollen, müssen wir zuerst die Frage nach den Konstitutionsbedingungen und der Möglichkeit von Kritik stellen. Die etymologische Herkunft von Kritik (griechisch κρìνειν – kriínein) steht für das (Unter-)Scheiden, das auf eine Übersicht und mögliche Ent-Scheidung, z. B. hinsichtlich des Fällens eines Urteils oder im Zusammenhang mit einer Krise (griechisch κριìσις kriìsis) zielt (vgl. Bünger, 2020:161).

Kritik stellt sich also immer dort ein, wo Gegebenheiten analysiert und beurteilt werden, seien es gesellschaftliche Verhältnisse, Institutionen oder auch Selbstverhältnisse (wie z. B. jenes des Denkkollektivs kritischer Geographie). Kritik ist konstitutiver Bestandteil jeglicher menschlichen (und akademischen) Praxis. Denn Handeln beruht auf normativen Unterscheidungen und damit auf der Möglichkeit von Kritik überhaupt (vgl. Jaeggi und Wesche, 2009). Kritik als Praxis des Unterscheidens basiert auf dem Vollzug einer Negation – und zwar zunächst in dem logischen Sinne des Urteils, dass etwas dieses ist (skeptischer formuliert sein könnte) und nicht jenes. Ute Wardenga artikuliert in ähnlicher Weise, wenn sie „Skepsis als Horizont des auch anders Möglichen“ konturiert. Mit den Kontexten des (Unter-)Scheidens variiert damit die negative Struktur der Kritik, z. B. in dem Urteil, dass etwas nicht das ist, für das es zuerst gehalten wurde, dass also etwas nicht so ist, wie es (er)scheint. Oder auch, dass etwas nicht so ist, wie es sein soll (Bünger, 2020:161).

Wendet man einen „skeptischen Vorbehalt“ in Korfs Sinne auf ein phänomenologisches Denken zur Kritik an, gilt es auch hier bedächtig und „entselbstverständlichend“ (Korf, 2022:30) zu handeln, um wieder zurückzukommen „von der Sache (Kritik)“ selbst. Denn auch die Phänomenologie (und ebenso eine noch zu entwickelnde ‚skeptische Geographie‘) muss ihren eigenen (methodischen) Zugang, ihre Haltung selbst mit gebührender Skepsis und Distanznahme im Blick behalten sowie ihre eigenen liebgewonnen Selbstverständlichkeiten stets hinterfragen. Daher müssen wir nicht nur zu den Sachen hin, sondern von dort auch wieder zurückkommen, wie Blumenberg (2002) in Zu den Sachen und zurück formulierte, denn auch eine Philosophie der Erfahrung kann nie unvermittelt, direkt und ‚rein‘ sein.

Wir erfassen die Erfahrung immer im Umweg über Begriffe, Metaphern und Symbole. Die Direktheit, die das Credo ‚Zu den Sachen‘ fordert, kann so nach Blumenberg nur in und durch Indirektheit (Wehrle, 2022, Vorwort:5)

sowie in „Unbegrifflichkeit“ (Blumenberg, 2007; vgl. auch Paloma Puente Lozano in ihren Ausführungen) erreicht werden. „Indirektheit“ ist damit aber nicht mit Unschärfe oder Beliebigkeit verbunden; vielmehr müssen Begriffe immer wieder durch „Spracharbeit“ (Schütz, 1981) angepasst werden, um sich als wahr, da anthropologisch wirklich (in ihren jeweiligen Epochen) zu offenbaren, sonst verfehlen Begriffe ihren genuinen Sinn, ‚Dinge auf den Punkt zu bringen‘. Zu Blumenbergs Programmatik der Indirektheit besteht eine Analogie zu Benedikts „Schwierigkeiten“:

Das Programm der Skepsis ist bescheidener als das der Kritik, ohne dass eine situative, interimistische Skepsis notwendigerweise politisch konservativ wird: die skeptische Position ist lediglich vorsichtiger als die kritische in ihren Ambitionen und Ansprüchen, Probleme der Welt beseitigen zu können (Korf, 2022:28).

Über den kursorischen Umweg phänomenologischen Denkens komme ich nun explizit zu dem Punkt, warum ich die Initiative zur Organisation der beiden Panels ergriffen habe, oder besser ‚auf den Punkt gebracht‘, warum mich diese Initiative ergriffen hat. Ich kann es – ohne Umwege und Umschweife – aus eigener Erfahrung und Anschauung heraus so benennen, dass der innere Impuls, tätig zu werden, aus einer seit längerem latent schwelenden Sinn-Not heraus erwachsen ist. Seit Jahren empfinde ich eine gewisse akademische Heimatlosigkeit und ein Abhandenkommen von Diskussions- und auch kontrovers geführten Debattenzusammenhängen in unserer Disziplin. Mir kommt es so vor, als dass wir uns in unseren jeweiligen ‚Silo-Kosmen‘ eingerichtet haben und heute eher ein akademisches Alleinsein unter Gleichen fristen. Es haben sich schleichend eher Selbstbezüglichkeit, Desinteresse oder reine Abgrenzungsreflexe gegenüber anderen Paradigmen und ‚Denkschulen‘ breit gemacht.

Die beiden Sitzungen mit analoger Thematik auf der NKG in Halle, am Freitagvormittag „Kritische Geographie: zwischen Reflexivität und Positionierung“ und am Samstagmittag „Author meets Critics: Benedikt Korf's Schwierigkeiten (sic!) mit der kritischen Geographie“ legen – neben möglicher strategischer Tagungsplanung (Ute Wardena hegt hierzu einen eigenen ‚Verdacht‘; vgl. zweites Kapitel) – beredtes Schweigen von der Unverbundenheit kritischer oder nur skeptischer ‚Denkstimmungen‘ ab. Diese ad-hoc Diagnose zum Zustand humangeographischer Debattenkultur scheint damit auch ein Brennglas gesellschaftlicher Verhältnisse und Zeitdiagnose von milieubasierten ‚Filterblasen‘ und ‚Echokammern‘ darzustellen. Es wäre wohl an der Zeit zumindest im „Akademischen Feld“ (Bourdieu, 1988) einer zunehmend unversöhnlicher werdenden ‚gesellschaftlichen Hermetik‘ entgegenzuwirken.

Das book review forum möchte hierzu explizit einladen, sich der zentralen Suchbewegung jeglicher Wissenschaft zu stellen: Der (gemeinsame) Wille zum Wissen und zur Wahrheit, als ein lebendiges, realistisches, kontroverses und – wie Korf später ausführen wird – letztlich ‚wildes Denken‘ wiederzugewinnen (vgl. auch Dreyfus und Taylor, 2016).

Mit Benedikt Korf waren einige andere Mitstreiter und Mitstreiterinnen (so auch ich) in mehr oder weniger regelmäßigem Austausch während des Entstehungsprozesses seiner „Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie“. Das Buch, das am 13. Juli 2022 im Transcript-Verlag druckfrisch und open access ausgeliefert wurde, erschien mir als willkommener Anlass, mit einem Panel Author meets critics meiner eigenen Sinn-Not etwas entgegenzusetzen. Beim Lesen und Nachdenken über das Buch im Sommer 2022 ist mir deutlich geworden, dass damit nicht nur kritisch die „kritische Geographie“ mit Korfs „Trinität“ aus „Denkstimmungen“, „Schonstellungen“ und „Moralisierung als Latenzschutz“ (S. 19ff.), in den Erkenntnis-Sucher zu bekommen sei, sondern letztlich eine Vielzahl von Schauplätzen kritischer Theorie in den Geistes- und Kulturwissenschaften adressiert wird. Und hierzu gehört auch die nicht mehr so neue „Neue Kulturgeographie“. Wenn nicht an der NKG in Halle, wo sonst könnte man zeitnah eine Sitzung anbieten, das Buch mit skeptischer Grundhaltung zu würdigen? Der Neuen Kulturgeographie ist nach wie vor zugute zu halten, dass diese bis heute erfolgreiche Tagung eine der wenigen offenen, ‚jung gebliebenen‘ und pluralistischen Formate in der Humangeographie – seit ihrer Gründung 2004 in Leipzig – geblieben ist. Und so wurde das Panel neben fünfundfünfzig anderen Sitzungen bei insgesamt rund vierhundert Teilnehmenden angenommen.

Zugesagt hatten aus Jena, Mirka Dickel – als phänomenologisch-hermeneutisch orientierte Geographiedidaktikerin, aus Leipzig, Ute Wardenga – als hermeneutisch arbeitende Geographiehistorikerin, aus Linz, Pascal Goeke – als Geograph gesellschaftlicher Raumverhältnisse und aus Bayreuth, ich – als philosophisch-anthropologisch und phänomenologisch orientierter Sozialgeograph. Sollte mit dieser geisteswissenschaftlich-geographischen Peripherie das Zentrum (kritische Geographie) – provokativ in ihren „orthodox ideologies of the literati“ (nach Redfield und Singer, 1954) herausgefordert werden?

Benedikt Korf und ich wollten auch explizit „kritische Geograph:innen“ für das Panel gewinnen, um auch mit den eigenen „Schonstellungen“ und „Reflexionsverweigerungen“ auf dem Balkon des „Grandhotel Abgrund“ (Georg Lukács über die Frankfurter Schule) konfrontiert zu werden. Dies gestaltete sich aber als durchaus schwierig. Vier freundliche Versuche und Anfragen unsererseits wurden fast freundlicher erwidert, mit dem Verweis, man würde sehr gerne an dem spannenden Panel partizipieren, sei aber durch vielfältige Aktivitäten (auch an der NKG) bereits verplant und somit indisponibel.

Ich möchte hier nicht ketzerisch wirken, hege aber entgegen dieser Lesart eine eigene leise Vermutung: Das Risiko, mit dem Reich der Skeptiker, Häretiker, gar akademischer „Nestbeschmutzer“ (Kraus, 2007), in Kontakt zu geraten, ist wohl in empörungsschweren Zeiten ein zu gefährliches Unterfangen, insbesondere für young scholars, welches alsbald im academic suicide enden könnte?

Kritik – kritische Theorie, kritische Geographie – dient dazu, die Zugehörigkeit zum richtigen Lager zu signalisieren; sie wird zur Absicherung gegen den Verdacht, doch mit der gegnerischen Seite („der Hegemonie“) zu kollaborieren – also reaktionär zu sein (Korf, 2022:23).

Es stellt sich hier die Frage, ob eine vulnerable Jungforscherin oder ein Jungforscher auf einen „Latenzschutz der Moralisierung“ (Korf, 2022:23) des Denkkollektivs kritischer Geographen und Geographinnen nolens volens verzichten kann? Ein derartiger (vermuteter) zeitgenössischer Reflex individueller Verunsicherung und Angst, womöglich mit den ‚Falschen‘ ‚geframt‘ zu werden, oder ‚Diskursverweigerung‘ zu betreiben, könnte auch als ein zeitgenössisches Symptom an Armut akademischer Streitkultur und Freiheit in der deutschsprachigen Humangeographie gelesen werden. Beängstigend wäre es, wenn es sich heute nurmehr ‚mutige‘ Akademikerinnen auf Dauerstellen leisten könnten, einem solchen Panel zuzusagen.

Paradoxerweise scheint heute die kritische Geographie eher hegemonial geworden zu sein, sonst wären die Emotionen in Halle und Frankfurt im Plenum von einigen Protagonistinnen und Protagonisten nicht derart hochgekocht und persönlich genommen worden. War es eine ultimative Zumutung für diejenigen, die sich in ihrem (kritischen) Selbstverständnis als Antipoden gegen den hegemonialen (‚unkritischen‘) Mainstream eingerichtet haben, nun hegemoniales Gebaren durch „Reflexionsverweigerung“ am eigenen Epistem unterstellt zu bekommen? Und zeigt nicht die empörte Emotionalität, dass in Teilen der Sphäre dieser Denkstimmung eine (selbst-) kritische, (selbst-) ironische und skeptische Distanznahme zum eigenen Paradigma und Gegenstand geradezu abhandengekommen zu sein scheint?

Nach Ende der Sitzung – es war eine der letzten Veranstaltungen am Samstag kurz vor Mittag, der Hörsaal aber bis fast auf den letzten Platz gefüllt – kam ein interessierter und zugleich erstaunter junger Student auf mich zu, mit der Feststellung und Frage, dass im Hörsaal ganz schöne Wallungen zu spüren gewesen seien und ob das auf Tagungen in der Geographie öfters der Fall sei. Ich erwiderte freundlich, dass dem nach meinem Dafürhalten überhaupt nicht mehr so sei, da derartige argumentativ und wissenschaftlich ernsthafte Auseinandersetzungen in der geographischen Debattenkultur eher vom Aussterben bedroht seien und ich deswegen erfreut sei, dass die Sitzung Nachdenklichkeit, zwischenmenschliche Denk-Resonanz und auch „Unvernehmen“ (Rancière, 2002) erzeugt habe. Denn auch Benedikt Korf musste seinen ‚Mann stehen‘ und sich – ob seiner skeptischen Positionierung der kritischen Geographie gegenüber – verteidigen. So ist es eben, wenn man herausfordert, wird man herausgefordert. Ein wissenschaftlicher Erkenntnisprozess ist ohne Mühsal und Irritationen nicht zu haben. Die erhellende Erkenntnis aber, ein Phänomen oder einen sozialen Tatbestand im (vorläufigen) Durchdenken besser ‚verstanden‘ zu haben, bereitet dann große Freude, etwas ‚be-griffen‘ zu haben.

Am Ende blieb eine leicht aufgeladene Stimmung im Hörsaal zurück, was für mich wiederum darauf hindeutet, dass die geographische scientific community tatsächlich verlernt hat – im guten und produktiven Sinne – einen akademischen „Streithandel“ oder „Dissens“ (Rancière, 2010) zu praktizieren. Es scheint daher (mehr denn je) notwendig zu sein, sich wieder am stringenten logisch-rationalen Argumentieren, Vermitteln und Verteidigen zu schulen. Bin ich vielleicht ein hoffnungslos naiver ‚Habermasianer‘, der noch daran glaubt, dass ein gutes Argument zählen sollte? Auch Korf (2022:22) attestiert eine ähnliche zeitgenössische Symptomatik: „Die richtige Haltung schränkt die akzeptierten Plausibilitätsrahmen der Argumentation ein“ und: „Eine moralisch konnotierte Denkstimmung innerhalb eines – noch so heterogenen – Denkkollektivs schafft Solidarität, Identität und Vertrauensgefühl, (…)“. Man könnte es auch leichtfüßiger formulieren, wie Hans-Magnus Enzensberger einmal in einem Interview auf die kritische Frage zu seinem mangelnden Einsatz für die Linke geantwortet hat:

Bekenntnissen ziehe ich Argumente vor. Zweifel sind mir lieber als Sentiments. Widerspruchsfreie Weltbilder brauche ich nicht. Im Zweifelsfall entscheidet die Wirklichkeit (Simon, 2022).

Nachdem wir alle das Ereignis in Halle haben sacken lassen, erblühte in mir alsbald das neuerliche Bedürfnis, den angestoßenen Diskussionsrahmen zu den „Schwierigkeiten“ wieder aufzugreifen, diesmal aber die Perspektive und das Auditorium zu erweitern, um breiter nach konstitutiven Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen einer „Skeptischen Geographie“ zu fragen. Für das eingereichte Panel am Deutschen Kongress für Geographie in Frankfurt im September 2023 stellte ich drei Fragen an die Beitragenden: (1) „Wie kann ein skeptischer Vorbehalt die Theoriediskussion in der Humangeographie befruchten?“ (2) „Wie kann ein skeptischer Vorbehalt formuliert werden, ohne emanzipatorische Anliegen preiszugeben?“ Und (3) „Wie verändern ein skeptischer Vorbehalt methodologische Taktiken in der Humangeographie?“.

Auch zu diesem Panel konnten wieder engagierte Rednerinnen und Redner gewonnen werden: Mirka Dickel wurde von mir ein zweites Mal ‚verhaftet‘ (ihr vorliegender Beitrag ist eine Melange aus beiden Vorträgen und daher etwas länger geraten), Ulf Strohmeyer aus Galway, Matthew Hannah aus Bayreuth, Peter Dirksmeier aus Hannover und Ian Klinke aus Oxford bereicherten diese Session ungemein.

Ich mache es kurz zum Abschluss meiner Einführung: Es zeigte sich in der Plenumsdiskussion – im Anschluss an die kurze Replik von Benedikt Korf – eine z. T. analoge „Betroffenheitsatmosphäre“ zu jener in Halle, gepaart mit einer gespannten, aber konzentriert ‚zuhörenden Stille‘ im großen Hörsaal. Im Anschluss an das Panel und in der Folgezeit bekam ich mehrere nachdrückliche Ermutigungen und Ermunterungen, dass genau diese Art skeptischer (Selbst-)Reflexionen in der konzeptionellen Humangeographie dringend benötigt wird. Man könnte hier auch den Appell von Hanimann (2024) in Stellung bringen: „Den Geist der Kritik vor dem Dogma der kritischen Studien zu retten.“

Für mich stellte sich damit abermals die Erkenntnis heraus, dass in der Humangeographie die offene und argumentative Debatte an spezifischen Gegenstandsproblemen mehr und mehr zu veröden droht. Die Buchbesprechung möchte ausdrücklich dazu einladen, wieder nachhaltiger ins Nach-Denken zu gelangen, und fordert dazu auf, uns wieder produktiver und mutiger in akademischen Zeitdiagnosen und differenten (auch zum Teil inkommensurablen) Epistemologien, Theorien und Perspektiven miteinander und auch „argumentativ-gegeneinander“ einzubringen.

2 Skepsis als Horizont des auch anders Möglichen – Ute Wardenga

Zunächst ein paar Worte zur Vorgeschichte. Als Benedikt Korf am Manuskript seines Buches arbeitete, hat er einige Kolleg:innen, darunter auch mich gebeten, Kommentare zu ausgewählten Kapiteln zu schreiben. Ich habe spontan zugesagt, zunächst weil ich den Buchtitel spannend fand, habe dann aber das gesamte mir damals vorliegende Manuskript zunehmend fasziniert gelesen und kommentiert. Denn ich hatte den Eindruck: Dieser Text ist wichtig, weil er längst überfällige – weil skeptische – Denkanstöße für das theoriebasierte doing geographies gibt. Skeptisch zu sein ist im heutigen Betrieb der Humangeographie eine rar gewordene Kunst. Denn die notwendigen Praktiken der „Umwege“, der „Verzögerungen“ und des lektüregesättigten An-Haltens erscheinen im heutigen Wissenschaftsbetrieb etwas antiquiert. Sie brauchen für das Nach-Denken und Nach-Spüren viel Zeit, die ein auf Schnellproduktionen ausgelegtes doing science nicht mehr zu haben glaubt.

Als hermeneutisch arbeitende Geographiehistorikerin habe ich große Sympathien für ein solches Tun, weil man mit Blick auf die longue durée von 200 Jahren Fachgeschichte irgendwann selbst zur Skeptikerin wird. Dann sieht man nämlich, dass die von Benedikt im Geiste der Skepsis offengelegten „latenzgeschützten Schonstellungen und Immunisierungen der kritischen Geographie“ bereits eine lange Tradition nicht nur in der deutschsprachigen Geographie haben. Der Akzent der Länderkunde des 19. Jahrhunderts lag z. B. auf der Herausarbeitung von globalen Verteilungs- und Verbreitungsmustern differenter Erscheinungen. Der Vorteil, reflektiert und intersubjektiv nachvollziehbar zu kartierbaren Regionalisierungen zu kommen, wurde mit der Schonstellung erkauft, dass Geographen (damals alles nur Männer) kaum mehr Energie aufwenden konnten, um den Zusammenhang von Erscheinungen analytisch zu fassen. Das sollte dann die seit der Zwischenkriegszeit Mode werdende Landschaftsgeographie als eine neue Variante kritischen Interpretierens erledigen. Hier wurde der Vorteil, das räumliche Nebeneinander virtuos in ein historisches Nacheinander übersetzen zu können, mit dem Nachteil des Blindwerdens für Methodologien der Regionalisierung erkauft. Diese black box wollten wiederum die gegenüber allem Historischen kritisch eingestellten funktionalistischen Humangeographien durch ihren präskriptiv wirkenden strikten Gegenwarts- und Zukunftsbezug öffnen. Mit dem nun attraktiv gewordenen empiristischen Anwendungsbezug und der (wieder breiter) debattierten Regionalisierungsmethodologie sah sich diese Variante „nach Kiel“ allerdings ihrerseits der Kritik ausgesetzt, gesellschaftstheoretisch blind und deshalb naiv zu sein. Das alles musste von damals jungen Geograph:innen gegen die (im besten Sinne konservativen) Weltbilder der immer noch mächtigen Ordinarien hart erkämpft werden. Forum der Verständigung war der Arbeitskreis „Geographie und Gesellschaftstheorie“, der über lange Jahre hinweg auch zu einem Sprachrohr der Etablierung kritischer Ansätze in der deutschsprachigen Geographie wurde.

Aus geographiehistorischem Blickwinkel betrachtet ist eine „kritische Geographie“ also keineswegs etwas Neues. Neu ist allerdings der von Benedikt in vielerlei Hinsicht erhellend auf den Punkt gebrachte Befund, dass die Termini „Kritik“ resp. „kritisch“ mittlerweile inflationär – was heißt: jenseits skeptischen Denkens – gebraucht werden. Dadurch ist (ich radikalisiere jetzt Benedikts Befunde) ein hochgradig moralisch aufgeladenes und dadurch reflexionsprekäres Glaubenssystem entstanden. Dessen signifikante Kennzeichen sind nach Meinung Benedikts permanent wiederholte „diskursive Klingeltöne“ (Korf, 2022:17). Sie haben die Funktion, sich einerseits vor Kritik von außen abzuschirmen und sich andererseits im Schutz der eigenen Burg „in selbstzufriedene(r) Unzufriedenheit“ (Sloterdijk zit. nach Korf, 2022:21) dauerhaft und mit immer schwächer werdender Beleuchtung der eigenen Widersprüche einzurichten.

Nun haben Burgenbewohner:innen ein großes Interesse daran, ihre Befestigungen fortlaufend in Stand zu halten. Ich habe mich als eine an wissenschaftssozialen Kontexten interessierte Geographiehistorikerin deshalb auf die empirische Suche nach solchen Befestigungen gemacht und wurde beim Studium des Tagungsprogramms der Hallenser NKG überraschend schnell, vorerst aber nur in einer „Hermeneutik des Verdachts“, fündig.

Wer immer Tagungen als Orte hochgradiger wissenschaftssozialer Verdichtung untersucht, wird nicht umhinkommen, einen Blick auf die „Standorte“ von Sessions im Tagungsverlauf zu werfen. Angekündigt wurde die jetzt laufende Session mit der etwas eigenartigen Überschrift „Benedikt Korf's Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie“. Durch den nicht in Anführungszeichen gesetzten Buchtitel legt diese Ankündigung für Außenstehende nahe zu glauben, Benedikt persönlich habe irgendwelche Schwierigkeiten mit einer kritisch argumentierenden Geographie. Wenn man sich dann – zweite Beobachtung – anschaut, wo diese Session im Tagungsprogramm steht und welche Sessions vorher veranstaltet worden sind, kann man sehen, dass bereits am Freitag von 10.45 bis 12.15 h eine Diskussionsveranstaltung geplant war, die den Titel trägt: „Kritische Geographie: zwischen Reflexivität und Positionierung.“

Spätestens hier wäre, in Kenntnis der von Benedikt vorgetragenen Kritik, für Hermeneutiker:innen Nachdenklichkeit angebracht. Zumal dann, wenn man aus alten Geographentagsakten weiß, wie elegant mit der Positionierung von Sitzungen Machtpolitik betrieben werden kann. Und das geht dann so: Die „guten“ Plätze mit erwartbar viel Publikum bekommen diejenigen, die der vom Ortsauschuss bevorzugten Variante des doing geographies nahestehen. Die „unwichtigen“ oder gar „unbequemen“ Sitzungen werden deshalb entweder frühmorgens, nach der Mittagspause oder bevorzugt auf ein hinteres Zeitfenster am letzten Tag geschoben, um durch möglicherweise heikle Debatten den Tagungsverlauf nicht allzu sehr zu stören. Falls sich die bekannten Riten der NKG in den letzten Jahren nicht grundlegend verändert haben, käme in einer Hermeneutik des Verdachts die Hypothese auf, dass der „Standort“ beider Sitzungen wahrscheinlich kein Zufall ist.

Mangels Quellenmaterials kann ich diese Hypothese weder verifizieren noch falsifizieren. Falls sie aber zutreffend wäre, könnte das Geschehen als ein starker, gleichwohl unfreiwillig demonstrierter empirischer Beleg für einige von Benedikts skeptischen Thesen gewertet werden. Nämlich – und ich radikalisiere jetzt sein sehr viel feiner ziseliertes philosophisches Denken: Erstens, dass in einer „kritisch“ arbeitenden Geographie automatisiert Personalisierungen und „richtige“ Haltungen als „Latenzschutz“ fungieren können. Zweitens und etwas drastischer mit dem auch von Benedikt zitierten Odo Marquard, dass die eventuellen Störungen des eigenen Tuns ebenso automatisiert mittels „Verhinderungs- und Tarnarrangements“, resp. „Surrogatbildungen“ und „Antinomiensucht“ bearbeitet werden. All das könnte man dann im Kontext von Benedikts Auffassungen „als die kleinen Taktiken der Reflexionsverweigerung, der theoretischen Kurzschlüsse und der moralisierenden Absicherung“ deuten, die insbesondere dann angewandt werden, „wenn die zu kritisierende Situation unübersichtlich wird: (alle Zitate Korf, 2022:28f.).

Meiner Meinung nach hat Benedikt ein Buch geschrieben, das die Theoriediskussion in der Geographie durch skeptische Metakritik enorm bereichert. Denn ich denke, dass Kritik nicht das territorialisierbare Proprium einer hegemonial gewordenen Community von Wissenschaftler:innen ist, sondern ein substantieller Bestandteil der Freiheit des doing science. Und wenn es ohne Kritik in der Wissenschaft keinen Fortschritt gibt, so gibt es erst recht keinen Fortschritt, wenn eine im Geiste philosophischer Konzepte formulierte skeptische Metakritik vorschnell beiseite gewischt wird, weil sie in vielerlei Hinsicht nicht den routinisierten Mustern des Theoretisierens, zumal in Kontexten der Neuen Kulturgeographie entspricht.

Aus historiographischer Sicht kann man Benedikts Buch als eine Form „kritischen Erzählens“ interpretieren. Solche Formen des Erzählens werden nach meinen Beobachtungen immer in Transformationsphasen virulent, also dann, wenn ein bisher fraglos als Orientierungsrahmen fungierendes Paradigma zu schwächeln beginnt. Dabei richtet sich „kritisches Erzählen“ stets gegen die allerjüngste Vergangenheit und kann so zu einem Motor der Veränderung werden. Denn kritisches Erzählen ist, um es mit Jörn Rüsen zu fassen, „eine Waffe im Kampf um (…) Identitätszuweisungen“ (Rüsen, 1982:552). Kritisch erzählte Geschichten gehen mit der Vergangenheit also ins Gericht, indem sie, so Rüsen „die Handlungsorientierungen der [jeweiligen – UW] Gegenwart in Frage stellen“ und damit bei „ihren Adressaten deren Kompetenz zur Normveränderung“ fördern. Kritisches Erzählen formiert sich deshalb in Geschichten, die sich „gegen Traditionen und (normative) Handlungsregeln“ richten, so dass diese ihre Kraft zur Handlungsorientierung verlieren und durch andere Orientierungen ersetzt werden müssen. Kritisch erzählte Geschichten „sind Gegengeschichten: Sie brechen bisher unangefochtene Kontinuitätsvorstellungen auf, indem sie neue Handlungsabsichten und Zukunftsperspektiven“ (alle Zitate Rüsen, 1982:551) möglich machen.

Ich meine, dass Benedikt Korf mit seinem Buch in der respektablen Tradition von „kritischem Erzählen“ in der Geographie steht. Er beschäftigt sich zwar nicht mit der Geschichte der Geographie, mobilisiert jedoch im Geiste der Arbeitsgruppe German Theory das skeptische Denken von zahlreichen Philosophen, um die mittlerweile zum Mainstream gewordene zeitgenössische kritische Geographie nun seinerseits zu kritisieren.

Einer der zentralen Aufreger von Benedikts Buch besteht wahrscheinlich darin, dass er behauptet, das Wort „kritisch“ habe das Wort „Raum“ als bisher signifikanten Marker disziplinären Tuns zunehmend verdrängt. Größer geworden sei dagegen nun „der Raum“ für eigene Schonstellungen und Immunisierungen. Denn offensichtlich genügt schon allein das Wort „kritisch“, um exkludierend erfolgreich zu markieren, dass man sich theoriebasiert bei der „richtigen“, weil fortschrittlichen Gruppe befindet und dabei zugleich den Vorteil genießt, moralisch stets auf der besseren, weil emanzipatorischen Seite zu stehen. Dabei wird Theorie nach Benedikts Auffassung zum „Apriori“. Sie regelt das, was beobachtungswürdig ist und was nicht, mithin also auch, welche Elemente in der Empirie theoriebasiert als „störend“ von vorneherein ausgeblendet werden können. Gleichzeitig kann man mit kritischen Theorien mittlerweile nicht nur „intellektuelle Abkürzungen nehmen“ (Korf, 2022:21), sondern auch Auseinandersetzungen auf die moralische Ebene verlegen, was – um hier ein von Benedikt zitiertes Argument von Pascal Goeke zu verwenden – wiederum die weitere theoriebezogene Schärfung mittels Kritik der Kritik erfolgreich verhindert (Korf, 2022:23).

„Coole Escapevariante!“ möchte man da als Geographiehistorikerin ausrufen. Und als aufmerksame Leserin der Ergebnisse der Netzwerkanalysen von Malte Steinbrink und Philipp Aufenvenne (z. B. Steinbrink and Aufenvenne, 2017) mit ihren Visualisierungen einschlägiger Zitierkartelle im metaphorischen Sprachspiel der Pandemie ironisch hinzufügen: „Hoch ansteckend! Nicht tödlich! Berufungsfähigkeit spätestens nach dreimaliger double-blind-Impfung plus handbuchherausgebender Gruppen-Infektion garantiert!“

Benedikt geht es in seinem Buch allerdings nicht darum, diese Escapevariante durch eine neue, noch ansteckendere Variante zu ersetzen. Durch seinen an Blumenberg geschulten situativen Skeptizismus geht er taktvoll, eher leise und unaufgeregt seine erhellenden Umwege. Er vermeidet direkte personalisierte Konfrontationen und schafft dadurch „Raum“ für eine neue Nachdenklichkeit und für eine Schreibkultur, in der Respekt und Bescheidenheit gegenüber anderen Autor:innen nicht bloße Attitüden sind. Mit seiner Argumentation für mehr „Entselbstverständlichung“ (Korf, 2022:30) kann er die eingefahrenen Routinen und sublimen Generalisierungstendenzen kritischer Ansätze durchbrechen. Und indem er sich den skeptischen Luxus gönnt, danach zu fragen „Könnte es auch anders sein?“ wirbt er eindringlich für eine weitere zunehmend in Vergessenheit geratende Kunst, nämlich: das Aushalten von und den reflektierten Umgang mit Kontingenz.

Das halte ich für enorm zukunftsfähig, zumal die im Augenblick erarbeiteten Bildungsstandards Geographie für die Sekundarstufe II dem Erwerb dieser Kompetenz bereits im Schulunterricht einen zentralen Stellenwert einräumen. In einer Zeit, in der der fortschrittsoptimistische Begriff der Utopie in den gesellschaftlichen Debatten implizit zunehmend durch den Begriff einer Dystopie ersetzt wird, haben, wie Benedikt im Nachwort seines Buches mit Bezugnahmen u. a. auf Enzensberger, Adorno, Horkheimer und Lukás erläutert, apokalyptische Töne Konjunktur. Die kritische Geographie vertritt seiner Meinung nach diese „Denkstimmung“ in Gestalt einer politischen Eschatologie. Sie mahnt zunehmend Dringlichkeit an, kritischen Anliegen noch mehr „Raum“ zu geben, weil sie sich in dieser „Denkstimmung“ folgerichtig als Teil einer innerweltlichen (Er-)Lösung präsentieren kann. Dies schafft dann permanent, so zumindest die gnostische Interpretation Marquards, der Benedikt in seinem Nachwort folgt, „Exile des Aufregungsbedarfs“ (Korf, 2022:197), die – auf Permanenz gestellt – dann das perpetuum mobile der Moralisierung antreiben.

Die verbandsübergreifende Arbeitsgruppe, die derzeit an den Bildungsstandards der Sekundarstufe II arbeitet, war sich darin einig, dass ein auf Dystopien ausgerichteter Geographieunterricht keine zukunftsfähige Option sein kann. Denn er verstößt gegen das Überwältigungsgebot. Das hat nichts mit einer Vogel-Strauß-Politik zu tun. Vielmehr geht es im Geographieunterricht auch um Menschenbilder und um eine Form der Erziehung zur Demokratie. Heruntergebrochen auf den Begriff Selbstreflexivität, der ja im Unterricht auch zu trainieren ist, sind für mich die Wege, die Benedikt geht, überzeugend. Seine Skepsis ist nicht gleichzusetzen mit dem „ja-aber“ des aufbegehrenden Zweifels, sondern eine philosophische Haltung. Denn Benedikt hält mit Agamben „den Lichtstrahl des Möglichen“ (Korf, 2022:205) offen und gewinnt dadurch wertvolle Zeit. Zeit zwischen dem „schon“ und dem „noch nicht“. Und genau diese Zeit „braucht“ es nach meinem Dafürhalten sowohl in der Wissenschaft als auch in der Schule, um neue Wege zu gehen – und zwar solche Wege, auf denen erst durch Skepsis ein neuer Horizont des auch anders Möglichen entsteht.

3 „Elche, selber welche“: Skepsis als Grundhaltung kritischer Geographie – Mirka Dickel

Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche (Way, 2007)

ist ein Vers, der von dem Satiriker und Karikaturisten F. W. Bernstein in den 1960er Jahren gereimt wurde, als er gemeinsam mit Robert Gernhardt und F. K. Wächter in einem VW in einer Winternacht auf schneeglatter Straße von Paris nach Colmar unterwegs war. Der in den Volksmund übergegangene ‚Bernstein-Vers‘ wird gemeinhin zitiert, um jemanden zu verspotten, der die eigene Gemeinschaft verunglimpft, also die Gruppe, der er sich noch vor kurzem zugehörig fühlte. Die Weise, in der das Elch-Wort von den Elchen normalerweise intoniert wird, zeigt die dem Elch zumeist unterstellte Triebfeder an, nämlich den Wunsch, sich hervorzutun, sich von der Gemeinschaft abzusetzen, sich wichtigzutun oder gar für etwas Besseres zu halten. Doch anstatt die Motivation der Elch-Kritik am Psychogramm des Kritikers festzumachen, vielleicht um einen Grund zu haben, sich mit der ‚schärfsten Kritik‘ nicht weiter befassen zu müssen, könnten die Elche auch davon ausgehen, dass der Ex-Elch seine Kritik der Sache wegen formuliert. Dann verhielte es sich ganz anders: Ein Elch kommt, warum auch immer, in die Lage, zu sehen, dass die Lebensform der Elche überholt ist, dass ihre kulturellen Praktiken zwar im eigenen Kreis noch funktionieren, diese aber den Problemlagen draußen nicht mehr gewachsen sind, ja, dass die Gemeinschaft der Elche vom Aussterben bedroht ist, wenn sie einfach wie gewohnt weitermacht. Der besagte Elch hat auch eine Vorstellung davon, welchen Weg die Elche einschlagen müssten, um an eine Lichtung mit Aussicht zu gelangen, einen Ort, an dem sie sich neu sortieren könnten. Dieser Elch handelt nicht aus Vorteilsnahme auf Kosten seiner Schwestern und Brüder, sondern aus Sorge und Umsicht. Er tut seine Einsichten kund, weil er ganz genau weiß, dass Elche von Nicht-Elchen weder Rat einholen noch Hilfe annehmen würden.

Meines Erachtens steht es dem Ex-Elch zu, die Elche auf die Notlage hinzuweisen, ja, es ist geradezu seine Aufgabe, auf ihre brisante Lebenslage aufmerksam zu machen. Denn dieser Ex-Elch kennt die Nöte und Entbehrungen der Elche, er kennt ihre Geschichte. Er weiß, was es sie gekostet hat, bis hierher gekommen zu sein. Er macht nicht den Fehler, die Elche zu unterschätzen, sind doch ihre Umgangsweisen Antworten auf frühere Problemlagen, die daher nicht einfach aufgegeben werden können. Mehr noch: Nur ein Ex-Elch ist überhaupt in der Lage, die Elche zu kritisieren. Denn allein er weiß, wie er sich Gehör verschaffen kann, nur er kennt die Gepflogenheiten der Elch-Gemeinschaft: explizite und implizite Regeln, Routinen in der Familie, mit Verwandten, Nachbarn, Bekannten, Fremden. Er kennt ihre Rituale der Initiation und Teilhabe. Dieser Ex-Elch spricht die Elch-Sprache(n), hat feinfühlige Antennen für Spitzfindigkeiten, Subtilitäten, Zwischentöne und Fettnäpfchen. Wenn es überhaupt jemandem zustehen und gelingen sollte, die Elche zum Zuhören zu bewegen, so ihm.1

Diese Vorrede stellt einen Umweg dar. Er hindert uns daran, sogleich zum Wesentlichen vorzustoßen, umgehend zur Sache zu kommen. Auf Umwegen erkunden wir die Umgebung, umkreisen eine Situation, ohne dem Ziel maßgeblich näher zu kommen. Umwege müssen ausgehalten werden. Sie fordern uns einige Geduld ab. Auf Umwegen können und müssen wir innehalten und in der Verlangsamung einen Blick aus gebührlichem Abstand auf den Kontext der eigenen Situation werfen – z. B. von oben, hier in dem Hörsaal an der Universität Halle. Wir befinden uns in einer Situation, die uns eine Entscheidung, ein Urteilen abverlangt, nicht sofort, aber doch bald, in näherer Zukunft. Die Verzögerung führt uns vor Augen, dass wir dieser ethischen Urteilssituation, vor die wir aufgrund der Tatsache gestellt sind, dass die Welt historischen Veränderungen unterworfen ist und damit auch die Prinzipien der forschenden Vermittlung nicht dieselben bleiben können, nicht ausweichen können: Auch Nicht-Handeln wäre ein Handeln, ein Urteilen, das wir verantworten müssen. Im ethischen Sinne können wir dem Urteilen nicht entkommen, wir sind als handelnde Wesen ins Urteilen verstrickt, in ein Urteilen über die Zukunftsfähigkeit unserer Wissenschaftsform, unserer Lebensform; ein Urteilen, das besser oder schlechter ausfallen kann.

Was Benedikt Korf uns rät, wozu er uns auffordert, ist einfach und lässt sich in einem Satz sagen: Wir sollen Geographie als kritische Wissenschaft von einer skeptischen Position aus kultivieren. In dieser Aufforderung sind zwei offensichtliche Ansprüche enthalten: Erstens: Wir sollen kritische Wissenschaft betreiben. Zweitens: Wir sollen dazu die skeptische Position einnehmen.

Mit Kritik ist hier ein anderes Verständnis als das in der kritischen Geographie verbunden, nämlich Kritik mit Foucault als die Kunst zu verstehen, „nicht auf diese Weise und um diesen Preis regiert zu werden“ (Foucault, 1992:12 zit. n. Korf, 2022:17). Kritik soll stattdessen von der skeptischen Position aus erfolgen. Was Kritik heißt, muss situativ entschieden werden. Um einen Forschungsgegenstand kritisch, d.h. in seiner Gesamtheit und in seiner Widersprüchlichkeit erfassen zu können, ist es notwendig, sich auf die Unvorhersehbarkeit des Forschungsprozesses einzulassen. Im forschenden Vollzug finden sich die Gedanken erst, über die sich verschiedene Aspekte einer Sache erschließen und zusammenfügen lassen. Die situative Skepsis ist, so Korf, der sich hier auf Marquard (1958:54) bezieht, ‚Zustimmungsverweigerung‘ in einer bestimmten Situation. „Schwierigkeiten mit einer Position (oder Theorie), mit der er sich identifizieren möchte, führen für Marquard dazu, die Zustimmung vorerst zu verweigern. Skeptizismus ist hier Vorbehalt, er hält die Zustimmung ‚in der Schwebe‘ (Craemer, 1975:400). (…) Skepsis formuliert einen Vorbehalt und vermeidet dadurch die schnelle Festlegung auf eine Position“ (Korf, 2022:24).

Die Aufforderung „Wir sollen Geographie als kritische Wissenschaft von einer skeptischen Position aus kultivieren“ impliziert mindestens fünf weitere Anforderungen:

Erstens geht es darum, die Sollens-Aussage, d. h. die Annahme, dass kritische Wissenschaft mit skeptischem Vorbehalt richtiger und sinnvoller ist, normativ zu orientieren. Anders gesagt müssen wir ethisch bestimmen, was Geographie als gute, d. h. den gesellschaftlichen und politischen Problemen angemessene, wissenschaftliche Praxis ist. So können wir die Grundlage erkennen, auf der sich eine skeptisch-kritische Geographie souverän bewegen kann. Wir haben uns viel zu lange nicht damit auseinandergesetzt, was gute wissenschaftliche Praxis eigentlich ist, sondern dachten, dass sich dies von selbst versteht.

Zweitens: Was skeptische Wissenschaft heißt, lässt sich nur in der Erfahrung selbst ermessen. Es ist also nicht so zu verstehen, dass wir uns erst verändern müssen, um danach besser oder überhaupt erst skeptisch und kritisch forschen zu können. Vielmehr ist der Prozess der Veränderung dem skeptisch-kritischen Forschungsprozess inhärent. Im eigenen skeptischen Tun verstehen wir uns mit der Zeit zunehmend besser darauf, wie wir mit der menschlichen und nicht-menschlichen Mitwelt auf gute und sinnvolle Weise in Beziehung treten können. Damit gewinnen wir auch Möglichkeiten eines kritischen Identitätsdenkens zurück.

Drittens: Mit einer skeptisch-kritischen Position hängt die Anforderung einer im besten Sinne radikalen Geographie zusammen. Der skeptische Vorbehalt erfordert ein radikal geographisches Tun als eine immer wieder an die Wurzel gehende gründliche Veränderung (lat. ‚radicalis‘: an die Wurzel gehend, von Grund auf, gründlich). Von der skeptischen Position aus radikal zu sein, verändert unseren wissenschaftlichen Selbstentwurf, unsere epistemischen Tugenden, unsere Sehgewohnheiten und Aufmerksamkeiten. So ebnet sich der Weg, um angesichts der bedrängenden Probleme unserer Zeit tragfähige Lösungen für eine nachhaltige Zukunft für die Menschheit und unseren Planeten zu finden.

Viertens: Aus der skeptischen Position ergibt sich der Anspruch der Selbstvergewisserung über das eigene forschende Tun. Denn skeptische Kritik liegt nicht im wissenschaftlichen Tun selbst, sondern darin, Rechenschaft abzulegen, gute Gründe für das eigene Tun angeben zu können. Die Bewusstwerdung von Fehlformen und Möglichkeit ihrer Kritik ist an die Kultivierung der Selbstreflexivität gebunden, d. h. an die sprachliche Reflexion über die Art und Weise, wie wir mit dem Forschungsgegenstand immer schon verstrickt sind. Skeptische Kritik ist daher immer auch Selbstkritik, innezuhalten, auf die eigenen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster zu reflektieren und diese immer wieder wenigstens für einen Moment außer Kraft zu setzen.

Fünftens ermöglicht die skeptisch-kritische Position eine zukunftsweisende Disziplinpolitik: Als Antwort auf die multiplen gesellschaftlichen Krisen stellen sich unsere Nachbarwissenschaften derzeit neu auf. Im Juni 2022 hat das Max-Planck-Institut für Geo-Anthropologie in Jena seine Arbeit aufgenommen. Im Dezember 2022 haben die Geowissenschaften in der Leopoldina in Halle an der Saale getagt und sich als Erdsystemwissenschaften neu strukturiert. Für beide Institutionen ist die Kooperation mit den Geisteswissenschaften conditio sine qua non.

Auch um als Disziplin im Fächerkanon der Universitäten und An-Institute überlebensfähig zu sein, muss die Geographie zeigen, dass sie relevante Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen liefern kann. Der skeptische Ansatz ist hierbei hilfreich, da wir auf Umwegen, der Suche nach Orientierung unsere Lage überhaupt erst erkennen können. Wenn wir dann – metaphorisch gesprochen – beim Umkreisen unserer Situation darauf achten, wo der Schuh drückt bzw. wo es zu schmerzen beginnt und der Schmerz existentiell wird, wird leiblich spürbar, wo wir vernünftigerweise anfangen können, nachzudenken, zu fragen und zu forschen, neue Bezugnahmen zu finden und auszugestalten, um so der Notlage beizukommen. Nicht zuletzt um relevant zu bleiben, muss sich die Geographie, müssen wir geisteswissenschaftliches Arbeiten (wieder) kultivieren und situations- und problembezogen mit der Pluralität der sozial- und naturwissenschaftlichen Ansätze verschränken. Wir tun also gut daran, Benedikt Korfs ‚Schwierigkeiten‘ mit den Schonstellungen der kritischen Geographie als die unsrigen zu erkennen und uns mit seinem Buch ernsthaft auseinanderzusetzen.

In dem Panel „Für eine skeptische Geographie“ wurde auf dem Geographentag in Frankfurt a.M. 2023 der in Halle angestoßene Diskussionsrahmen erweitert, um drei zentrale Fragen zu adressieren, die meiner folgenden Darstellung strukturierend zugrunde liegen. Vielleicht fragt man sich nun, warum gerade ich mich als Fachdidaktikerin für die ‚Skeptische Geographie‘ so engagiere. Der Zusammenhang, den ich zu entfalten versuche und in dem der skeptische Vorbehalt zentral ist, lässt sich mit einem Begriff auf den Punkt bringen, mit dem ich mich seit Jahren intensiv befasse: Bildung. Ich möchte etwas zeigen, was mir seit Jahren am Herzen liegt, nämlich dass die Bildung der Geographie als Fach und die Bildung unserer Selbst als Geographinnen und Geographen, also die Fachlichkeit und die Didaktik der Geographie, zwei Seiten derselben Medaille sind. Die anstehenden Veränderungen der Geographie – vor „dem Hintergrund der auf der NKG 2023 diskutierten Vielfachkrisen sowie dem planetaren Wandel (NKG, 2024)“ können heute mehr denn je nur in dieser Doppelbewegung gelingen. Da ich diesen Fragen – wenn auch nicht unter dem Label einer ‚Skeptischen Geographie‘ – schon seit längerem nachgehe, greife ich im Folgenden auf Textpassagen eines früheren Textes zurück (Dickel, 2021).

3.1 Wie kann ein skeptischer Vorbehalt die Theoriediskussion in der Humangeographie befruchten?

Die Fachgeschichte der Geographie im 20. Jahrhundert wird anhand der Aufeinanderfolge wissenschaftlicher Paradigmen erzählt. Dies hat uns blind dafür gemacht, dass das geographische Potential, d. h. die Wirksamkeit unserer Disziplin, nicht in den Wissenschaftsparadigmen selbst liegt. Ohne Zweifel ist es sinnvoll, verschiedene Theorien und Paradigmen an der Hand zu haben. Doch allein das Vorhandensein von Theorien und Paradigmen kann weder unseren Forschungsgegenstand rechtfertigen noch die Art und Weise, wie wir forschend auf ihn Bezug nehmen. Wenn wir als Disziplin bloß aus dieser theoretischen und paradigmatischen – wenn auch kulturkritischen – Vielsprachigkeit unseren Wert beziehen, betreiben wir Geographie aus bloßem Vermögen. Etwas aus bloßem Vermögen zu tun meint, etwas allein aus dem Grund zu tun, weil es machbar ist. In dieser Herangehensweise steckt ein Macht- und Herrschaftsgestus. Aus diesem Macht- und Herrschaftsgestus zu handeln, bringt uns auf Dauer im Hinblick auf unsere Erde, unsere Mitmenschen und nicht zuletzt im Hinblick auf uns selbst in massive Schwierigkeiten. Die Reflexion von Macht und Herrschaft ist gerade der Geographie nicht fremd, allerdings haben wir den impliziten Herrschaftsgestus der üblichen Forschung bisher noch kaum reflektiert.

Im Unterschied zu einem Handeln aus bloßem Vermögen wäre eine Disziplingeschichte wünschenswert, die aus dem schöpft, was uns als Geographie wirklich ausmacht. Erst wenn wir aus unserem spezifischen Wissen und Können als Geographinnen und Geographen heraus forschen, lässt sich unser Tun verantworten. Was meint nun aber Könnerschaft in Bezug auf die Geographie? Unsere Könnerschaft zeichnet sich sicherlich dadurch aus, dass wir differenziertes Fachvokabular, unterschiedliche Deutungs- und Darstellungsmuster für die Polytextualisierung von Räumen und Orten zur Verfügung haben. Doch es reicht nicht, Raumtheorien adaptiv auf ein Beispiel zu bringen. Bloße Adaption ist noch keine verantwortungsvolle wissenschaftliche Leistung. Hier fehlt die notwendige Öffnung im Hinblick auf die zu erforschende Sache. Ihre forschungslogisch sinnvolle raumtheoretische Perspektivierung ergibt sich erst im Zuge einer offenen Begegnung zwischen ForscherIn und Gegenstand. Erst im Vollzug der verstehenden Auseinandersetzung werden die Theorieperspektiven, die Raumsemantiken, die echte Neuigkeiten hervorbringen, ge- bzw. erfunden. Um Neues zu entdecken – Forschungsgegenstände, Forschungsinteressen, Forschungsfragen, Methodologien, Methoden – brauchen wir einen skeptischen Vorbehalt. Erst die skeptische Haltung ermöglicht es, unsere Forschungsroutinen, die wir als Geographie über die Zeit ausgebildet haben und immer wieder fast blind zur Anwendung bringen, zu unterlassen. Im Zuge dieser Unterlassung entsteht eine Leere, ein Noch-nicht-Wissen und ein Noch-Nicht-Können. In diese Leere gilt es immer wieder hineinzukommen, sie auszuhalten, bis sich eine Spur findet, der wir dann nachgehen können. Foucault formuliert das in „Die Ordnung der Dinge“ (Foucault, 1971:412) folgendermaßen: „Diese Leere stellt kein Manko her, sie schreibt keine auszufüllende Lücke vor. Sie ist nichts mehr und nichts weniger als die Entfaltung eines Raumes, in dem es schließlich möglich ist, zu denken.“

Zwischenfazit I: Wahrhafte Forschung ist Forschung aus dem skeptischen Vorbehalt. Gemeint ist die Verschränkung von skeptischem Vorbehalt und geographisch relevanten Theorieperspektiven, die in der offenen Begegnung mit dem Forschungsgegenstand sich immer wieder neu figurierende Verschränkung von Tun und Unterlassen.

3.2 Wie kann ein skeptischer Vorbehalt formuliert werden, ohne emanzipatorische Anliegen preiszugeben?

Emanzipation und Mündigkeit können nun nicht dadurch angezielt werden, dass man bloß etwas tut oder unterlässt. Vielmehr ist die Reflexion des eigenen Tuns und Unterlassens notwendig. In dieser Reflexion über die Art und Weise, wie wir mit der Erdnatur bzw. dem konkreten Forschungsgegenstand als Teil der Erdnatur in Beziehung sind und diese im Forschungsprozess gestalten, erfahren wir nicht nur etwas über den Forschungsgegenstand, sondern auch etwas über uns selbst. Wir werden auf die eigenen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Beschreibungsmuster aufmerksam. Das emanzipatorische Anliegen erfordert die Reflexion der Verschränkung von skeptischem Vorbehalt und sich abwandelnden raumparadigmatischen Bezugnahmen im sich vollziehenden Prozess. Denn Emanzipation meint, dass wir in der Lage sind, über Reflexion, d. h. begriffliches Begreifen dessen, was sich zeigt, ein zunehmendes Bewusstsein dafür zu entwickeln, auf welche Weise sich unsere Forschung angemessen figuriert. Wir bekommen so ein Gespür für den Veränderungspunkt, der uns in die Lage bringt, die Verhältnisse wechseln zu lassen.

Dieser Veränderungspunkt – definiert genau eine Praxis, oder vielmehr den Ort selbst, an dem sich die Praxis einrichten muss (Deleuze, 1973:59).

Die Markierung dieses Veränderungspunktes ist auf Sprache verwiesen, die uns nicht über sozialtheoretische oder naturwissenschaftliche Perspektiven zukommt, sondern allein dadurch, dass wir die Geographie in ihrer Geisteswissenschaftlichkeit ernst nehmen. Denn es ist unser Geist in seiner individuellen und kollektiven Dimension, der sich im Zuge der Forschung abwandelt. Für die individuellen und kollektiven Verschiebungen oder Übertragungen im Forschungsprozess gilt es, eine je angemessene Sprache zu finden, denn individuelle und kollektive Transformationen sind performativ, sie finden nur im Zuge dieser Versprachlichung statt.

Zwischenfazit II: Forschung als emanzipatorisches Projekt ist ein im besten Sinne das Subjekt ermächtigendes und verantwortungsvolles forschendes Tun. Es geht einher mit der tiefgreifenden Reflexion der Grundfeste der eigenen Forschung vor dem Hintergrund eines im kultur- und gesellschaftshistorischen Prozess verorteten Fachverständnisses der Geographie. Emanzipatorische und also verantwortungsvolle Geographie sind die Aufklärung der Geographie und ihrer Praxis über sich selbst. Mit Horkheimer (1937) gesprochen wäre eine derart verantwortungsvolle Geographie zugleich „kritische“ Geographie.

3.3 Wie verändert ein skeptischer Vorbehalt methodologische Taktiken in der Humangeographie?

Der Erdraum ist das erste Forschungsobjekt der Geographie. Lange Zeit hat man der Geographie als Beschreibung der Erde ein veraltetes Verständnis unterstellt. Und ohne Zweifel gerät man in Schwierigkeiten, wenn man auf den naturalistischen Fehlschluss nicht aufmerksam wird, dass man die eigenen Deutungsschemata in die Beschreibung der Erde verwebt, und so tut, als seien diese im Erdraum angelegt. Allerdings gibt es einen hermeneutischen Zugang zum Erdraum, ohne dieser Naturalisierung aufzusitzen. Dieser hermeneutische Weg war lange Zeit nicht im Bewusstsein der Geographie. Vielmehr hat sich die Geographie konstruktivistischen Raumlogiken zugewandt, in denen Räume als gemacht gelten. Damit handelten wir uns den Nachteil ein, dass der Erdraum nicht mehr im Fokus des Forschungsinteresses ist, sondern nur noch die Frage der Gemachtheit, der Repräsentation dieses Erdraumes. Zukunftsweisend ist die Hinwendung zu einer Thematisierung des Erdraumes, die die Vielfalt an Paradigmen und Raumtheorien nicht verleugnet und die zugleich an seiner Materialität ansetzt. In dieser Weise kommt der thematische Kern der Geographie, die ‚Mensch- bzw. Gesellschaft-Natur-Verhältnisse‘, zum Vorschein. Natur ist hier selbstverständlich im Sinne eines kritischen Naturbegriffs gemeint, der Natur nicht bloß als der Kultur und dem Menschen entgegengesetzt begreift, der vielmehr die permanente kulturelle Überformung der Erdnatur in den Blick nimmt sowie eine kulturell überformte Natur, die der Mensch, das vernunftbegabte Wesen, auch selber ist.

Wie geht das konkret? Im Hinblick auf die Erdbeschreibung ist wichtig, an dem ereignishaft Unverfügbaren anzusetzen, das den gewohnten Rahmen des Nachdenkens sprengt und zum Fragen drängt. Im forschenden Tun, das der Dimension des Unverfügbaren Raum gibt, bilden sich Forscher und Gegenstand im beständigen Wechselspiel. Im Antworten auf das Unverfügbare formen sich der Verstehenshorizont der ForscherIn und der Sinnhorizont des Gegenstandes um (Waldenfels, 2009:32f.). Eine Forschung, die dem Unverfügbaren zum Ausdruck verhilft, statt es zu verdrängen, wird der ursprünglichen Idee von Forschung als einer Suchbewegung an der Grenze zwischen Wissen und Nicht-Wissen gerecht. Diese Suchbewegung ist nicht vorhersehbar und stößt gerade dadurch ins Unbekannte vor. Verstehen wir nun das Unverfügbare als den Motor des Forschungsprozesses, so stellt sich die Frage, wie wir dem Unverfügbaren methodologisch beikommen können.

Wie kann man das Unverfügbare, das Neue und das Fremde beobachten, es inszenieren oder darstellen, wenn es sich dem Sagen und Zeigen zugleich entzieht? (Sabisch, 2013:141).

Diese Rätselfrage ist nicht einfach zu beantworten. Sie markiert, welche Form der Reflexion uns blüht, wenn wir den skeptischen Vorbehalt ernst nehmen. Wir müssen uns mit unserem forschungslogischen und -methodologischen Nachdenken ins Weite stellen, nicht-wissend und nicht-könnend – vorerst. Das heißt auch, dass wir unsere Machtfülle aufgeben müssen. Wir sind ja als Disziplin in den letzten Jahrzehnten – sozialtheoretisch gut informiert – sehr machtvoll, es gibt keine Theoriearchitektur, die wir nicht in Anschlag bringen könnten. Es ist verständlich, dass wir alles daransetzen, das Erleben der Polarität der Macht, nämlich den Zustand der Ohn-Macht, möglichst zu vermeiden. Doch diese Vermeidung hilft uns nicht weiter. Vielmehr geht es um ein Forschen, das hier, direkt an unserer Ohnmacht ansetzt. Es geht darum, die Ohnmacht immer wieder zu wählen, Leere und Stille auszuhalten. Diesen Zustand können wir nicht bewusst ansteuern, aber wir können uns auf eine Weise der Erdnatur aussetzen, dass wir in diese Leere und Stille bestenfalls immer wieder hineingeraten, um mit dem Unverfügbaren auf Tuchfühlung gehen zu können. Wir müssen uns dem Unverfügbaren anheimstellen.

Wo aber Gefahr ist, wächst/Das Rettende auch (Hölderlin, 1953:173).

Zwischenfazit III: Den skeptischen Vorbehalt ernst zu nehmen, impliziert die Änderung methodologischer Taktiken unserer Forschung. Den skeptischen Vorbehalt ernst zu nehmen, impliziert aber vor allem eine Veränderung von uns selbst. Das ist – wie jede Veränderung, die im Grunde eine Veränderung unserer Ordnungsmuster und unseres In-der-Welt-Sein ist – schmerzhaft und befreiend. Diese Veränderung ist an der Zeit – wenn wir weiterhin relevant sein möchten, wenn die Geographie auch in Zukunft ihrem Anspruch gerecht werden möchte, eine lebendige und kritische Disziplin zu sein.

4 Von Entschleunigung, Umwegen und verfehlten Zielen – Ulf Strohmayer

„Die Welt geht ja trotzdem unter, während man recht hat […]“ – dieser Satz aus Yasmine M'Bareks kürzlich erschienenem Essay ‚Protest‘ scheint mir ein treffender Aphorismus für Benedikts letztjährigen Einwurf in unsere Debattenkultur (M'Barek, 2023:67). Ein Aphorismus, der den Gegensatz zwischen ‚Recht haben‘ – oder zumindest zu meinen, dass man Recht hätte – und der Resonanz, den Diskursen und den Konsequenzen, die sich hieraus ergeben, zum Zentrum der Debatte machen will.

Es ist ein Buch, das Zu- und Widerspruch erweckt hat; einige dieser ‚Sprüche‘ finden in diesem Heft der Geographica Helvetica ein größeres Publikum. Zu wünschen wäre auch dem Buch ein ebensolches, nicht zuletzt, weil der dem Buch inhärente Versuch, Debatten zu entschleunigen, ein wunderbar kontra-produktives, im Sinne von ‚sich-der-kapitalistischen-Verwertungsmaschine-verweigerndes‘, Moment innewohnt, welches manche Leser:in ansprechen können sollte. Gleiches gilt sicherlich für das von Benedikt klug gewählte Ziel einer „bescheidener“ auftretenden Form von Kritik.

Benedikt Korfs intellektueller Werdegang darf, gerade unter Leser:innen der GH, als nicht gänzlich unbekannter vorausgesetzt werden. Viele seiner klugen Einwürfe und längeren Auseinandersetzungen sind dort zuerst erschienen und jetzt in überarbeiteter Form, neben neuen Gedankenausführungen, in den Schwierigkeiten neu gerahmt und einem breiteren Publikum zugeführt worden. Kundige Leser:innen mögen sich dabei an den Versuch erinnern, eine Speise vorab anhand der Zutaten zu erraten: Beim Essen ergeben sich dann doch immer wieder andere, unerwartete Geschmackserlebnisse. So auch hier, wobei „Geschmack“ als Metapher dehnungsfähig ist: Kommen sich viele Leser:innen schnell ‘auf den Geschmack‚, so bleibt doch beim Einen oder der Anderen doch ein kleines ‚Geschmäckle‘, wie es im süddeutschen Idiom genannt werden könnte.

Jenseits von Redewendungen darf gesagt werden: Das Buch will etwas. Es will erreichen, dass wir anders argumentieren, anders miteinander reden, anders wissenschaftlich vorgehen. Es konstatiert einen oberflächlichen Gebrauch von Konzepten, Ideen und Argumentationslinien, welche es unterbrechen, ja: aushebeln will. Wobei hier gleich gesagt werden muss, dass es hier nicht um Konzepte und Ideen als solche geht, sondern vielmehr um deren rhetorischen Gebrauch, um die Funktion, die diese in unseren Debatten einnehmen und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen für unseren Umgang miteinander, ein Umgang, der solcherart geprägt dann durchaus unser Denken zu formen in der Lage ist.

Der Fokus liegt, wie auch im Buch früh angekündigt, auf Debattenkulturen in der ‚kritischen‘ Geographie. Letztere erscheinen, wenn überhaupt, im Gesamtgefüge des Buches seltsam flach, weil im Singular. Das weite Feld der ‚kritisch‘ sich gebärenden Geographie wird hierdurch doch arg begrenzt, ohne Nuancen durchpflügt. Was darüber hinaus überrascht, ist eine weitgehende Abwesenheit von Evidenzen aus eben dieser ‚kritischen Geographie‘. Weder in der deutschen noch in anderen Sprachen abgefasste Geographien sind an prominenter Stelle rezipiert oder als ‚empirische Tatsachen‘ in das Argument eingewoben. Um deren konkrete Beiträge zu erfassen, muss sich das lesende Volk auf die jeweils eigene Erfahrung mit ‚kritischer Geographie‘ verlassen. Das hat dabei durchaus seinen rhetorischen Charme, belässt aber das Ziel so mancher Begegnung und Kritik im Ungefähren.

Das Wort ‚Evidenz‘ ist dabei zentral für Benedikts Argumentation, wie wir gleich sehen werden. Die relative Abwesenheit von Bezügen auf ‚kritische‘ Formen der Geographie kann kritisiert werden, ist aber vielleicht auch ein Zeichen für eine weitergehende Ambition, welche die Disziplin der Geographie beinhaltend übersteigt. Das Ziel von Schwierigkeiten ist dabei nicht allein die Rechtfertigung eines neuen, eines anderen Duktus im Rahmen kritischer Vorgehensweisen, das Buch will darüber hinaus auch eine Reihe, laut Korf ‚vernachlässigter‘ oder ‚vergessener‘ kritischer deutschsprachiger Philosophen wie Odo Marquard (1928–2015), Hans Blumenberg (1920–1996), Hans Magnus Enzensberger (1929–2022), Carl Schmitt (1888–1985) oder Martin Heidegger (1889–1976), neben anderen, wieder in der öffentlichen Wahrnehmung verankern. Die aktive Präsenz gerade der zwei letztgenannten Kritiker im Nationalsozialismus wird dabei von Korf exemplarisch beleuchtet, ist aber letzthin nicht sein zentrales Thema. Warum dann aber das Versteckspiel des Autors, der seinen lobenswerten Ehrgeiz kaum einmal aufblitzen lässt? Geographen, daran muss erinnert werden, sind selten nur gewillt über den Tellerrand ihrer Disziplin hinaus eine weitere Leser:innenschaft in den Human- und Sozialwissenschaften anzusprechen. Wir sprechen, um es kurz zu fassen, oft nur miteinander, anstatt voneinander. Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie hätte als Phänomenologische Kritik der Kritik ein größeres Publikum verdient; der Untertitel des Buches („Studien zu einer reflexiven Theorie der Gesellschaft“) deutet solcherlei Ambitionen zumindest an, ohne sie dabei umzusetzen, geschweige denn zu vermarkten.

Was also ist das oben angesprochene ‚zentrale Thema‘? Das Buch argumentiert bewusst von einem negativen Befund hin zu alternativen Formen des Argumentierens. Unsere Auseinandersetzungen, so Korf, sind charakterisiert durch eine sich selbst „verschonende“ Kritik, die allzu oft in einen moralischen Ton überschwappt, um als „Absicherungsdiskurs“ qua „diskursivem Klingelton“ gewissermaßen erobertes Terrain mit Gleichgesinnten zu verteidigen. Wenngleich es nicht explizit angesprochen wird, schwingt dabei doch einiges von dem mit, was derzeit unter dem Oberbegriff „Wokeness“ kritisch diskutiert wird. Hier wie dort, so der Befund des Buches, geht es vordringlich nicht um kritische Wissensvermehrung oder die offene Hinterfragung dessen, was wir zu wissen meinen, sondern um Bekenntnisse. Diese dienen der Selbstbestätigung ebenso wie der plakativen Zugehörigkeitserklärung, gerichtet auf theoretisch versierte ‚Insidergruppen‘. Man kann diesen Befund teilen – und viele Leser:innen werden zumindest eine partielle Wahrheit in demselben wiedererkennen – gleichwohl baut er auf einer fast schon romantisch zu nennenden Sichtweise von Wissenschaftsdiskursen als „interessenfreien“ oder zumindest „idealen“ Sprechakten auf, die im Sinne des Werkes von Jürgen Habermas „kommunikatives Handeln“ sei es ermöglichen, in jedem Fall aber rechtfertigen können.

Wer, wie der Autor dieser Zeilen, bisweilen auch der Romantik anheimfällt, kann dieser Sichtweise durchaus etwas abgewinnen. Die Frage muss trotzdem erlaubt sein, ob der im Buch so zentral angemahnte Sachverhalt je anders strukturiert war, ja: sein kann. Der im Buch kritisierte Impuls, „Recht haben“ zu wollen, ist ja dem rationalen Diskurs inhärent, es sei denn, der Zufall diktierte das von uns Vorgeschlagene. „Recht haben“ zu wollen ist in der deutschen Sprache dabei negativ konnotiert; eine theoretisch fundierte Position „zu rechtfertigen“ ist hingegen anerkannter Teil wissenschaftlicher Diskurse. Der Sprung von einer jedweden positiv gesetzten ‚Rechtfertigung‘ zu einer negativ assoziierten Verteidigung liegt dabei manchmal auch gänzlich hermeneutisch im Auge des Betrachters – und kann also ebenso gefunden wie attribuiert werden. „Tonlagen“ oder die von Korf kritisch angezählten „intellektuelle[n] Abkürzungen“ sind also nicht die Ausnahme, sondern gewissermaßen die Regel im wissenschaftlichen Denken, und können aus einer anderen Betrachtungsperspektive auch als rhetorische Finessen oder elegante Brückenkonstrukte erscheinen. Hieraus eine generelle „Betriebsamkeit“ als Ur-fehler von derzeit praktiziertem „kritischem Engagement“ abzuleiten, verkennt deshalb das Moment jedweden Nachdenkens im stets mobilisierten Wissenschaftsbetrieb. Mögen wir auch das oberflächlich „modische“ oder „betriebsame“ in diesem oder jenem kritisch sich gebärenden Text lamentieren, oder die Abwesenheit von „Bescheidenheit“ anmerken, oder auch die oft nur in Übersetzungsform rezipierten, gleichwohl als zentral vermarkteten Autoren und Texte als seltsame oder strategische Abkürzungen wahrnehmen, die Tatsache bleibt, dass solcherlei Unterschiede ihrerseits nur aus Empfindungen her spürbar sind. Kritik ist immer schon „Habitus“ gewesen – und manche von uns überleben sogar weitestgehend vermittels dieser Tatsache.

Zur Umgehung dieser Tatsache (und im vollen Bewusstsein der positiven Darstellung von „Umwegen“ im Buch) müssen in den Schwierigkeiten alte Bekannte aus der Versenkung geholt werden. Da ist zum einen der des Öfteren implizierte Begriff der „Tiefe“, zum anderen ein latenter Rückfall in eine theoriefreie Empirie. Beide gebären sich zu Messlatten, gegen die als oberflächlich positionierte Theorien als „flach“ und nicht zu verifizierende scheitern müssen. Epistemologisch bleibt da so manches im Unklaren. Die im Buch eingeführte, positiv besetzte und von Max Horkheimer entlehnte Praxis des „Sammelns“ wirkt in diesem Kontext fast schon positivistisch, und verhindert es, die Grenze zu einem ‚induktiv‘ zu nennenden Empirismus klar zu ziehen, und noch weniger zu vermeiden.

Korfs positive Besetzung des Begriffes des ‚Umwegs‘ mündet nicht überraschend in einer Kritik der Geschwindigkeit. Wissenschaftliches Denken im Hier und Jetzt ist laut der vorgelegten Argumentation oft „zu schnell“ im Urteilen. Wer wollte dem widersprechen. Auch ersparen wir uns hier und heute die Frage nach der angemessenen Urteilszeit: schnell, zu schnell, langsamer, kriechend – es geht hier (abermals) um ein Gefühl, um den Verlust von jeweilig nicht-theorie-konformen Nuancen, die einem ‚zu schnell‘ geopfert werden. Aber ist nicht dies auch ein Gefühl, welches so manchen kritischen Geograph:innen zu guter Theorie- und Empiriearbeit gebracht hat? Intersektionales Handeln und Denken ist, um nur ein Beispiel zu nennen, aus dem Bewusstsein erwachsen, dass gesellschaftlich produzierte Nachteile und Ausgrenzungen nicht über einen Kamm geschert werden dürfen – und damit einer ergebniszentrierten Geschwindigkeit geopfert werden sollen. Dass der hieraus erwachsene Begriff hernach als „zu verteidigende Position“ in Diskursen wirkungsmächtig zu werden versucht, ergibt sich aus dem hier schon Geschriebenen. Klug ist dabei abermals der Ansatz: „Begriffsfetische ermöglichen die Abkürzung zur Wahrheit“ (Korf 2022:192) – nur, ist nicht genau dieses ein geschätztes Vermögen jedweden Begriffes? Darüber hinaus: Wir können, ja sollen, die Arbeit am Begriff nie aufgeben, wollen aber gleichzeitig auch nicht hinter das durch ihn gelernte zurückfallen. Quo vadis, Theorie?

Bei all dem sollten wir nicht vergessen, dass grundsätzlich auch eine verlangsamte, zögernde, Umwege suchende Form der theoretischen Praxis nicht ohne ein zumindest ungefähres Telos oder Ziel auskommt, um überhaupt in der Lage zu sein, argumentative Unterschiede werten zu können. Der Gegensatz zwischen „Urteil“ und „Unterbrechung“ ist also zumindest weniger epochal, als er von Korf dargestellt wird: Wenn „Nachdenklichkeit“ nach Hans Blumenberg ein Abwarten beinhaltet und eine Neugierde, auf das, was sich „jeweils noch zeigt“, ist diese Nachdenklichkeit ihrerseits immer eine irgendwie gerichtete. Auch ohne theoretischen Überbau ist unser „Schauen“ ein gerichtetes und zumindest persönlich vorgeformtes und, wie Matt Hannah nicht müde wird uns allen zu vermitteln, als solches eingebunden in Aufmerksamkeitsökonomien (Hannah, 2019). Wir können gar nicht all das, was sich „noch zeigt“ erfahren, erfassen und überdenken. Anders gesagt oder gefragt: beinhaltet nicht jede Unterbrechung ihrerseits immer auch schon ein Urteil?

Es bleibt bei all dem, über die Anregung zum gezielten Nachdenken hinaus, das große Verdienst des Buches, im abschließenden Kapitel die Reflektion in religionstheoretische Bahnen gelenkt zu haben. Wenn unser aller gerechtfertigtes Tun letztendlich auf „nicht weiter hinterfragten Überzeugungen“ basiert, ist es Aufgabe der Theorie, diesen Urgrund zumindest aufscheinen zu lassen, ihn sichtbar zu machen, statt ihn wirkungsmächtig unsichtbar zu belassen – oder gar: unsichtbar werden zu lassen. Ob dieses nun als „Hoffnung“, im letzthin trotzigen „Als-ob“ oder in der Form einer gesetzten Anerkennung des Dissens geschieht, ist hierbei egal; was zählt, ist letzthin das Vermögen kritischen Tuns als „Barbareiverschonungssystem“ wirken zu können, um abermals den von Benedikt offensichtlich geschätzten Hans Blumenberg zu zitieren. Ein solcher Befund mag manchem Leser oder mancher Leserin als ‚Minimalkonsens‘ erscheinen, wird aber deswegen nicht weniger wichtig oder gerechtfertigt.

Kritik, daran darf zum Schluss hier erinnert werden, ist performativ. Anders gesagt: Der, ein jeder Kritik inhärente, normative Veränderungsimpuls – im Sinne von: etwas soll nicht so sein, wie es jetzt eben ist oder (epistemologisch gedreht): verstanden wird – hat ein aktionsbezogenes Pendant im Protest. Selbst wenn, wie im Buch mehrmals angemahnt wird, die Analyse von Gesellschaft nicht gleich zu setzen ist mit der Aktion in der Gesellschaft, bleibt der Veränderungsimpuls als verbindende Klammer zwischen den beiden, eine Klammer, die im Gestus immer eine protestierende bleibt. Und was denselben angeht, sei es erlaubt, zum Abschluss dieses kurzen Einwurfes abermals Yasmine M'Barek das Wort zu überlassen. „Protest“, schreibt sie in dem ebenso betitelten und eingangs erwähnten Essay, „hat Risiken und Nebenwirkungen, weil Kapitalismus, Erwartungshorizont und die Vorstellung, es gäbe etwas, das alle wollen und das für alle gut ist, eben nicht so einfach funktionieren. Und genau wegen dieser Ambivalenzen der Demokratie bleibt Protest so unentbehrlich“ (M'Barek, 2023:83).

‚Ambivalenz‘ ist dabei ein Wort, das auch bei Korf Raum einnimmt. Wie wir über ‚Ambivalenzen‘ schreiben und sprechen ohne hierdurch zeitgleich ins Ungefähre, Zufällige abzugleiten, wie wir also (um es mit Blumenberg zu sagen) ein „Urteil anhalten“ können ohne den Akt des Anhaltens seinerseits als Urteil zu denken, erscheint im Zeitalter des wirkungsmächtigen Poststrukturalismus immer noch die zentrale Herausforderung zu sein, die es anzugehen lohnt. Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie ist dabei ein willkommener, be-lohnender Wegbegleiter.

5 Abwesendes und Unbewusstes. Dialogisches zu den Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie – Pascal Goeke

5.1 Abwesendes – über Fehlstellen und Unterstellungen

Kann Abwesendes lärmen? Ich vermute es, denn je mehr der reizvollen Zeilen über die „Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie“ ich las (Korf, 2022), desto mehr fehlte mir und desto lauter lärmte es. Zu Beginn war es nur ein leises Surren – kleine Absenzen warfen Fragen auf: Wieso bemühte sich Korf weder um eine theoretische Bestimmung noch um eine empirische Erfassung seines Gegenstandes kritische Geographie? Wieso verzichtete er meist explizit auf die Nennung von konkreten Schriften, Autor:innen oder Ereignissen, wenn er zur Kritik an der kritischen Geographie ansetzte? Diese Fehlstellen versuchte ich selbst zu füllen. Wenn Korf also von der kritischen Geographie sprach, die ich lieber im Plural adressieren würde, dann führte ich mir jene Arbeiten vor Augen, die die Welt durch eine Vermischung von Theorie und politischer Aktion verändern wollen und Wandel dabei nicht als Reform, sondern als radikalen Auftrag verstehen (Goeke, 2013:3). Und wenn ich Korfs Thesen empirisch prüfen wollte, aber eindeutige Verweise auf die kritische Geographie vermisste, setzte ich gedanklich jene Schriften, Autor:innen oder Ereignisse ein, die sich selbst als kritisch bezeichnen. Doch ob meine Autovervollständigungen sinngerecht waren, wusste ich nicht und so begann es leise zu surren und manchmal auch zu brummen.

Auch wunderte ich mich, dass Korf darauf verzichtete, jenen geisteswissenschaftlichen Standpunkt methodologisch zu begründen, von dem aus er beobachtete, analysierte und urteilte. Und weil ich zudem die im Untertitel versprochenen Studien zu einer reflexiven Theorie der Gesellschaft vermisste, komplettierte ich Korfs Argumente mit mir bekannten Erkenntnissen zu sozialen Dynamiken in der Wissenschaft (z. B. Latour, 1999; Heintz et al., 2004; Goeke und Moser, 2011). Doch das Surren und Brummen schwoll zu einem lauten Dröhnen an. Im offensichtlich Abwesenden, das wurde mir klar, würde ich keinen Schlüssel zum Sinnzusammenhang des Buches finden.

Mit diesem Verdacht war ich nicht alleine. Zumindest begannen auch Kolleg:innen informell und hypothetisch über ungenannte Motive für das Buch zu spekulieren: Anerkennungswünsche, unausgesprochene Kränkungen, Machtspiele etc. wurden vermutet. Zitierfähig formuliert wurden die Vermutungen indes nicht. Die Beteiligten wussten nur allzu gut, dass psychologisierende Motivunterstellungen mindestens stümperhaft und Verweise auf die ökonomischen und sozialen Kapitalien sowie auf damit verbundene Geltungsstrategien und -möglichkeiten des Autors billig sind. Überdies ersticken sie Chancen für produktive Dialoge im Keim.

5.2 Unbewusstes – über mögliche Problemzusammenhänge

Wenn nun aber Kommentare zum offensichtlich Abwesenden, psychologisierende Unterstellungen und machtkritische Bemerkungen höchstens zu lauer Buchkritik im Empfehlungs-/Abratungsmodus führen, dann ist neu anzusetzen. Die entsprechende generische These lautet, dass es einen unbewussten oder wenigstens unausgesprochenen Sinnzusammenhang des Buches gibt. Die Suche nach diesem Zusammenhang ist spekulativ, weil Korf einen solchen Sinnzusammenhang nicht benennt, weil die von ihm aufgeführte stichwortgebende Elitetruppe von Geistesgrößen mit autoritativem Einschüchterungspotenzial kaum zum Spekulieren und eigenen Denken einlädt, und weil Korf sich hinter schaurig-schönen Komposita wie Schonstellungen, Aussparungen von Selbstreflexion oder Selbsttäuschungsstrategien mehr verschanzt als offenbart.

Folgt man der These dennoch und versucht sie weiter zu plausibilisieren, dann erscheinen Korfs Plädoyers für Umwege, Nachdenklichkeit oder „interimistischen Skeptizismus“ (Korf, 2022:56f.) nicht einfach als mit anderen Worten formulierte Selbstverständlichkeiten jeder empirischen Wissenschaft und die erwähnten Auslassungen sind nicht mehr als Unwissenheit oder arbeitsökonomische Faulheit zu deuten. Vielmehr blitzt hier die Scheu vor einer Rückbindung an die Vergangenheit durch. Ganz ähnlich dienen die zahlreichen und redundanten Aufrufungen geisteswissenschaftlicher Größen weniger dazu, sich im Glanze dieser Autor:innen zu sonnen, sondern sind als Versuch zu lesen, Abstand zum geographischen Mainstream zu schaffen und Lichtspalte des Möglichen zu suchen (Korf, 2022:201).

Selbst die kritische Geographie erscheint in diesem Licht nicht mehr als eigentlicher, sondern als zufälliger Reibungspunkt für Korf, der sich ohnehin nur selten mit der wissenschaftlichen Trefflichkeit der kritischen Geographie auseinandersetzt. Zu diesem Befund passen interessanterweise auch die auffallend heftigen und emotionalen Reaktionen einiger Vertreter:innen der kritischen Geographie bei der Author-meets-Critics-Veranstaltung in Halle. Weder zeigten sie sich als souveräne Zuhörer:innen, noch verließen sie sich auf die kognitive Überzeugungskraft ihrer Theorieoption. Ihr ungewolltes Reenactment der Kritik an der kritischen Geographie respektive ihre Unfähigkeit, Korfs Kritikrahmen zu verlassen, deuten darauf hin, dass Korf mit seiner Kritik nicht ganz falsch liegt und dass auch sie nicht um den ursächlichen Problemzusammenhang wissen.

Im Horizont all dieser Vagheiten und angesichts der epochalen sozialen, medialen, technischen und ökologischen Veränderungen der Gegenwart wäre es töricht, mit Gewissheit von einem eigentlichen Problemzusammenhang zu sprechen. Doch mit der nötigen Vor- und Umsicht sollte es mit einem Blick auf zentrale epistemologische, wissenschaftspolitische und umweltliche Driften möglich sein, wenigstens anzudeuten, dass die Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie mit gewaltigen Unsicherheiten und sinngeschichtlichen Umwendungsbewegungen zusammenhängen.

In dieser Argumentationsspur ist in epistemologischer Hinsicht daran zu erinnern, dass repräsentationale Erkenntnistheorien seit Anfang des 20. Jahrhunderts an Bedeutung verloren und konstruktivistische Positionen die Oberhand gewannen. Dabei wurde der alte Zentralwert der Wahrheit geschliffen und der Wissenschaft mit guten Gründen ein Teil ihrer Autorität genommen. Im Zuge dieses Wandels gab es sicher motivationssteigernde Emanzipationsmomente, doch zugleich sind Verunsicherungen bis hin zu quälenden Sinnfragen als Ergebnis von Gewissheits- und Autoritätsverlusten zu erkennen. Der relative Erfolg der kritischen Geographie ist entsprechend nicht allein mit dem intellektuellen Bereicherungspotenzial dieser Theorieoption zu erklären, sondern auch eine Geschichte der Motivationskompensation und Sicherheitssuggestion. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die kritische Geographie, die von Krisen profitiert und so sehr nach Veränderung strebt, erstaunlich fixe Antworten bietet: Das Gros sozialer Beziehungen liest sie als Effekt der Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess und die Praxis der Ideologiekritik wird von einem erstaunlich selbstgewissen Standpunkt aus betrieben. Korfs Texte stoßen sich an derartigen Gewissheiten, zumal wenn sie in Union mit Personalisierungen und Moralisierungen auftreten. Das mag man teilen oder nicht, doch hinter der Aufregung geht es in seinen Texten um eigene Verunsicherungen in einer Welt, die keine übergreifende Hierarchisierung mehr erkennen lässt und die auf koexistierende und kooperative Ökologien der Nachbarschaften umstellt (vgl. Lippuner, 2018).

Konstruktivistische Epistemologien haben der Welt nicht allein ihre Kontingenz vorgeführt. Sie haben auch die strukturierende Kraft disziplinärer Problemstellungen untergraben. Weil zudem neue politische Erwartungen an die Wissenschaft formuliert werden, gilt es Haltung zu beziehen. Der kritischen Geographie ist das in einer für viele attraktiven Weise gelungen. Zwar nicht in ihrer radikalen Version, aber mittels ihrer flexibleren Ansätze schließt sie an tradierte Positionen einer angewandten Geographie an oder sucht den Kontakt zur Schule, einem alten Referenzpunkt geographischen Wissens. Andere Theorieoptionen tun sich mit dem Wandel deutlich schwerer. Korf schenkt diesen tiefgreifenden wissenschaftspolitischen Veränderungen wenig Aufmerksamkeit. Solange das so bleibt, so ist zu vermuten, wird sein redlicher Einsatz für andere Theorieoptionen in der Geographie zu einem guten Teil ins Leere laufen.

Vergegenwärtigt man sich überdies, dass sich auch die epochalen umweltlichen Veränderungen auf die Struktur der Wissenschaft und die Erwartungen an die Wissenschaft auswirken, dann wird erneut deutlich, dass es bei den Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie letztlich um allgemeine Haltungsfragen und Positionssuchen geht. Wie man diese Veränderungen adressiert, ob man also das Anthropozän als naturwissenschaftliche Realdefinition begreift, technikphilosophisch von einer „environmentalitären Situation“ spricht (Hörl, 2018), die sozialen Folgen des Anthropozäns als kategorischer Weltbeobachtungsformel in den Blick nimmt (Goeke, 2022) oder andere Perspektivierungen wählt, ist nachrangig. Nicht nachrangig aber ist das Thema samt seinem revolutionären Potenzial für wissenschaftliches Arbeiten – Gedanken dazu fehlen aber in Korfs Texten.

5.3 Dialogische Perspektiven

Wenn es nur halbwegs zutrifft, dass die Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie nicht allein auf mehr oder minder gravierende Plänkeleien zurückgehen, sondern tiefgründige Fragen nach dem Sinn wissenschaftlichen Arbeitens und der Haltung angesichts sich verändernder Weltverhältnisse betreffen, dann ist anzuerkennen, dass die kritische Geographie auf diese Fragen attraktive und motivational starke Antworten bietet. Mit dieser Anerkennung fällt sie allerdings aus dem Zentrum des Buches heraus, weil jetzt zu klären ist, ob der Problemzusammenhang überhaupt treffend benannt ist, ehe nach Problembearbeitungsstrategien Ausschau gehalten wird.

Solche Klärungen, das habe ich an anderer Stelle im Anschluss an Jullien (2019) ausgeführt (Goeke, 2023), sollten nicht von tief eingekerbten Differenzen ausgehen. Auch sollten die Beteiligten nicht einfach Identitätspositionen in die Waagschale werfen. Stattdessen sind Dialoge auf der Basis von Gemeinsamkeiten, wie etwa der Idee der Wissensproduktion, zu führen. Im Verlauf solcher Dialoge entdecken sich die beteiligten Positionen Schritt für Schritt einander und wagen Wege ins Unbekannte und Ungewisse. Die Abstände zwischen ihren Standpunkten sind produktiv zu nutzen. Im besten Fall beginnen die beteiligten Positionen also sich in den anderen zu reflektieren. Sie lassen Neues entstehen, weil „jede Sprache, jeder Gedanke, jede Position sich durch die andere entgrenzen lässt, so dass in diesem nun aktiven Zwischen ein gemeinsames Verständnis auftauchen kann“ (Jullien, 2019:89). Meine Suche nach dem Abwesenden und Unbewussten ist in diesem Sinn nicht nur eine Suche nach dem Sinnzusammenhang des Buches. Sie ist auch als Versuch zu verstehen, die Abstände zwischen meinen und anderen Positionen zu vermessen, die anderen Positionen mit Außensichten zu versorgen, dabei vermeintlich Unversöhnliches und Agonales aufeinander zu beziehen und so einen produktiven Dialog anzustoßen.

6 Methodische Skepsis – Peter Dirksmeier

6.1 Problemstellung

Dieser kurze Einwurf geht auf Gedanken zurück, die ich anlässlich des Panels „Für eine skeptische Geographie“ auf Einladung von Eberhard Rothfuss auf dem Deutschen Kongress für Geographie in Frankfurt am Main formuliert habe. Von den dort diskutierten Fragen behandelt mein kurzer Input die in der Ankündigung aufgeworfene dritte Frage: „Wie verändert ein skeptischer Vorbehalt methodologische Taktiken in der Humangeographie?“ Man könnte diese Frage vielleicht leicht anders formulieren, um auf die gegenwärtige Methodenentwicklung in der deutschsprachigen Sozialgeographie zu zielen. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Skepsis auf der einen und methodisch-methodologischer Kritik in der Kultur- und Sozialgeographie auf der anderen Seite? Denn dieser Zusammenhang von Methodenkritik und Skepsis erlaubt mir, auf eine aus meiner Sicht länger währende mitunter problematische methodische Entwicklung insbesondere in der deutschsprachigen Kultur- und Sozialgeographie hinzuweisen und damit hoffentlich einen Denkanstoss zu geben, der zum (Wieder)Einbezug des quantitativen Spektrums sozialwissenschaftlicher Methoden führt.

Benedikt Korf formuliert im Vorwort zu seinem Buch „Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie“ (2022) bekanntermassen einen „skeptischen Vorbehalt“ (Korf, 2022:10). Und diese Skepsis ermögliche „Atempausen“ (Korf, 2022:10), „Umwege“ (Korf, 2022:10) oder „Störungen […] liebgewonnene(r) Denkmuster“ (Korf, 2022:10). Skepsis oder Skeptizismus, beides lässt sich synonym denken, ist aber noch mehr. Sie ist der, so der US-amerikanische Philosoph Thomas Nagel, „radikale Zweifel an der Möglichkeit, angesichts unseres Eingebundenseins in das Weltgeschehen und der Unmöglichkeit uns selbst von Grund auf neu zu erschaffen, überhaupt zu Wissen, Freiheit oder ethischer Wahrheit zu gelangen“ (Nagel, 2022:17). Würde man einer solchen Lesart des skeptischen Vorbehalts folgen, wäre die in der Beschreibung dieses Panels von Eberhard Rothfuss gestellte Frage leicht zu beantworten. „Methodologische Taktiken“ würden nicht zu Wissen führen, sei es auch nur vorläufig. Sie würden somit keinen Sinn ergeben. In abgemilderter Form weist dieser Skepsisbegriff allerdings auf einen wichtigen Aspekt für empirisches Arbeiten hin. Aus einer skeptischen Perspektive, bzw. mit einem „skeptischen Vorbehalt“ (Korf, 2022:10), um Benedikt Korfs Wendung zu verwenden, wird erkennbar, so Thomas Nagel, dass auch Objektivität eine immanente Möglichkeit der Selbstreflexion über das Faktum aufweist, dass ihre Erkenntnismöglichkeiten selbst Grenzen unterliegen. Objektivität stellt sich selbst immer in Rechnung, dass ihre Erkenntnismöglichkeiten Grenzen aufweisen, begrenzt sind, so Nagel (2022:17).

Ich möchte an diesen Aspekt der letztlich skeptischen Betrachtung von Objektivität anschliessend meine leitende These für meinen kurzen Einwurf formulieren. In diesem aufgespannten Zusammenhang von Objektivität, Methodenkritik und Skepsis kennzeichnet die Kultur- und Sozialgeographie eine Verschiebung des Blicks und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung hin auf die Grenzen der empirischen Erkenntnismöglichkeiten. Der Blick geht zugleich teilweise weg von dem objektiven In-den-Blick-Nehmen der methodischen Erkenntnismöglichkeiten selbst. Insbesondere geht der Blick weg von den im weitesten Sinne quantitativen Methoden und kartographischen Möglichkeiten, die in der Folge zwar Gegenstand von Kritik werden, aber keine Verwendung mehr in der Forschungspraxis finden. Die Kultur- und Sozialgeographie hat mithin seit dem Cultural Turn eine grosse Skepsis gegenüber quantitativen, objektiven und kartographischen Methodologien und Techniken entwickelt. Diese hier zum Ausdruck gebrachte Skepsis speist sich aus der geschichtlichen Entwicklung der Disziplin in etwa den letzten 40 Jahren. Diese Skepsis inhibiert die Kultur- und Sozialgeographie in ihren Anschlussmöglichkeiten an Nachbarfächer und letztlich in ihren Entwicklungsmöglichkeiten und neuen denkbaren Fragestellungen.

Wie kam es zu dieser Situation? Vermutlich war der Grossteil der Sozialwissenschaftler:innen bis in die 1970er Jahre hinein dem Realismus verpflichtet. Das bedeutet, sie nahmen die Existenz einer objektiv gegebenen Welt an, die dann so genau wie möglich mit wissenschaftlichen Methoden zu beschreiben und zu erklären war (Bunge, 1993; Nagel, 2022). Dies führte dazu, dass Subjektivismus, Konstruktivismus und Hermeneutik mehr oder weniger ignoriert wurden, wie der kritische Rationalist Mario Bunge schreibt (Bunge, 1993). Nach Einbezug dieser Theorien in die weiteren Sozialwissenschaften, etwa durch die Arbeiten von Alfred Schütz, Thomas Luckmann oder Michel Foucault, wurde dann wiederum ein sogenannter „genetischer Fehlschluss“ intensiv diskutiert. Dieser Fehler läge darin, so etwa Ben Bradley, dass Wissen gerade nicht durch einen Bezug auf die Geschichte dieses Wissens relativiert, erklärt oder nivelliert werden kann (Bradley, 1998). Dieses Postulat richtete sich unter anderem gegen die Arbeiten von Foucault, insbesondere seinem Werk Die Ordnung der Dinge (Foucault, 1971). Wo wir nun bei Nigel Thrift und der non-representational theory angekommen wären. Denn Nigel Thrift als oft zitierter Kulturgeograph stimmt in diese Kritik ein. Er ist selbst eine wesentliche Stimme dieser Kritik. Nigel Thrift greift auf die Arbeit Bradleys zurück und zitiert diesen, um die genetische Perspektive in der weiteren Sozialwissenschaft dezidiert als zu eindimensional und unterkomplex zu kritisieren. Er fragt provokant

How might we begin to tack away from the vapid certainties of so much current cultural work (Thrift, 2000:215)?

Dieser Aufruf zum Betreten theoretischen Neulandes in der Kultur- und Sozialgeographie fällt mit einer irisierenden Ausdifferenzierung von vorwiegend qualitativen Methodologien und Methodiken in der Kultur- und Sozialgeographie seit Ende der 1990er Jahre zusammen. Der Zusammenhang des Aufkommens der non-representational theory bzw. der Neuen Kulturgeographie und der Vielgestaltigkeit qualitativer Arbeiten ist sicher weniger kausal denn koinzident. Was aber auffällt ist eine Vermeidungsstrategie gegenüber dem genetischen Fehlschluss in den methodischen Arbeiten. Damit einhergehend besteht eine grosse Skepsis gegenüber quantitativen, objektiven und zum Teil auch kartographischen Methodologien und Techniken.

Diese Ausdifferenzierung hat Matthias Naumann jüngst in einem sehr lesenswerten Kommentar zu Benedikt Korfs Buch „Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie“ in der Zeitschrift sub\urban für die Kritische Geographie ausbuchstabiert (Naumann, 2023). Matthias Naumann kritisiert den nur schwach ausgeprägten methodologischen Diskurs in der Humangeographie und Kritischen Geographie und diskutiert in seinem Aufsatz partizipative und zugleich kritische Methodenbeiträge der jüngeren Zeit aus der im weitesten Sinne kritischen Kultur- und Sozialgeographie. Diese Beiträge, z. B. zu visuellen Methoden, mobilen Interviews, qualitativen GIS oder Social Media Analysen, kennzeichnet, dass sie alle sehr kreativ und innovativ sind und auf die zunehmende auch methodische Herausforderung „der Digitalisierung sowie der zunehmenden Mobilität in Gesellschaften“ (Naumann, 2023:324) reagieren. Und sie sind darüber hinaus im weitesten Sinne dem qualitativen oder diskurstheoretischen Paradigma zuzuordnen (Naumann, 2023).

6.2 Drei Probleme der gegenwärtigen kultur- und sozialgeographischen methodischen Entwicklung

Ich halte diese hier erkennbar werdende Fokussierung auf das qualitative Methodenparadigma aus mindestens drei Gründen für problematisch. Und damit formuliere ich zugleich meinen, wenn man so will, „skeptischen Vorbehalt“ (Korf, 2022:10) gegenüber der methodologischen Entwicklung in der Kultur- und vor allem Sozialgeographie. Darüber hinaus halte ich diese Entwicklung auch für unnötig. Ich möchte dies im Folgenden kurz begründen.

Das erste Problem besteht in der Geschwindigkeit der methodischen und technischen Entwicklung im weiten Feld quantitativer sozialwissenschaftlicher Verfahren. Die Methodenentwicklung ist schnell und die technische Umsetzung läuft parallel in open source und kommerziellen Anwendungen mit. Ein Beispiel ist die Implementierung von GIS-Anwendungen in statistischen Plattformen wie R oder Stata, die spezielle GIS-Programme zusehends ersetzen. In Kombination mit machine learning und KI-basierten Anwendungen führt dies zu einem enormen Tempo in der Methodenentwicklung und Anwendungsmöglichkeiten für humangeographische Forschungsfragen. Diese ist in gewisser Weise kultur- und sozialwissenschaftlicher Kritik voraus. So richtet sich die kulturgeographische Kritik an Karten bzw. kartographischen Ergebnispräsentation in geographischen Publikationen im Wesentlichen auf Interpolationen von wenigen oder vielen Datenpunkten in Polygonen, die wiederum bestimmte Territorien repräsentieren, wie Stadtviertel, Landkreise, Gemeinden oder Raumordnungsregionen. Die hier entstehenden Grenzen werden dann in Hinblick auf ihre kolonialen und postkolonialen Existenzbedingungen, performativen Wirkungen, Entkopplung von lebensweltlichen Bezügen oder angeschlossenen Machtfragen kritisiert. Die technischen Möglichkeiten sind aber andere. Es geht in der gegenwärtigen quantitativen Forschung mit georeferenzierten Daten eher darum, wie der Münchner Ökonom Oliver Falck es in einer Diskussion formulierte: „Wie viele Bäume sehe ich aus meinem Fenster?“. Dies zielt auf die Modellierung von individuellen räumlichen Kontexten um eine befragte Person herum, also die Anzahl der Bäume im Blickfeld von einem Koordinatenpunkt, der etwa den Wohnort der befragten Person repräsentiert. Es geht gerade nicht mehr ausschliesslich um die Interpolation von räumlichen Kontexten, wie die Anzahl der Bäume im Stadtteil der befragten Person inklusive der artifiziellen Grenze des Stadtteils, die u. U. für die befragte Person ohne jegliche Relevanz ist. Die Kultur- und Sozialgeographie lässt hier letztlich beides liegen – sowohl die Nutzung dieser methodischen Entwicklungen für ihre eigenen meist räumlichen Fragestellungen, genauso wie eine an diese Möglichkeiten angepasste Kritik.

Das zweite Problem liegt in einem Verschenken der politischen Relevanz von repräsentativen Studien. Empirische Arbeiten, die für sich eine Form von Repräsentativität reklamieren, gelangen deutlich häufiger in den medialen und politischen Diskurs. Zugegebenermassen sind populärwissenschaftliche Studien mit Aussagen wie „56 Prozent der Deutschen lehnen das Gendern ab“ wenig hilfreich. Schaut man sich solche Studien genauer an, findet man in der Regel kleine, wenig repräsentative Stichproben, unklare Definitionen von zu messenden Determinanten und Variablen, exkludierende Erhebungsverfahren und in der Folge grosse Konfidenzintervalle, die solche im Anschluss im öffentlichen Diskurs auftauchenden Aussagen statistisch nicht zulassen. Es lässt sich dennoch konstatieren, dass quantitative Befragungsstudien weniger leicht von bestimmten politischen Akteuren desavouiert werden können. Hier bieten insbesondere qualitative, auch methodisch hervorragend durchgeführte Studien, deutlich mehr Angriffsfläche, wie sich in der Vergangenheit oftmals gezeigt hat. Zum anderen könnte die Kultur- und Sozialgeographie mit überzeugenden quantitativen Studien zu ihren Themen, zudem grafisch ansprechend aufbereitet, mehr Einfluss auf den öffentlichen und politischen Diskurs nehmen. Dieses Potenzial wird momentan wenig genutzt.

Und das anschliessende dritte Problem liegt damit in einem Verschenken von möglichen Anschlussmöglichkeiten an Arbeiten der Nachbardisziplinen, wie etwa Soziologie und Politikwissenschaft. Ein Dialog über methodische Möglichkeiten birgt Potenziale für die Entstehung von gemeinsamen Forschungsprojekten und generell einer intensiven Zusammenarbeit. Die zunehmende Neoliberalisierung der Hochschullandschaft, der Verteilungskampf um Mittel und Stellen und letztlich auch um Wiederbesetzungen oder Neuberufungen von Professuren in der Kultur- und Sozialgeographie verlangt nach Präsenz in hochrangigen wissenschaftlichen Journals, insbesondere in interdisziplinären und weithin bekannten, der Teilnahme an und besser noch lead in interdisziplinären und internationalen Verbundprojekten und generell nach kontinuierlichen Erfolgen in der Drittmitteleinwerbung. Anschlussfähigkeit an oder sogar der lead in interdisziplinären Verbundprojekten ist daher essentiell für die Kultur- und Sozialgeographie, will sie weiter breit in der deutschsprachigen Universitätslandschaft aufgestellt bleiben, wo sie meist in naturwissenschaftlichen Fakultäten mit unterschiedlichen Publikationskulturen angesiedelt ist. Dabei bietet die quantitative Methodik eine hervorragende Brücke und Kommunikationsanschlüsse in die Nachbardisziplinen, selbst in die physische Geographie und anderweitige Fächer in den Fakultäten. Diese Brücke wird aber in der Kultur- und Sozialgeographie gegenwärtig [zu] wenig begangen.

6.3 Was könnte getan werden?

Diese Situation, wie ich sie bis hier skizziert habe, hat bereits Elvin Wyly Ende der 2000er Jahre für die Kritische Geographie festgestellt (Wyly, 2009). Wyly sah hier eine falsche angenommene Verbindungslinie von Konservativismus, Positivismus und quantitativer Methodologie in der kritischen Humangeographie verantwortlich. Elvin Wyly kritisierte vielmehr, dass ein Markt im weiteren Feld der Ideologieproduktion entstanden sei, der die überwiegend qualitativen Ergebnisse der Sozialwissenschaften in seinem Sinne interpretierte (Wyly, 2009). Dem müsste mit einer Neuausrichtung empirischer geographischer Forschung begegnet werden. Wyly plädierte für eine kritische quantitative Forschung als strategischen Positivismus, um der Ideologieproduktion faktenbasiert entgegenzutreten (Wyly, 2009). Das Ziel müsse sein, über valide, repräsentativ-statistische Empirie in der kritisch-geographischen Forschung für ein stärkeres Eintreten der Politik etwa gegen Ungleichheiten zu sorgen. Wyly sah daher quantitative Forschung als strategischen Positivismus an. Quantitative Forschung ist für Wyly ein ideologisches Instrument des Gegensteuerns und des Aufdeckens von Ideologieproduktion. Methodisch-skeptische „Atempausen, die ein genaueres Hinsehen erlauben“ (Korf, 2022:10) in dem von Benedikt Korf angedachten Sinne in der gegenwärtigen Kultur- und Sozialgeographie sollten zur Wiederentdeckung dieses Aufrufs von Elvin Wyly für einen strategischen Positivismus genutzt werden. Auch und gerade die kritische Kultur- und Sozialgeographie ist in Zeiten des Erstarkens von Rechtspopulismus und Xenophobie, wachsender Ungleichheit, gesellschaftlicher Polarisierung und Kürzungen im Wissenschaftsbetrieb gefordert, mit ihren wichtigen Themen methodisch neue Wege einzuschlagen. Es wird Zeit.

7 Von Belesenheitskanonen und Tonspatzen – Matthew Hannah

Benedikt Korfs Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie bringt einige seiner Schriften mit neuem Material zusammen, um eine schädliche „Tonlage“ in der „kritischen Geographie“2 zu diagnostizieren (Korf, 2022:20, 32; Seitenangaben ohne Quellen im Folgenden sind alle aus diesem Buch). Korf plädiert gegen diese Tonlage für Nachdenklichkeit, intellektuelle Gelassenheit, eine „skeptische“ Haltung, Langsamkeit, und eine „wärmere“, „empathischere“ Tonlage (S. 105). Der Band kann unter anderem als eine ideengeschichtliche Ergänzung und Vertiefung von Pascal Goekes und Marc Redepennings Kritiken von Aspekten der „kritischen Geographie“ gelesen werden (Redepenning, 2007; Goeke, 2013).

Das Buch ist von Benedikt Korfs intellektuellen Stärken geprägt: von analytischer Scharfsinnigkeit, von einem sehr reflexiven Umgang mit dem Bereich der eigenen empirischen Expertise (geographischer Entwicklungsforschung), von einem erheiternden Forschergeist, was die längeren historischen Kontexte akademischer Diskurse angeht – für mich ein besonderes „Korfisches Merkmal“ – und in allen Bereichen mit einer imponierenden Belesenheit. Die Kritik am gnostischen Faden in Heidegger und Schmitt (Kap. 3) beispielsweise, oder die Kritik am Versicherheitlichungsdiskurs (Kap. 6) bleiben auch bei der zweiten Lektüre sehr erhellend.

Es gibt Aspekte des Hauptarguments zur „Tonlage“, wofür seine diversen Forschungen hier in Dienst genommen werden, denen nur zuzustimmen sind. Niemand ist prinzipiell für Arroganz, Besserwisserei, Rechthaberei und dergleichen, oder gegen Nachdenklichkeit. Es kann auch nur gut sein, etwas genauer über die eigene Praxis in dieser Hinsicht zu reflektieren. Sofern eine schädliche Tonlage tatsächlich festzustellen ist, ist es zweitens viel überzeugender, dagegen für Nachdenklichkeit und Zögerlichkeit als für irgendeine Chimäre von „nicht-Normativität“ zu plädieren. Die religionsphilosophische These, die Korf gegen Ende des Buches aufstellt, wonach Tendenzen zum Exklusiven und Rechthaberischen ihre ideengeschichtlichen Wurzeln im Zusammenspiel zwischen apokalyptischen und gnostischen Antworten auf die religionsphilosophische Frage der Erlösung haben, ist schließlich eine interessante Herausforderung für das typische säkuläre Selbstverständnis der Sozialwissenschaften im 21. Jahrhundert (195–200).

Das Hauptargument zur „Tonlage“ ist meines Erachtens aber mit einigen Problemen behaftet. Im Folgenden wird vor allem ein Punkt durch eine zum Teil „interne“ Kritik herausgegriffen. Es wird – wie in der „immanenten“ Kritik – ein Unterschied zwischen propagierten Normen und tatsächlicher Praxis festgestellt. Aber anders als bei einer „immanenten“ Kritik wird dieser Unterschied nicht als Ergebnis eines unvermeidlichen, „konstitutiven Widerspruchs“ verstanden (99–100). Der wichtigste Norm-Praxis-Unterschied im Buch ist alles andere als unvermeidlich oder notwendig, ganz im Gegenteil kommt er mir völlig uncharakteristisch und verblüffend vor.

7.1 Existenz und Beschaffenheit der „Tonlage“

Der problematische Norm-Praxis-Unterschied hat mit dem Thema „Personalisierungen“ zu tun. Korf versucht eine Personalisierung seiner Kritik an die „kritische Geographie“ zu vermeiden (S. 18), indem er keinen Namen nennt, sondern von der soeben erwähnten diffusen Tonlage spricht, was er auch manchmal als „Denkstil“ oder „Denkstimmung“ beschreibt (S. 31). Diese Tonlage hat drei einander teilweise überlappende Hauptvarianten: die kynische, die gnostische und die dekonstruktivistische (S. 31), wobei oft von einer allgemeinen Tonlage gesprochen wird. Es ist eine berechtigte Frage, wie viele „kritische Geograph:innen“ diese Tonlage tatsächlich mittragen. Sind es nur eine Handvoll, ist es fragwürdig, ob das Thema ein ganzes Buch von einem hochkarätigen Forscher verdient hat. Aber das Hauptproblem mit der Korfischen Argumentation hängt nicht davon ab, wie weit oder eng der Kreis der Tonlage-Träger:innen gezogen wird. Aspekte der Argumentation wären auch unangebracht, wenn es nur wenige „Böse“ gäbe.

Hier muss zwischen zwei Arten von Anklagen gegen die „kritische Geographie“ unterschieden werden, die aber im Buch oft zusammen vorkommen. Vorwürfe der „Rechthaberei“ (S. 24, 38), „Besserwisserei“ (S. 91, 154), „Maßlosigkeit“ und „Alarmismus“ (S. 35, 145), „Überreiztheit“ (S. 87) sind unangenehm und als Interpretationssachen sicherlich potenziell umstritten, sie sind aber nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Sie lassen sich erstens zumindest zu einem gewissen Grad an äußerlich wahrnehmbarem Verhalten festmachen. Rechthaberei und Besserwisserei sind zweitens auch „strukturell“ immer möglich, weil jede wissenschaftliche Publikation oder Vortrag die Botschaft implizit mitträgt, die Verfasser:innen haben Recht bzw. wissen irgendetwas besser. Wieweit diese implizite Botschaft in eine nach Außen sichtbare stilistische Haltung verwandelt werden darf, bevor die Linie zur „Rechthaberei“ oder „Besserwisserei“ in gemeintem Sinn überschritten wird, wird nicht immer richtig erkannt. Der Vorwurf von Rechthaberei oder Besserwisserei kann schließlich auch konstruktiv sein, weil er Verhaltensweisen benennt, die zumindest prinzipiell nicht beabsichtigt sein müssen, und die auch ungewollt aus ehrlichen Motivationen stammen können. Bliebe es bei dieser Art von Anklage, wäre es Korf möglich gewesen, wie beabsichtigt, ein einladendes, konstruktives Argument zu entfalten.

Die zweite Kategorie der Vorwürfe bringt Korf aber in den Bereich der vermuteten inneren Geisteszustände, Motivationen und Beweggründe. Der „kritischen Geographie“ oder ihren Stellvertreter:innen wird beispielsweise vorgeworfen, aufgrund eines „Geltungsbedürfnisses“ „reflexhaft [zu] plappern“ (S. 9), oder dass sie von einem „Vergnügen am Verdacht“ bzw. einer „Faszination der Entlarvung“ (S.38) motiviert seien, dass sie im Rahmen intellektueller Debatten immer „Sieger“ sein wollten (S. 52), dass sie von einem „permanenten Außerordentlichkeitsbedarf“ getrieben würden (S. 130, 147) und dergleichen. Die Tatsache, dass solche Formulierungen – die auffällig oft von Odo Marquard stammen – meistens ursprünglich andere Zielscheiben hatten als die „kritische Geographie“ ist unerheblich. Wäre die „kritische Geographie“ nicht klar mitgemeint, wäre diese Art von Psychodiagnostik nicht nur inhaltlich sehr bedenkenswert, sondern auch völlig irrelevant.

Sie ist inhaltlich bedenkenswert, weil sie nicht aus bloßen „Zuspitzungen“ der Vorwürfe von Rechthaberei usw. besteht, sondern eine qualitativ andere Art des Vorwurfs bildet. Eine Tonlage mag rechthaberisch sein, sie hat aber kein „Geltungsbedürfnis“. Solche Beweggründe haben nur Menschen, die eine Tonlage schaffen. Anders gesagt, ist diese zweite Art von Vorwurf eine ziemlich starke „kollektive Personalisierung über Umwege“. Laut Pascal Goeke geht es bei der Personalisierung schließlich nicht so sehr darum, dass Namen genannt werden, sondern, „dass Autorinnen und Autoren in toto auf einen (normativ-moralischen) Prüfstand gestellt, bewertet und gegebenenfalls verurteilt werden“ (Goeke, 2013:2). Die Momente von Prüfung, Bewertung und Verurteilung sind hier gewissermaßen in einem wiederholten Akt der abwertenden Psychodiagnostik kondensiert. Diese kollektive Personalisierung ist jedenfalls nicht wissenschaftlich (es beruht auf keiner belastbaren Evidenz), nicht für die Kollegialität förderlich, und auch nicht nötig.

Anders gesagt geht es hier um genau die Form einer negativen „Hermeneutik des Verdachts“ gegenüber der „kritischen Geographie“, die Korf der „kritischen Geographie“ selbst vorwirft (S. 91, 94). Die Korfische Hermeneutik arbeitet mit einem seltsamen Bild der anonymen „kritischen Geograph:innen“: sie – wir? – seien vor allem an Selbstinszenierung interessiert und nicht zum Beispiel überwiegend an der Verbesserung des eigenen Weltverständnisses oder der Linderung sozialer Missstände. Sie wollten vielmehr immer etwas „signalisieren“ (S. 17, 22); deren Aussagen seien oft nicht substantiv, sondern als „Gestus“ zu verstehen (S. 23, 38, 105, 107, 130, 146, 148, 191). Die „kritische Geographie“ wäre demnach im Grunde eine große, kollektive und verachtenswerte Übung im nicht ernst gemeinten „virtue signalling“.

Ohne die Namen der „Täter:innen“ wissen zu wollen würde ich trotzdem auch gerne mehr vom „Tatort“ in Erfahrung bringen. Die deutschsprachige Humangeographie der letzten 10+ Jahre scheint mir trotz grundlegender und zum Teil klar ausgesprochener Meinungsverschiedenheiten von Rechthaberei usw. erfrischend frei. Vielleicht gehöre ich aber (im doppelten Sinne) zu den „Tontauben“. Wie dem auch sei, wenn Korf nicht nur Täter und Opfer, sondern auch Tatort unerwähnt lässt, erhält die „Tonlage“ den Status von dem, was er bei Arturo Escobar im Rahmen des postdevelopment-Ansatzes kritisiert: ein unhinterfragbarer „overall discursive fact“ (zit. auf S. 97).

7.2 Auswirkungen der „Tonlage“

Insgesamt findet Korf von den drei Varianten (der kynischen, der gnostischen und der dekonstruktivistischen) die zweite, den exklusiven gnostischen Impuls in seinen Auswirkungen, am wichtigsten (S. 21, 38, 48, 61, 67). Der Tonfall einer exklusiven Gruppe der „Wissenden“ ist für ihn letztendlich entscheidend: „deshalb die Moralisierung, deshalb die Tribunalisierung, deshalb die Personalisierung; wer diesem Weckruf nicht folgt, wird vom Diskurs ausgeschlossen. An dieser Stelle beginnen die Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie“ (S. 204).

Erste Frage: wirklich? Sind Stimmen, die sich „skeptisch“ gegenüber „kritischer Theorie“ oder „kritischer Geographie“ äußern, wirklich zum Schweigen gebracht? Korfs Buch ist nur einer unter vielen Gründen für eine Portion Skepsis, was diese mittlerweile ubiquitäre, unbändige Maulkorb-Erzählung angeht. Das „anschwellende Bockgeschrei“ der angeblich zum Schweigen Gebrachten ist mindestens so laut wie der „anschwellende Bockgesang“ der „Meisterdenker“ (S. 169). Zweitens, in welchem Sinne ist diese Tonlage tatsächlich, wie wiederholt behauptet, „gefährlich“ (S. 52, 87, 146)? Die Fundamentalkritik des postdevelopment, zum Beispiel, „läuft … Gefahr … zur Hyperkritik zu werden“ (86–87). Worin besteht die Gefahr der „Hyperkritik“? Laut Thomas Edlinger ist die „Hyperkritik“ eine „zu Überreiztheiten und Selbstgerechtigkeit neigende Dynamik der Kritik“ (zit. auf S. 87). Sofern dies vorkommt, ist die Gefahr ggf. ärgerlich aber noch trivial. Laut Edlinger aber, und Korf stimmt ihm zu, geht diese ärgerliche Tonlage notwendigerweise auch mit einem Desinteresse an Empirie einher (zitiert auf S. 87). Darüber hinaus bringt Korf den selbstgerechten Duktus immer wieder mit „vorschnellen“ Stellungnahmen oder Generalisierungen in Verbindung (S. 31, 156, 185). Schließlich sei die mit den Zügen der „Hyperkritik“ verbundene Tonlage immer mit einer „Reflexivitätsverweigerung“ assoziiert (S. 21).

Es ist auf jeden Fall plausibel, dass Fragen der Empirie im Rahmen der intensiven Grundsatzdebatten oft leider zur Seite geschoben werden (wohlgemerkt aber nicht nur von der „kritischen“ Seite). Als Paradebeispiel für die zweite Art der Auswirkung, „vorschnelle“ Urteile, nimmt Korf die Reaktionen von Giorgio Agamben, Byung-Chul Han und andere (u. a. auch ein Essay von mir, Jan Hutta und Christoph Schemann vgl. Hannah et al., 2020) auf die frühen Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie (S. 156ff.) unter die Lupe. Man kann die absurden Behauptungen Agambens sowie die grandiosen „Zeitdiagnosen“ von Han und (sofern sie wirklich auszumachen sind) von mir und meinen Co-Autoren zu Recht kritisieren (S. 162ff.; vgl. auch Füller und Dzudzek, 2020:165–166). Aber Korf suggeriert, dass die Begrifflichkeit um „Biopolitik“ durch Agambens Missbrauch – oder, mit Sarasin, weil Foucault sich dieser Begrifflichkeit nach 1979 nicht mehr bedient hat – generell zu undifferenziert sind (172–173). Dieses Urteil wäre selber vorschnell (vgl. stellvertretend für eine mittlerweile unüberschaubare, sehr differenzierte und empirisch fundierte post-1979 Literatur Rabinow und Rose, 2006).

Die dritte vermeintliche Auswirkung der Tonlage, wonach die „kritische Geographie“ – egal wie definiert – von einer weit verbreiteten „Reflexionsverweigerung“ geprägt sei, ist am wenigsten plausibel. Nicht nur ist systematische Reflexion über die Positionalität der Forschenden eine zentrale Methode der Transparenz in den Gesellschafts- und Kulturwissenschaften (darunter auch in der „kritischen Geographie“), es wird immer wieder auf einer zweiten Ebene über Reflexion kritisch reflektiert (vgl. Haraway, 1988; Rose, 1997; Barad, 2007). Das kann nicht alles ernsthaft als oberflächliches Geschwätz diskreditiert werden. Kurz: die Assoziationskette „rechthaberische Tonlage < – > Absage an Empirie < – > vorschnelle Stellungnahmen < – > Reflexionsverweigerung“ ist viel kontingenter als Korf behauptet – wenn überhaupt feststellbar.

7.3 Schlussbemerkung

Wenn Korf die hier diskutierte Tonlage als ein wichtiges Problem für die „kritische Geographie“ identifizieren möchte, müsste er (1) Evidenz sowohl für die weit verbreitete Existenz der Tonlage als auch für deren schädliche Auswirkungen liefern; und (2) von unwissenschaftlichen und unnötigen „Personalisierungen über Umwege“ absehen. Besonders dieser zweite Aspekt birgt die Gefahr mit sich, dass das Buch statt als einladende, konstruktive Kritik eher selbst als eine Übung in „Othering“ wirkt, die nur für eine in-Gruppe der Eingeweihten identitätsbildend ist. Das wäre sehr schade, denn am Ruf nach mehr Nachdenklichkeit und einem respektvolleren Umgang ist per se nichts auszusetzen, und der anspruchsvolle Ansatz, aktuelle Debatten in einen religionsphilosophischen Kontext zu stellen, ist tatsächlich sehr spannend. Es wäre auch ironisch: Eine angeblich nicht-dualistische Perspektive geht schonungslos dualistisch gegen den gnostischen Dualismus vor. Das gibt es auch schon in der Geschichte des Christentums.

8 Zwischen skeptischen und eschatologischen Geographien – Paloma Puente Lozano (von Christine van Leeuwenstijn aus dem Englischen übersetzt)

In den letzten Jahren gab es in der kritischen Geographie Bestrebungen, die historische Eigenwahrnehmung, die kritische Selbstreflexion und den intellektuellen Pluralismus innerhalb der eigenen Disziplin besser zum Ausdruck zu bringen (Keighren et al., 2013; Berg et al., 2022; Jakobsen et al., 2022; Barnes und Sheppard, 2019; Larsen, 2022; Berndt und Boeckler, 2008; Goeke, 2013; Redepenning, 2009). So wichtig diese Bestrebungen sind, sie liefern keine Antwort auf die Frage, welche Art der Reflexivität dieser Wissenschaftsbereich eigentlich bedarf (Coburn und Gormally, 2017). Letztendlich geht es darum, Tendenzen zur Homogenisierung (also zur Mainstreamisierung und Akademisierung, vgl. Castree, 2000) und neuen Orthodoxien und scholastischen Systemen entgegenzutreten, die unbemerkt in bestimmten Formen der Theoretisierung aufgekommen sind (Barnett, 2010, 2012; Olson und Sayer, 2009). Auch stellt sich die Frage, wie die Kluft zwischen Aktivismus, politischem Engagement und wissenschaftlichem Arbeiten überwunden werden kann (Kitchin und Hubbard, 1999; Sultana, 2007).

Häufig wird vorgebracht, dass es gerade die den Kern der kritischen Geographien ausmachenden Theorien, Kategorien und philosophischen Strömungen sind, die einer tiefgehenden normativen und selbstkritischen Überprüfung bedürfen (Blomley, 2006, 2007, 2008). Eine solche Überprüfung bietet das Buch Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie. Studien zu einer reflexiven Theorie der Gesellschaft von Benedikt Korf. Es beleuchtet die verschiedenen Sackgassen und Widersprüchlichkeiten, in die das kritische Denken aufgrund seiner inhärenten Ausdrucksform (d. h. der Art, wie seine epistemologische Position aufgebaut ist) geraten ist (und in die es sich bisweilen verloren hat). So setzt sich Korf in seinem Buch kritisch mit dem Gestus und Tonus, den Tropen und Haltungen auseinander, die in den hegemonialen Formen des kritischen Diskurses besonders stark verbreitet und identifizierbar sind. Dabei zeigt er aber keine konkreten Beispiele auf, inwiefern sich diese Elemente in den derzeitigen Strömungen innerhalb der kritischen Geographie selbst widerspiegeln. Es mag paradox klingen, aber gerade dieser indirekt bleibende Ansatz ist der für die vorliegende Frage folgerichtigste und schlüssigste, wie ich im Folgenden aufzuzeigen versuche.

Korfs Strategie besteht darin, die philosophischen Quellen, aus denen die kritischen Diskurse ihr Potential und ihre Berechtigung ableiten, wiederholt und anschaulich aus verschiedenen Blickwinkeln zu hinterfragen. Sloterdijk, Agamben, Foucault, Schmitt und Benjamin sind nur einige der ubiquitären Denker, mit denen sich das Buch befasst. Korf nähert sich diesen Philosophen auf eine Weise, die es ermöglicht, klar zwischen bestimmten Toni, diskursiven Konstellationen und erläuternden Positionen zu differenzieren, wodurch sie für die Leserin mit dem epistemologischen Habitus der kritischen Geographie resonieren.

Neugierigen Leserinnen mag es schwerfallen, den Verdacht loszuwerden, der Autor riskiere bei seiner Darstellung der kritischen Geographie einer Strohmann-Argumentation zu verfallen. Dennoch lässt sich die Angemessenheit des in dem Buch verfolgten indirekten Ansatzes auf zweierlei Weise begründen. Auf der einen Seite geht Korf notwendigerweise davon aus, dass seine Leserinnen wie er selbst Teil der Gemeinschaft kritischer Denkerinnen sind. Ihnen ist daher zuzutrauen, dass sie mit derartigen Darstellungsformen, Tropen und Toni ausreichend vertraut sind, um eigene Beispiele (in der Geographie oder anderswo) für die im Buch angesprochenen „Schwierigkeiten“ zu identifizieren.

Auf der anderen Seite (und das ist von größerer Relevanz) spiegelt diese indirekte Kritik der kritischen Geographie (in der die kritische Geographie selbst nur selten vorkommt) den festen Willen, nicht denselben „Schwierigkeiten“ zum Opfer zu fallen, die der Autor gerade aufzeigt. Für Korf zeigen sich diese z. B. in der Neigung, die Welt und andere Formen des Denkens oder der Geographie in einer Art „Schnellverfahren“ abzuurteilen (und automatisch als nicht-kritisch einzustufen – und damit als konservativ, regressiv, wertlos).

In gewisser Weise ist das eine der Hauptthesen des Buches: Die darin analysierte Form des kritischen Denkens verfolgt den Ansatz, Kritikpunkte und Rechtfertigungsgründe einander gegenüberzustellen und so letztendlich die eigene Position zu formulieren. Diese Form der Analyse ähnelt dem Ansatz des deutschen Philosophen Odo Marquard, der das Konzept der „Tribunalisierung“ [Tribunalisierung der Lebenswirklichkeit] in seinem 1973 veröffentlichten Werk Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie gebrauchte. Marquard sah den Ursprung der erlösenden weltlichen Funktion historischen Bewusstseins (dem Schlüssel zu jedem Versuch modernen kritischen Denkens) in der Transformation der alten Theodizee (nach Leibniz) hin zu einer neuen säkularisierten Theodizee in Gestalt der Geschichtsphilosophie. Für Marquard ist diese Geschichtsphilosophie eine neuartige, rationale, anthropozentrische (d. h. ohne Bezug auf Gott formulierte) Antwort auf die unausweichliche und dringende Frage nach der Präsenz des Bösen in der Welt. Doch dieses Mal stehen die Menschen, nicht Gott, vor Gericht – dem Gerichtshof der Vernunft.

Liest man Korf und Marquard gleichzeitig, so könnte man argumentieren, dass die Philosophie der Geographie, auf die sich die in dem Buch behandelte kritische Wissenschaft stützt, viele der Mechanismen und moralischen Vorzüge der alten Geschichtsphilosophie übernommen und fortgeführt hat. Obwohl die postmoderne Verräumlichung von Theorie und Politik gerade darauf abzielte, die diversen Schwächen des Historizismus zu überwinden, wäre jeder aufmerksame Leser von Marquard (oder übrigens auch Kosellecks Kritik und Krise) in der Lage, die diesen beiden Formen kritischen Denkens zugrunde liegenden wesentlichen Kontinuitäten zu erkennen und ihre Gemeinsamkeiten aufzuzeigen (Puente-Lozano, 2023). Denn trotz der Unterschiede zwischen modernem und postmodernem kritischem Denken wird vor dem Hintergrund der von Korf ausgearbeiteten „Schwierigkeiten“ deutlich, wie sehr beide Denkformen Teil des Kantschen „Zeitalters der Kritik“ sind.

Korfs Analyse zeigt daher, inwiefern dieser von Marquard beschriebene typische Gestus der „Tribunalisierung“ ein wiederkehrendes Muster in jeder Form des kritischen Denkens ist. Anders gesagt, alle Formen des kritischen Denkens sind im Wesentlichen so konstruiert, dass wenig (oder gar kein) Raum für Reflexivität oder ein kritisches Hinterfragen der eigenen Position bleibt. Marquard nennt dies „Schonstellungen“ in dem Sinne, dass Positionen eingenommen werden, deren Vertreterinnen sich eine Kritik an der eigenen Haltung ersparen, sie vermeiden oder idealerweise überflüssig machen.

Korf nimmt diesen Grundsatz als Ausgangspunkt, um diejenigen Mechanismen in einigen Formen des kritischen Diskurses zu untersuchen, in denen die in die Sozialwissenschaften „importierte“ Theorie dazu dient, eine Position der „Immunität“ zu schaffen: Die eigene Position wird abgekapselt und so der Notwendigkeit einer Rechtfertigung entzogen. Dabei muss hervorgehoben werden, dass der stark strukturgebende Effekt dieser Moralisierung dieses Problem zu einem grundlegenden und allgegenwärtigen macht, das weit über die oberflächliche Frage hinausgeht, ob es sich dabei um schlechtes wissenschaftliches Arbeiten handelt, sei es nun kritisch oder nicht (wie Klinke, 2023, nahelegt). Noch einmal: Aufmerksame Leserinnen von Marquard und Koselleck sind sich bewusst, wie tief diese Schwierigkeiten gehen, denn die Probleme der „Vermittlung“, des „Verleugnungszwangs“ und des „Regressionseffekts“ des Sollensdenkens (wie von Marquard, 1973:42ff., in Anschluss an Hegel formuliert) sind im heutigen räumlichen (nicht historischen) kritischen Denken alles andere als gelöst. Marquard meint damit insbesondere eine Form der Kritik, die ihr Sollen über einen „regredierenden“ (entstellenden) Wirklichkeitsbegriff absichert, d. h. die Wirklichkeit bewusst schlechtredet.

Liest man Korfs Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie vor dem Hintergrund dieser Problematik, so liegt hierin der Schlüssel für den epistemologischen Beitrag des Buches. Korf bietet der kritischen Geographie (insbesondere im englischsprachigen Raum, die oft zu stark einer eigenen idiosynkratischen Rezeption der „French Theory“ oder der „Italian Theory“ verhaftet ist) eine Reihe von Abschweifungen und Exkursen („Umwege“ im Sinne von Blumenberg), die erlauben, eine stärker reflektierende Haltung einzunehmen. Anders ausgedrückt gibt er seinen Leserinnen Zeit und Raum, auf eine Weise zu denken, die im Prozess des Denkens etwas Neues kreiert, wodurch das, worüber ursprünglich nachgedacht wurde, transformiert wird (im Sinne von Blumenbergs „Nachdenklichkeit“).

Der noch verbleibende Teil meiner Untersuchung wird sich auf diesen einen Aspekt konzentrieren, das heißt darauf, wie Korf seine eigene Reflexivität darstellt, und zwar im Hinblick auf die Frage, auf welche philosophische Grundlage er seine Haltung zu möglichen alternativen Formen (oder Quellen) der kritischen Geographie stützt. Genau diese Frage wird in seinem Buch nicht adressiert und bedarf aus meiner Sicht einer weiter gehenden philosophischen Ausführung.

Nach meinem Verständnis von Korfs Buch und seiner Argumentation wird die Basis seiner reflexiven Haltung in den ersten beiden Kapiteln gelegt, in denen er eine skeptische Deutung jüngerer Entwicklungen in der kritischen Geographie vorlegt. Korf ist der Meinung, dass der politische Impuls, der der post-positivistischen Umstrukturierung der Geographie (ohne die es die kritische Geographie nicht gäbe) zugrunde lag, zu einer fortwährenden Moralisierung von Haltungen und Debatten geführt hat. Diese Moralisierung wiederum erschwert eine Selbstüberprüfung kritischer Positionen. Korf fordert daher Geographinnen dazu auf, ihre reflexiven und philosophischen Kompetenzen zu nutzen, um eine Form der Kritik zu formulieren, die einer bewussten innerlichen Begrenzung unterliegt, und zwar in Form eines situativen und punktuellen methodologischen Skeptizismus.

Meiner Ansicht nach scheint Marquards Skeptizismus (mit seiner Fokussierung auf die menschliche Kontingenz und die Notwendigkeit einer „Kompensation“ in dem Sinne, dass die den Menschen innewohnende Inkompetenz kompensiert werden muss) eine wesentliche Rolle in Korfs reflexiver Haltung zu spielen. Korf selbst versteht diesen jedoch als rein methodologisches Mittel. Im Verlauf des Buches weist er zudem Marquards quietistische (d.h. konservative) politische Haltung ausdrücklich zurück. Korf versucht demnach, Marquards Skeptizismus mit anderen offen kritischen philosophischen Quellen zu kombinieren und zu modifizieren. Damit will er sein Streben nach Reflexivität von Marquards Modell wegorientieren und die von ihm propagierte skeptische Geographie epistemologisch und politisch gesehen weiter fassen, wodurch er sie deutlicher in einer alternativen linksgerichteten Tradition verankert.

Die zentralen Kapitel des Buches bieten anschauliche Beispiele für diese skeptische Betrachtung der vielen „Schwierigkeiten“, wobei eine breite Palette unterschiedlicher Themen und Diskussionen abgedeckt wird. Das Buch endet jedoch mit einem eloquenten Nachwort, in welchem der skeptische Ansatz des Autors eine ziemlich überraschende theologisch-politische Wendung nimmt. Es liegt auf der Hand, dass die Art Politischer Theologie, für die Korf sich interessiert, nicht die Politische Theologie von Carl Schmitt ist (wie auch im Kapitel „Arcane Geopolitics“ deutlich wird). Indem er theologische Figurationen und Motive aus dem Werk von Benjamin, Adorno, Horkheimer und Taubes aufgreift, suggeriert Korf, dass der skeptische Vorbehalt, den er sich für die kritische Geographie wünscht, letztendlich auch in der Religionsphilosophie zum Ausdruck kommen kann und damit einem gewissen eschatologischen Denken verpflichtet bleibt.

Wenn die moderne Kritik eine Form säkularisierter Erlösung bietet (hierfür kann die Argumentation von Kosselleck, Benjamin und Marquard unterschiedslos herangezogen werden), dann sollte diese Kritik nach Korfs Auffassung etwas von dem Benjaminschen „theologischen Funken“ beibehalten, um so vor ihrer vollständigen (modernen) Immanentisierung bewahrt zu bleiben. Diese politisch-theologische Argumentationslinie scheint aber im Widerspruch zu dem von Blumenberg, Kosselleck und Marquard propagierten Denksystem zu stehen, das durch den anthropologischen Horizont begrenzt wird (Blumenberg hatte die Neuzeit über die menschliche Selbstbehauptung angesichts eines abwesenden Gottes charakterisiert). Für diese Argumentation lässt sich nur noch Benjamin (oder Adorno und Horkheimer) heranziehen, Koselleck und Marquard kommen als Argumentationsstütze nicht mehr in Frage. Selbst Blumenberg scheint hier nicht mehr als Quelle herangezogen werden zu können. Denn auch wenn alle drei (also Koselleck, Marquard und Blumenberg) kritische Leser von Kants Deutung der menschlichen Vernunft waren, bleiben sie starke Verfechter der Idee eines anthropologisch begrenzten Systems.

Hier tritt ein Paradox – und daraus folgend eine Widersprüchlichkeit – in Korfs Argumentationslinie zutage: Das anthropologische Element in Marquards und Blumenbergs Werken betont die menschliche Kontingenz. Sie formulieren deshalb eine grundlegende Skepsis hinsichtlich der Erreichbarkeit oder Begreifbarkeit einer „absoluten Lösung“ des Problems der radikalen Zerbrechlichkeit menschlicher Ordnungen (Blumenberg, 2014; Marquard, 1981a, 1986, 2004). Dieses anthropologische Element lässt sich schlecht mit einer Politischen Theologie jedweder Form in Einklang bringen.

Hier sollte besondere Aufmerksamkeit auf die Frage gerichtet werden, wie Korf seine Position und Argumentation aufbaut, denn davon hängt die Stichhaltigkeit und Überzeugungskraft der alternativen Wege ab, die er für die kritische Geographie aufzeigt. Meiner Ansicht nach entwirft Korf zunächst das Konzept eines skeptischen Vorbehalts, der methodologisch angewandt werden kann, um danach Raum für „Nachdenklichkeit“ (Blumenberg) zu schaffen. Dieser Raum wird jedoch mit einer eschatologischen Hoffnung „umbesetzt“ (meine Formulierung, nicht Korfs), in Anlehnung an Benjamins „Hoffnung um der Hoffnungslosen willen“. Korf baut diese Argumentationslinie auf eine Weise auf, die zu suggerieren scheint, dass diese eschatologische Umbesetzung des reflexiven Raums mit dem Konzept des Skeptizismus vereinbar ist (durch eine methodologische Umwandlung des Letzteren). Aber ist das wirklich der Fall? Zwei wesentliche Einwände sind hier aufzuführen.

Zum einen formuliert der Skeptizismus substantielle Behauptungen und geht damit über eine reine Methodologie hinaus. Jeder Versuch, ihn methodologisch zu begrenzen (man könnte auch sagen: zu zähmen) wird daher früher oder später zu kurz greifen. Ganz zu schweigen davon, was aus der Hoffnung wird, wenn wir uns ganz der skeptischen Distanz verschreiben. Auch wenn sich meine Argumentation hier vor allem auf den Skeptizismus zu beziehen scheint, beinhaltet sie tatsächlich eine allgemeinere Aussage zu der These, dass Methodologie und Ontologie tatsächlich zwei Seiten einer Medaille sind. Der Versuch, den Skeptizismus als strategische Stütze zu gebrauchen, indem man die grundlegenden anthropologischen (ontologischen) Voraussetzungen, die ihn erst möglich machen, ignoriert, scheint mir daher problematisch.

Zum anderen stellt sich die Frage, ob eine eschatologische Umbesetzung des „Raums der Nachdenklichkeit“ nicht eine völlige Umgestaltung der Struktur dieses Raums erforderlich macht. Denn die eschatologische Hoffnung besetzt nicht einfach nur einen Raum um, der ursprünglich für die Entfaltung der Reflexivität geschaffen wurde. Vielmehr entsteht durch diese eschatologische Umbesetzung innerhalb dieses Raums eine disruptive Kraft, die zwangsläufig den anthropologisch-historischen Horizont sprengt, der diesen Raum definiert (zumindest in der Vorstellung von Marquard und zum Teil auch von Blumenberg). Die „Lösung“ (oder wieder mit Marquard „Kompensation“) für die menschliche Inkompetenz lässt sich nur innerhalb dieses anthropologischen Horizonts finden. Was Korf zum Ende seines Buches anschiebt, geht aber über diesen Horizont hinaus. Ironischerweise scheint die von Korf anvisierte Umbesetzung über die von Blumenberg propagierte „Umbesetzung“ hinauszugehen (Blumenberg, 1960 hatte in seiner Metaphorologie von einer fortlaufenden „Übertragung“ gesprochen, durch die Metaphern und Worten Sinnhaftigkeit verliehen wird). Letztendlich steht „Nachdenken“ im Widerspruch zu den krypto-theologischen Tendenzen des Heideggerschen „Andenkens“, sodass Blumenbergs Metaphorologie zu einer Art nach-metaphysischem Werk der Erinnerung, der Vernunft und der „Unbegrifflichkeit“ wird. Damit möchte Blumenberg das menschliche Sein wieder zu einem wesentlichen Anliegen menschlichen Denkens machen, und zwar auf eine Weise, die bei Husserl nicht möglich war, und – noch wichtiger – auf eine Weise, die die Heideggerschen Exzesse (einer existenziellen Lösung für die Problematik der Angst) umschifft.

Damit Korfs Vorschlag funktionieren kann, muss entweder der philosophische (d. h. anthropologische) Horizont von Blumenberg (und Marquard) größtenteils ignoriert werden, oder der „theologische Funke“ muss mit diesem anthropologischen Horizont in Einklang gebracht werden. Letzteres scheint der Fall zu sein, da Korf (quasi im Vorübergehen) auf die Notwendigkeit hinweist, die von ihm behandelten politisch-theologischen Themen auch aus religionsphilosophischer Sicht zu untersuchen. Eine derartige Untersuchung fehlt jedoch in seinem Buch. Kurioserweise hat dieser Ansatz Ähnlichkeit mit dem Konzept der „moralischen Ressource“, in die sich die Religion laut Habermas wandeln muss, um im modernen säkularen öffentlichen Raum eine aktive Rolle einnehmen zu können (dieser säkularen Transformation steht Korf eher kritisch gegenüber – Korf, 2018). Denn schlägt Korf nicht mit der methodologischen Auseinandersetzung mit Blumenberg und Marquard einen Weg ein, auf dem der „theologische Funke“ zwangsläufig erlischt?

Die Leserin bleibt letztendlich mit der Frage zurück, ob die von Korf gewünschte skeptische Geographie mit dem eschatologischen Fundament der Hoffnung vereinbar ist, wie Korf es vorschlägt (oder erhofft). Sowohl der Skeptizismus als auch die eschatologische Hoffnung haben der kritischen Geographie viel zu bieten, doch sie weisen in ausgesprochen unterschiedliche Richtungen kritischen Denkens. Es ist schwer vorstellbar, wie sie zur selben Zeit an gleicher Stelle in Erscheinung treten sollen, wie es Korfs Buch suggeriert. Ist es wirklich möglich, beiden Richtungen gleichzeitig zu folgen, oder ist es nicht vielmehr so, dass sie zu zwei unterschiedlichen Antworten auf die Frage führen, wie die kritische Geographie neu definiert werden sollte?

Weder der skeptische Vorbehalt noch die eschatologische Hoffnung haben bisher in der allgemeinen (anglophonen) kritischen Geographie viel Beachtung gefunden. Allein deswegen verdient Korfs Buch besondere Aufmerksamkeit und eine eingehende Diskussion. Eine weiterführende philosophische Auseinandersetzung mit diesen Themen sollte dabei nicht nur zu einem weiteren, methodologisch fundierten reflexiven kritischen Ansatz führen. Vielmehr zeigt die Auseinandersetzung mit Korfs Buch der kritischen Geographie mehrere substantielle Denkwege auf, um sich in eine reflexivere, pluralistischere und nachdenklichere Richtung zu entwickeln.

9 Replik: Plädoyer für „wildes“ Denken in der Geographie – Benedikt Korf

Kritische Geographie durch (die Umwege der) Skepsis zu einem Ort „wilden“ Denkens machen: So könnte der „immanente Sinnzusammenhang“ (Pascal Goeke) meiner Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie – in Form des Buches wie auch eines längerfristigen intellektuellen Projektes – bezeichnet werden. Mirka Dickel trifft mein Anliegen sehr treffend, wenn sie schreibt: „Wir sollen Geographie als kritische Wissenschaft von einer skeptischen Position aus kultivieren.“ Skepsis, wie ich sie verstehe, ähnelt dem „wilden“ Denken, das Claude Lévi-Strauss als eine „intensive Aufmerksamkeit für die Eigenheiten des Wirklichen“ und „eine unentwegte und stets wache Neugier, eines Hungers nach Erkenntnis aus Freude an der Erkenntnis“ beschreibt (Lévi-Strauss, 1968:13 bzw. 27). Als „Wissenschaft vom Konkreten“ (Lévi-Strauss, 1968:29) sucht eine skeptische Geographie danach, was sich sonst noch („stattdessen“) zeigt, und versteht sich deshalb als eine „pluralisierende Hermeneutik“ (Marquard, 1981b:11), die die Domestizierung des Denkens durch Theorie verzögert. Die Kunst des Verstehens besteht darin, „sich immer wieder Spielräume, anders zu verstehen, zu erarbeiten“ (Bertram, 2024:24). Pascal Goeke vermutet deshalb (zurecht), „dass es bei den Schwierigkeiten mit der kritischen Geographie letztlich um allgemeine Haltungsfragen und Positionssuchen geht“. Und Ulf Strohmayer ergänzt: „Es [das Buch] will erreichen, dass wir anders argumentieren, anders miteinander reden, anders wissenschaftlich vorgehen“. Eben: „wild“ denken.

Orte „wilden“ Denkens werden oft über Umwege entdeckt. Auch zum Begriff des „wilden“ Denkens als Beschreibung einer skeptischen Geographie bin ich über einen Umweg gekommen. Mario Wimmer, Wissenschaftshistoriker und derzeit Geschäftsführer des Collegium Helveticum in Zürich, machte mich auf eine Familienähnlichkeit zwischen Marquards Begriff einer interimistischen Skepsis als „Phasenmoment“ und dem Begriff des „Denkraums der Besonnenheit“, wie ihn der Kulturwissenschaftler Aby Warburg formuliert hatte (Warburg, [1920] 2018:485), aufmerksam. Für Warburg, den Kunsthistoriker der Renaissance, ist der Denkraum der Besonnenheit ein Distanzierungsmoment vom Affekt des Pathos: Pathos steht bei Warburg für den unkontrollierten seelischen Aufruhr als das „maximale innere Ergriffensein“ (Wedepohl, 2014:34). Warburg wendet sich zugleich gegen Nietzsche und dessen „Pathos der Distanz“ als Gefühl vornehmer Überlegenheit. Diesem Pathos als momentaner Erregung oder vornehmer Überlegenheit stellt Warburg den Denkraum der Besonnenheit als „Akt der bedächtigen Reflexion“ und der „bewussten Gefühlskontrolle“ und damit als „Verzögerungsmoment“ gegenüber. Dieser Denkraum ist Synonym für eine Besinnungspause, wie es Claudia Wedepohl ausdrückt (Wedepohl, 2014:38).

Wimmer regt an, den Denkraum der Besonnenheit weniger im Sinne eines Denkraums der Logik oder der Rationalität zu verstehen, wie es Ernst Cassirer in einer neukantianischen Lesart Warburgs vorschlug, sondern als einen „vor-begrifflichen Raum“, in dem die Begriffsbildung noch im Fluss ist: „as a preconceptual space, where notions are not yet frozen in conceptual language“ (Wimmer, 2019:302). Warburgs Arbeitsweise bezeichnet Wimmer als eine intellektuelle Collage – als Bastelarbeit. Wimmer bezieht sich hier auf Claude Lévi-Strauss und dessen Begriff der bricolage. Mit der Tätigkeit des Bastelns brachte Lévi-Strauss in Das wilde Denken (1968) eine „Epistemologie des (Noch-)Nicht-Domestizierten“ als ein „Denken im wilden Zustand“ zum Ausdruck (Bies, 2014:208). Die bastelnde Tätigkeit zeichne sich durch „eine nicht vorgezeichnete Bewegung„ (Lévi-Strauss, 1968:29) aus – sie macht „Umwege“ und nutzt „abwegige“ Mittel – man könnte sagen: Diese Bastelarbeit ist noch nicht vollständig durch Theorie domestiziert, sondern hat „einen tastenden, versuchenden Charakter“ (Bies, 2014:208) und bringt überraschende Verknüpfungen und unerwartete Einsichten hervor. Diese Bastelarbeit verstehe ich mit Mirka Dickel als „im besten Sinne radikale Geographie … ein radikales geographisches Tun als eine immer wieder an die Wurzel gehende gründliche Veränderung (lat. ‚radicalis‘: an die Wurzel gehend, von Grund auf, gründlich)“.

In einer solchen radikalen Bastelarbeit kann ich keinen „Rückfall in eine theoriefreie Empirie“ oder gar einen „Quasi-Positivismus“ erkennen, wie es Ulf Strohmayer nahelegt, der in meiner Skepsis und dem Plädoyer für das „Sammeln“ die „Grenze zu einem ‚induktiv‘ zu nennenden Empirismus“ verschwimmen sieht. Vielmehr, wie Ute Wardenga betont, möchte ich „Denkanstösse für das theoriebasierte doing geographies [geben]“. Es stimmt: Ich plädiere für idiosynkratische Genauigkeit und empirische „Erschütterungsbereitschaft“, aber nicht in einem theoriefreien Raum der Empirie. Die Umwege der Skepsis dienen der „Entselbstverständlichung“ und der „Beirrung“ (Gadamer, 1960:252), durch die der „Blick auf die Sachen selbst revidiert und weitergedacht werden [kann]“ (Verne, 2012:252). Umwege, schrieb ich, „installieren im Zwischenraum von … Theorie und Lebenswelt ein [Provisorium]“ (Korf, 2022:29). Radikale Bastelarbeit versucht sich an anderen Formen der Theorie – man kann diese Formen „induktiv“ nennen, theoriefrei sind sie nicht, schon gar nicht „positivistisch“, sondern eher hermeneutisch, wenn man darunter, mit Blumenberg (1981:57), folgendes versteht: abwarten, „was sich jeweils noch zeigt“. Meine Position unterscheidet sich deshalb auch von Peter Dirksmeiers Plädoyer für einen „strategischen Positivismus, um der Ideologieproduktion faktenbasiert entgegenzutreten“. Dirksmeier setzt dazu auf quantitative Methoden. Mit Mirka Dickel teile ich hingegen das Anliegen, „die Geographie in ihrer Geisteswissenschaftlichkeit ernst [zu] nehmen“: Meine Bastelarbeit setzt auf eine radikale „Vergeisteswissenschaftlichung“ der Geographie (vgl. dazu auch Korf, 2024).

Diese Suche nach dem, „was sich jeweils noch zeigt“, produzierte in meinem Buch einen prominenten „Abwesenden“ – die kritische Geographie selbst. „Kann Abwesendes lärmen?“, fragt Pascal Goeke dazu. Viele Kommentare artikulierten ein gewisses Unbehagen mit dieser Abwesenheit, als auch mit meiner Verwendung des Singulars („kritische Geographie“ statt „kritische Geographien“). Kritische Geographien erschienen, schreibt Strohmayer, „seltsam flach, weil im Singular“. Auch Goeke würde die kritische Geographie „lieber im Plural adressieren“, zeichneten sich kritische Geographien (im Plural) doch gerade durch konzeptionelle Vielfalt aus: „Wer hier einen einheitlichen ‚diskursiven Klingelton‘ […] hört, sollte vielleicht einen Hörtest machen“, moniert Matthias Naumann in seiner Rezension in sub\urban (Naumann, 2022:322). Ich bestreite die Vielfalt von Ansätzen und Strömungen innerhalb der „kritischen Geographie“ nicht, habe aber den Singular beibehalten, um auf eine geteilte, wenn auch diffuse „kritische“ Denkstimmung aufmerksam zu machen, die diese vielfältigen Strömungen teilen. Das ist ein wenig, wie Pudding an die Wand nageln zu wollen. Deshalb habe ich eine andere Taktik gewählt und mich auf Umwege zu den „Tonlagen“ kritischer Denkstile begeben.

Dieser Ansatz soll wie ein Spiegel wirken (so dass sich darin die Empörten als Empörte entdecken), aber zugleich ist es immer auch eine kritische Auseinandersetzung mit mir selbst.3 Paloma Fuente Lozano schreibt dazu: „Korf [geht] notwendigerweise davon aus, dass seine Leser[:innen] wie er selbst Teil der Gemeinschaft kritischer Denker[:innen] sind. Ihnen ist daher zuzutrauen, […] eigene Beispiele (in der Geographie oder anderswo) für die im Buch angesprochenen ‚Schwierigkeiten‘ zu identifizieren“. Die Leserin kann aufgrund eigener Erfahrung aus den Umwegen selbst Rückschlüsse auf Schonstellungen in der kritischen Geographie ziehen. Anhaltspunkte dazu gibt es auch bei einer Reihe von Arbeiten, die die „kritische(n) Geographie(n)“ selbst (in kritischer Absicht) zum Untersuchungsgegenstand gemacht haben und dort verschiedene Schonstellungen identifizieren. So moniert Nicolas Blomley einen „Entlarvungsgestus“ (Blomley, 2006), Marc Redepenning „Moralisierung“ (Redepenning ,2007) und Pascal Goeke „Personalisierung“ (Goeke, 2013) an bestimmten Formen kritischer Geographie. Goeke wiederholt seine Kritik in seinem Beitrag zu diesem Forum: „Die Praxis der Ideologiekritik wird von einem erstaunlich selbstgewissen Standpunkt aus betrieben“. Blomley, Redepenning und Goeke haben bereits sorgfältige Arbeit geleistet, weshalb ich darauf verzichtet habe, ähnliche Kritikpunkte an erweitertem Originalmaterial zu wiederholen. So kann ich die voyeuristische Neugier, „wer denn gemeint sein könnte“, leider nicht bedienen. „Stattdessen“ (ein Lieblingswort Odo Marquards) erkundete ich Umwege. Skepsis an der kritischen Geographie ist eine Geographie des Stattdessen.

Matt Hannah hat in diesem Forum grundlegende Schwierigkeiten mit diesem Stil meines Buches bekundet. Insbesondere stört er sich an Vorwürfen, die sich lediglich auf „vermutete Geisteszustände und Motivationen“ gründeten und eine „kollektive Psychologisierung“ ohne „belastbare Evidenz“ betrieben, da sie in einem seltsam diffusen Bild einer anonymen „kritischen Geographie“ Täter, Opfer und Tatort unerwähnt liessen. Hannah identifiziert eine ganze Reihe „psychodiagnostischer“ Begriffe, die zwar „ursprünglich andere Zielschreiben hatten“, aber, so Hannah, klar die „kritische Geographie“ mitmeinten. Hannah befürchtet, dass dadurch das Buch eher ein „Othering“ vollzieht und „nur für eine in-Gruppe der Eingeweihten identitätsbildend ist“. Hannah nennt eine ganze Reihe von Begriffen wie „Rechthaberei“, „Besserwisserei“, „reflexhaft plappern“ und „Sieger“ und zählt minutiös die Seitenzahlen ihrer Verwendung auf. Aber er erklärt nicht die jeweiligen Tatorte im Buch. Ich gehe deshalb einigen dieser Begriffe und ihren Verwendungskontexten noch einmal nach.

Immer „Sieger“ sein möchte der Zyniker, schrieb Iring Fetscher – ich zitierte ihn im Zusammenhang mit meiner Analyse der kynischen Positionen von Foucault und Sloterdijk, nicht der kritischen Geographie. Ich warnte davor, dass der kynische Impuls, eine (allen anderen) verborgene Wahrheit im Gestus der Provokation zu entbergen, in zynische „Rechthaberei“ (hier der erste Verwendungskontext des Begriffs in meinem Buch) abgleiten könne (Korf, 2022:52). Im zweiten Verwendungskontext stammen die Begriffe „Rechthaberei“ und „Besserwisserei“ gar nicht von mir, sondern von Elisio Macamo und Philipp Lepenies, die entwicklungspolitische „Rechthaberei“ und institutionelle „Besserwisserei“ im globalen Entwicklungsapparat kritisierten. Ich spiegelte den Begriff und wendete die Kritik gegen sich selbst: Nicht nur der kritisierte Entwicklungsapparat, sondern auch eine bestimmte Form kritischer Entwicklungstheorie des „post-development“, wie sie von Arturo Escobar und James Ferguson entwickelt (und von Macamo und Lepenies aufgegriffen) wurde, tendiere in ihrer Fundamentalkritik am globalen Entwicklungsapparat zu Rechthaberei. Mosse (2005) hat dazu festgehalten, diese weitgehende Kritik werde ohne eingehende empirische Erforschung des Entwicklungsapparates selbst formuliert. Dadurch bekämen diese Autoren „den Sand im Getriebe“ des Entwicklungsapparates – die Grautöne oder Ambivalenzen – nicht in den Blick. Dennoch sei ihre Kritik, hielt ich wiederum fest, dadurch nicht gänzlich redundant: „auch Rechthaberinnen haben ja zumindest teilweise recht„ (Korf, 2022:107).

Der Begriff „reflexhaft plappern“ wiederum stammt von Theodor Adorno. Ich bezog ihn in meinem Vorwort konkret auf Giorgio Agambens „verdinglichenden Gebrauch“ (auch ein Begriff Adornos) kritischer Theorie in seinen Stellungnahmen zu Corona-Massnahmen in der Anfangsphase der Pandemie. Meine Kritik an Agamben war, dass er seine Theorie des Ausnahmezustands ohne empirisches Interesse für die Ambivalenzen der Lebenswirklichkeit „alarmistisch“ auflud (Korf, 2022:9f.). Ich hatte dies, in Anschluss an Marquard (2000:105), einen intellektuellen „Ausserordentlichkeitsbedarf“ genannt (Korf, 2022:167, 169). In diesem Zusammenhang findet Hannah, ich hätte im Kapitel „Die List der Verantwortung“ suggeriert, der Begriff der „Biopolitik“ sei generell zu undifferenziert. Hannah schreibt, ich würde dieses „vorschnelle Urteil“ auf der Basis meiner Kritik an „absurden Behauptungen“ Agambens und „grandiosen ‚Zeitdiagnosen‘“ von Byung-Chul Han fällen (beides Zitate von Hannah), die diese in ihren Stellungnahmen zu den frühen Massnahmen zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie formulierten. Eine Pauschalkritik am Begriff der Biopolitik oder an Agamben als Autor ist eigentlich nicht das Anliegen des Buches. „Stattdessen“ stelle ich lediglich fest – nach einer Darlegung verschiedener empirischer Sachverhalte – dass ich für diesen spezifischen Fall der Analyse der Pandemiemassnahmen skeptisch gegenüber einem Begriffsvokabular von „Biopolitk“, „Lager“, „Ausnahmezustand“ bin, um die konkrete Regierungspraxis in bestimmten Ländern zu beschreiben – und rege stattdessen „die tastende Suche nach alternativen Begriffen“ an, z. B. den von Henning Trüper vorgeschlagenen Begriff der „Unsouveränität“ (Korf, 2022:173).

Ich operiere hier im „pre-conceptual space, where notions are not yet frozen in conceptual language“ (Wimmer), spreche aber keineswegs der Begrifflichkeit von „Biopolitik“ oder „Ausnahmezustand“ ihren analytischen Wert per se ab, noch halte ich sie „grundsätzlich“, sondern nur in diesem spezifischen Kontext, für zu undifferenziert. So unterstelle ich z. B. Agamben nicht grundsätzlich einen „verdinglichenden Gebrauch“ kritischer Theorie, sondern nur im Kontext der von mir analysierten Debatte zu den Pandemiemassnahmen, in der ich zum Schluss kam, seine Nutzung der Begrifflichkeit von „Biopolitik“ und „Lager“ werde der Komplexität der Situation nicht gerecht. An vielen anderen Stellen meines Buches zitiere ich Agambens Arbeiten als wegweisende, theoretische Quellen. Auch schätze ich an Agamben die philologischen „Umwege“, die er oft beschreitet, um seine theoretischen Begriffe zu formen. Vor diesem Hintergrund wäre es inkonsistent, wenn ich Agamben per se als „Scharlatan“ oder seine Begrifflichkeiten pauschal als „undifferenziert“ ansehen würde.

Es kommt also auf den Kontext an. Als Schonstellung hatte ich eine Praxis von Kritik bezeichnet, die sich selbst verschont und eine kritische Hinterfragung ihrer eigenen theoretischen Position umgeht (Korf, 2022:22). Schonstellungen sind immer kontingent, nie grundsätzlich, sind immer an der konkreten Praxis kritischer Theorie fest- und nicht per se zu unterstellen. Es ging mir eben nicht darum, Schonstellungen pauschal einer diffusen „kritischen Geographie“ in ihrer Gesamtheit zu unterstellen oder eine Art „Psychodiagnostik“ mittels „kollektiver Personalisierung“ vorzunehmen ohne Präzisierung des Sachverhaltes und ohne Kontextualisierungen. Genau dazu dienten mir die Umwege zu verschiedenen Tonlagen der Kritik: Schonstellungen in konkreten Kontexten und Konstellationen kritischer theoretischer Praxis aufzuzeigen. Deshalb kann ich Hannah nur zustimmen, dass natürlich auch die Assoziationskette „rechthaberische Tonlage – Absage an Empirie – vorschnelle Stellungnahmen – Reflexionsverweigerung“ nur kontingent – an konkreten Tatorten – festgestellt werden kann. Ebenso wäre seine Kritik nachvollziehbarer, wenn seine „Evidenz“ über eine Auflistung von Seitenzahlen hinaus die Tatorte der Verwendung psychologisierender Begriffe genauer in den Blick genommen hätte. Denn ich bin mir sicher: Er hätte auch in meiner Argumentation Schonstellungen gefunden.

Freilich kann Skepsis, die nur Schonstellungen sucht, als Defaitismus enden. Gegen solche Tendenzen formuliere ich einen eschatologischen Vorbehalt (Korf, 2022:201f.), der trotz Skepsis einen „Lichtspalt des Möglichen“ offenhält. Ute Wardenga drückt es so aus: „erst durch Skepsis [entsteht] ein neuer Horizont des auch anders Möglichen“ (meine Hervorhebung). Ein eschatologischer Vorbehalt unterbricht die Pathologien des Politischen, indem er weder auf der Wahrheit insistiert, sondern deren Vorläufigkeit anerkennt, noch sich in der Resignation des Posthistoire verliert, in dem alles irgendwie gleichgültig geworden ist (ein Vorwurf, den Jacob Taubes gegenüber Odo Marquards Skepsis vorgebracht hat). Stattdessen setzt er auf die Hoffnung, die in dem Beharren gründet, „dass ein verborgenes Warten in uns bleibt auf das, was nicht ist“, so Barth ([1922] 1999:325; Betonung im Original). Die Hoffnung hält den Türspalt offen für „die kleine Pforte, durch die der Messias treten konnte“, so Benjamin (1977:261), denn, so Benjamin an anderer Stelle: „Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben“ (Benjamin, 1977:135). Das messianische Subjekt, schreibt Agamben dazu, „betrachtet die Welt nicht, als ob sie gerettet wäre. Vielmehr betrachtet es die Rettung, indem es sich – mit den Worten Walter Benjamins – im Unrettbaren verliert“ (Agamben, 2006:54).

Paloma Puente Lozano bezweifelt, dass die skeptische Geographie des Stattdessen, die ich vorschlage, mit einer solchen eschatologischen Grundierung kompatibel sei. Vielmehr, so schreibt sie, „weisen sie [Skepsis und Eschatologie] in ausgesprochen unterschiedliche Richtungen kritischen Denkens“. Zwei Einwände bringt Puente Lozano vor: Erstens lasse sich der Zweifel der Skepsis nicht einfangen – der Skeptizismus formuliere „substanzielle Behauptungen“ und gehe damit „über eine reine Methodologie hinaus“. Und zweitens würde ich die philosophisch-anthropologischen Prämissen der Skepsis, wie sie Blumenberg und Marquard formulieren, subtil in eine ganz andere Richtung lenken. Marquards „Stattdessen“ zielt auf Kompensation: Kompensation bedeutet „Entlastung vom Absoluten“ (Marquard, 2000:45), Umgang mit Kontingenz und Widersprüchlichkeit, Ermöglichung des „Menschenmöglichen“ (Marquard, 2000:45). Ist das aber nicht letztendlich doch Resignation? Auch Blumenberg sieht diese Entlastung vom Absoluten als anthropologische Konstante des modernen Menschen in seiner „Selbstbehauptung“ (Blumenberg, 1988a). Blumenberg setzt sich von Marquards Kompensationstheorie ab und verfolgt stattdessen eine „Ethik des Trostes“: Blumenberg gehe es, so schreibt Benjamin Dober, um „die Schwierigkeit, sich trostvoll im Unbegrifflichen zu halten“ (Dober, 2019:12). In der Frage nach dem Trost zeige sich „die praktische Signatur aller Theorie“ (Dober, 2019:14).

Auch wenn Trost und Hoffnung unterschiedliche eschatologische Tonlagen erklingen lassen, so gibt es vielleicht doch mehr Resonanz zwischen ihnen, als Puente Lozano vermutet. Tragfähiger Trost, schreibt Dober, „muss aushalten, dass die Welt nicht summarisch für ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ erklärt werden kann“ (Dober, 2019:12). So findet Blumenberg in der Nachdenklichkeit einen tröstlichen Umgang mit Kontingenz. Ein solcher Trost orientiere sich „an der Vieldeutigkeit der Welt …, ohne zu leugnen, dass wir in ihr der Trostlosigkeit begegnen“ (Dober, 2019:12). Wenn Blumenbergs Trost auch eher einen „messianischen Minimalismus“ (Blumenberg, 1988b:273) zum Ausdruck bringt, finden darin eschatologische Figuren ihren Nachhall. Vielleicht ist dies der „theologische Funke“, der auch noch in Blumenbergs (und Marquards (?)) anthropologischem Horizont durchscheint. Wenn Nachdenklichkeit auf das schaut, „was sich jeweils noch zeigt“ (Blumenberg, 1981:57; Betonung im Original), dann öffnet sich in diesem „noch“ der „Horizont des auch anders Möglichen“ (Wardenga), selbst in der vermeintlichen Trostlosigkeit oder Hoffnungslosigkeit der Wirklichkeit. „Wildes“ Denken wird dann zur eschatologischen Bastelarbeit – zum Gegengift, das einer Domestizierung der Hoffnung ein sperare contra spem entgegenhält – eine Hoffnung um der Hoffnungslosen willen. Oder wie Claudio Magris es ausdrückt: Was bleibt uns denn anderes übrig, als zu hoffen wider alle Hoffnung?

Haftungsausschluss

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Danksagung

Benedikt Korf dankt Eberhard Rothfuss für seinen unermüdlichen Einsatz – für die Organisation der zwei Fachsitzungen (NKG in Halle im Januar 2023, DKG in Frankfurt am Main im September 2023), auf denen sein Buch so angeregt und anregend diskutiert wurde, und für das Zusammenführen dieses Rezensionsforums. Ausserdem dankt Benedikt Korf auch Simon Runkel für viele Gespräche zum Buch und zu Kommentaren zur Replik.

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1

Die Ausdeutung des Sinnspruchs findet sich auch bei Way (2007). Auf diese Parallele bin ich aufmerksam geworden, als ich meinen Text schon formuliert hatte. Diese Geschichte ließe sich mit Way (2007) folgendermaßen fortsetzen: „So weiß der Ex-Elch mehr über die Elche als der Noch-nie-Elch. Dieser sagt beim Anblick der Elche vielleicht: ‚Aber ich kenne ein paar Elche, die sind ganz nett‘ oder ‚Elche sind zwar schlimm, aber Elchkritiker sind auch nicht viel besser. Eher noch schlimmer‘ oder ‚Ich mag die Elche auch nicht, aber man kann das Elchtum nicht verbieten, und wenn ich's recht bedenke, sind die Elche sogar noch sympathischer als die antielchischen Ex-Elche mit ihrem nervigen Beharren auf Elch-Distanz‘. Und während der ex-elchische Elchkritiker noch sagt: ‚Aber schau, unter ihren seriösen Mänteln und ihren schicken Hüten tragen sie noch immer ihre alten Hörner, und wenn sie die Gelegenheit kriegen, werden sie diese auch benutzen. Ich weiß das, ich trug auch mal solche‘, berät der Noch-nie-Elch schon mit den Elchen über Formen zukünftiger fruchtbarer Zusammenarbeit“ (Way, 2007).

2

Schwierigkeiten mit der Kategorie „kritische Geographie“ werden hier zugunsten anderer Themen einfach ausgeklammert.

3

Ich danke Simon Runkel für Hilfe bei dieser Formulierung.