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„Just human“ – Eine phänomenologische und philosophisch-anthropologische Perspektive auf unser leibliches Mensch-Umwelt-Verhältnis
Thomas Dörfler
Eberhard Rothfuß
This article aims to provide an introduction to the phenomenologically and anthropologically grounded philosophy of a „lived corporeality“ that can be connected to human geography – in order to enable a deeper understanding of our human-environment relationship and other spatial aspects of the life-world. Until present, Phenomenology and Philosophical Anthropology play a marginal role in human geography as a source of knowledge of social and spatial facts, since the mainstream of theorizing the social and the spatial has diverged from approaches of social-discursive, socio-practical, symbolic, and – more recently – ‚more-than-human‘ as well as ‚posthuman‘ assumptions about the ‚construction‘ of the world. We consider this a shortcoming in social theory as these approaches (a) fail to take into account their own ‚constructiveness‘ and therefore limited positional character towards the subject as well as (b) they fail to provide a theoretical sound ground to cope with the material realities of the world, such as things, animals and human beings. To overcome such limitations, our concern is to examine the specific reality of space with the fundamental concept of the Leib – from an entangled point of reflection on ‚German Theory‘ by Helmuth Plessner and Hermann Schmitz with ‚French Theory‘ by Maurice Merleau-Ponty.
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Dieser Beitrag1 zum Themenheft „Tauchgänge zur German Theory“ (Korf et al., 2022) soll eine an die Humangeographie anschließbare Einführung in die phänomenologisch und anthropologisch fundierte Philosophie der Leiblichkeit geben, um damit ein tieferes Verständnis unseres Mensch-Umwelt-Verhältnisses zu ermöglichen. Sowohl die Phänomenologie(n) von Maurice Merleau-Ponty und Hermann Schmitz, wie auch die Philosophische Anthropologie, die mit den Namen Max Scheler, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen und auch Ernst Cassirer verbunden ist, fristen bis heute in der Humangeographie ein Schattendasein als Erkenntnisquelle räumlich-sozialer Tatsachen, da der Mainstream der Theoretisierung des Sozialen und des Raumes von Ansätzen der gesellschaftlich-diskursiven, -praktischen, -symbolischen und neuerdings auch einer ‚mehr-als-humanen‘ sowie angeblich ‚posthumanen‘ Möglichkeit der sozialen Konstruktion der Welt ausgeht.
Wir halten dies für einen deutlich verkürzten und limitierten (Sozial-)Konstruktivismus, der Welt einseitig als symbolisch oder kommunikativ etablierte Realität auffasst, anstatt sich um ihren ontologischen Charakter und der Möglichkeit von Welterfassung überhaupt zu kümmern. Dieser Perspektive eines im Gefolge in der Geographie verkürzt rezipierten lingustic turn soll hier der fast gänzlich übersehene Strang einer ‚German Theory‘ gegenübergestellt werden, um damit dem ‚Primat des Konstruktivistischen‘ bei der gesellschaftlichen Beschreibung von Wirklichkeit ein ‚Primat der Rekonstruktion‘ sozialer Wirkmächtigkeiten sowie ein ‚Primat des Realistischen‘ im Sinne eines Wahrnehmungsrealismus bei der Untersuchung solcher Tatbestände entgegenzusetzen.
Unser Anliegen ist es daher, der Humangeographie eine philosophisch-anthropologische Perspektive auf das Räumliche zu eröffnen, um diesen spezifischen Bereich der Wirklichkeit der Welt jenseits einer rein konstruktivistischen Sichtweise angehen zu können, welcher die letzten beiden Jahrzehnte auf dem oben erwähnten ‚Importweg‘ dominiert hat. Wir wollen damit einen besonderen Wirklichkeitscharakter der Lebenswelt in den Blick nehmen, der aus deutlich mehr denn aus Zeichen besteht. Demgegenüber steht die real, quasi alltäglich vonstattengehende Erfahrbarkeit des Raumes, die für diese Perspektive mit dem Konzept des Leibes in Verbindung gebracht werden muss.
Ausgehend vom Leib/lip, dem Lebendig-Vitalistischen des Subjekts, wird das Verhältnis zum Geräumten/rum, zum geschaffenen wie auch gegebenen Raum untersucht. Um dessen Dimensionalität zu erfahren, braucht es einen Leib als Erfahrungszentrum der Welt, der weder Zeichen (Derrida, u. a.) oder Anrufung (Althusser, u. a.) noch bloßer Körper/body ist (Postmoderne/Postkonstruktivismus) – sondern die sinnlich-synthetisierende Wahrnehmungsinstanz der Außenstände seiner sensomotorischen und leiblich möglichen Erfahrungswerte.2
Wir möchten in diesem Beitrag deshalb einen realistischen Konstruktivismus vorstellen, den wir als eine entangled theory zwischen einer ‚German Theory‘ der Philosophischen Anthropologie nach Helmuth Plessner und der Neuen Phänomenologie nach Hermann Schmitz sowie einer ‚French Theory‘ der Leiblichkeit nach Maurice Merleau Ponty positionieren: Real und wirklich ist, was lebensweltlich wirkt und Wirkung hat – und nicht lediglich, was sich an Sätzen über die Welt ausdrücken lässt. Real wird das Wissen von der Welt durch die je subjektive leibliche Erfahrung derselben, der notwendigen Eingebettetheit eines jeden in das Sein der lebensweltlichen Erfahrungen. Signifikationen sowie (wissenschaftliche) Deutung derselben (als Rekonstruktion) setzen erst an dieser Erfahrung an und sollten deswegen auch von dieser Seite her erklärt werden – und nicht für das andere gehalten werden. Wir meinen, dass dies eine notwendige Neujustierung für und Kritik an gegenwärtigen Ansätzen etwa der ‚mehr als humanen‘ oder ‚posthumanen‘ Theorieangebote darstellt, da diese das Gegenteil annehmen und solch ‚realistische‘ Theoriebildung als vermeintlichen Anthropozentrismus ablehnen. Damit verleugnen Sie die spezifische Welterfahrung sowie Weltzugänglichkeit des Menschen, die die Grundlage jedweder Weltkenntnis überhaupt darstellt, denn es gibt kein ‚Wissen‘ außerhalb unserer Lebensform, was wir im Folgenden herausarbeiten möchten.
Da es deshalb ohne menschlichen Leib weder Wissen vom Raum, noch von seinen ‚Repräsentationen‘ als sozialer (Um-)Welt (vulgo: Gesellschaft) geben würde, gäbe es auch keine Bedeutungen davon, worauf der linguistic turn fokussiert, weswegen es sinnvoll ist, von der Vorgängigkeit bzw. Gleichursprünglichkeit der Welterfahrung vor bzw. jenseits der Sprache auszugehen – ohne dabei deren Wichtigkeit für gesellschaftliche Sinnbildungsprozesse zu leugnen. Ohne leibliches Wissen würde die Erfahrungsdimension fehlen, die Repräsentationen unterfüttern muss, sollen sie nicht „bloße Worte“ bleiben (Blumenberg, 2020:11), denn Leiberfahrung fundiert Spracherfahrung (wenn auch nicht ausschließlich). Mit der Perspektive Was ist der Mensch und wie lebt er leiblich in, mit oder auch gegen seine Umwelt? wird hingegen ein kritisch-produktiver Blick auf ‚mehr-als-menschliche‘ und ‚posthumane‘ Theorieangebote in der Humangeographie geworfen (vgl. auch den Beitrag von Middendorf et al., 2022 in diesem Themenheft), um deren Limitationen der Welterklärung aufzuzeigen.
Der Leib, bzw. die Leiblichkeit des Menschen, ist die grundlegendste Erfahrungsdimension und das fundamentalste Interaktionselement des Menschen. Sie begleitet ihn von Anbeginn seiner Existenz an. Niemand kommt ohne Leib aus, kein menschliches Subjekt ist denkbar ohne den leiblichen Bezug seines Raum- und Weltzugangs (Merleau-Ponty, 1974:124; Schmitz, 1967). Dies gilt von Anbeginn unseres Daseins, denn ohne primordiale leibliche Interaktion kann kein menschliches Subjekt überleben. Ob wir essen, sprechen, hören oder mit anderen mitempfinden, keine Interaktion mit der Welt und keine soziale Intersubjektivität ist möglich, ohne einen Leib als Medium und Träger dieser Interaktionen zu besitzen – von komplexeren sozialen Geschehen wie Emotionalität, Liebe, Heimatlosigkeit, Trauer etc. ganz zu schweigen. Praktisches Menschsein, also der alltägliche, notwendige wie unhintergehbare Praxisbezug menschlichen Daseins, um die Existenz führen zu können, die man führen muss, beruht von Anfang an auf der leiblichen Erfahrung der subjektiven Um- und Mitwelt.
Da dies in spezifischen „Sphären“ (Sloterdijk, 1998) stattfindet – sowohl individuell aber auch unter anderen Menschen und an konkreten Orten (Seamon, 2018) oder ebenso im virtuellen Raum auf leiblicher Basis (Krämer, 2002; Lindemann und Schünemann, 2020) – bildet sich auf diese Weise der „sense of place“ (Massey, 1991) heraus, die Basis jeglichen subjektiven wie objektiven Raumwissens (Malpas, 2018:68 ff.). Ohne konkrete Örtlichkeiten bzw. Erfahrungen derselben gäbe es keine räumliche Praxis und damit auch keine abstrahierend-kognitive Raumerkenntnis (Piaget und Inhelder, 1967). In diesem Sinne ist der Leib der Träger der „natürliche[n] vorprädikative[n] Einheit der Welt und unseres Lebens“ (Merleau-Ponty, 1974:15), also einer vorsprachlichen Einheit des Menschen mit seiner leiblich wahrgenommenen Umwelt: Man lernt sich als Subjekt in und mit der Welt leiblich kennen, indem Umwelten und Mitmenschen erspürt, Atmosphären bemerkt und Körperlichkeit als Handlungszentrum erfahren werden – jenseits ihrer Bezeichnungen und „Repräsentationen“.
Dies ermöglicht uns eine kompetente Selbstorganisation, die beinhaltet, dass wir grundsätzlich auch leiblich-körperlich und nicht nur sprachlich-kognitiv oder symbolisch-diskursiv erkennen und mit anderen interagieren – sowie dies notwendig an Orte knüpfen bzw. dort tun und diese Örtlichkeiten aufgrund der leiblichen Interaktion auch spezifisch erinnern. Nur auf der Basis von Leiblichkeit und der durch sie erworbenen Fähigkeiten werden wir also zu einem kompetenten sozialen Akteur, der mehr als nur kognitive Handlungsrationalität oder diskursive Körperkonstruktion darstellt. Fehler und tiefgreifende Erfahrungen, die hier vor allem in der Frühphase des Menschseins begangen oder erlitten werden, begleiten einen deshalb in der Regel ein Leben lang: als leibliches Trauma. Hätte der Mensch keinen Leib, wäre er nur ein passives Erfassungsobjekt (‚Körper‘) von Informationen, wie ihn sich deutlich verkürzt nicht nur die aktuelle Hirnforschung vorstellt (Singer, 2002:20; Roth, 2004).3
Auch die teils ähnlich gelagerten zeitgenössischen ‚posthumanen‘ und ‚transhumanen‘ Diskurse (vgl. prominent Braidotti, 2014, 2019; Wolfe, 2009; Barad, 2003, 2007; Loh, 2020; Huxley, 2015) leben von dieser unplausiblen Reduzierung des Menschseins auf kognitiv-biologische oder andere objektivistisch-neuronalen Prozesse der Welterfahrung (vgl. z. B. Massumi, 1996, 2015; zur Kritik vgl. Hasse und Helbrecht, 2003; Korf, 2012; Dörfler und Rothfuß, 2018:98). Ebenso warten auch die sogenannten More-than-Human-Theoreme mit einer unkritischen und akklamatorischen Übertragung bzw. Gleichsetzung menschlicher mit tierlichen Lebenswelten auf (aktuell etwa Steineret al., 2022; Schröder, 2022). Gegen solche Verengungen und unkritischen Übertragungen genuin humaner Welterfahrung auf tierliche oder pflanzliche Organismen (nicht nur in Teilen der gegenwärtigen Humangeographie) soll an dieser Stelle die Aktualität und Reichweite einer philosophisch-anthropologisch und phänomenologisch fundierten Argumentationsweise gestellt werden, um dem zeitgenössischen Diskursstrang ein alternatives Theorieangebot zur Verfügung zu stellen, Dinge der Welt – wie auch das eigene Subjektverständnis – neu betrachten zu können.
Beginnen wir mit der fundamentalen Kritik. Einige Theorieangebote der sogenannten More-than-Human-Geographie(n) beschreiten einen ähnlichen Weg der Reduktion und unkritischen Erweiterung der menschlichen Erfahrungsdimension auf kognitive, synaptische oder technologische Prozesse, wie es oben bereits kurz skizziert wurde. Verstehens- und Interaktionsprozesse werden dort nicht (mehr) hermeneutisch oder anthropologisch vom Menschen und aus seiner Leibprägung hergeleitet, sondern sollen ‚transhuman‘ funktionieren – als metaphysischer Brückenschlag zwischen „Menschen und nicht-menschlichen Tieren“ (Vannini und Vannini, 2020:122; eigene Übersetzung, bereits mit diesen Termini wird das Menschsein als eigenständige Existenzform geleugnet). Statt also vom speziellen, genuin menschlichen Leib-Wissen und vor allem von seiner anderen (anthropologischen) Existenzweise auszugehen, wird unterstellt, eine solche Perspektive sei ‚hegemonial‘ oder ‚anthropozentrisch‘, wenn man damit auf das Mensch-Tier-Verhältnis blicken würde. Da dieser Blick nicht die anderen, ‚tierlichen‘ Wissensformen von der Welt ‚gleichwertig‘ beachten würde, die zudem oft als sensibler und adäquater als das menschliche Wissen – vor allem im Hinblick auf das Naturverhältnis – konstruiert werden, gelte es, dieses ‚andere‘ Wissen der Natur bzw. der Tiere empirisch zu erfassen und zugänglich zu machen. Die Argumentationsbasis ‚mehr-als-menschlicher‘ Theorieangebote kommt im folgenden Zitat aus dem neuen Band „Mehr-als-menschliche Geographien“ von Steiner et al. (2022:23) trefflich zum Ausdruck:
Diese Arbeiten versuchen dem postdualistischen Anspruch auch in empirischer Hinsicht gerecht zu werden und streben die Dezentrierung des Menschen im Forschungsprozess an. Bspw. indem die Forschenden die menschliche Kontrolle im Feld versuchen abzulegen und sich von tierlichen Bewegungen leiten zu lassen (…), oder sich in die Perspektive mehr-als-menschlicher Entitäten versuchen zu versetzen, multisensorisch in deren Lebenswelten eintauchen, um ihnen so letztlich näher zu kommen und ein tieferes Verständnis für deren agency zu erlangen (…).
Damit wird eine neue, ‚nicht-humane‘ oder gar ‚nicht-anthropozentrische‘ Erfahrungsdimension ins Spiel gebracht, die das ‚Wissen‘ des ‚nicht-menschlichen‘ Akteurs (oder der Natur) erfassen soll, also z. B. das, was Tiere selbst empfinden und wie sie in der Welt agieren (‚agency‘); zu dieser Welt hätten menschliche Wesen Zugang, wenn sie ‚gerecht‘ und aufmerksam Tieren zuhörten oder diese beobachten und nachahmen würden (z. B. Vannini und Vannini, 2020; Baer, 2011; Bastian et al., 2017; Schröder, 2022). Statt das leibliche Wissen für den Menschen zu reservieren bzw. dieses überhaupt adäquat als die Grundlage für das spezifisch menschliche Wissen von der Welt zu thematisieren, wird behauptet, es gäbe ‚mehr‘ als dieses, nämlich auch ein spezifisch ‚nicht-menschliches‘ oder ‚mehr-als menschliches‘ – bis hin zu einem ‚post-menschlichen‘ Wissen von dieser Welt (vgl. Whatmore, 2006; Castree und Nash, 2006; Barad, 2007; Braidotti, 2014) – welches Menschen aber weiterhin zugänglich sein soll.
Die beiden nachfolgenden Zitate stammen aus dem Beitrag von Christopher Bear (2011) mit dem illustren Titel „Being Angelica? Exploring individual animal geographies“ und zeigen jenes oben skizzierte grundlegende Problem:
The paper's originality lies in focusing on a single octopus and her actions, her representation and her involvement in affective relationships that transgress species boundaries. Its purpose is to highlight the types of observations that might help develop a less anthropocentric animal geography (Bear, 2011:297).
(…) my intention is to move an individual animal from the margins, looking not only at how this is represented, but at how it presents itself, lives a life outside of these (re)presentations and at how humans have responded (Baer, 2011:299).
Die grundlegende Argumentation der Mehr-als-menschlichen-Perspektive(n) ist deshalb in unseren Augen durch einen doppelten Widerspruch charakterisiert und beinhaltet zwei konstitutive Fehler: Es wird einerseits vom Menschen ausgegangen, dessen Phantasie überhaupt erst einen solchen angenommenen Problembezug im Hinblick auf ‚nicht-menschliche‘ Akteure konstruieren kann (bzw. auch konstruieren möchte, z. B. Artensterben, instrumentelle Mensch-Tier-Verhältnisse, Wissen/Handlungsmacht von Tieren oder Artefakten etc.) und stellen schon allein dadurch eine anthropologische Anmaßung dar. Zweitens unternehmen diese Ansätze den Versuch, die Grenzziehungen zwischen Menschen und anderen Lebewesen als ‚gesellschaftlich‘ in Frage zu stellen, obwohl diese – zumindest primordial – nicht vom Menschen ausgehen, sondern sich praktisch-konstitutiv aus der anthropologischen Situation und deren differenten Leiborganisationen (wie auch kognitiven Voraussetzungen) ergeben. Warum wir uns nicht in Tiere jenseits unserer eigenen menchlich-hermeneutischen Spekulation („das Tier leidet“) hineinversetzen, oder gar ein Leben wie sie führen können, ist der planetaren Organisation dieser beiden Lebensformen selbst geschuldet und kein gesellschaftliches ‚Konstrukt‘. Einsichten in ‚tierliche Lebenswelten‘ verbleiben deshalb reine anthropozentrische Spekulationen, die aber deswegen keinesfalls abwegig sein müssen.4
Dieser Beitrag möchte deshalb nicht nur auf die inhärenten Widersprüche solcher Argumentationen hinweisen, sondern auch einen sozialphilosophischen Ausweg aus dem Dilemma des Fremdverstehens anderer (nicht-menschlicher) Lebensformen aufzeigen, indem das anthropologische Leibwissen und die Leibprägung des Menschen nicht als hinderlich oder ‚zentristisch‘, sondern als conditio sine qua non zur Lösung dieses Problems angesehen wird. Weder die Verabschiedung der (leiblich getragenen) Verstehensprozesse (von) der Welt kann das Ziel neuer Mensch-Umwelt- und Mensch-Tier-Ansätze sein, noch ihre naive Übertragung bzw. Ausweitung auf die nicht-menschliche Sphäre, sondern nur ein genaues und realistisches Verständnis anthropogener Lebensweisen und die dadurch erzwungene besondere Stellung des Menschen zur Welt und zu seiner Umwelt – und zwar auf Basis der eigenen – anthropologisch begründeten – Leiberfahrungen als leibliches Verstehen (vgl. Schmitz, 2009; Gugutzer, 2006). Dieses beruht auf der nur dem Menschen zu eigen seienden „Körper-Leib-Differenz des Lebendigen“ (Ebke, 2017a:121), weil die Stellung des Menschen zur (Um-)Welt bestimmt, welches Natur- und Tierbild sich menschliche Subjekte mit z. B. ‚mehr-als-humanen‘ oder ‚posthumanen‘ Theoremen überhaupt konstruieren (können). Auf deren Imponderabilitäten möchten wir deshalb im Folgenden näher eingehen.
Die zeitgenössische Strömung eines Posthumanismus, unter der wir Ansätze des sogenannten ‚More-Than-Human‘-Paradigmas subsumieren, plädiert für eine Aufgabe der Sonderstellung des Menschen im Kosmos zugunsten einer geforderten ‚Gleichstellung‘ aller natürlichen Spezies. Es wird damit in Zweifel gezogen, dass homo sapiens sapiens die am weitesten entwickelte Lebensform auf diesem Planeten – und bis auf weiteres auch darüber hinaus – sei. Zentral für diese Denkströmung ist deshalb die Zurückweisung eines vermeintlichen Anthropozentrismus, der darin bestünde, dass man die Gattung sapiens als wirkmächtigste Gattung in das ‚Zentrum der Welterklärung‘ stelle. In Verbindung damit steht die Kritik am humanistischen Subjektbegriff, der seit der Aufklärung als Grundlage jeglicher modernen Sozialwissenschaft und Philosophie gilt und der von Rationalität, Freiheitsgraden der Handlungsfähigkeit und Intentionalität der Motive geprägt ist. Diesem komme durch solch eine ‚Zuschreibung‘ eine ‚unmoralische‘ Machtposition gegenüber nicht-menschlichen Lebewesen zu.
Die Gegenkonzeption, eine Forderung nach einem „posthumanen Subjekt“, klingt z. B. bei Braidotti (2014:17) folgendermaßen:
Wir müssen neue soziale, ethische und diskursive Formen der Subjektbildung schaffen, damit wir auf die von uns erlebten tiefgreifenden Veränderungen eingestellt sind. Wir müssen also lernen, uns selbst anders zu denken. Ich begreife die posthumane Verwicklung als eine Möglichkeit, alternative Denkweisen, Wissensformen und Selbstbilder zu befördern.
Posthumanistische Zugänge stellen einem vermeintlichen Anthropozentrismus einen „Pathozentrismus“ entgegen, der die Leidensfähigkeit von Natur-, Tier- und Pflanzenwelt anerkenne (Loh, 2020; Wolfe, 2009). In der Debatte zu Problemen angewandter Ethik besagt diese Auffassung, dass alle empfindungsfähigen Lebewesen um ihretwillen moralisch zu berücksichtigen seien (vgl. Singer, 1997:21). Ein ‚Sich-Hineinversetzen‘ in und ein ‚Mitleiden mit‘ anderen Spezies solle damit eine ‚Unterdrückung‘ derselben verhindern. Da dies zumeist nicht als theoretische oder empirische Erkenntnis vorgestellt wird, sondern als Sollenssatz und ethische Maxime, eignet diesen Ansätzen eine eigentümlich moralisierende Konstruktion des Mensch-Umwelt-Verhältnisses. Nicht das, was gegeben und wissenschaftlich an Unterschieden zwischen den Gattungen feststellbar ist, solle betrachtet und reflektiert werden, sondern es solle z. B. von der Sonderstellung des Menschen ‚abstrahiert‘ werden, um sich auf eine ‚gerechtere‘ und verständigungsorientierte Ebene mit Tieren (und/oder Pflanzen) zu begeben – was im Übrigen, ein weiterer Selbstwiderspruch dieser Ansätze, abermals eine Sonderstellung des Menschen darstellen würde, da nur diese Spezies diese moralische Selbstreflexion beherrscht (von Tieren wird diese interessanterweise auch nicht gefordert, obwohl uns doch der Hai oder der Wolf ganz unmoralisch auffrisst).
Es ist aus unserer Sicht deshalb notwendig, eine zweifach gelagerte Kritik zu formulieren. Zum einen ist festzuhalten, dass moralische Implikationen, die solche ethischen Spekulationen über das ‚richtige‘ Mensch-Tier-Verhältnis darstellen, nicht Gegenstand wissenschaftlicher Argumentationen sein können. Sollenssätze mögen Teil bestimmter Handlungsethiken sein, sie können aber keinesfalls den ‚richtigen‘ wissenschaftlichen Blick auf einen Gegenstand einfordern, oder wie man ihn ‚richtig‘ zu verstehen habe. Dies kann einem, im Sinne kritisch-rationaler Philosophie, nur die Sache selbst vorschreiben. Von dieser Warte aus sind Ansätze, wie sie hier kritisiert werden, durch eine normativ-moralisierende Überhöhung des eigenen Denkens gekennzeichnet, die u. a. darauf abzielt, Kritik an ihnen als ‚unbotmäßig‘ oder eben ‚unmoralisch‘ abzuwehren, statt sich um eine sachlich-rationale Anschauung und wissenschaftliche Diskurspraxis zu bemühen (vgl. auch jüngst Korf, 2022:23, bereits in Dörfler und Rothfuß, 2013 und Dörfler, 2015:98 ff.). Im Fokus der weiteren Auseinandersetzung steht deshalb die sachliche Frage, warum der Mensch Tiere bzw. Welt überhaupt dominieren kann als Analyse der conditio humana, und nicht, warum er auf diese Fähigkeiten verzichten soll im Dienste vermeintlich höherer moralischer Mächte. In dieser Vermengung von Sollen und Sein, in der Forderung, was gelten soll und der Analyse dessen, was gegeben ist, sehen wir das grundsätzliche Problem nicht nur der ‚mehr als humanen‘ und ‚posthumanen‘ Theorieangebote lokalisiert, sondern vieler politisierter Ansätze der jüngeren Zeit, die Politik bzw. Ethik und Moral mit Wissenschaft vermischen und damit unweigerlich an dessen inhärenter Unmöglichkeit scheitern (vgl. Weber, 1992:332 ff.).
Zum anderen liegt der zweite Widerspruch darin, dass der ‚posthumane Mensch‘ behauptet, sich in Tiere und deren Leiden hineinversetzen zu können und dies als deren genuine Perspektive wiederzugeben im Stande sei. Ein Widerspruch ist dies deshalb, weil kein Lebewesen, nicht einmal der Mensch mit seinem höchstentwickelten (Selbst-)Bewusstsein (s. u.), sich eine andere Existenz – im Sinne einer Übernahme des Vollzugs anderer Bewusstseine – anverwandeln kann (vgl. Nagel, 2016).5 Selbst unter Menschen bleibt dies eine – notwendige – Fiktion, ohne die Sozialität nicht funktioniert, die aber streng genommen immer nur eine (durchaus sinnvolle und kompetente) Phantasie über das mögliche Leiden und Erleben des anderen (auch von Tieren) darstellt: Erleiden kann man nur je individuell, mitleiden ist eine Empathie ohne die Kausalität des ‚Ursprungsleids‘ des Gegenübers. Dies kann auch der Mensch den (höher entwickelten) Tieren gegenüber, aber auf Basis des menschlichen (leiblichen) Verstehens (was z. B. Leiden ist), aber Ausgangspunkt dieser Reflexion bleibt immer die menschliche Erfahrung als Leiberfahrung dessen (Ebke, 2017a:132). Mit Plessner wollen wir zeigen, dass dieses Verstehen ein anderes Verstehen als das rein ‚hermeneutische‘ ist, sondern ein leibliches Verstehen und Einsicht in die andersartige Positionalität der Tiere (oder Pflanzen) aufgrund der u. a. als wirkmächtiger erfahrenen eigenen ex-zentrischen Position wie der Leiblichkeit: nur diese erlaubt ihm solche Reflexion (Ebke, 2017a).
So lässt sich das Grundproblem dieses zweiten Paradoxons auf die eine kritische Frage herunterbrechen: Ist es Menschen überhaupt möglich, Tiere oder andere Lebewesen zu verstehen? Wir verneinen diese Frage, insofern ihre Bearbeitung, wie in der „animal geography“ (vgl. Lorimer, 2010; Bear, 2011; Buller, 2014:7; Hodgetts und Lorimer, 2015:8) auf die Behauptung hinausläuft, dass es Verstehensprozesse, Nachvollzug, Sinnbildung und agency jenseits des menschlichen Bewusstseins oder der Leibpraxis geben könne (derzeit behauptet etwa in Steiner et al., 2022:22). Kein menschlich sinnvoller Satz über diese Welt kann ohne menschliches Bewusstsein verstanden werden. Eine Preisgabe dieser Arretierung und die dem entgegengehaltene Behauptung, dass man Bewusstseinsprozesse und deren Sinnbildung hinter sich lassen kann/soll (wie bei den sogenannten ‚post-hermeneutischen‘ Ansätzen; vgl. Mersch, 2010), kann also nicht über dieses Grundparadox hinwegtäuschen. Zumal nur das menschliche (Selbst-)Bewusstsein in der Lage ist, solche Phantasien seiner Überschreitung auszuhecken, denn der Natur, wie den Tieren, ist es einerlei, welches Bild sich der Mensch von ihnen macht – noch wissen wir, was sie über uns ‚denken‘.6
Andersherum gilt die obige Behauptung jedoch nicht: Die oft moralisierend aufgeladenen ‚posthumanen‘ Debatten in diesem Diskursraum zeigen, dass es ein Politikum darstellt, mit welchem Blick der Mensch auf seine Umwelt blickt, und warum er dies überhaupt kann – ausgehend von seinem eigenen Bewusstsein (oder was es ihm vom Tier ‚vorspiegelt‘). Man kann es deshalb nicht anders formulieren: ‚Posthumanistische‘ Ansätze vertiefen die seit René Descartes virulente Spaltung von Geist und Leben, Mensch und Umwelt, des Körper-Geist-Dualismus also, anstatt diesen zu überwinden. Sie verbleiben damit ‚transhuman‘ verkleidete Spekulationen des eigenen ‚transzendierenden‘ Bewusstseins, statt dass sie die fundamentale Dialektik des menschlichen Seins überhaupt nur anzudenken vermögen. Was ist ein Bewusstsein vom ‚Leid‘ der anderen Spezies überhaupt – wenn nichts anderes als der grundsätzliche Ausweis einer anderen Lebensform des Menschen als die des Tieres?
Die Bewußtseinsphilosophie seit Hegel sowie die Phänomenologie seit Husserl haben auf ihre je spezifische (und je unterschiedliche) Weise bereits dargelegt, dass einzig und allein der Mensch ein Bewusstsein über sich, andere und die Natur ausbilden kann und dieses auch als rein menschliche Fähigkeit begriffen werden muss.7 Welt ist subjektive Verarbeitung objektiver Zusammenhänge: Dies ist schon bei Fichte angelegt, wird bei Hegel in das Sich-selbst-bewußt-Sein des menschlichen Subjekts übersetzt, und nimmt von hier aus seinen Weg der Thematisierung der einzigartigen reflexiven Aufmerksamkeitsstruktur des Menschen.
Erkenntnistheoretisch formulierte Husserl das ‚Problem‘ des menschlichen Bewusstseins auf seine eigene Weise: Er erkannte, dass es immer nur fokussiert wahrnehmen kann, nie allgemein oder ‚allumfassend‘ (holistisch), und damit auch nicht ‚transhuman‘. Da es nie ein ‚allgemeines‘ Bewusstsein der Welt, sondern immer nur ein – so Husserl (1976) [1936] – „gerichtetes“ Bewusstsein auf ausgewählte Dinge der Lebenswelt gibt („Intentionalität“), zielt seine Analyse auf die „eidetische“ Qualität der wahrgenommenen Dinge, also auf deren je typischen Charakter, der sie so, und nicht anders, erscheinen lässt – aus Sicht der menschlichen Lebensform. Dies formt selbstverständlich unseren Zugang zu den Dingen, da man einen Tisch als Tisch, ein Du als Du oder einen Stuhl als Stuhl zu begreifen beginnt – ihre jeweilige Typik lässt sie uns als solche erkennen, ordnen und unterscheiden – völlig unabhängig davon, wie man sie, mit Saussure oder Jakobson im Gepäck, benennen mag. Dies stellt auch den Bruch mit der Cartesianischen Tradition dar,8 da mit dem Entdecken der Intentionalität die Spaltung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Noema und Noesis, überwunden ist. Ähnliche Dinge müssen identische Objektqualitäten besitzen, sonst könnten sie nicht gesehen, beachtet, (wieder-)erkannt und erinnert werden. Ebenso impliziert dies ihr Design und ihre Nutzung, die sie dann jeweils praktisch (immer wieder) einen Tisch oder einen Stuhl werden lässt – allerdings nicht aus sogenannten ‚Performanzgründen‘.
Schütz (1971) erweitert diese Gerichtetheit und Typisierung der Lebenswelt auch auf andere „Sinnprovinzen“ der Lebenswelt wie Wissenschaft, Traum oder Kunst, die sich ebenfalls durch eine je spezifische, unterschiedlich intensive „Gerichtetheit“ des Bewusstseins – den sogenannten „Bewußtseinsgraden“ – auszeichnen (Schütz, 1971). Welt ist damit menschlich-subjektive Verarbeitung objektiver Zusammenhänge. Bei Hegel ist es das dezidierte Selbstbewusstsein, das als anthropologisch einzigartige (reflexive) Aufmerksamkeitsstruktur des Menschen auf sich und seiner Stellung in der Welt fungiert; bei Husserl und Schütz ist es die Wesenhaftigkeit der Dinge, respektive die jemeinig individuell erfahrene, aber objektiv daran erkannte (sozialisierte) Typik ihres Sinns (Srubar, 1988).
Ohne subjektive Gerichtetheit des menschlichen Bewusstseins gäbe es folglich kein objektives Wissen von der Welt. Aus der hier dargelegten Perspektive ist das Bewusstsein zudem subjektiv-leiblich organisiert, da nur der Leib Träger solchen Bewusstseins sein kann. Bewusstsein ist zudem ebenso Teil des Leibes und keine abgetrennte ‚kognitive Zentrale‘ des Menschen, wie dies der Cartesianismus nahegelegt hat, da man sich ebenso seines Leibes bewusst ist und diese Kognition damit eine leibliche Grundlage hat. Es gibt deshalb kein ‚abstraktes‘, also vom Subjekt und seinem Erfahrungsraum losgelöstes Wissen der Welt ‚im Kopf‘, da alle Wissensformen in Leibhaftigkeit gründen, die jene erst erkannt und ‚verarbeitet‘ haben – auch natürlich das Wissen über tierliche Lebensformen und deren Umstände.
Stürbe der Mensch aus, versänke deshalb diese Welt und das Verständnis von ihr wieder in einen Zustand rein naturaler Prozesse, die niemanden interessieren und die auch niemand verstehen würde (Hegel, 1970 [1807]: Kap. B, bes. 142 f.) – noch müsste, denn es gäbe keine „sinnhaften Lebensformen“ (Schütz, 1971) mehr, die für sich daraus einen Sinn ableiten.
Wenn es also kein Subjekt ohne anthropologisch organisiertem Subjekt-Körper und je spezifisch gerichtetem Bewusstsein und Handeln in der Welt gibt, dann muss dieses Handeln und Weltverstehen zwangsläufig leiblich gebunden und begründet werden – als Erfahrungswissen von der Welt, die sich v. a. in ihrem Gegenstandscharakter zeigt (Gegenstand im genuinen Wortsinn von Gegen-Stehen) und durch die eigene Leibhaftigkeit gewahr wird. Dieser Weltcharakter muss erworben und produktiv angeeignet werden, er ist reflektiertes Erfahrungswissen der Widerständigkeit und Eigenlogik der Dinge der Welt, das auf dem Leib als Erkenntnismedium beruht. Wissen von der Welt und über sich ist deshalb für den Menschen Werden (Hegel, 1970 [1807]) bzw. Gewordenes (Schütz, 1971), und es gibt keine Hinweise darauf, wie sich dies bei Tieren oder Pflanzen ähnlich ausbilden sollte, da sie uns keine bewusstseinsreflektierenden Dokumente oder Gesten und Handlungen darüber oder auch nur Hinweise darauf offenbaren. Der Mensch hingegen wird zu diesem Wesen, weil die geistige (und natürlich auch motorische, siehe Piaget, 2003) Entwicklung ihm dies aufnötigt:
Es geht nicht um den Menschen als biologische Art, sondern um das Auftauchen […] eines Wesens, das sich dieses Lebens, das Bedingung seines Auftauchens ist, bewußt wird, und das in diesem Bewußtwerden etwas wie eine neue Dimension des Seins werden läßt, eine Geschichte zeitigt und in dieser Geschichte eine vernünftige Wahrheit entdeckt und ins Werk setzt (Hyppolite, 1947:655).
Dies legt nach unserem Dafürhalten nahe, dass der Mensch die einzige sinnverarbeitende Lebensform auf diesem Planeten (und darüber hinaus) ist, die diese Gerichtetheit auf die reflexive Handhabung der Dinge der Welt hin eignet. Tiere interpretieren ihre Welt nicht im Sinne einer (Selbst-)Reflexion ihres Bewusstseins auf die Umstände und ihrer eigenen (zentrischen) Stellung dazu – oder gar im Sinne einer Moral der ‚korrekten‘ Tierethik. Dies tut – und kann – bis auf weiteres nur der Mensch, auch wenn klar zu konstatieren ist, dass bei höher und komplexer entwickelten Lebewesen diese Differenz kleiner wird. Dadurch werden aber Verstehensprozesse (im genuinen Wortsinn: Sinnnachvollzug des Handelns) von ‚nicht-menschlichen Akteuren‘ im Sinne des More-than-human-Paradigmas noch unwahrscheinlicher, als sie es bereits sind, denn Verstehen – als hermeneutischer Nachvollzug eines ‚menschlichen‘ Sinns in der Geschichte (eines ‚Genozids‘ an den Bisons etwa – vgl. Vannini und Vannini, 2020) kann man nur Prozesse, die selber auf Sinnsetzung beruhen. Da im Beispiel erkennbar die Sinnsetzung vom beobachtenden menschlichen Akteur ausgeht (wie auch die imaginierte Tat selbst!) und nicht vom Bison, verbleibt auch diese Perspektive eine humane Spekulation über das Leid von Tieren, wie dies bereits an obiger Stelle kritisiert wurde.
Zusammenfassend möchten wir festhalten: Der menschlichen Lebensform ist zu eigen, ob sie will oder nicht, eine Überlegenheit bei der Weltverarbeitung in dem Sinne aufzubauen, dass der psychische Apparat (und der Leibkörper) so weit entwickelt ist, dass er durch Selbst-Reflexionsfähigkeit gezwungen ist, seine Stellung im bios mit Sinn zu versehen und die Macht, die daraus erwächst, anzuwenden (Plessner, 1980c). Ob Religion, Theodizee oder Gerechtigkeit – keines dieser Probleme ist eines der Tiere. Der Mensch aber kann nicht anders, da er keine natürliche Stellung in der Welt besitzt, keinen natürlichen Lebensraum und ein „geschwächtes“ Instinktprogramm, das ihm das Leben ohne (Selbst-)Reflexion ermöglichen würde (Plessner, 1980b:398). Keine Moral, kein ‚Sollen‘ und auch kein Appell nach Gerechtigkeit kann diese Struktur aus der Welt schaffen, da sie im Lebensprinzip gründet und nicht im Reich der Idealismen. Der Mensch ist deshalb das Wesen an der Grenze des Lebens und des Geistes, also diejenige Existenzform, die auf eigentümliche Weise in beiden fundamentalen Prozessen verortet ist und sich deshalb Kultur geben muss (Plessner, 1980b:384 f.): Notgedrungen Geist, der sich aber nur nährt, weil das leibliche Leben ihm dies ermöglicht. Diese menschlich-vitalistische Leiblichkeit soll nun in ihrer philosophischen Grundlegung näher beleuchtet werden.9
Es gibt wenige philosophische Ansätze oder Schulen, die sich mit dieser fundamentalen Prägung des Menschseins phänomenologisch und philosophisch-anthropologisch auseinandergesetzt haben. Drei Protagonisten, die dies dennoch sehr weitreichend taten und gewissermaßen als Leitsterne hier herausstechen, sind Maurice Merleau-Ponty und Hermann Schmitz sowie Helmuth Plessner.
Durch die grundlegende und sich durch das ganze Werk ziehende Leiborientierung ihrer Beiträge sind sie Ausnahmen in einem Feld der Philosophie, das sich im 20. Jahrhundert eher durch eine kognitivistisch-intellektualistische Prägung auszeichnete. Gemeint sind damit Erkenntnistheorien, die sich an den mental-kognitiven Prozessen des Erkennens orientieren (die zweifelsohne wichtig sind), aber in dieser Privilegierung des Blickes (des sehenden Auges/Geistes) beim Wahrnehmen und der Verarbeitung durch ein Gehirn und Bewusstsein sozusagen ‚den Rest‘ der Anthropologie vergessen und dadurch keine Aufmerksamkeit – oder gar Leugnung – für die Erkenntnisweisen übrig haben, die jenseits der geistig-intellektuellen, sprachlichen Vermittlung funktionieren: die Sprache(n) des Leibes, die Vermittlung der Emotionen oder die Gerichtetheit des subjektiven Bewusstseins, die allesamt Weltwissen darstellen, das nicht auf Informationsgewinnung oder deren ‚repräsentationaler‘ Verarbeitung beruhen.
Auch die Humangeographie zeichnet sich seit rund zwei Dekaden durch eine Spielart dieser kognitivistischen Verengung aus, die hier insbesondere als Ausrichtung am sogenannten linguistic turn der 1960er erfolgte und sich zeitlich verzögert im cultural turn einer „Neuen Kulturgeographie“ (Gebhardt et al., 2003) manifestierte, die die deutschsprachige Humangeographie seitdem zu prägen begann. Es etablierte sich darin ein naiver Konstruktivismus, der sich durch eine weitgehende Loslösung von materiellen Bedingungen der Erkenntnis auszeichnet und die Welt als eine – eben sprachlich-diskursive – Konstruktion durch ‚die Gesellschaft‘ auffasst.
Wir möchten hier nicht abermals auf eine grundsätzliche Kritik daran abzielen, die wir bereits an anderer Stelle geleistet haben (vgl. Dörfler und Rothfuß, 2013), sondern die Aufmerksamkeit und Schwierigkeit dafür schärfen, wie basal es ist, diese Positionen mit den oben skizzierten Überlegungen herauszufordern, da sich die Paradigmen dieser Weltsicht sehr tief in die zeitgenössische Diskursivität eingegraben haben – sie wurden zu ihrem Dispositiv, ohne die kein Denken mehr ‚erlaubt‘ sein soll, könnte man mit Foucault einwenden. Es erfordert nun, einen Tauchgang zurück vor den Beginn dieser Diskursivität zu wagen, um im Bilde des Themenheftes zu bleiben, also tief Luft zu holen und zurückzuschwimmen vor das Jahr 2003 und wieder aufzutauchen, um die Thematisierung vor allem des Raumes von Neuem beginnen zu können. Dessen vergessene bzw. geleugnete Materialität ist das Verdrängte des Diskurses, den es nun wieder in die Theoriearbeit einzufangen gilt, und möglich wird dies z. B. anhand der drei hier vorgeschlagenen Pfade.
6.1 Die Leibphänomenologie nach Maurice Merleau-Ponty
Der französische Philosoph Maurice Merleau-Ponty war einer der ersten, der in seinem zentralen Werk, der „Phänomenologie der Wahrnehmung“ (1974), das Konzept des „Leibes“ als Wahrnehmungsorgan und „Nullpunkt“ der Orientierung sowie als unhintergehbare Weise des primordialen Weltzugangs explizit formulierte. Die Bestimmung der Wahrnehmung als Vermögen des Leibes erlaubt es Merleau-Ponty, die für die Geistesgeschichte als ‚fatal‘ zu bezeichnende Trennung von Geist und Materie (in der Tradition Descartes) hinter sich zu lassen, indem er ins Zentrum rückt, wie die wahrgenommene Welt mit dem wahrnehmenden Leib direkt zusammenhängt – ohne ‚kognitiven Umweg‘. Damit öffnet Merleau-Ponty die Wahrnehmung hin zum leiblichen Erkennen (hin zu den Grundlagen jedweden subjektiven Welterfahrens), die für ihn aus der Leiborganisation entspringt. Kein Subjekt ohne Leiberfahrungen, kein Menschsein oder -werden aufgrund abstrakter ‚kognitiver Entwicklungen‘ – dies sind alles wichtige Eigenschaften des Menschen, aber nicht die Grundlagen seiner Existenz und seines In-der-Welt-seins – sondern erst Gewordenes.
Für Merleau-Ponty ist deswegen auch die intellektuelle, also geistige Erkenntnis der Welt – ebenso die Mathematik oder die Naturwissenschaften generell, die er z. B. in Form des Positivismus kritisiert (damals vor allem der sogenannte „Wiener Kreis“) – eine Erfassungsdimension, die trotz ihrer Abstraktion auf den leiblichen Grundlagen des Bewusstseins ruht. Kategorien des Zählens etwa sind Ergebnis einer ‚handfesten‘ Auseinandersetzung mit der Welt, wie dies später auch Piaget empirisch gezeigt hat, und keine an sich vorkommende Fähigkeit eines ‚intellektuellen Geistes‘. Dies nicht zu sehen, begreift er als seine Art der „Krisis“ (Husserl, 1976 [1936]) und Kritik der neuzeitlichen Wissenschaften wie Biologie oder Psychologie, die sich deutlich von der Möglichkeit entfernt haben, diese Grundlagen des Menschseins formulieren zu können (bereits in seinen frühesten Arbeiten dazu, vgl. Merleau-Ponty, 2003 [1946]:10 ff.).
In seiner Theorie fungiert der Leib deshalb als ausschließliches Medium und Vollzugsinstanz eines sinnhaft wahrnehmenden und aktiven Seins-zur-Welt.
Die Welt ist kein Gegenstand, dessen Konstitutionsgesetz sich zum voraus in meinem Besitz befände, jedoch das natürliche Feld und Milieu all meines Denkens und aller ausdrücklichen Wahrnehmung. Die Wahrheit bewohnt nicht bloß den inneren Menschen, vielmehr es gibt keinen inneren Menschen: der Mensch ist zur Welt, er kennt sich allein in der Welt. Gehe ich, alle Dogmen des gemeinen Verstandes wie auch der Wissenschaft hinter mir lassend, zurück auf mich selbst, so ist, was ich finde, nicht eine Heimstätte innerer Wahrheit, sondern ein Subjekt, zugeeignet der Welt (Merleau-Ponty, 1974:7).
In seiner Zurückweisung des ‚ich denke‘ setzt Merleau-Ponty demnach das ‚ich spüre‘/‚ich erfahre‘, und deshalb bin ich, was die ‚Leibvergessenheit‘ der europäisch-modernen Wissenschaftstradition ans Licht brachte: Erkennen ist nicht nur ein kognitiver Prozess, sondern man erfährt die Mit- und Umwelt zuerst leiblich, so dass heutige sozialwissenschaftliche Ansätze, die an diese Gedanken anknüpfen, vom „leiblichen Verstehen“ als sozialer Relevanz des Spürens sprechen (Schmitz, 2016a; auch Gugutzer, 2006:4536, 2012). In dieser Weise wird der sinnlich empfindsame Leib, der selbst ein Teil der Welt ist, das primäre Medium unseres Seins zur und in der Welt:
Der Leib ist unser Mittel überhaupt, eine Welt zu haben (Merleau-Ponty, 1974:176).
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts war der Körper (corps) für viele Denker ein Stück Materie, ein Bündel von Mechanismen. Das zwanzigste Jahrhundert hat den Begriff des Leibes (chair), d. h. des lebendigen Körpers (corps animé), wiederhergestellt und vertieft (Merleau-Ponty, 2007:337).
Würde der Mensch lediglich einen Körper besitzen, würde er die Welt um sich nur als Gegenwärtigkeit begreifen, ohne an eine Vergangenheit zu erinnern und eine vorgestellte Zukunft zu antizipieren. Der Leib ist also nicht der anatomische oder physiologische Körper, sondern konstituiert sich aus dem Bewusstsein und der unbewussten Natur und ist unhintergehbarer Sitz von Vitalität und Intentionalität (Merleau-Ponty, 1974:474 ff.). Dabei nehmen wir zudem alltagspraktisch unseren Leib als Teil des Raumes wahr, weswegen Merleau-Ponty (1974:127) zufolge gilt, dass, weil wir Leib sind, wir Raum haben und nicht umgekehrt.10
Der Leib ist Medium und vermittelt uns mit der Welt und seiner Räumlichkeit, ohne dass wir diesen bewusst bemerken. Die unwillkürliche, gelebte Leiblichkeit ist eingebettet in die natürliche und soziale Umwelt und in ständigen Wechselbeziehungen mit ihr verbunden. Nach Fuchs (2015a:149) meint der Leib
gar keinen Gegenstand, sondern letztlich die Bewegung des Lebens selbst. Der Körper hingegen, (…), ist der bewusst gewordene, ‚festgestellte‘, für einen Moment angehaltene und damit immer schon vergangene Leib. Leib sein ist Werden, Körper haben ist Geworden-sein. Der Körper ist das, was sich aus dem Lebensprozess heraus fortwährend bildet, ablagert und verfestigt, während der Leib immer auf die Gegenwart und in die Zukunft gerichtet ist.
6.2 Der „leibliche Raum“ in Hermann Schmitz' Neuer Phänomenologie
Neben Maurice Merleau-Ponty kann der deutsche Philosoph Hermann Schmitz und dessen Neue Phänomenologie als eine zweite paradigmatische Leibphilosophie bezeichnet werden. Das Ziel seines langen und beharrlichen philosophischen Wirkens artikuliert Schmitz (2016b:7) folgendermaßen:
Mein Bestreben geht dahin, den Menschen ihr wirkliches Leben begreiflich zu machen.
Für dieses „ begreiflich machen“ steht für den Philosophen der Leib als unhintergehbarer Weltzugang im Zentrum jeglicher Analyse:
Unter dem eigenen Leib eines Menschen verstehe ich das, was er in der Gegend seines Körpers von sich erspüren kann, ohne sich auf das Zeugnis der fünf Sinne (Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken) und des perzeptiven Körperschemas (…) zu stützen. Der Leib ist besetzt mit leiblichen Regungen wie Angst, Schmerz, Hunger, Durst, Atmung, Behagen, affektives Betroffensein von Gefühlen (Schmitz, 2009:15 ff.).
In seinem Hauptwerk, dem „System der Philosophie“ (1967), bietet Schmitz eine auch für die Humangeographie wegweisende „Archäologie des Raumes“ an (S. XVIII), die bis heute einer Entbergung harrt.11 Im Kapitel „Der leibliche Raum“ (Band III/1) entwickelt Schmitz eine „dem eigenleiblichen Spüren abgewonnenes Modell der Raumvorstellung“ (S. XVI), das sich elementar von chorischen Raumkonzeptionen (etwa derer der Mathematik, Naturwissenschaften oder auch der Geographie) unterscheidet, sich aber auch deutlich von diskursiven oder semantisch fundierten Raumkonzepten der Humangeographie abgrenzen lässt (paradigmatisch für ‚Diskursgeographien‘ z. B. Glasze und Mattissek, 2009 und für ‚Raumsemantiken‘, z. B. Hefner et al., 2018).
Schmitz (1967) gewinnt seine Konzeption der Räumlichkeit aus der Leiblichkeit des Menschen. Der Raum ist dabei zunächst als leiblicher Raum prädimensional und von Lagen und Abständen, Körpern und Flächen unabhängig. Mit dem leiblichen Raum
meine ich nicht nur den Raum, den Menschen oder Tiere mit ihren Leibern einnehmen, sondern den ganzen Raum mit der Weite, in der wir leben und uns finden, aber nur insoweit, als seine Struktur aus der (…) Struktur des Leibes durch geeignete Spezialisierungen und Verflechtung von Kategorien der Leiblichkeit verstanden oder abgeleitet werden kann (Schmitz, 2019:30).
Die Raumerfahrung des Menschen baut sich dabei vom Weiteraum über den Richtungsraum zum Ortsraum auf, in dem von Flächen getrennte Körper nach Lagen und Abständen ‚vermessen‘ werden können. Die tiefste Schicht des leiblichen Raumes, auf der somit alle anderen Raumstrukturen aufliegen, ist der prädimensionale flächenlose Weiteraum, in dem sich aus „ungegliederter Weite“ der absolute Ort des Leibes – oder unser absoluter Ort – ohne Vermittlung abhebt (Schmitz, 2009:47 ff.): Es ist das ‚Ich‘ in seiner Welt(erfahrungs)lage.
Zwischen Enge und Weite tritt in der leiblichen Dynamik vermittelnd die leibliche Richtung ein, die unumkehrbar aus der Enge in die Weite führt. Entsprechend wird der Weiteraum vom leiblichen Richtungsraum überformt (Schmitz, 2009:50).
Wenn sich Weiteraum aus dem ‚Nullpunkt‘ des Subjekts, seiner Stellung in/zur Welt zwangsläufig ergibt als das primordiale Raumerlebensgefühl, sich daraus wiederum der Richtungsraum als erfahrene Folge dieser Nullstellung und seiner Offenheit zu allen Seiten entsteht, dann baut sich darauf der Ortsraum auf, wenn wir die leibzentrierten Erfahrungen im/mit dem Raum ‚verorten‘, also bestimmten Punkten und Stellen der Welt zuordnen und sie so auch erinnern.12
Die Prädimensionalität des leiblich erfahrenen Raumes macht es weiterhin möglich, dass Gefühle als „randlos ergossene Atmosphären“ (Schmitz, 2009:57 ff.) neu verstanden werden können, also als ‚interaktives‘ Phänomen der Raumerfahrung. Gefühle haben in diesem Verständnis eine Dimension, sie sind assoziiertes Wohlwollen mit Situationen, Menschen, Plätzen etc. oder ebensolche Ablehnung (und werden wiederum als solche so erinnert). Schmitz ‚befreit‘ damit Gefühle aus reinen menschlichen ‚Innenwelten‘ (wie etwa der Seele oder gar Affekten), die einem einzelnen Subjekt zugeschrieben werden. Gefühle sind Raumphänomene in dem Sinne, als ihre Aktualisierung immer ein ‚Raumerlebnis‘ beinhaltet (Dabeisein auf Partys etc. als erfahrene soziale ‚Blase‘, an der man teilhat, Verlorensein und Ortlosigkeit bei Angst, Depression etc. und das Gefühl, ‚aus der Welt gefallen zu sein‘).
Jede ‚Stufe‘ oder Dimension der räumlichen Welterfahrung im Weiteraum, Richtungsraum und Ortsraum bietet vielfältige Anknüpfungspunkte, um diverse neue ‚Geographien‘ daran anzuknüpfen, bzw. daraus zu entwickeln, wie etwa Heimat(losigkeit), Herkunft, Identität, Obdach(losigkeit), Orientierung im Raum oder ihre digital induzierte Verkümmerung u.v.a.m. Darüber hinaus lässt sich dieses analytische Schema auf viele weitere Aspekte der Lebenswelt anwenden, wenn man diese unter phänomenologisch-praktischen ‚Raumgesichtspunkten‘ untersuchen will, also bei der Analyse die räumlichen Aspekte in den Fokus rückt – und wofür eine Raumwissenschaft wie die Geographie geradezu prädestiniert erscheint.13
Wir haben an obiger Stelle dafür plädiert, nicht ein Sollen, sondern ein Sein als die alleinig adäquate wissenschaftliche Grundoperation – hier zur Untersuchung (inter-)subjektiver Raumerfahrungen – zu wählen. Diese Entscheidung zur distanziert-analytischen Reflexion von Dingen und Zusammenhängen, die existieren und nicht Vorgaben eines moralisierenden Sollens sind, bedeutet im hier gewählten Beispiel des dimensionalen Ortsraums ‚Flüchtlingsunterkunft‘, diese nicht vorschnell moralisch zu skandalisieren und ‚politisch‘ zu betrachten, sondern es etwa unter den hier skizzierten Überlegungen zum leiblich erfahrenen Raum nach Schmitz zu untersuchen. Es müssten also jenseits politischer Dimensionen die Eigenschaften des ‚Flüchtlingsheims‘ als Produzent von sozialen und räumlichen Atmosphären herausgearbeitet werden, im positiven wie im negativen Sinne, um hernach z. B. eine depravierende Erfahrung daran verständlich zu machen – wo und wie Weite-, Richtungs- oder Ortsraum hier also eingeschränkt wird (oder auch spezifisch/neu ermöglicht?), um dessen Ortsqualitäten beschreiben zu können. Die Organisationsform ‚Flüchtlingsheim‘ könnte es dann nahelegen, dass es in manchen Fällen geradezu (staatliche) Intention ist, jegliches positives leibliches „Einwohnen“ im Sinne von Merleau-Ponty (1974) oder subjektiv-erfülltes „Raumerleben“ nach Schmitz (2009) zu verunmöglichen, damit kein ‚Ankommen‘ erfahrbar wird, um damit die ‚Insassen‘ zu entsubjektivieren und deren Anerkennung ‚leiblich‘ zu verweigern.14
Es offenbart sich hier also eine leiblich-räumliche, sprich institutionalisierte Verunmöglichung, heimisch zu werden und gar ‚Wurzeln zu schlagen‘. Denn eigentlich ist der Mensch (im Gegensatz zum Tier) „in der Lage sich seine Heimwelt zu schaffen. Er kann die Fremde verheimatlichen“ (Husserl, 1935:625). Der Weiteraum von Geflüchteten, der sich hier in der primordialen Welterfahrungslage einer ‚kasernierten Enge‘ erschöpft, und damit keine praktisch vollzogene Raumfreiheit ermöglichen soll, produziert häufig Heimweh, Apathie, Frustration oder gar Verzweiflung. Dieser heimatlos gehaltenen ‚Ein-Engung‘ kann im Richtungsraum der Geflüchteten teilweise begegnet werden, z. B. durch gemeinschaftliches Kochen und Essen. So können positive Raum- und Sozialatmosphären durch Geschmack und Geruch der verloren gegangenen Heimat in „solidarischer Einleibung“ (Schmitz, 2014:57) geschaffen und emotional erfahren werden. Dies nur als kurzer Exkurs dazu, wie divers man die Räumlichkeit ‚Flüchtlingsheim‘ analysieren kann, wenn man von vorab feststehenden, politisierten Sichtweisen Abstand nimmt.
Wir können festhalten: Die neue Phänomenologie von Herrmann Schmitz steht weitgehend als Solitär im Diskurs bereits etablierter Theoriebildung zur sozialen und damit auch (inter-)subjektiven Raumerfahrung. Hier lassen sich die Begründungslinien und Argumente finden, warum wir ein ‚räumliches‘ Subjekt sind, also eine subjektiv-räumliche Existenzweise haben, und zwar als ontologische Grundlage unserer ‚Weltbewußtheit‘. Alle Semantiken, alle Diskurse vom Raum sind hierzu nur konstruierte (konstruktivistische) Aufsetzungen, die diese anthropologischen Grundlagen ignorieren oder gar leugnen, um ihre diskursive Position in Wert zu setzen. Für den hier verfolgten Ansatz ist es aber fatal, jene räumliche Prägung und Erfahrung des Menschen im und mit dem Räumlichen zu negieren, da darin das Fundament für deren (neue) Theoretisierbarkeit liegt – und der damit gleichzeitig auf die Blindstellen des Raumkonstruktivismus hinweist. Zeitgenössische Theoriearbeit, die jenes übersieht, wird nach dieser Maßgabe immer oberflächlich bleiben müssen.
Abschließend kann konstatiert werden, dass Maurice Merleau-Ponty und Hermann Schmitz bis heute als die konsequentesten Verfechter betrachtet werden können, die leibliches Erleben, ausgehend von der Phänomenologie Husserls, als eigenständigen und genuin menschlichen Erkenntniszugang (auch zum Raum) thematisiert haben. Demnach lohnt sich solch ein Tauchgang, um den verpassten Faden aufzunehmen, der, im Überschwang des linguistic und cultural turn, in der Humangeographie seit der Jahrtausendwende verloren gegangen ist. Denn auch ein neuerlicher material turn im Gewande des angelsächsischen „new materialism“ in der Humangeographie (vgl. z. B. Castree and Nash, 2006; Whatmore, 2006, u. a.) kann über die konsequenten Auslassungen leibphänomenologischer Theoriebildung (und anderer ‚Materialitäten‘) nicht hinwegtäuschen. In der seltsamen Einhegung bislang ausgeschlossener Gedanken und Überlegungen in den eigenen Diskursraum zeitigt er nur die Wiederkehr seines Verdrängten, und dies, gemäß Lacanscher Theorie, als grobe Verzerrung und Verschiebung seines Blickes auf das Wiederanzueignende: Materialität wird dort nicht in ihrer ontologischen Qualität verstanden (wie dies z. B. Merleau-Ponty und Schmitz hier mit dem Raum tun), sondern als vor allem durch Technik modellierte Beziehung zur Erde, zu Gaya oder zum Geos.
6.3 Die exzentrische Positionalität des menschlichen Leibes nach Helmuth Plessner
Einen ähnlichen, aber doch anders gelagerten, ebenso grundsätzlichen Zugang zum Mensch-Umwelt- bzw. Mensch-Tier-Verhältnis schlägt nun Helmuth Plessner vor. Seine Anschauung zur Leiblichkeit des Menschen kann mit einem Zitat aus „Lachen und Weinen“ (Plessner, 1940:44) verdeutlicht werden, um den „Doppelaspekt“ des Menschen zu illustrieren:
Ich gehe mit meinem Bewußtsein spazieren, der Leib ist sein Träger, von dessen jeweiligem Standort der Ausschnitt und die Perspektive des Bewußtseins abhängen; und ich gehe in meinem Bewußtsein spazieren, und der eigene Leib mit seinen Standortveränderungen erscheint als Inhalt seiner Sphäre (Plessner, 1940).
Leib heißt hier, sich der für Plessner (1980a [1928]) konstitutiven „Exzentrischen Positionalität“ bewusst zu werden, indem man – so die vielzitierte Formel – Leib ist, weil man einen (wirkmächtigen) Körper hat, und sich aus dieser Erfahrungspotentialität das spezifische menschliche Bewusstsein über diese besondere Lage ableitet (anders als beim Tier, das „positional“ lebt; vgl. Kapitel 7.2). Man kann also beides an sich erfahren: Innen- und Außenwelt, und die Grundlage dafür ist der Leibbezug dieser Bewusstheit. Hier ist anzumerken, dass Plessner interessanterweise auch dem Tier Leiblichkeit zugesteht, es also vermutlich ebenso Umwelten spürt und nicht nur körperlich registriert; was ihm fehle ist ex-zentrische Leiblichkeit, also zu wissen, dass man einen Leib habe und darauf reflektieren kann (vgl. Ebke, 2017b:137).15
Diese duale Struktur von Innen-Außen begegnet uns Menschen unmittelbar an uns selbst: Der Leib ist für uns als Subjekte in der Perspektive von Innen und Außen erfahrbar, indem wir ganz alltäglich gleichzeitig sowohl denkend und fühlend unser Innenleben erfahren, als auch z. B. vor dem Spiegel stehend, als Patient oder in sozialer Interaktion, unsere Äußerlichkeit als Mensch wahrnehmen. Innerlichkeit und Äußerlichkeit bilden damit den Doppelcharakter, wobei der innere ‚Kern‘ dann der Träger der von außen wahrnehmbaren Merkmale ist, der äußeren Wahrnehmung aber verborgen bleibt.16 Damit ist eine Absicht von Plessner gesetzt, die Subjekt-Objekt-Trennung in der Bestimmung des menschlichen Wesens (das aber nicht als Ontologie und Metaphysik gedacht wird) zu überwinden, und die Kategorie des Geistes dialektisch wieder an die Kategorie des Lebens rückzubinden.17
Ein wichtiges Ziel Plessners ist es – und die Folgen für eine Neuthematisierung des Problems auch für die Humangeographie werden abschließend diskutiert – gesellschaftlich-kulturelle Prägungen nicht mehr losgelöst vom Materiellen zu denken, sondern beides zusammenzuführen, allerdings nicht in der derzeit fashionable naiven Form, indem Unterscheide geleugnet oder Transgression proklamiert werden: Abstraktionen (z. B. Zeichen, Repräsentationen, Diskurse, Semantiken von ‚Natur‘ etc.) ruhen auf Materiellem wie dem Leiblichen auf bzw. werden erst dadurch plausible ‚Anschlusskommunikation‘, könnte man in kritischer Analogie jener Theoriebildung schreiben, wenn sie an jenes ‚appellieren‘ (Althusser) bzw. es hervorrufen (etwa Redepenning, 2006).
Nun gibt es in den Kultur- und Sozialwissenschaften des einundzwanzigsten Jahrhunderts gar nicht viele aufschlussreiche, einsatzbereite Paradigmen, die zwanglos die gesellschaftlichen Naturverhältnisse des Menschen in all ihren Voraussetzungen und Folgen ansprechen können (…). Zwanglos meint, sich nicht wie der Poststrukturalismus erst sehr mühsam den Weg zur Materie, zur Natur bahnen müssen, die er wegen seiner methodischen Bindung an den linguistic turn zunächst konzeptionell marginalisiert hatte. Man könnte als ein Kriterium für eine solche ökologisch passende soziologische Theorie nennen: keine Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse und ihrer Transformationen ohne einen profunden Begriff der Natur des Menschen (im Sinne seiner Physis, seiner Vitalität) bzw. der Menschen in der Natur, im Kosmos (Fischer, 2020:20).
Die aus unserer Sicht theoretisch am weitesten entwickelte und konzeptionell möglicherweise tragfähigste Perspektive, das Mensch-Umwelt-Verhältnis oder die soziale Adaption von Räumlichkeit zu verstehen, bietet Helmuth Plessners Philosophische Anthropologie. Die gemachten Überlegungen lassen sich deswegen auch in seinem Sinne reformulieren und zu einem einschlägigen Theorieangebot für die Humangeographie entwickeln. Es ist hier zwar nicht die Möglichkeit, eine allgemeine Einführung in das Werk Helmuth Plessners zu liefern, dennoch können an dieser Stelle die wichtigsten Leitmarken seines Denkens genannt werden (vgl. ausführlich Dux, 1994; Ernste, 2004; Mitscherlich, 2007; Lindemann, 2011, 2014, 2016; Henkel, 2019; De Mul, 2014, u. a.), um Anschlussmöglichkeiten für sozial- wie kulturgeographische Adaptionen aufzuzeigen.
7.1 Das Tier ist kein Mensch und der Mensch kein Tier
Mit Plessner sind wir der Ansicht, dass eine fundamentale ontologische Differenz zwischen der Existenzweise von Menschen und Tieren sowie zwischen ihnen und Pflanzen existiert, deren Margen aber etwa evolutionsgeschichtlich enger (oder auch weiter) werden können. Diese Annahme diskutiert Plessner ausführlich in „Die Stufen des Organischen und der Mensch“ (Plessner, 1980a [1928]), wo er das Kaleidoskop der Erklärungskraft der philosophischen Anthropologie eindringlich auf den Punkt bringt, indem er auf den innovativsten biologischen, anthropologischen sowie psychologischen Arbeiten jener Zeit aufbaut.18
Die Differenz zwischen Mensch, Tier und Pflanze ist ihrem Wesen nach ontisch, d. h. durch eine unaufhebbare Andersheit dieser Lebensformen zueinander geprägt, wenngleich diese einer Stufenlogik und keiner absoluten Setzung folgen („Stufenlose Stufen“ wie dies Plessner, 1980a [1928], dialektisch formuliert). Diese resultieren in unterschiedlichen Positionalitäten zur Welt, von denen die menschliche die ‚unnatürlichste‘ darstellt – mit allen kulturellen Konsequenzen (Macht, Religion etc.). Diese positionale Ex-zentrik bedingt deshalb die menschliche Sonderstellung im Reich der Lebewesen (vgl. Kapitel 7.2).
Keine der Formen (Mensch, Tier oder Pflanze) kann je in die andere ‚hineinschlüpfen‘, d. h. die fundamentalen Geltungsbedingungen ihrer jeweiligen Existenzweisen annehmen. Dies gelingt höchstens spielerisch und auch nur dem Menschen, wenn er in Form der Mimesis Rollen von Tieren oder Pflanzen übernimmt und sie vermenschlicht (z. B. in Märchen oder Kostümfesten, in der Phantasie als anthropologische Mimesis, vgl. etwa „Animal Farm“). Jedoch kann kein Mensch je Tier, kein Tier je Mensch werden. Es ist jedoch zu konstatieren, dass die Stufen des Organischen „verschiedene Komplexitätsstufen der Umweltbeziehung“ (Lindemann, 2002) bezeichnen und keine „Absolutsetzung des Geistes“ (Dux, 1994:92, 94 ff.) bedeuten. Dabei gibt es sehr wohl graduelle Unterschiede des Verhältnisses zwischen Mensch und Tier, wie auch innerhalb der Tierwelt, so dass der Mensch nicht naiv als ‚Krone der Schöpfung‘ zu gelten hat. Aber es ist offensichtlich, dass Protozoen, Amphibien, Raubtiere und Hominiden unterschiedlich komplexe Organisations- und Wirkzonen mit ihren Umwelten haben (und ebenso untereinander), wie auch das Anthropologische unterschiedlich stark dazu variiert: sehr viel im Gegensatz zu den Amöben, sehr wenig im Vergleich zu Hominiden. Auch ändern sich diese Unterschiede, oder gleichen sich z. B. im Sinne der Evolution an (oder entwickeln sich weiter auseinander). Nichts sollte einem jedoch zum Fehlschluss verleiten, wie in den sogenannten Human-Animal-Studies oder More-than-Human-Ansätzen, diese Unterschiede als eliminierbar oder überschreitbar zu verstehen: Sie sind, wie bereits erwähnt, fundamental im exklusiven Sinne ihrer grenzrealisierenden Organisationsform.
So hat nur der Mensch die Bedingungen der Möglichkeit, qua Geist (Intellekt) und anthropologischer Ausstattung andere Lebensformen zu dominieren, zu verehren oder nachzuahmen, aber auch auszurotten oder zu retten, und er wird in der Regel diese Möglichkeiten nutzen, ‚weil er kann‘ und eine „Pflicht zur Macht“ habe (Plessner, 1980c:142, 1980a:384 f.).19 Damit meint Plessner, dass man sich nicht nicht zu dieser Optionalität verhalten kann; der Mensch muss immer eine Position zu diesen Möglichkeiten einnehmen, es lassen einerseits, wie durchführen andererseits. Macht muss ‚bespielt‘ werden, Mächtigkeit (etwa als potentielle Dominanz von Tieren) kann man nicht vermeiden.
Weiter impliziert Plessners Ansatz, dass menschliche Lebensformen – anders als Tiere (und natürlich Pflanzen oder Steine etc.) – dadurch keine angestammte Umwelt und keinen natürlichen, an diese Umwelt gebundenen Lebensbezug haben. Der Mensch ist ‚unbehaust‘. Da er keinem Lebensraum direkt zugeordnet ist (er kann überall überleben), noch ein natürliches Trieb- oder Instinktprogramm aufweist, das ihm eine solche Natürlichkeit zur Welt nahelegen könnte (zum Beispiel jagen, töten oder essen), muss er sich relativ zur Welt positionieren. Seine nicht existente Mitte (Ex-Zentrik) aufgrund der anthropologisch unspezifischen Ausstattung als ‚Allrounder‘, der alles ein wenig kann (rennen, klettern, springen, schwimmen etc.), aber nichts so gut, dass er darin ein Meister der Beherrschung seines Lebensraumes werden könnte (wie z. B. der Gepard), benötigt er Reflexivität bzw. ein reflexives Selbstbewusstsein, um diese Situation ‚intellektuell‘ zu meistern und auf entsprechende Techniken der Weltbeherrschung zurückzugreifen: Wenn sich der Gepard nicht einholen und der Fisch nicht mit den Händen fangen lässt, dann benötigt man Speere oder Netze, um zum Jagderfolg zu gelangen. Tiere stellen somit eine andere Form der existentiellen Selbstorganisation dar, die – soweit man aus ihrem Verhalten ableiten kann – ohne Sinn und Reflexion auskommt, also ohne Interpretation der Welt und ohne Gerichtetheit auf deren Relevanzen, aber begründet in einer instinkthaften Pragmatik, die unmittelbar gegebene Umwelt direkt im Hinblick auf die eigene Lebensorganisation und -notwendigkeit zu verarbeiten. Bezüglich der Organisation des besonderen Lebensraumes jeder Tierart und deren evolutionärer Entstehung ist es wohl auch besser, wenn die Antilope im Angesicht des Löwen rennt, statt reflektiert. Aber auch ihr restlicher ‚Alltag‘ (dies eine rein menschliche Kategorie) ist geprägt von der Angst und der (Un-)Möglichkeit, genug Fressen zu bekommen und Feinden zu entfliehen.20
7.2 Das ex-zentrische Sein des Menschen
Das ex-zentrische Sein erfordert nach Plessner eine notwendig subjektiv-kulturelle Positionalisierung. Menschliche Existenz ist deswegen durch eine „natürliche Künstlichkeit“ geprägt und der Zugang zur Welt (Innenwelt, Mitwelt, Umwelt usf.) nach Plessner (1980a [1928]:32) durch eine „vermittelte Unmittelbarkeit“ gekennzeichnet. Welt, Natur und Leben sind ihm sinnvoll nur über Umwege zugänglich, wenngleich er aber auch immer direkt darin eingestellt ist, was seine unmittelbare Angewiesenheit (z. B. Hunger, Sexualität oder Schlaf) zum Ausdruck bringt (Plessner, 1980a [1928]:385 f.). Dies hat fundamentale Konsequenzen für das Mensch-(Um-)Welt-Verhältnis.
Die Relevanz von Plessners philosophischer Anthropologie, den Menschen als ‚unbehaustes Wesen‘ in seiner Umwelt zu begreifen, hat damit nicht unerhebliche Konsequenzen für unser Denken – z. B. in Bezug auf ‚Nachhaltigkeit‘. Mensch und Natur existieren konstitutiv als gegenseitige Bedingung aufgrund einer Differenz und nicht wegen einer möglichen Identität derselben – wie manche Ansätze glauben machen wollen, wenn sie vermeintliche ‚binäre‘ Setzungen kritisieren (vgl. Steiner et al., 2022:23). Stattdessen muss klar im Sinne Plessners benannt werden, dass der Mensch nicht (nur) Natur ist, sondern Kultur unter natürlichen Bedingungen und Einflüssen – v. a. als Differenz zur Umwelt.
Mensch und Natur (im Gegensatz zu Tier/Pflanze und Natur) sind demnach getrennte und unterschiedliche, dabei sich aber gleichzeitig bedingende Sphären. Somit kann es keine ‚neutrale‘, im Einklang mit der Natur stehende menschliche Lebensform und Praxis geben. Der Mensch als Lebensform wird immer in die Natur eingreifen müssen, sonst kann er nicht überleben. Wobei in bereits die falsche Theoretisierung unserer Zeit ist, denn Natur ist dem Menschen nichts Außenstehendes, was ausbalanciert für sich funktioniert und ihm gegenübersteht, denn er ist ebenso (ex-zentrischer) Teil davon; damit er wird, was er ist, muss er sich aber ebenso von der Natur emanzipieren; das ist seine grundsätzliche dialektische Tragik: Natur zu haben, ohne Natur zu sein.
Für die Nachhaltigkeitsforschung hieße dies etwa, dass man den Begriff Nachhaltigkeit selbst überdenken müsste, soll er solch oben skizziertes ausgewogenes Handeln bedeuten. Zu hinterfragen ist demnach, welche Handlungsweisen des Menschen z. B. zur Ernährungssicherung warum notwendig sind, welche aufgrund der zivilisatorischen Entwicklung mit größter Wahrscheinlichkeit auftreten, und wie trotzdem ein Lebensraum erhalten werden kann, der beidem genügt: der menschlichen Lebensform und ihrer immer fortschreitenden (technisch-technologischen) Entwicklung, wie auch den natürlichen Bedingungen.
Der Mensch hat keine ‚neutrale‘ Umwelt, keinen natürlichen Platz auf diesem Planeten und kein nicht-machtvolles Verhältnis zur Natur und zu anderen Menschen; er muss – zu seiner Verdammnis, um es drastisch zu formulieren – dominieren, unterwerfen, benutzen, weil es keine Handlungsweise ‚im Einklang mit der Natur‘ gibt. Dies macht auch die tragische Stellung des Menschen aus, denn freilich ist er ebenso auf Kooperation, Anerkennung usf. angewiesen, weshalb der Mensch vielfältigste Ethiken, Moralen, Religionen etc. entwickelte, um diese unbehauste Macht einzuhegen – und auch seinen Drang und seine Notwendigkeit nach Ausbeutung der Natur zu zügeln (Tomasello, 2016). Sie bricht aber, darauf haben Nietzsche und Freud ihre Theorien aufgebaut, regelmäßig und dramatisch als ungezügelte Leidenschaft auf, weil diese Nichtbalance eben auch eine anthropologische Wahrheit des Menschen ist.
7.3 Dialektik als Kritik
Es sind diese dialektischen Figuren von Plessner, die heute im Angesicht der obigen Debatte überraschend eine neue Konjunktur erfahren können, weil dadurch binäre, identitätslogische Denkweisen (z. B. poststrukturalistischer oder posthumanistischer Provenienz) sowohl kritisiert wie auch überwunden werden könnten. Sehen sich jene als Kritiker angeblich ‚dichotomer‘ Trennungen der Welt wie Natur-Kultur, Mensch-Umwelt, Subjekt-Objekt etc., so ist darauf zu bestehen, dass diese Verhältnisse dialektisch und vermittelt sind und nicht identitätslogisch oder dualistisch gegeneinander stehen, wie es auch postmoderne Denkweisen unterstellen: (1) Dialektisch, weil sie entgegen jener Annahmen sehr wohl eigene Reiche der Erfahrung sind (materiell eigenlogisch versus sinnhaft-kulturell), die durch keine – wie auch immer gelagerte – Kommunikation nivelliert werden könnten; (2) Vermittelt, weil sie als differente Lebenssphären – ebenfalls entgegen jener Auffassung – wechselseitig aufeinander bezogen sind und sich beeinflussen, da sie unterschiedlich organisiert sind.
Die Philosophische Anthropologie von Helmuth Plessner stellt damit gewissermaßen dialectics in a nutshell dar: Mensch und Natur als eine gegenseitige Bedingung aufgrund von Differenz, nicht wegen Identität. Sie sind also getrennte und unterschiedliche, wie gleichzeitig sich bedingende Sphären und erhalten dadurch ihre jeweilige Identität. Sie stellen also das Gegenteil dessen dar, was Theoreme der Akteur-Netzwerke (z. B. Latour, 2007; Law, 2004, u. a.), von Cyborg-Theorien (etwa Haraway, 1995) oder postmodern-posthumane Denkströmungen (z. B. Barad, 2003; Braidotti, 2014, 2019; Wolfe, 2009 u. a.) proklamieren. Auch Manzei (2005:75) hat auf das immanente Problem der Cyborg- und Akteur-Netzwerk Theorien hingewiesen, dass beide mit der „Abkehr vom Natur-Begriff ihre normative Basis und damit die Möglichkeit von Kritik untergraben“ haben. Denn deren Vermittlungsbegriffe Cyborg, Hybrid oder Aktanten erlauben „keine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Erscheinungsweisen des Lebendigen mehr: In einer technisierten Welt erscheinen alle Lebewesen irgendwie als Cyborgs oder Hybride“ (Manzei, 2005:75; vgl. hierzu auch Gamm, 2001 und Gamm et al., 2005 in seiner Kritik an Latour; Henkel, 2019:129; Fischer, 2020:20).21 Genau diese intellektuelle Verflachung des Diskurses ließe sich mit Plessner vermeiden, was eine große Chance für neue humangeographische Konzeptionierung zum Thema darstellt.
Mit diesem Beitrag verfolgten wir zwei Ziele. Zum einen sollte, verbunden mit einer kritischen Sichtung zeitgenössischer Theorieangebote aus dem Umfeld der more-than-human-Geographien, vermittelt werden, dass Sozialwissenschaft nicht ohne sozialwissenschaftliche Grundlagen betrieben werden kann. Diese sehen wir, insbesondere bei den benannten einschlägigen Diskursen, nicht immer gegeben, weswegen die Relevanz der Lebensweltforschung auch und gerade für eine Geographie des Alltags – im Sinne von Schütz‚ (vgl. Dörfler und Rothfuß, 2018, 2021), mit all ihren Dimensionen adressiert wurde (Mensch-Umwelt und Mensch-Tier-Beziehungen, Leiberfahrungen des anderen, Raum- und Ortsidentitäten etc.). Das Konzept zum Verständnis und zur Analyse derselben bildet dabei der Leib und, daraus abgeleitet, das Bewusstsein als das je subjektiv-objektivierte Weltwissen und Welterfahrung.
Zum anderen sollte die Philosophische Anthropologie als eine Alternative zu den beschriebenen Verengungen ‚posthumaner‘ Angebote eingeführt werden. Ihre Grundlagen helfen nicht nur, die unterschiedlichen Existenz- und (Selbst-)Organisationsweisen von Mensch, Tier und Pflanze zu verstehen, sondern sie verhindern auch eine unwissenschaftliche Vermengung und damit Entdifferenzierung dieser Grundprinzipien. Ihre spezifische Dialektik hilft, nicht hinter die Einsichten moderner Theoriebildung zurückzufallen und wenig ausdifferenziert Ähnlichkeiten, Kongruenzen oder nur graduelle Unterschiede zwischen diesen Lebensformen zu sehen (erläuternd dazu Krüger, 2017:4 ff.); denn diese sind, daran lässt Plessner keinen Zweifel, fundamental,22 und einen Rückfall hinter diese Einsicht wird zwangsläufig vormoderne, quasi-mythologische Identitätslogiken von der Einheit des Menschen mit der Natur, den Tieren etc. entstehen lassen.
Plessners grundsätzliche Einsichten können deshalb wie folgt zusammengefasst werden: Man kann die Philosophische Anthropologie als eine Wissenschaftsrichtung mit realistischem Blick auf Welt charakterisieren. Es gilt ihr als wahr, was sich tatsächlich beobachten bzw. logisch ableiten lässt aus dem reichen Fundus verhaltensbiologischer Arbeiten aus der Zeit ihrer Entstehung – immer aus der Warte wie könnte es anders sein – menschlichen Wissens. Die Einsicht Plessners, der Mensch sei das einzig grenzrealisierende Wesen, ist grundlegend und bildet die Matrix für das weitere Verständnis des Menschen in Abgrenzung zur Organisationsform von Tier und Pflanze. Diese Fähigkeiten heben ihn – ob wir wollen oder nicht – über die anderen Lebensformen hinaus. Der Mensch kann mehr und hat weitaus größere Handlungsoptionen als alle anderen Spezies. Aus dieser Macht folgt auch seine ‚Verdammnis‘, die heute gerne moralisierend gegeißelt wird (sein „verfemter“ Teil des Menschseins, der nicht sein soll, in Anlehnung an Bataille, 1975). Ob er will oder nicht, der Mensch muss und kann als einzige Lebensform sich, seinesgleichen und andere dominieren und damit beherrschen, bisweilen unterdrücken; ebenso das Tier oder andere Bereiche der Natur. Er kann dies aber auch als Problem begreifen und Ethiken entwickeln, dieses zu vermeiden – allerdings nicht, weil er wie die Tiere die Welt begreifen müsste, sondern weil er grundlegend anders ist als diese.
Aus dieser Stellung des Menschen im biologischen Gesamtleben dieses Planeten folgt, dass es niemals eine ‚neutrale‘ oder ‚ausgleichende‘ und ‚gerechte‘ Positionierung zu seiner Umwelt geben kann. Sein Bezug ist, weil grundsätzlich (handlungs-)mächtig und ohne eigene (ausschließliche) Natürlichkeit, demnach kulturell-natürlich, d. h. nur zu verstehen als das durch Kultur (Gesellschaft) vermittelte, aber auf diesem physiologischen Programm notwendig aufbauende, aus ihr seine Macht ziehende Handlungspotential in die Welt hinein – im Guten, wie im Schlechten.
In diesem Sinne gibt es demnach keinen nicht-instrumentellen Naturbezug, wenn man darunter die (etwas naive) Perspektive verstehen möchte, dass man – zumal in einer technologisch-wissenschaftlichen Zivilisation – einen ‚ursprünglichen‘ oder ‚nicht-ausnutzenden‘ Umgang mit der Natur etablieren könnte. Mit dieser Einsicht gelingt es aus unserer Sicht deshalb besser, Praktiken der Nachhaltigkeit anthropologisch und nicht moralisch-ethisch anzugehen und damit auch praktisch umsetzbar – da anthropologisch möglich – zu gestalten (vgl. Bajohr, 2020; Fischer, 2020). Hier bietet sich aus unserer Sicht ein großes Feld für humangeographische bzw. auch interdisziplinäre Mensch-Umwelt-Forschung im sog. ‚Anthropozän‘ (auch dieser Begriff ist nicht frei von einem politisch-moralisierenden Grundton) im Verbund mit physischer Geographie und anderen ökologisch orientierten Naturwissenschaften.
Für diesen Artikel wurden keine Datensätze genutzt.
Beide Autoren haben gleichwertig an der Konzeption, der Ausarbeitung, Verschriftlichung und Überarbeitung des Textes mitgewirkt.
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Anmerkung des Verlags: Copernicus Publications bleibt in Bezug auf gerichtliche Ansprüche in veröffentlichten Karten und institutionellen Zugehörigkeiten neutral.
Wir danken den zwei anonymen Gutachtern für ihre sehr konstruktiven Kritiken an und hilfreichen Hinweise zu diesem Beitrag.
This paper was edited by Nadine Marquardt and reviewed by two anonymous referees.
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Wir danken insbesondere Lukas Pieroth (Heidelberg) für die vielfältigen Anmerkungen und kritischen Kommentare.
V. a. auch, weil der Leib in Bewegung, ‚im Raum‘ ist, als einziges lebendes ‚Objekt‘, das dies so erfährt (vgl. Husserl, 1991 [1907]; vgl. hierzu auch Breuer, 2020).
Eine einschlägige Aussage hierzu von Singer (2002:20): Die Annahme zum Beispiel, wir seien voll verantwortlich für das, was wir tun, weil wir es ja auch hätten anders machen können, ist aus neurobiologischer Perspektive nicht haltbar. Neuronale Prozesse sind deterministisch. Gibt man der nichtsprachlichen Hirnhälfte einen Befehl, führt die Person diesen aus, ohne sich der Verursachung bewusst zu werden. Fragt man nach dem Grund für die Aktion, erhält man eine vernünftige Begründung, die aber mit der eigentlichen Ursache nichts zu tun hat. Wir handeln und identifizieren die vermeintlichen Gründe jeweils nachträglich.
Sie können, wie wir weiter unten mit Plessner sehen werden, sehr wohl zutreffen und also adäquat sein, weil wir aufgrund biologischer Ähnlichkeiten es richtig einschätzen können, ob z. B. ein Tier ‚gequält‘ wird und leidet, weil sich Leidenszustände bei (höherentwickelten) Tieren und Menschen ähneln – wie erwähnt, aber einzig und allein aufgrund der anthropologischen Ausstattung des Menschen und nicht aufgrund ‚posthumaner‘ Phantasien.
Thomas Nagel hat 1974 in seinem berühmt gewordenen Aufsatz „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“ darauf hingewiesen, dass kein Mensch je wissen kann, wie es ist, eine Fledermaus zu sein, da homo sapiens sapiens nicht ihre Erlebnis-/Erfahrungsperspektive einnehmen kann. Es ist damit dem Menschen ‚unvorstellbar‘, wie es für eine Fledermaus ist, sich durch Echoortung ein Bild von der Welt zu machen. Egal wie sehr wir den Perzeptionsapparat der Fledermäuse und seine neuronalen Entsprechungen nachzuvollziehen versuchen, werden wir uns niemals vorstellen können, wie es ist, ein echolot-artiges Wahrnehmungsorgan zu besitzen.
Dies gilt z. B. auch bei „gefährlichen Begegnungen“ im ‚Zusammenleben‘ von Mensch und Wildtier, genauer zwischen Haien und Wölfen mit Menschen, die letztlich nur für den Menschen als ‚gefährlich‘ begriffen werden können (Poerting et al., 2020).
Dies wird ebenso aus evolutionsbiologischer Sicht bestätigt, da Bewusstseinsbildung und menschliche Moral (als „Kooperation plus“; Tomasello, 2016:207) einen elementaren Vorteil bei der komplexen Verarbeitung der Umwelten und einer darin eingestellten Existenz darstellen.
Und der bis heute, auch wenn sie es nicht wissen, den Poststrukturalismus strukturiert.
Ob diese Differenz aufgrund der grenzrealisierenden Fähigkeiten des Menschen so bleibt oder sich zum Beispiel evolutionär hin zu den hochentwickelten Primaten ‚abschleifen‘ wird, so dass der Niveauunterschied nicht mehr so klar formulierbar wie hier bleibt, wird die Zeit zeigen müssen. So lange empirische Arbeiten wenig Substantielles von einem ‚Selbst-Bewußtsein‘ bei Tieren zu berichten wissen, sollte dergleichen im Reich der Spekulation verbleiben (zum Bewußtsein bei Tieren nach Plessner, vgl. Becker, 2017:152 ff.). Einen eigenen Zugang zu dieser Problematik entwickelt Gesa Lindemann (1999) in einer „Reflexiven Anthropologie“ im Anschluß an Helmuth Plessner. Auch dieser ließ in seiner Philosophischen Anthropologie offen, ob Tiere Personalität o. ä. entwickeln könnten. Lindemann (2014, 2017) macht diese Möglichkeit zur Grundlage ihrer Theoriebildung auf Basis der kontingenten Anschlußmöglichkeit an die Arbeiten Plessners. Damit ließen sich more-than-human-Ansätze gesondert kritisieren, allein, es fehlt der Platz an dieser Stelle.
„Endlich ist mein Leib für mich so wenig nur ein Fragment des Raumes, daß überhaupt kein Raum für mich wäre, hätte ich keinen Leib“ (Merleau-Ponty, 1974:127).
Eine wichtige Ausnahme sind die umfangreichen raumphänomenologischen Arbeiten von Hasse (2014, 2015, 2017 u. a.); unlängst auch Runkel (2018). In der Soziologie haben sich Lindemann (2011, 2014, 2016) und Gugutzer (2006, 2012, 2017) intensiv mit der Neuen Phänomenologie von Schmitz beschäftigt und diese für die zeitgenössischen Sozialwissenschaften anschlußfähig gemacht.
Hier ergibt sich ein vergleichbarer Kontext wie in Fußnote 5 angemerkt: Ähnlich wie Plessner reserviert Schmitz den Weite-, Richtungs- und Ortsraum nicht explizit für den Menschen (auch Tiere scheinen Enge zu empfinden, wenn sie Situationen aus dem Weg gehen), sondern bleibt offen für eine Theoriebildung über die menschliche Erfahrungsdimension hinaus (wie und ob dies empirisch nachweis- oder bloß beobachtbar sein kann, muß hier offenbleiben). Er geht davon aus, dass auch Tiere sich ‚im Raum verhalten‘ bzw. sich auf dieser Grundlage orientieren könnten, da sie auch Orte erinnern etc. Hier böte sich die Möglichkeit einer Kritik an den eher naiven Mensch-Tier-Übertragungen bzw. Tier-Mensch-Übertragungen, wie sie More-than-human-Ansätze vorlegen.
Aus mehreren Gründen ist dieser turn aber bislang unterblieben, weswegen wir hier nur kursorische Anmerkungen machen können, welches Potential sich hier verbirgt.
Immer auch die Möglichkeit im Blick behaltend, dass es auch genau gegensätzlich organisierte Heime gibt, man kann sie eben nicht vorab ‚politisch lesen‘.
Das Argument hier ähnelt jenem in Fußnote 17.
Auch die wahrnehmbaren und objektiv beschreibbaren Eigenschaften des Äußeren wie etwa Räumlichkeit (z. B. Enge-Weite), Temperatur (Wärme-Kälte), Licht (hell-dunkel), Oberflächenstruktur (rau-glatt) etc. haben alltagsweltlich in der Wahrnehmung nur Sinn, wenn sie als Erfahrungswerte fungieren.
Böhme (2019), der in dieser Denktradition steht, begreift den Leib als „die Natur, die wir selbst sind“.
Bislang nicht jedoch in der Humangeographie reflektiert (eine Ausnahme hierzu Ernste, 2004).
„Wir menschlichen Lebewesen sind die Menschenaffen, die sich anderen Menschenaffen – und auch Amöben – widmen können, sie fangen, sie ausstellen, sie grausam gebrauchen und verkrüppeln können – alles ontologische Möglichkeiten aus der exzentrischen Positionalität heraus –, aber eben ihnen auch bestimmte Grundrechte zusprechen können, die allein menschliche Lebewesen für sich and ihresgleichen entdecken und erfinden; also für Bonobos, Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans diese Grundrechte fordern und sie stellvertretend, da diese sie selbst nicht für sich vertreten können, für sie durchsetzen: das Recht auf Leben z. B., der Schutz der invividuellen Freiheit, das Verbot von Folter“ (Fischer, 2020:35).
Bezeichnenderweise können selbst stark domestizierte Tiere dieses Verhalten in Konfliktsituationen nicht ablegen und verbleiben im Instinktrahmen ihrer tierlichen Lebensform (Hund fängt Katze, Katze fängt Maus, Pferd reißt aus usf.).
Uns erscheint daher ein konzeptionelles Zusammendenken von Haraway und Latour mit Merleau-Ponty und Plessner, wie es unlängst Pütz und Schlottmann (2020) unternommen haben, epistemologisch weniger zielführend zu sein.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Sie sind aber damit nicht ontologisch absolut, das heißt z. B. variabel im Prozess der Evolution und es gibt Übergänge und Abstufungen, etwa zu höher entwickelten Primaten usf. (vgl Krüger, 2017:5 ff.).
- Kurzfassung
- Einleitung
- Ohne Leib keine Welt
- Grenzziehungen
- Widersprüche ‚mehr-als-humaner‘ und ‚posthumaner‘ Perspektiven
- Bewusstsein von der Welt als grundsätzlicher Weltzugang und die Sonderstellung des Menschen
- Der Leib in der Phänomenologie und philosophischen Anthropologie
- Philosophisch-anthropologische Grundlegung des Mensch-Umwelt-Verhältnisses
- Zur Aktualität einer philosophisch-anthropologischen Mensch-Umwelt- Bestimmung
- Datenverfügbarkeit
- Autor:innenmitwirkung
- Interessenkonflikt
- Haftungsausschluss
- Danksagung
- Begutachtung
- Literatur
- Kurzfassung
- Einleitung
- Ohne Leib keine Welt
- Grenzziehungen
- Widersprüche ‚mehr-als-humaner‘ und ‚posthumaner‘ Perspektiven
- Bewusstsein von der Welt als grundsätzlicher Weltzugang und die Sonderstellung des Menschen
- Der Leib in der Phänomenologie und philosophischen Anthropologie
- Philosophisch-anthropologische Grundlegung des Mensch-Umwelt-Verhältnisses
- Zur Aktualität einer philosophisch-anthropologischen Mensch-Umwelt- Bestimmung
- Datenverfügbarkeit
- Autor:innenmitwirkung
- Interessenkonflikt
- Haftungsausschluss
- Danksagung
- Begutachtung
- Literatur