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„Wir sind hier, wir sind laut“ – Artikulationen von Emotionen der Nähe auf Fahrraddemonstrationen
Philip Boos
Gesa Jessen
The article examines how citizens' initiatives use articulations of proximity in the context of emotionalized environment perceptions for demanding the integration of protective bicycle infrastructure in urban design. In order to do so, we present a variety of material consisting of images and language that was created in 2020 as part of various bicycle demonstrations in Berlin-Neukölln. These flyer texts, posters, speeches and photos help to understand how concerns about safety and quality of life are articulated in a language of proximity. What is perceived as closer spatially (urban spaces of everyday use such as streets in front of individuals' doors, regularly frequented cycling routes) becomes intertwined with what is perceived as closer in time, i.e. imminent and already occurring “great phenomena” (Everts, 2016) such as climate change and scarcity of resources. In our study, we assume that bicycle demonstrations function as transformation experiences. Bicycle demonstrations are motivated by emotions such as fear or anger, but can also generate different emotions such as joy and sense of community in the course of protest. For the duration of the demonstrations, streets become lived spaces suitable for bicycles, while the power relations that otherwise determine urban road traffic are challenged for a short amount of time. The experience of closeness becomes one of belonging and self-determination. It is these appropriations of space that mark bicycle demonstrations as a form of protest worth investigating, since they contribute to transforming emotions and intensifying perceptions of one's own environment.
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Am 6. Dezember 2020 senkt sich die Abenddämmerung bereits um 15 Uhr über eine von Neuköllns Magistralen, die viel befahrene Hermannstraße, die den Süd- und den Nordteil des Berliner Bezirks miteinander verbindet. Am Eingang des Anita-Berber-Parks versammelt sich eine Gruppe von etwa einhundert Radfahrer:innen, um in der einsetzenden Dunkelheit mit einem Fahrradkorso gegen die fehlende Fahrradinfrastruktur auf der Hermannstraße zu demonstrieren. Auf einem Plakat, das an einem Lastenfahrrad angebracht wurde, steht „Pop-Up-Radweg auf der Hermannstraße jetzt!“ – die zentrale Forderung der Initiative Hermannstraße für Alle. Diese ist seit Mai desselben Jahres in den Nordneuköllner Nachbarschaften rund um die Hermannstraße aktiv und hat nun am Nikolaustag die neunte Fahrraddemonstration des Jahres organisiert.
Der Begriff Pop-Up-Radweg verweist auf die besonderen Umstände, unter denen sich der Fahrrad-Aktivismus entlang der Hermannstraße im Jahr 2020 formierte: Die massiven Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens während der Covid-19-Pandemie führten auch zu neuen Formen der innerstädtischen Verkehrsplanung. So richtete der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg im März 2020 innerhalb kürzester Zeit Deutschlands erste Pop-Up-Radwege, also temporäre, vom fließenden motorisierten Verkehr durch Baustellenbaken getrennte Fahrradwege ein. Damit wurde auf das Bedürfnis von Berliner:innen reagiert, sich während der Pandemie aus Infektionsschutzgründen statt mit öffentlichen Verkehrsmitteln vermehrt mit dem Fahrrad durch die Stadt zu bewegen und dabei den empfohlenen Mindestabstand von 1.50 m zueinander einhalten zu können. Die Einrichtung eines solchen Pop-Up-Radwegs wurde dann im Mai 2020 von Hermannstraße für Alle als Forderung aufgegriffen, nachdem die im Jahr zuvor entstandene Gruppe mit Anwohner:innen und Bezirkspolitiker:innen eine Videokonferenz zu Mobilitätsbedürfnissen auf der Hermannstraße veranstaltet hatte. Seitdem hat die Initiative zum Entstehungszeitpunkt dieses Artikels elf Fahrraddemonstrationen organisiert, Einwohneranfragen gestellt sowie einen Einwohnerantrag in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht, der von dieser positiv beschlossen wurde (Haarbach, 2021). Im Anschluss an den Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung entwickelte Hermannstraße für Alle zudem eine Entwurfsplanung für den nördlichen der zwei Planungsabschnitte auf der Hermannstraße (Raudszus, 2021).
Die Initiative ist nicht die einzige Gruppe, die sich in den letzten Jahren im Neuköllner Norden für alternative Mobilitätskonzepte und eine Neugestaltung des Stadtraums eingesetzt hat. Allerdings zeichnet den Aktivismus von Hermannstraße für Alle ein besonders expliziter Lokalbezug zur Hermannstraße aus, der für die folgenden Überlegungen eine wichtige Rolle spielen wird. Wir werden in den Blick nehmen, inwiefern sich im Umfeld der Initiative während, vor und nach den regelmäßig stattfindenden Fahrraddemonstrationen eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Hermannstraße als Teil der eigenen emotional besetzten Stadtumwelt entwickelte. Wir möchten besonders die Artikulation von Nähe und damit einhergehende Gefühle von Betroffenheit, Verbundenheit und Dringlichkeit beleuchten. Dafür schauen wir darauf, wie direkte Bezüge auf die Hermannstraße im Rahmen von Demonstrationen (bei der Mobilisierung, während den Kundgebungen oder in der Nachbereitung) verbalisiert oder auch durch Praktiken der Raumaneignung bekräftigt wurden.
Hierfür greifen wir in einem ersten Schritt (Kapitel 2) sowohl auf das von Jan Slaby et al. entwickelte Konzept des affective arrangement (Slaby et al., 2019) als eine Beschreibungskategorie für affektintensive Schauplätze sozialen Lebens als auch auf die Überlegungen von William Reddy zur emotiven Reziprozität von Sprache (Reddy, 1997) zurück. Mit diesen Zugängen wollen wir versuchen nachzuvollziehen, wie Stadtraum in einem komplexen sozialen Geflecht relational erfahren wird, das heißt als etwas, das zeitlich und räumlich in Bezug zu einem erlebenden Ich und einem kollektiven Wir gesetzt wird.
In einem zweiten Schritt (Kapitel 3) werden wir dann unsere Beobachtungen mit den Gedanken von Everts (2016) zur Verschränkung von spezifischen Stätten (Sites) und der Wahrnehmbarkeit sogenannter „großer Phänomene“ zusammenführen. In unserem Fall sind das die Verkehrswende, Fragen nach individueller Sicherheit und Flächengerechtigkeit in der Stadt, aber auch, wie bei Everts, der Klimawandel. So legen wir im zweiten Teil unserer Untersuchung ein besonderes Augenmerk auf die affektive Verschränkung von lokaler Ebene (eigenes Wohnumfeld, alltägliche Verkehrsstrecken) und globaler Ebene (sich intensivierende und näher rückende Krisen wie Klimawandel, Ressourcenverknappung und Pandemie).
Anhand eines sehr konkret im städtischen Verkehrsraum verankerten Beispiels möchten wir einen Beitrag zum Verständnis von dynamischen, vielschichtigen und relationalen Affektbeziehungen leisten, welche Umwelt zu einem sozialen Phänomen machen. Als Teilnehmer:innen an den hier beschriebenen Fahrraddemonstrationen waren wir sowohl teilnehmende Beobachter:innen als auch, wie Peter Ullrich dies in seinem Aufsatz zur Protestforschung erläutert, längerfristig und „häufig im engen Kontakt mit den ‚Objekten‘ des Interesses“ (Ullrich, 2019:29). Wir waren sogar selbst immer wieder jene Objekte des Interesses und damit auch emotional tangiert. Als Mitwirkende in der Initiative Hermannstraße für Alle waren wir an der Planung, Organisation, Bewerbung und Durchführung von Fahrraddemonstrationen sowie an der medialen Bearbeitung auf unterschiedlichen Online-Plattformen (Twitter, Facebook, Instagram) beteiligt. Das hat uns detaillierte Einblicke in die Prozesse der Initiative sowie die Atmosphäre auf den Fahrraddemonstrationen ermöglicht. Zugleich vertrauen wir als forschende und politische Menschen (vgl. Ullrich, 2019:37) darauf, dass die theoretischen und methodischen Zugriffe sowie die Analysen unserer Kolleg:innen ein belastbares Korrektiv gegenüber unserer eigenen emotionalen Involvierung bilden. Wir gehen davon aus, dass dieses Korrektiv es uns erlaubt, in unserer Forschungsarbeit ein differenziertes Bild des emotionalen Gefüges der Fahrraddemonstrationen und der implizierten Machtstrukturen im Stadtraum zu zeichnen. Darauf aufbauend hoffen wir Überlegungen anzustoßen, die auch über den unmittelbaren Kontext, an dem wir beteiligt gewesen sind und der uns in dieser Arbeit beschäftigt hat, hinaus interessante und tragfähige Erkenntnisse liefern können. Als Untersuchungsmaterial werden im Folgenden Flyer, digitale Aufrufe zur Demonstrationsteilnahme über die Plattformen Twitter und Instagram, Meinungsäußerungen auf den Plattformen Twitter, Instagram und auf Plakaten, die während den Demonstrationen zu sehen waren, aber auch unsere eigenen Beobachtungen und Einschätzungen als empirische Betrachtungen dienen. In Anlehnung an einen autoethnographischen Forschungsansatz möchten wir das vorhandene empirische Material mit unseren eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen der Demonstrationen, an denen wir teilgenommen haben, ergänzen, um eine möglichst plastische Rekonstruktion der Ereignisse zu entwickeln.
Unser Untersuchungsgegenstand, die von Hermannstraße für Alle organisierten Fahrraddemonstrationen, lassen sich einerseits als zeitlich und räumlich abgegrenzte Ereignisse beschreiben: Es handelte sich hierbei um angemeldete Kundgebungen, die zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Teil des Stadtraums stattfanden und dabei zwischen fünfzig und dreihundert Teilnehmer:innen involvierten. Die konkrete Situiertheit auf der Hermannstraße spielt dabei eine maßgebliche Rolle für die spezielle Wahrnehmung von Stadtumwelt: Hermannstraße für Alle, der Name unter dem die Demonstrationen organisiert wurden, stellt einen expliziten Lokalbezug zu der Straße her. Auch Plakate und Sprechchöre verwiesen, wie wir an Beispiel zeigen werden, immer wieder namentlich auf die Hermannstraße. Diese bestimmte Straße wiederum konnte für die Dauer der Kundgebung und die damit einhergehende Einschränkung des motorisierten Verkehrs bereits in einem Zustand erfahren werden, der demjenigen nahekam, den die Demonstrierenden forderten.
Darüber hinausgehend entfaltete sich die Wahrnehmung, Wirkung und Bedeutung der Fahrraddemonstrationen aber gerade auch durch deren Einbettung in erweiterte Kommunikationskontexte: Die sie umgebenden Interaktionen auf Social-Media-Plattformen, die Mobilisierung durch Flyer, die in an die Hermannstraße angrenzenden Quartieren verteilt wurden, sowie Debatten zu den Themen Verkehrssicherheit und Nachhaltigkeit im Stadtraum prägten das Erleben der Teilnehmenden. Die unterschiedlichen Ebenen der Wahrnehmung und Bewertung der Verkehrssituation auf der Hermannstraße – sowohl in ihrem Alltagszustand, als auch in dem davon abgesetzten Ausnahmezustand während der Fahrraddemonstrationen – griffen dabei auf eine sich gegenseitig bedingende Art und Weise ineinander, sodass situatives Erleben und im Vorfeld oder Nachhinein stattfindende Thematisierungen des Straßenraums Hermannstraße sich gegenseitig prägten.
Um ein solches reziprokes Setting zu beschreiben, haben Jan Slaby, Rainer Mühlhoff und Philipp Wüschner den Begriff des affective arrangement (Slaby et al., 2019) entwickelt, den wir im Folgenden für ein besseres Verständnis der Emotionen, deren Artikulationen und Intensivierungen sich im Umfeld von Fahrraddemonstrationen beobachten lassen, fruchtbar machen wollen. In diesem Zusammenhang gehen wir in unseren Überlegungen ebenso wie Slaby, Mühlhoff und Wüschner davon aus, dass affektive Beziehungen maßgeblich durch ihre Situierung, sowohl in Räumen als auch in Diskursen und sprachlichen Formen, strukturiert werden. In Anlehnung an William Reddy möchten wir insbesondere die sprachliche Komponente dieser Beziehungen in den Blick nehmen und das untersuchen, was Reddy „emotional gestures and utterances“ (Reddy, 1997:327) nennt, also sprachliche Artikulationen und gestische Praktiken, die auf Emotionen verweisen und diese dabei nicht allein abbilden oder darstellen, sondern auch mobilisieren, transformieren oder intensivieren können. Im Kontext der Fahrraddemonstrationen interessiert uns besonders, wie diese sprachlichen Gesten mit Akteur:innen, lokalen materiellen Gegebenheiten und medialen Bearbeitungen in Beziehung zueinander getreten sind. Die urbane Umwelt der Hermannstraße wird dabei als Raum erkennbar, der ebenso durch Diskurse wie durch städtebauliche Beschaffenheiten und verkehrspolitische Maßnahmen vorgeprägt ist und der dann im sprachlich-körperlichen Erlebnis Fahrraddemonstration noch einmal neu kodiert werden kann.
2.1 Fahrraddemonstrationen als Affektives Arrangement
In affective arrangements greifen die Handlungen unterschiedlichster menschlicher Akteur:innen wie auch nicht-menschlicher Materialien in Form von „heterogeneous ensembles of diverse materials forming a local layout that operates as a dynamic formation, comprising persons, things, artifacts, spaces, discourses, behaviours, and expressions in a characteristic mode of composition and dynamic relatedness“ (Slaby et al., 2019:4) ineinander. Die Fahrraddemonstrationen auf der Hermannstraße als Ensemble etwa involvierter Menschen, die sich teilweise in Gruppen zusammenfanden (Demonstrant:innen, Polizeikräfte, Passant:innen etc.), Gegenstände wie Fahrräder, Plakate, Autos sowie materieller Rahmenbedingungen wie die Straßengestaltung, die wiederum das Resultat bestimmter planerischer Praktiken und Diskurse über Stadtraum, Sicherheit und Verkehr darstellte, aber auch das Wetter. Obwohl sich affective arrangements durch ihre ausfransenden Ränder und eine Durchlässigkeit zu weiteren Kontexten, Umgebungen oder Diskursen auszeichnen (Slaby et al., 2019:7), so lässt sich doch eine variierende affective intensity (Slaby et al., 2019:5) feststellen, die eine Art Innen und Außen markiert. Dieses Konzept von Intensität, die durch bestimmte Positionierungen und Involvierungen von Akteur:innen verändert werden kann, fußt auf Randal Collins' Überlegungen zum Transfer emotionaler Energien in sozialen Settings (Collins, 2004). Im Fall der Fahrraddemonstrationen würde dies bedeuten, dass die Intensität der Affizierung und des Affizierens bei den Teilnehmer:innen, die sich bewusst innerhalb des arrangements bewegten und artikulierten, in der Regel größer war als etwa bei einer zufällig aus dem Fenster schauenden Anwohnerin – die jedoch auch Teil des arrangements war und möglicherweise als solche affektiv angesprochen oder abgestoßen wurde.
Das affective arrangement stellt für Slaby et al. (2019) auch eine Art Einladung zum Affiziertsein dar: Als sogenannte „affective affordances“ (Slaby et al., 2019:5) bilden die arrangements Anlässe für emotionale Involvierung. Die Fahrraddemonstrationen taten dies sowohl im Vorfeld, indem die organisierende Initiative sie durch Flyer im Stadtraum oder durch Social-Media-Posts im digitalen Raum bewarb. Aber auch die wiedererkennbare Gestalt von Kundgebungen schaffte Zugänglichkeit und konnte auf diese Weise von Menschen als politische Intervention im Stadtraum eingeordnet werden, indem eine von anderen Kundgebungen vertraute und erwartbare Affektivität impliziert wurde. Diese Erwartbarkeit der Affektivität steht in einem Spannungsverhältnis zu der grundsätzlichen performativen Offenheit von affective arrangements, die, sich ausweitend, stets neue Materialien, Situationen oder Personen inkludieren können. Etwa, wenn sich spontan Teilnehmer:innen einer Fahrraddemonstration anschlossen oder Autofahrer:innen den verbalen Konflikt suchten. Diese Entwicklungen lassen sich mithilfe der zwei distinkten und doch miteinander verbundenen Seiten, die Slaby et al. (2019) an dem affective arrangement identifiziert haben, erklären: dem „organizational set-up“ (Slaby et al., 2019:6) und der „intensive processuality“ (Slaby et al., 2019). Während Ersteres die erwartbaren oder vertrauten Elemente innerhalb der Situation des arrangements umfasst – bei Fahrraddemonstrationen etwa Fahrräder, Polizeikräfte, die Straße –, so lassen sich als Prozess oder auch „flow“ (Slaby et al., 2019) die Entwicklungen von Affektgenese und -artikulation beschreiben, die das Vertraute bewegen, verschieben oder transformieren. Im Kontext der Fahrraddemonstrationen auf der Hermannstraße etwa wurde die Erfahrung des Straßenraums, der temporär für den motorisierten Verkehr gesperrt und dadurch als gemeinschaftlicher Freiraum befahrbar wurde, transformiert und die gewohnte, in ihrer baulichen Gegebenheit weiterhin existierende, nun aber anders zu befahrende Hermannstraße affektiv neu besetzt. Dabei spielte die körperliche Wahrnehmung eine große Rolle. Genauso wichtig waren aber auch sprachliche Äußerungen, die Affekte artikulierten, mobilisierten und intensivierten und damit ein spezielles Verhältnis zur Stadtumwelt ausdrückten. Sie zeigen, wie Radfahrende von Verkehrssituationen betroffen sind und welche Bedarfe und Forderungen einerseits, aber auch welche Umsetzungsmöglichkeiten und Transformationspotenziale andererseits sich aus diesen Betroffenheiten ergeben. Im nächsten Teilkapitel möchten wir eine Verbindung zwischen diesen protestbezogenen Semantiken und ihrer Rolle bei der Artikulierung von Emotionen herstellen.
2.2 Artikulationen von Nähe
Sowohl bei den Kundgebungen als auch bei den Demonstrationen handelt es sich, wie beide Begriffe bereits andeuten, um arrangements, für die Artikulationen eine zentrale Rolle spielen: Dass etwas kundgegeben beziehungsweise öffentlich gezeigt wird, heißt sehr oft auch, dass etwas zur Sprache gebracht wird. Das Verhältnis von sprachlichen Formen zu Emotionen lässt sich dabei, den Arbeiten William Reddys entsprechend, weder als ein deskriptives noch als ein performatives begreifen, sondern als ein emotives. Das heißt, Emotion und sprachlicher Ausdruck verändern sich fortlaufend gegenseitig (vgl. Reddy, 1997:331), wobei diese Prozesse der Sprachgebung und Gefühlsbildung im Umfeld von Demonstrationen oftmals eine vergemeinschaftende und identitätsstiftende Funktion erfüllen. Inwiefern Artikulationen im Umfeld der Fahrraddemonstrationen von Hermannstraße für Alle auch ein besonderes Gefühl von Nähe mobilisiert haben, beziehungsweise umgekehrt von diesem mobilisiert wurden, werden wir nun genauer untersuchen.
Die Sprache, durch die sich umweltaktivistische Gruppen wie Hermannstraße für Alle äußern und mithilfe derer politische Anliegen bei Fahrraddemonstrationen ausgedrückt werden, erfüllt eine Vielzahl sowohl praktisch-organisatorischer als auch ideologischer, das heißt identitätsstiftendender Funktionen. Schriftlichen Äußerungen durch Flyer, Plakate oder Social-Media-Beiträge und mündlichen Verlautbarungen wie Reden, Rufen oder Sprechchören während den Demonstrationen kommt dabei eine strukturierende und transformierende Aufgabe zu. Schwarz-Friesel beschreibt in diesem Zusammenhang eine jeglicher Sprache innewohnende, „realitätsabbildende“ und „realitätskonstruierende Rolle“ (Schwarz-Friesel, 2013:32) – besonders in Bezug auf Raumwahrnehmung und die Wahrnehmung des Selbst. Dabei reagieren körperliches Erleben und sprachlicher Ausdruck innerhalb des affective arrangements aufeinander. Wie auch Jan Hutta nahelegt, lassen sich Ausdruck und Affekt dabei nicht als hierarchische oder zeitlich versetzte, aufeinanderfolgende Bestandteile einer Übersetzung verstehen, sondern vielmehr als aufeinander bezogene „two aspects of an unfolding affective-expressive process“ (Hutta, 2015:306) beschreiben. Jenseits eines eindimensionalen Sender- und Empfängermodells von Kommunikation wird Sprache, wie wir im Zusammenhang der Fahrradproteste beobachten konnten, zu einer Komponente in der Gestaltung multipler, komplexer emotionaler Erfahrungen. Hierbei agieren und reagieren die unterschiedlichen Akteure – organisierende Gruppen, unterschiedliche Demonstrationsteilnehmer:innen, Redner:innen, andere Verkehrsteilnehmer:innen wie Passant:innen und Autofahrer:innen sowie die im Falle einer angemeldeten Demonstration begleitenden polizeilichen Einsatzkräfte – immer wieder durch sprachliche Äußerungen aufeinander. Sie schaffen somit ein Sprachgeflecht, das die gesamte Textur des affective arrangements durchzieht. Das arrangement der Fahrraddemonstration lässt sich so als eine angereicherte Atmosphäre betrachten, die das individuelle Erleben sowohl intensiviert als auch in eine größere Kollektivstruktur gemeinsamen Erfahrens einzuordnen vermag. Das affektive Erleben innerhalb des so gestalteten arrangements der Fahrraddemonstrationen ist insbesondere im Hinblick auf die Wahrnehmung des umgebenden Raums intensiv und wandlungsfähig. Hier verstärken sich die körperlich erlebte Fortbewegung in der Gruppe der Demonstrierenden durch den Straßenraum und die sprachliche Benennung von Gefühlen. Zum Vorschein kommen dabei Emotionen von Angst und Wut, die unter alltäglichen Bedingungen die Teilhabe am Verkehr begleiten, als auch damit kontrastierende Emotionen von Freude und Ermächtigung, die nun den temporären Ausnahmezustand des Straßenraums während der Demonstration bestimmen.
Judith Butler beschreibt dieses wirkmächtige Zusammenspiel von Sprache und Handlung im Rahmen sozialer Praxis als Performativität. Im Rekurs auf Butler hat auch Anke Strüver in ihrer Analyse der Aktionsform critical mass gezeigt, wie sich die Performativität der Übernahme des ganzen Straßenraums von und für Radfahrer:innen als ein „kritisches Tun“ (Strüver, 2015:38) verstehen lässt. Dabei handelt es sich um eine widerständige, da den Status quo des städtischen Verkehrs innerhalb dieses Zeit- und Raumabschnitts unterbrechende, körperliche Manifestation. Doch während Strüver (2015) sich in Bezug auf die critical mass hauptsächlich auf Effekte konzentriert, die durch die Anwesenheit von Körpern und Fahrrädern im Raum entstehen, wollen wir die sprachliche Strukturiertheit dieses Raums unter dem Gesichtspunkt der Artikulationen von Nähe in den Blick nehmen. Dabei beziehen wir uns auf die bereits oben aufgeführten Formate von Sprachmaterial, die im Kontext der von Hermannstraße für Alle organisierten Fahrraddemonstrationen entstanden sind: Flyer-Texte, Twitter-Nachrichten, Plakataufschriften, sowie (aufgenommene) Redebeiträge. Die Untersuchung dieser unterschiedlichen Versprachlichungen erlaubt es uns nachzuvollziehen, wie das Erleben des Raums über die temporär eng umrissene Erfahrung der einzelnen Demonstrationen hinaus sprachlich vor- und nachbereitet beziehungsweise während der Demonstrationen durch Aufmerksamkeitslenkung affektiv aufgeladen wurde. Dabei beschäftigt uns einerseits die illokutionäre Funktion sprachlicher Äußerungen, also die Art und Weise, wie Sprache einen Sachverhalt nicht lediglich beschreibt, sondern ihn wirkmächtig (und sei es nicht auf einer rechtlichen, so doch zumindest auf einer symbolischen Ebene) vollzieht. So etwa die selbstperformative Aussage „Wir sind hier, wir sind laut, bis Ihr #PopUpHermann baut“ (Abb. 1), die sowohl auf Plakaten als auch in Form von Sprechchören auf den Fahrraddemonstrationen präsent war.
Andererseits beobachten wir auch die Versprachlichung von Forderungen und Wünschen, die sich der Sprache als Möglichkeitsraum bedienen, indem eine Alternative zur vorgefundenen materiellen und rechtlichen Wirklichkeit des Straßenverkehrs formuliert wird. Somit wird ein widerständiges, affektives Potenzial aktiviert, etwa durch Äußerungen wie „Menschen statt Motoren“ (Abb. 2) oder „Hermannstraße + Radweg = supergeil“ (Abb. 3).
Wie bereits erwähnt handelt es sich bei den von Hermannstraße für Alle organisierten Demonstrationen nicht um spontane Eingriffe in das Straßenverkehrsgeschehen, sondern um formal angemeldete Kundgebungen. Deswegen verwendeten die Veranstalter:innen der Fahrraddemonstrationen auf der Hermannstraße auch vorbereitete kommunikative Mittel angemeldeter Demonstrationen (Vorankündigungen, Redebeiträge, Plakate) sowie kollektive Ausdrucksformen wie Sprechchöre und Rufe nach einem Call-and-Response-Muster. Damit handelt es sich, im Gegensatz zu Critical-Mass-Veranstaltungen oder anderen Protestformen, die mit performativen Ausdrucksmitteln arbeiten, um eine Form des Fahrradprotests oder -Aktivismus, der durchaus sprachliche (also geschriebene und gesprochene) Elemente involviert. Umso deutlicher lässt sich wiederum in der Sprache, die im Umfeld der Demonstrationen verwendet wird, eine affektive Intensivierung der Raumbeziehung und eine Rhetorik von Nähe erkennen. So fällt die wiederholte Verwendung von Temporaladverbien (jetzt, sofort, heute, noch, endlich) und Lokaladverbien (hier), die räumliche und zeitliche Nähe ausdrücken, sowie von Possessivpronomen (unser/ unseren), die Besitzanspruch und Zugehörigkeit markieren, besonders auf (Abb. 4).
Äußerungen unter dem Twitter-Account @hermannstr4alle, die eine solche deutliche Verwendung von Temporal- und Lokaladverbien und Possessivpronomen aufweisen, lauten beispielsweise:
„Verkehrswende jetzt.“ (Fahrraddemonstration Hermannstraße am 5. März 2021), „Heute und jeden Tag für die Verkehrswende und lebenswerte, smogfreie und klimafreundliche Innenstädte!“ (Fahrraddemonstration Hermannstraße am 19. März 2021), „Hier muss sich schnell etwas ändern.“ (Fahrraddemonstration Hermannstraße am 23. Januar 2021), „Wir sind hier, wir sind laut, bis ihr uns nen Radweg baut!“ (Fahrraddemonstration Hermannstraße am 20. September 2020) „#Hermannstraße: Viele Menschen hier sind arm UND leben mit: viel Feinstaub, viel Lärm und dichter Besiedelung.“ (Fahrraddemonstration Hermannstraße am 13. Mai 2020), „So ungerecht wollen wir unseren öffentlichen Raum nicht verteilen!“ (Fahrraddemonstration Hermannstraße am 27. Juli 2021), „Wann kommt unser Radweg?“ (Fahrraddemonstration Hermannstraße am 19. Januar 2021), „Wir < 3 unseren Kiez und unser Kiez < 3 uns zurück.“ (Fahrraddemonstration Hermannstraße am 26. Oktober 2020) (alle Tweets vom Twitter-Account @hermannstr4alle).
Durch eine solche rhetorische Verstärkung zeitlicher und räumlicher Nähe zu dem, was auf der Hermannstraße passiert oder noch passieren beziehungsweise nicht mehr passieren soll, sowie durch die Zuordnung des Stadtraums in einen Bereich kollektiven Besitzes wird das Erlebnis der Fahrraddemonstration als eine Aneignung des Straßenraums sprachlich vorbereitet, begleitet und erhalten. Die Sprache wird von Ausdrücken der Dringlichkeit und Betroffenheit durchzogen. Dadurch wird sie einerseits im Sinne der Performativität vom gemeinsamen Erleben des von Radfahrenden befahrenen Straßenraums im situierten affective arrangement der Fahrraddemonstration erst eingelöst und wirkmächtig. Andererseits wird diese affektive Wirkung längerfristig, auch über die Stunden der Demonstration hinaus, aufrechterhalten. Dies stellt das Zusammenspiel einerseits spontaner und andererseits langfristiger Wirkungen von Sprache dar. Besonders dem Twitter-Account @hermannstr4alle kommt dabei die Funktion eines affektiven Speichers zu, in dem die Erlebnisse der Demonstration aufbewahrt, aber auch in weitere und neue Zusammenhänge gerückt und mit diesen verlinkt werden können. So werden hier die als freudvoll und ermächtigend erlebten Fahrraddemonstrationen auf der Hermannstraße mit den als bedrohlich empfundenen Alltagserfahrungen auf derselben Straße kontrastiert oder mit Positivbeispielen auf anderen Straßen, in anderen Bezirken oder Städten verglichen.
Daran anschließend entsteht eine für die Kommunikationsplattform Twitter charakteristische Assemblage aus Beiträgen, die von den Account-Betreiber:innen selbst generiert werden, und solchen, die von anderen Accounts zitierend weiterveröffentlicht werden: Aus hinzugefügten Kommentaren und Bildern entsteht ein Diskursgeflecht um das Thema Straßenraum. Bei dem von uns in den Blick genommenen Beispiel geht um den Raum einer einzigen Straße, die als zu beklagender und frustrierender Angstraum einerseits und als idealisierter Wunschraum andererseits versprachlicht und bebildert wird. Auch die Texte auf den Flyern, mithilfe derer auf die von Hermannstraße für Alle angemeldeten Demonstrationen aufmerksam gemacht wurde, greifen diese zwischen den Affekten der Angst und der freudvollen Ermächtigung changierende Sprache auf. So lädt ein Flyer an Haustüren und um die Hermannstraße herum im November 2020 mit folgenden Worten zur Teilnahme an einer Fahrraddemonstration am Freitag, den 13. ein: „Die Straße ist zum Gruseln, täglich gibt es gefährliche Situationen für alle Verkehrsteilnehmenden. […] Wir fordern einen geschützten Radweg auf der gesamten Hermannstraße. JETZT!“ Eine ähnliche Gegenüberstellung von als gefährlich beschriebenem Ist-Zustand und erwünschtem Soll-Zustand Radfahrer:innen-schützender Straßeninfrastruktur findet sich ebenfalls auf einem Flyer, der zu einer Familienfahrraddemonstration am 19. Juli 2020 aufruft: „Schon mal ein Kind auf der Hermannstraße Fahrrad fahren gesehen? Nein? Kein Wunder, denn die Hermannstraße ist selbst für große Radfahrende viel zu gefährlich. Wir wollen einen sicheren Radweg auf der gesamten Hermannstraße und zwar für die ganze Familie“. Hier wird nicht nur die Hermannstraße in ihrem aktuellen Zustand wiederholt als gefährlich beschrieben, sondern die Möglichkeit einer anderen, sicheren und flächengerechteren Straße unmittelbar mit der Teilnahme an der Fahrraddemonstration verknüpft. Beide Flyer enden mit dem Appell der Teilnahme: „Bringt mit uns Licht auf die Hermannstraße. Schmückt eure Bikes mit Lichterketten und kommt zahlreich.“ beziehungsweise „Kommt zu unserer Familienfahrraddemo!“.
Den Kundgebungen wird also ein transformatives Potenzial zugesprochen, das sich, wie am Beispiel des Flyers für die Familienfahrraddemonstration ersichtlich wird, nicht allein auf die baulichen Gegebenheiten und Verkehrsregelungen beschränkt, sondern die affektive Erfahrung eines konkreten Straßenraums einschließt: Das individuelle Empfinden der Verkehrsteilnehmer:innen beziehungsweise der an der Fahrraddemonstration Teilnehmenden wird also explizit in die von Hermannstraße für Alle formulierten Beschreibungen und Forderungen für den Straßenraum miteinbezogen. Die sprachliche Konstituierung der Hermannstraße als ein Raum, dem sich die Anwohner:innen zugehörig, nah und verbunden fühlen, wird somit durch das Aufrufen des Affekts der Angst einerseits und des Affekts der Sicherheit oder Geborgenheit andererseits mitbestimmt und verstärkt. Die Fahrraddemonstration liefert also ein räumlich wirksames Erlebnis, um körperlich, sprachlich, individuell und auch kollektiv Erfahrungen im Straßenraum zu sammeln. Damit wird ein Angebot gemacht, um zwischen einzelnen Affekten zu vermitteln beziehungsweise einen Affekt in einen anderen zu transformieren.
Das transformative Potenzial von Demonstrationserlebnissen in Bezug auf die affektive Gestimmtheit der Teilnehmer:innen ist in der Protestforschung bereits eingehend dokumentiert worden. Neben den individuellen affektiven Prozessen und Erfahrungen kommt der wiederkehrenden Erfahrung einer Fahrraddemonstration ein dezidiert gemeinschaftlicher beziehungsweise Gemeinschaft stiftender Stellenwert zu. So hat beispielsweise Gould (2009) in einer Studie gezeigt, wie das gemeinsame Skandieren in Form von Sprechchören bei Demonstrationen die Stimmung der Mitsprechenden heben und das Gemeinschaftsgefühl stärken kann. Bei Fahrraddemonstrationen erfüllt das gemeinsame Klingeln eine ähnliche Funktion: Hier entsteht eine akustisch erfahrbare multitude in einem kollektiv erzeugten Klangraum. Unter den Demonstrierenden kann sich auch in Anlehnung an die Überlegungen zum affektiven Speicher und verstärkt durch gemeinschaftliche Äußerungen im Verlauf einer Fahrraddemonstration etwas entwickeln, das Eslen-Ziya et al. (2019) im Kontext der Gezi-Park-Proteste von 2013 als eine „emotional echo-chamber“ beschreiben. Dabei wird einerseits die affektive Gestimmtheit der Demonstrationsteilnehmer:innen im Verlauf einer Demonstration und andererseits auch die politische beziehungsweise moralische Grundeinstellung der Teilnehmer:innen über den Verlauf einer Demonstration hinaus durch das Gefühl intensiviert und gefestigt, von gleichdenkenden und -fühlenden Menschen umgeben zu sein. Für die Dauer der Demonstration treten gemeinsame Anliegen und Affekte – geteilte Wut und Angst über wahrgenommene Missstände ebenso wie geteilte Freude und Ermächtigungserfahrungen im Kontext des Protests – deutlich in den Vordergrund. Diese werden durch sprachliche Äußerungen und gemeinsame Handlungen (Fahrradfahren, Klingeln, Rufen) betont und zu identitätsgebenden Markern gemacht, hinter deren Strahlkraft anderweitige Differenzen weltanschaulicher oder politischer Natur zwischen den Demonstrationsteilnehmer:innen verblassen können. Dadurch verändert das Erlebnis der Fahrraddemonstrationen – bei einigen Teilnehmer:innen verstärkt durch die Rezeption des Twitter-Accounts der organisierenden Initiative – nicht nur die Wahrnehmung des Straßenraums, sondern es stiftet auch ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Interessensgruppe und einer Nachbarschaft, die sich hier verortet, sich für diesen Raum verantwortlich fühlt und sich für dessen Gestaltung einsetzt.
Bei der Untersuchung von Fahrraddemonstrationen wurden bisher anhand verschiedener Materialien konkrete Artikulationen von Nähe bezüglich eines lokal und temporal umrissenen Verkehrsraums, der Hermannstraße in Berlin-Neukölln, dargestellt. In Anlehnung an Everts (2016) sollen in diesem zweiten Teil Verbindungen zwischen den konkreten Erfahrungen auf lokaler Ebene einerseits und „großen Phänomenen“ (Everts, 2016), wie beispielsweise dem Klimawandel oder einer Ressourcenverknappung (auch im Sinne innerstädtischer Flächen), andererseits verdeutlicht werden. Ziel ist dabei auch zu zeigen, dass es sich bei diesen Artikulierungen nicht nur um Beklagungen eines Status Quo handelt, sondern dass den Beklagungen oftmals Problem-Interpretationen sowie Versuche von Lösungsansätzen zugeordnet werden können.
Everts (2016) zeichnet in drei Schritten die Verbindung zwischen „großen Phänomenen“ wie der Klimakrise, der Finanzkrise oder dem Ausbruch einer Pandemie einerseits und den Lokalitäten (sites) ihrer Materialisierung nach. Der erste Schritt bezieht sich auf eine genauere Darstellung der Ontologie der site (site ontology) bezüglich sozialer Sites und räumlich zunächst unzusammenhängender Relationen. Im zweiten Schritt erfolgt eine Positionierung in Richtung der „großen Phänomene“, um bei der Theoretisierung globaler Abhängigkeiten Probleme wie etwa unterschiedliche Skalen, Verbundenheiten und Machtverhältnisse zu identifizieren. Im letzten Schritt wird das Konzept von Macht-Geometrien angewandt, um Herausforderungen und Potenziale für weitere Untersuchungen darzulegen. Wir möchten diese drei Schritte zusammenfassend betrachten und das Konzept der Site-Ontologie zur Beschreibung des bi-direktionalen Verhältnisses von Globalität und Lokalität („Glokalität“) mit gegenseitigen Wechselwirkungen interpretieren.
3.1 Site als Kumulationspunkt von Diskurs und Materialität
Mit Verweis auf Schatzki (2002) erläutert Jonathan Everts die Rolle praxeologischer Theorie dahingehend, dass sich beobachtbare Praktiken immer zu spezifischen Zeiten und in spezifischen Räumen abspielen – sie also zeitlich und räumlich situiert sind und dabei eine Vielzahl materieller Entitäten umfassen, beispielsweise Körper oder auch Werkzeuge. Zentral nutzt Everts (2016:50) zur Beschreibung von Interaktionen und Abhängigkeiten den Begriff der Sites als „place[s] (both metaphorically and literally) where practices and arrangements meet“ (Everts, 2016:50). Die Anwendung des site-Konzepts soll den Analyseradius von bisherigen Betrachtungen meist lokaler und kleinräumlich fassbarer Phänomene (im Sinne von place) um einen Blick auf deren Verbindungen zu größeren Phänomenen erweitern. Mit weiterem Bezug auf Schatzki (2002) erläutert Everts (2016) zur Beschreibung sozialer Praxis die Vereinigung zweier Bedeutungen im verwendeten site-Begriff. Zum einen ist dies der thematische und metaphorische Treffpunkt von Materialität und Diskursivität. Zum anderen geht es bei site auch um einen konkreten physischen Ort, im aktuellen Fall etwa die Lokalität der Hermannstraße als Verkehrsraum, in dem die Fahrraddemonstrationen durch das organisierte Zusammentreffen einzelner Individuen wiederkehrend stattfinden. Sites bieten also einen Ausgangspunkt zur Beschreibung sozialer Phänomene in Form von sozialen Praktiken, die sich diskursiv und räumlich innerhalb dieser materialisieren. Weiterhin beschreibt Everts (2016) in Referenz zu Schatzki (2002:149), wie sich dafür innerhalb von sites ein Netz von Praktiken und Arrangements (zusammenhängende Komponenten wie Menschen, Artefakte, Organismen und Dinge) bildet, anhand dessen soziale Phänomene sichtbar werden. Diese Netze bilden durch ihre zunehmende Verknüpfung eine Grundlage für die Betrachtung „großer Phänomene“. Was ihre Beschaffenheit und Komponenten angeht, sind das affective arrangement, wie wir es zuvor beschrieben haben, und die Site deckungsgleich; sie erlauben aber eine jeweils unterschiedliche Fokussierung: Während das affective arrangement die Beziehungen im Raum in ihrer Relationalität beschreibt, nimmt die Begrifflichkeit der site stärker den Umgang mit dem Raum in den Blick.
Wird das Konzept der sites auf die aktuelle Untersuchung übertragen, können darunter also einerseits die Hermannstraße selbst, aber auch die Anwesenheit und Praktiken der betrachteten Akteure sowie einzelne mobilitätsgenerierende Komponenten innerhalb des Verkehrsraums verstanden werden. So verlangt die räumliche Trennung von beispielsweise Wohn- und Arbeitsstandorten sowie die Ausführung von Versorgungs- und Freizeitaktivitäten das Zurücklegen unterschiedlicher Wegstrecken und führt letztlich auch zur Wahl spezifischer Verkehrsmittel und damit verbundenen Mobilitätspraktiken. Das Fahrrad greift als aktives Fortbewegungsmittel bei den Demonstrationen und in Abgrenzung zum motorisierten Verkehr ein zentrales Argument der Verkehrswende auf. Es wird nicht nur als lokales Werkzeug für Fortbewegung angesehen, sondern dient gleichzeitig als Sinnbild einer ökologisch nachhaltigen, Gesundheit fördernden und Platz- sowie Energieressourcen sparenden Lebensweise in Städten, auf die ein Großteil des globalen Ressourcenverbrauchs zurückgeht.
3.2 Skalare Betrachtung von Sites
Nach einer Einführung zum site-Begriff weist Everts auf die Bedeutung von Skalen zur Beschreibung sozialer Praxis und zur Betrachtung „großer Phänomene“ hin. Skalen ermöglichen die Veränderung von Untersuchungsfokusse auf die jeweiligen Themen vom „ (…) tiniest practice-arrangement nexus to the largest bundle, the plenum of plenums (…)“ (Everts, 2016:53). Dabei geht es im Sinne von geographischen Skalen meist darum, wie lokale Phänomene durch bestimmte Kombinationen und Wirkbeziehungen übergeordnete und globale Prozesse anstoßen, und andererseits, wie globale Prozesse wiederum lokale Phänomene erzeugen beziehungsweise sich auf diese auswirken oder sich in ihnen manifestieren.
Im Verkehrsraum der lokalen Ebene ist eine fehlende baustrukturelle Abgrenzung zwischen Autofahrer:innen und Radfahrer:innen auf der Hermannstraße beispielsweise eine Folge unterschiedlicher Planungs- und Entscheidungsprozesse sowie nicht stattfindender Umsetzungen auf Bezirks- und Landesebene. Diese Prozesse hängen wiederum mit fördernden und hemmenden politischen Entscheidungen zusammen. Gleichzeitig wirken auch abstraktere Aspekte wie etwa schwankende Kraftstoffpreise, die Bepreisung von Parkräumen oder die Verordnung von Bußgeldern für Falschparken auf das lokale Verkehrsverhalten ein. Auch die Gestaltung von Bildungssystemen und die Umsetzung von Verkehrserziehung spielt hier eine Rolle. Wie werden der Einsatz und die tatsächlichen Kosten von Verkehrsträgern dargestellt und wie formen sich dadurch öffentliche Diskurse zu Vorstellungen und Leitbildern zukünftiger Mobilität? Wie können Zusammenhänge, etwa zwischen Verkehrsverhalten auf lokaler Ebene und der globalen Zunahme von Emissionen und Temperaturen, verständlich und greifbar dargestellt werden, um Verkehrspraktiken im Lokalen anzupassen?
Mit Bezug auf Marston et al. (2005) erläutert Everts die Kritik an einer vertikalen Vorstellung von Skalen und greift stattdessen den Begriff der flat ontology auf. Diese arbeitet im Gegensatz zur Vertikalität mit horizontal verbunden Bereichen. Darauf aufbauend wird die Skalierbarkeit des site-Begriffs analog zu einer Sammlung von Nachbarschaften erläutert: „(...) it inhabits a ‚neighbourhood‘ of practices, events and orders that are folded variously into other unfolding sites“ (Marston et al., 2005:426).
Bei den Fahrraddemonstrationen auf der Hermannstraße wurden „globale“ Forderungen, etwa nach mehr Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmer:innen, auch im Sinne von Flächengerechtigkeit, mehr Klimaschutz und dadurch weniger Umweltverschmutzung sowie mehr Sicherheit für Nutzer:innen aktiver Fortbewegung sichtbar. Diese globalen und zum Teil unkonkreten Forderungen kulminieren gleichzeitig im zentralen Bedürfnis der Errichtung eines Radwegs, gerade auf dieser Straße. So ist es auch dieser konkrete Straßenraum, in den die Forderungen getragen und artikuliert werden.
Im Folgenden führen wir einige Beispiele von Äußerungen auf, die während und im Umfeld der Fahrraddemonstrationen entstanden sind. Die Beispiele werden jeweils als lokales Phänomen dargestellt und in Bezug auf Everts (2016) mit Blick auf „große Phänomene“ interpretiert.
3.2.1 Beispiel 1: Verkehrswende durch Selbstwirksamkeit
Eines der für eine Demonstration auf der Hermannstraße erstellten Plakate fordert: „Klimagerechte Verkehrswende statt motorisiertem Individualverkehr!“ (Abb. 5). Hier steht nicht nur das Thema Verkehrswende im Vordergrund, sondern Klima wird als allgemein verfügbare und gerecht zu verteilende Ressource benannt. In der Forderung zeigt sich die Verbindung der globalen Themen Klimagerechtigkeit und Verkehrswende mit einer konkreten Praktik: dem motorisierten Individualverkehr. Der Forderung einer Verkehrswende wird mit einzelnen Piktogrammen Nachdruck verliehen, welche aus verschiedenen Verkehrsschildern bestehen, die auf Räume für aktive Fortbewegung verweisen. Die Piktogramme verstärken die ausgeschriebene Forderung insofern, als dass eine Verknüpfung zwischen den rechtlich definierten Praktiken und den jeweils dafür vorgesehenen Verkehrsräumen stattfindet. Die Piktogramme verweisen auf Sonderwege für Radfahrer:innen, gemeinsame Fuß- und Radwege, Parkplätze für Lastenräder, Radschnellwege, Spielstraßen, verkehrsberuhigte Bereiche, das Verbot für mehrspurige Kfz und Motorräder sowie Gehwege und Fahrradzonen. Die Darstellung der Piktogramme auf dem Plakat verdeutlicht einerseits die Forderung nach einem Ausbau ökologisch nachhaltiger und sozial zugänglicher Verkehrsräume. Gleichzeitig symbolisieren sie treibende Faktoren einer klimagerechten Verkehrswende, indem die jeweiligen Räume als Durchsetzungsinstrumente verstanden werden, um den Klimawandel abzuschwächen.
Im Anschluss an die Forderung nach einer klimagerechten Verkehrswende wird mit dem Plakat „Verkehrswende selber machen“ (Abb. 6) ein emanzipatorischer Anspruch betont. Dabei wird das globale Thema Verkehrswende als soziales, technisches, politisches und wirtschaftliches Gesellschaftsprojekt erkannt, aus diesen Kategorien herausgehoben und in Form alltäglicher Praxis konkretisiert beziehungsweise konkret greifbar gemacht. Verkehrswende wird dabei als etwas definiert, an dem alle Verkehrsteilnehmer:innen individuell mitwirken können. Zwar ereignen sich Verkehrsprozesse innerhalb verschiedenster (rechtlicher, struktureller, baulicher) Regulationsräume, also sites. Gleichzeitig tragen einzelne Verhaltensentscheidungen zur jeweiligen Ausgestaltung und Materialisierung des gesamten Verkehrs bei. Mit diesem Anspruch wird die Verkehrswende einerseits als etwas globales und durch formale Einflüsse bestimmtes, und andererseits als etwas durch individuelle Mobilitätsentscheidungen und -praktiken bestimmtes beschrieben.
3.2.2 Beispiel 2: Klimaschutz durch Verhaltens- und Infrastrukturanpassung
Auf einem weiteren Plakat wird gefordert: „street change, NOT climate change“ (Abb. 7). Hier wird eine Verbindung hergestellt zwischen der lokalen Ebene – also der (Hermann-)Straße mit ihrer strukturell und regulativ zugeschriebenen Nutzungsmöglichkeit im Sinne einer autozentrierten Verkehrsplanung – einerseits und der Forderung, den Klimawandel abzuschwächen, andererseits. Der Verbindungsversuch beider Ebenen kommuniziert, dass die infrastrukturelle Veränderung des Straßenverkehrsraum und eine damit einhergehende Anpassung von Mobilitätspraktiken (Umstieg auf aktive und emissionsarme Fahrradmobilität) als maßgeblich für die Verringerung eines menschengemachten Klimawandels angesehen wird. Auch auf diesem Plakat wurden ergänzend zum Schriftzug von Hand Piktogramme, nämlich ein Herz, ein Fahrrad und ein Baum, erstellt.
Im Hinblick auf den Prozess der globalen Erderwärmung, mitunter angetrieben durch die Verbrennung fossiler Energieträger, wurde die Notwendigkeit emissionsarmer Mobilität auf einem weiteren Plakat artikuliert (Abb. 8): „Wer im Treibhaus sitzt, sollte lieber Radfahren.“ Zentral ist dabei die Anspielung auf den Treibhauseffekt, also das Eintreten von Lichtstrahlung in die Erdatmosphäre sowie deren Umwandlung in Wärmeenergie bei gleichzeitiger Verhinderung eines Austritts dieser Wärme durch Treibhausgase, wie etwa Kohlenstoffdioxid. Diese Feststellung wird mit der Empfehlung, auf emissionsarmes Radfahren umzusteigen, bekräftigt.
3.2.3 Beispiel 3: Lebensqualität durch Verkehrssicherheit
Auf einem weiteren Plakat (Abb. 9) wird das Thema Verkehrssicherheit artikuliert: „Mehr Verkehrssicherheit für Radfahrer*innen bedeutet weniger Stress für Alle!“ Dabei wird nicht nur aus den Positionen einzelner Verkehrsteilnehmer:innen heraus argumentiert, sondern ein integrativer und globaler Versuch unternommen, Straßenverkehr als gemeinsamen Prozess in geteilten Räumen zu verstehen. Gleichzeitig wird die höhere Verletzlichkeit von Radfahrer:innen angedeutet. Das Plakat propagiert mit der impliziten Forderung eines Radwegs auf der Hermannstraße eine strukturelle Aufteilung des Verkehrsraums und damit klare Verhältnisse für alle Teilnehmer:innen. Durch Dunkelheit oder Witterungsbedingungen verstärkt unübersichtliche Verkehrssituationen werden anhand von baulich trennender Infrastruktur entschärft und vulnerable Gruppen wie Radfahrer:innen und Fußgänger:innen sind in Gefahrensituationen besser geschützt.
Zu beobachten, wie im Umfeld der Fahrraddemonstrationen von Hermannstraße für Alle Artikulationen von Nähe stattfanden und besondere Aufmerksamkeit für die Hermannstraße entwickelt wurde, hat es uns erlaubt, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, dass die lokale Situierung affektiver Raumerfahrung und eine Bezugnahme auf Prozesse globaler Größe bei Protesten für eine Neugestaltung des Stadtraums ineinander verschränkt sind. Die zunächst vielleicht gegenläufig erscheinende Ansprache von Gefühlen lokaler Betroffenheit und globaler Verbundenheit erweisen sich im affective arrangement der Fahrraddemonstrationen als einander bedingend. Das aktivistische Motto „Global denken, lokal handeln“ ließe sich in diesem Sinne durch ein „glokal fühlen“ ergänzen, wodurch in der Mobilisierung von Affekten möglicherweise genau die Verbindung beider Ebenen zu verorten wäre – das jedenfalls lässt sich als Zwischenergebnis unserer Beobachtungen und Überlegungen formulieren.
Die Fahrraddemonstrationen auf der Hermannstraße haben Menschen körperlich und emotional bewegt. Wir haben uns in unserer Untersuchung auf die Teilnehmer:innen der Kundgebungen fokussiert, für die durch das Zusammenwirken von Ereignis und Artikulation im Herzen des affective arrangement eine besondere Intensität affektiven Erlebens möglich war. Der Frage, wie Interventionen sowohl die Reflektion über den Status Quo der Straßen- und Stadtraumaufteilung ermöglichen als auch Wahrnehmungen und Gefühle gegenüber diesen Räumen prägen, weiter nachzugehen, erscheint uns lohnenswert. An dieser Stelle sei auf Götting und Becker (2020) verwiesen, die in einer explorativen Umfrage Reaktionen auf bisher eingerichtete Pop-Up-Radwege in Berlin untersuchen. Neben negativen Äußerungen zur Infrastruktur gaben Befragte als zentrale Vorteile dieser Infrastruktur erhöhte soziale Teilhabe, die Verfügbarkeit von mehr Platz für, sowie eine erhöhte Sichtbarkeit von verletzlichen Verkehrsteilnehmenden im Allgemeinen und Radfahrenden im Speziellen an. Zudem nannten die Befragten Schnelligkeit, Flexibilität, Flächengerechtigkeit und die Umsetzung der Mobilitätswende als positiv. Die Autorinnen gaben auch an, dass Personen, die sich selbst als Fußgänger:innen oder ÖPNV-Nutzer:innen identifizieren, die Pop-Up-Radwege positiv sahen. Genauso spannend wäre allerdings auch eine tiefergehende Untersuchung der Affekte und Haltungen jener Menschen, die den Fahrraddemonstrationen und ihren Anliegen ablehnend gegenüberstehen. Schließlich ermöglicht insbesondere die Verknüpfung der lokalen Situation auf einer konkreten Straße mit großen Phänomenen – sei es die Mobilitätswende oder der Klimawandel – die Mobilisierung einer Vielzahl unterschiedlicher Stimmungen, Meinungen und Gefühle.
Ein weiteres Feld, das wir in unserem Beitrag lediglich gestreift haben und dessen weiterführende Untersuchung uns als vielversprechend erscheint, ist das affektive Miteinander von Institutionen (Bezirksverwaltung, Verkehrsplanung) und Anwohner:innen-Initiativen wie Hermannstraße für Alle. Inwiefern sich die unterschiedlichen Akteure in der Verwaltung, der Politik oder der Anwohnerschaft in ihren Affekten bestärken, beeinflussen oder gar verändern, wäre weitere Untersuchungen wert.
Zu verändern begonnen haben sich inzwischen nicht nur die Wahrnehmungsweisen und die Artikulationen von Gefühlen gegenüber dem Stadtraum der Hermannstraße, sondern tatsächlich auch die Straße selbst: Seitdem im Oktober 2021 die ersten Markierungsarbeiten auf dem südlichen Teil vorgenommen wurden (Abb. 10), entsteht nun sukzessive eine dauerhafte, größtenteils geschützte Radinfrastruktur auf der Hermannstraße (Abb. 11). Damit werden wichtige Bestandteile des Straßenverkehrsraums, die zu der emotionalen Umweltbeziehung, mit der sich unser Beitrag beschäftigt hat, maßgeblich beigetragen haben, grundlegend neugestaltet und organisiert.
Während vorangegangene Planungen, die bis lange vor die Zeit der Fahrraddemonstrationen zurückreichen, sowie das Berliner Mobilitätsgesetz die Grundlage für die Realisierung einer Radinfrastruktur auf der Hermannstraße bildeten, haben die Fahrraddemonstrationen zu einer Beschleunigung des Prozesses und einer intensiveren Auseinandersetzung im Bezirk mit der Hermannstraße beigetragen. Dass Stadtraum nicht nur einseitig und hierarchisch geplant und geformt wird, sondern dass diese Prozesse ebenso das Ergebnis vielschichtiger emotionaler Aushandlungen sind, zeigt der Entstehungskontext der Radinfrastruktur auf der Hermannstraße somit eindrücklich.
Die zur Analyse verwendeten Daten wurden dem Twitter Account @hermannstr4alle entnommen und können auf Anfrage verfügbar gemacht werden. Verwendete Fotografien (außer Abb. 10) sind Eigentum der Autor*innen und können ebenfalls verfügbar gemacht werden. Die Erlaubnis zur Verwendung von Abb. 10 (Peter Broytman) liegt vor.
Die einzelnen Arbeitsschritte zur Vorbereitung, Durchführung und Fertigstellung des Beitrags (Konzeptualisierung, Datenrecherche und -Analyse, sowie Auswertung und Verschriftlichung) wurden in gleichen Teilen von beiden Autor*innen durchgeführt. Das Verfassen des Artikels wurde in keiner Weise finanziell gefördert.
Die Autor*innen erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Anmerkung des Verlags: Copernicus Publications bleibt in Bezug auf gerichtliche Ansprüche in veröffentlichten Karten und institutionellen Zugehörigkeiten neutral.
Wir möchten der Bewohnerschaft rund um die Hermannstraße für die große Unterstützung bei den Demonstrationen, der Bezirks- und Senatsverwaltung für die bisherige und zukünftige Kooperation für sichere Fahrradinfrastruktur in Neukölln und Berlin sowie allen Beteiligten der Initiative Hermannstraße für Alle danken.
This paper was edited by Nadine Marquardt and reviewed by three anonymous referees.
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- Kurzfassung
- Einleitung
- Nähe fühlen: Affektive Relationalität und Artikulationen von Nähe auf Fahrraddemonstrationen
- Aus der Nähe in die Ferne: Lokale Situiertheit und „Große Phänomene“ auf Fahrraddemonstrationen
- Schlussbeobachtungen – Global denken, lokal handeln, beides fühlen
- Datenverfügbarkeit
- Autor:innenmitwirkung
- Interessenkonflikt
- Haftungsausschluss
- Danksagung
- Begutachtung
- Literatur
- Kurzfassung
- Einleitung
- Nähe fühlen: Affektive Relationalität und Artikulationen von Nähe auf Fahrraddemonstrationen
- Aus der Nähe in die Ferne: Lokale Situiertheit und „Große Phänomene“ auf Fahrraddemonstrationen
- Schlussbeobachtungen – Global denken, lokal handeln, beides fühlen
- Datenverfügbarkeit
- Autor:innenmitwirkung
- Interessenkonflikt
- Haftungsausschluss
- Danksagung
- Begutachtung
- Literatur